Andreas Kilb schreibt im Feuilleton der FAZ:
“Kunst und Provokation
Zwei Köpfe gegen den Rest der Welt
Der 22. Mai dieses Jahres war ein schlechter Tag für Jan Egesborg. Als er um acht Uhr morgens auf dem Karlsplatz in Wien ankam, wo er sich mit einer Fotografin der österreichischen Nachrichtenagentur APA verabredet hatte, bemerkte er, dass sich auffällig viele Polizisten rund um den Platz postiert hatten. Sie schienen auf etwas zu warten. Egesborg begann, die Plakate mit dem Bild des russischen Präsidenten Putin zwischen den Ringen einer Zielscheibe anzubringen, die er zum Staatsbesuch Putins in Österreich aus Kopenhagen mitgebracht hatte. Über dem Zielscheibenbild stand in Großbuchstaben ‘Erschießt Putin’ - und dahinter, in sehr viel kleinerer Schrift: ‘Journalisten?’
Als Egesborg auf der Nordseite des Platzes genügend Putin-Poster an die Wände geklebt hatte, lief er auf die Südseite. Plötzlich war er von Polizisten umringt. ‘Sie kannten mich. Sie wussten, wie ich aussah und dass ich kommen würde.’ Egesborg wurde zu einer Polizeistation gebracht, wo man ihm seine Taschen mit den übrigen Plakaten wegnahm. Man sagte ihm, er werde verdächtigt, Beziehungen zu tschetschenischen Terroristen zu unterhalten und zu Verbrechen an einem ausländischen Staatsmann aufzurufen. Nach einiger Zeit, in der Egesborg vergeblich versucht hatte, einen Anwalt zu seinem Verhör zu bestellen, wurde er in sein Hotel gefahren, um an der Durchsuchung seines Zimmers teilzunehmen. Man fand Kleider und weitere Plakate. Dann ging die polizeiliche Befragung weiter. Nach neun Stunden entschied ein Untersuchungsrichter, dass Egesborg nach Dänemark ausreisen dürfe. ‘Er sagte den Beamten, sie sollten mir ausrichten, wenn ich das Putin-Plakat jemals wieder in Österreich aufhängen würde, käme ich ins Gefängnis.’ In drei Monaten werde über die Anklageerhebung entschieden.
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Im Dezember letzten Jahres erregten Bertelsen und Egesborg zum ersten Mal die Aufmerksamkeit internationaler Medien. Sie hatten es geschafft, in der ‘Tehran Times’ eine Anzeige mit dem Kopf des Präsidenten Ahmadineschad und einem Begleittext unterzubringen, der scheinbar eine Solidaritätserklärung mit der iranischen Regierungspolitik darstellte. Las man aber nur die Anfangsbuchstaben der fünf Textzeilen, erschien das Wort ‘Swine’ (F.A.Z. vom 22. Dezember). Ein amerikanischer Kritiker bezeichnete die Anzeige als das wichtigste Beispiel politischer Kunst im Jahr 2006.
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Nur eine oder zwei Religionen anzugreifen wäre ihm zu einseitig erschienen, sagt Egesborg. Deshalb hat er auch ein Plakat nach Kassel mitgebracht, das die sexuellen Übergriffe des zurückgetretenen israelischen Staatspräsidenten Katzav aufspießt, und ