Russland und die Ukraine haben erstmals seit 2022 wieder direkt verhandelt. Ein Durchbruch blieb aus. Nun richtet sich der Blick auf ein mögliches Treffen zwischen Trump und Putin.
Es war nicht der erwartete Durchbruch – und doch ein bedeutsamer Schritt auf dem Weg zum Frieden. Erstmals seit dem Frühjahr 2022 sind am 16. Mai 2025 in Istanbul offizielle Delegationen der Ukraine und Russlands zu direkten Friedensverhandlungen zusammengekommen. Nach einem Verhandlungstag steht das Ergebnis fest: Statt einer Einigung auf eine Feuerpause endeten die Gespräche nach rund 100 Minuten mit dem Versprechen, 1.000 Kriegsgefangene auf beiden Seiten auszutauschen – der bislang größte Gefangenentausch seit Beginn des Krieges.
In allen anderen Punkten zeigten sich jedoch tiefe Gräben zwischen den Konfliktparteien. Das Treffen war reich an Symbolik, geprägt von taktisch kalkulierten Gesten und diplomatischer Kulisse. Was als Chance auf Entspannung begann, geriet zur Bestandsaufnahme politischer Blockaden.
Der Befund wiegt schwer – nicht zuletzt angesichts der Dynamik, die dem Treffen vorausgegangen war. Bereits am 10. Mai hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in Kiew vier europäische Staats- und Regierungschefs empfangen. Gemeinsam forderten sie Russland zu einem bedingungslosen 30-tägigen Waffenstillstand auf und kündigten neue Sanktionen an, sollte Moskau dem nicht folgen.
Nur wenige Stunden später, in der Nacht zum 11. Mai, erklärte der Wladimir Putin überraschend, man werde ab dem 15. Mai die 2022 abgebrochenen Gespräche in Istanbul wieder aufnehmen – einseitig und ohne Vorbedingungen. Beobachter vermuten, dass die Reaktion mit der Sorge vor neuen Sanktionen zusammenhängt, die Donald Trump für den Fall eines Scheiterns angekündigt hat. Die Maßnahmen sind ausformuliert und könnten jederzeit in Kraft treten. Ins Visier geraten unter anderem der staatliche Energiekonzern Gazprom sowie Schlüsselakteure der russischen Rohstoff- und Finanzwirtschaft, heißt es aus Regierungskreisen.
Außenminister Sergej Lawrow blieb demonstrativ fern
Damit waren die Voraussetzungen für einen ernsthaften Dialog gegeben. Entsprechend zeigte sich Präsident Selenskyj verhandlungsbereit – machte jedoch unmissverständlich klar, dass er nur zu einem persönlichen Treffen mit Wladimir Putin bereit sei. Der Kreml lehnte das kategorisch ab. Erst kurz vor Mitternacht am 14. Mai gab Moskau die Zusammensetzung seiner Delegation bekannt: Sie wurde angeführt von Präsidentenberater Wladimir Medinskij, begleitet von Vizeministern aus dem Außen- und Verteidigungsministerium sowie dem Chef des militärischen Nachrichtendienstes GRU, Igor Kostjukow.
Hochrangige Kabinettsmitglieder wie Außenminister Sergej Lawrow blieben demonstrativ fern. Westliche Beobachter werteten die Zusammensetzung als Signal mangelnden Verhandlungswillens. Selenskyj sprach von einer „kulissenhaften Delegation“, der es an echter Vollmacht mangele. Ganz anders die ukrainische Seite: Ihre Delegation wurde von Verteidigungsminister Rustem Umerow angeführt, einem Krimtataren mit engen Kontakten in westliche Regierungskreise (Ein Portrait Umerows findet sich hier). Ihm zur Seite standen:
- Sergij Kyslyzja, erfahrener Diplomat und ehemaliger UN-Botschafter der Ukraine;
- Wadym Skybyzkyj, Vizechef des militärischen Geheimdienstes HUR;
- Oleksandr Poklad, Vizechef des ukrainischen Inlandsgeheimdienstes SBU;
- mehrere aktive Frontgeneräle (u. a. aus Luftwaffe, Marine, Generalstab);
- Olexij Malowazkyj, Leiter des Völkerrechtsbüros im Generalstab;
- Olexandr Bews, enger Berater des Präsidialamtschefs Andrij Jermak;
- Außenminister Andrij Sybiga, der bereits zuvor mit US-Vertretern in Antalya gesprochen hatte.
Ziel der ukrainischen Seite war es, sowohl politische Grundsatzfragen als auch operative und rechtliche Details eines möglichen Waffenstillstands zur Sprache zu bringen.
Militärische Realität lag über dem Treffen
Die Gespräche begannen am Morgen des 16. Mai im Dolmabahçe-Palast in Istanbul. Die Atmosphäre sei laut türkischen Regierungsquellen „ruhig“ gewesen. Die Delegationen saßen sich an einem U-förmigen Tisch gegenüber. Die russischen Vertreter trugen Anzüge, viele Ukrainer hingegen Uniform – ein sichtbares Symbol für die militärische Realität, die über dem Treffen lag.
Die Verhandlungen dauerten rund 100 Minuten. Eine Einigung auf eine Feuerpause wurde nicht erzielt. Stattdessen legte die russische Delegation nach Angaben ukrainischer und türkischer Quellen abermals Maximalforderungen Forderungen vor, darunter der vollständige Rückzug der ukrainischen Armee aus den vier von Russland beanspruchten Gebieten Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson, der Verzicht auf eine NATO-Mitgliedschaft und die Zusicherung eines dauerhaften neutralen Status der Ukraine.
Ein Informant aus dem ukrainischen Präsidialamt erklärte gegenüber dem “Kyiv Independent“, die russischen Forderungen seien „nicht verhandelbar“, die Delegation aus Moskau erscheine „ohne jede Entscheidungsbefugnis“. Ein türkischer Vermittler bestätigte, dass Russland dieselben Bedingungen bereits gegenüber amerikanischen Gesprächspartnern formuliert habe.
.Am deutlichsten trat die russische Position in den Äußerungen von Delegationsleiter Wladimir Medinskij zutage, der sich während der Verhandlungen mit einer kaum verhohlenen Drohung zu Wort meldete: Russland sei bereit, „ein Jahr, zwei, drei – so lange wie nötig“ zu kämpfen. Er verglich die aktuelle Lage mit den 21-jährigen Nordkriegen Peters des Großen gegen Schweden. Gegenüber der Fernsehgesellschaft WGTRK erklärte Medinskij später, wer meine, ein Waffenstillstand müsse dem Beginn von Friedensverhandlungen vorausgehen, habe „keine Ahnung von Geschichte“. Krieg und Diplomatie liefen, so Medinskij, „in der Regel parallel – wie Napoleon gezeigt habe“.
Größter Gefangenenaustausch seit Beginn des Krieges
Konkrete Vorschläge der ukrainischen Seite – darunter ein sofortiger Waffenstillstand, ein umfassender Gefangenenaustausch sowie ein persönliches Gipfeltreffen zwischen Selenskyj und Putin – blieben unbeantwortet. Immerhin einigten sich beide Seiten auf eine konkrete Maßnahme: den baldigen Austausch von jeweils 1.000 Kriegsgefangenen. Verteidigungsminister Umjerow erklärte im Anschluss an das Treffen: „Wir kennen das Datum, aber wir nennen es noch nicht.“ Medinskij bestätigte die Vereinbarung gegenüber russischen Medien. Es wäre der bislang größte Gefangenenaustausch seit Beginn des Krieges.
Darüber hinaus verständigten sich beide Delegationen darauf, ihre jeweiligen Vorstellungen eines künftigen Waffenstillstands schriftlich zu formulieren und bei einem Folgetreffen auszutauschen. Einen Termin nannten sie nicht. Der türkische Außenminister Hakan Fidan erklärte auf X, beide Seiten hätten sich „grundsätzlich auf eine Fortsetzung der Gespräche“ verständigt.
Unmittelbar nach Abschluss der Verhandlungen telefonierte Präsident Selenskyj mit Donald Trump, Emmanuel Macron, Friedrich Merz, Keir Starmer und Donald Tusk. „Die Ukraine ist bereit, rasch echte Schritte zum Frieden zu gehen“, erklärte Selenskyj. „Aber wenn Russland keine vollständige Waffenruhe akzeptiert, muss der Druck steigen.“ Trump, der das Treffen zunächst begrüßt hatte, erklärte noch am selben Tag, ein Durchbruch sei erst dann zu erwarten, „wenn ich Putin persönlich treffe“. Er kündigte an, Putin „möglicherweise bald anzurufen“.
Auch US-Außenminister Marco Rubio bekräftigte, dass ein substanzieller Fortschritt nur durch ein direktes Gipfeltreffen zwischen den USA und Russland möglich sei. „Nichts Produktives wird passieren, solange sie sich nicht direkt austauschen“, sagte er. Kremlsprecher Dmitri Peskow stimmte dem zu: Ein Treffen zwischen Trump und Putin sei aus russischer Sicht notwendig – müsse jedoch sorgfältig vorbereitet und ergebnisorientiert sein.
Ohne ein Treffen Trump/Putin läuft nichts
Diese Einschätzung wurde auch außerhalb der Verhandlungsformats geteilt. In einem Fernsehinterview am Abend des 17. Mai erklärte Viktor Orbán, ein Frieden in der Ukraine sei nur über ein direktes Treffen zwischen Putin und Trump erreichbar. Gespräche zwischen Russland und der Ukraine allein reichten nicht aus, so Orbán, der bereits 2024 mit beiden Präsidenten persönlich verhandelt hatte.
„Wenn Sie glauben, dass Russen und Ukrainer allein eine Lösung finden, irren Sie sich“, sagte er. „Das hätte in den letzten drei Jahren jederzeit geschehen können – ist es aber nicht.“ Nur wenn Donald Trump seine Initiative fortsetze und ein direktes Gespräch mit Wladimir Putin zustande komme, sei ein echter Schritt in Richtung Frieden möglich. Andernfalls, so Orbán, „werden wir nichts erreichen“. Ferner müsse auch Europa den Dialog mit Moskau wieder aufnehmen. Früher oder später werde man mit Putin verhandeln müssen – die entscheidende Frage sei, ob das vor oder nach einem Treffen mit Trump geschehe.
Orbán forderte insbesondere Deutschland und Frankreich auf, politisch voranzugehen. „Die Deutschen und Franzosen müssen Entschlossenheit zeigen“, erklärte er und sprach von einer Verantwortung für die Beendigung des Krieges auf europäischem Boden.
Diese Aufforderung dürfte in Westeuropa auf wenig Resonanz stoßen – zumal führende Politiker die Verhandlungen in Istanbul überwiegend kritisch bewerteten. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron forderte eine „verstärkte Druckausübung“ auf Russland. Friedrich Merz sprach von einer verpassten Chance. Polens Premierminister Donald Tusk erklärte: „Die Russen haben in Istanbul de facto die Gespräche abgebrochen und einen Waffenstillstand abgelehnt. Zeit, den Druck zu erhöhen.“
„Der Heilige Stuhl stellt den Raum zur Verfügung“
Wenig später wurde klar, dass es nicht bei Ankündigungen blieb: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stellte ein neues Sanktionspaket in Aussicht – darunter Maßnahmen gegen Nord Stream 1 und 2, gegen Schiffe der russischen Schattenflotte, eine Absenkung des Ölpreisdeckels sowie Sanktionen gegen den russischen Finanzsektor. Der Vatikan bot sich derweil als möglicher Ort für eine nächste Gesprächsrunde an. Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin erklärte: „Der Heilige Stuhl stellt den Raum zur Verfügung.“ Rom sei ein „angemessener Ort für echte Friedensgespräche“.
Wie aber ist die russische Position zu bewerten? Die Tatsache, dass Moskau in Istanbul mit Maximalforderungen auftrat und keinerlei Kompromissbereitschaft zeigte, lässt eine ernsthafte Verhandlungslösung kaum zu. Diese Taktik ergibt vor allem dann Sinn, wenn man die innenpolitische Logik des Kremls berücksichtigt: Für die russische Führung steht weniger der diplomatische Durchbruch als vielmehr die innenpolitische Konsolidierung im Vordergrund – verbunden mit dem Ziel, Stärke gegenüber dem Westen zu demonstrieren.
Dass dieser Kurs auf Zustimmung stößt, zeigt eine am 16. Mai veröffentlichte Umfrage des staatlichen Meinungsforschungsinstituts WZIOM. Demnach stieg das Vertrauen in Präsident Wladimir Putin binnen einer Woche um 0,6 Punkte auf 81,2 Prozent. Die Zustimmung zu seiner Amtsführung liegt bei 79,2 Prozent. Premierminister Michail Mischustin erreicht einen Vertrauenswert von 62,3 Prozent, das Regierungshandeln insgesamt wird von 52,7 Prozent der Befragten positiv bewertet. Die Regierungspartei Einiges Russland kommt laut Umfrage auf 36,8 Prozent, während die Oppositionsparteien deutlich abgeschlagen bleiben.
Ebenso zeigt sich, dass Moskau das Verhandlungsformat von Istanbul nicht als entscheidend betrachtet. In den Augen der russischen Führung kann eine Einigung nur zwischen Donald Trump und Wladimir Putin erzielt werden. Dass sowohl der US-Präsident als auch sein Außenminister diese Einschätzung öffentlich teilen, bestärkt den Kreml in dieser Haltung.
Die politischen und militärischen Frontlinien bleiben unverändert
Vor diesem Hintergrund erscheint die Gesprächsbereitschaft auf unterer Ebene vor allem als strategisches Manöver, um internationaler Isolation entgegenzuwirken. Das gilt auch für den vereinbarten Gefangenenaustausch im Verhältnis 1000 zu 1000 – ein humanitäres Signal, nicht mehr.
Entscheidend ist, dass Russland zentrale Fragen wie Waffenruhe, Gebietsstatus und Sicherheitsgarantien ausschließlich mit Donald Trump verhandeln will. Istanbul bleibt damit ein symbolischer Ort ohne greifbare Folgen. Die politischen und militärischen Frontlinien bleiben unverändert.
Donald Trump hat damit kein Problem. In einem Interview mit Fox News betonte er, dass nur er persönlich in der Lage sei, den Ukrainekrieg zu beenden – und dass die Verantwortung für die festgefahrene Lage nicht bei Wladimir Putin, sondern bei Wolodymyr Selenskyj liege. Auf die Frage, ob Putin das größte Hindernis für eine Einigung sei, wich Trump aus: „Ich hatte ein ziemlich schwieriges Gespräch mit Selenskyj. Er hat es nicht einfacher gemacht. Ich habe immer gesagt: Er hat keine Trümpfe – und das stimmt.“
Statt Putin für den Kriegsausbruch oder dessen Fortsetzung verantwortlich zu machen, stellte Trump ihn als gesprächsbereit und kriegsmüde dar: „Er sieht im Moment nicht gut aus. Und er will gut aussehen. Vergessen Sie nicht: Eigentlich sollte das in einer Woche vorbei sein. Wären seine Panzer nicht im Schlamm stecken geblieben, wären sie in fünf Stunden in Kiew gewesen.“
In USA baut sich innenpolitischer Druck auf
Trump bekräftigte, dass es ohne ihn keine Lösung geben werde: „Es kann kein Treffen ohne mich geben. Ohne mich wird es keine Einigung geben.“ Seine Beziehungen zu Putin seien „sehr gut“, und er sei überzeugt, dass ein Abkommen möglich sei.
Sollten die Gespräche scheitern, sei er bereit, wirtschaftlichen Druck auszuüben – etwa durch Sanktionen gegen russisches Öl und dessen Abnehmer, wie sie derzeit im US-Kongress diskutiert werden. „Ich werde das tun, wenn es nötig ist. Aber ich hoffe, dass es nicht nötig sein wird. Wenn wir keine Einigung erzielen, werde ich es tun. Das wäre verheerend für Russland. Sie haben wirtschaftliche Probleme. Die Ölpreise sind niedrig. Das würde alles verändern.“
Diese Äußerungen dürften nicht zuletzt darauf abzielen, den innenpolitischen Druck zu mindern, der sich in den USA nach dem enttäuschenden Verlauf der Gespräche aufgebaut hat. Inzwischen mehren sich dort die Stimmen, die schärfere Maßnahmen gegen Russland fordern. Zahlreiche US-Senatoren drängen auf eine rasche Verabschiedung neuer Sanktionsgesetze – insbesondere angesichts des ausbleibenden Fortschritts bei den Verhandlungen.
Ein parteiübergreifender Gesetzentwurf, der sowohl primäre als auch sekundäre Sanktionen gegen Russland und dessen Handelspartner vorsieht, wird derzeit von 73 der 100 Senatoren unterstützt. In der Abgeordnetenkammer befürworten mindestens 28 von 435 Mitgliedern ein entsprechendes Pendant. Der Entwurf sieht unter anderem Importzölle von bis zu 500 Prozent auf Waren aus Ländern vor, die weiterhin russische Energie oder Rohstoffe beziehen.
Ob es dazu kommt, bleibt offen. Als wahrscheinlich gilt jedoch, dass die Verhandlungen früher oder später in ein persönliches Treffen zwischen Donald Trump und Wladimir Putin münden werden. In diesem Licht erscheinen die jüngsten Entwicklungen als Vorbereitung – sowohl das Gesprächsformat von Istanbul als auch das dritte Telefonat zwischen den beiden Präsidenten. Dann wird sich entscheiden, ob Worte tatsächlich in einen tragfähigen Kompromiss münden.
Dr. Christian Osthold ist Historiker mit dem Schwerpunkt auf der Geschichte Russlands. Seine Monographie über den russisch-tschetschenischen Konflikt ist in der Cambridge University Press rezensiert worden. Seit 2015 ist Osthold vielfach in den Medien aufgetreten.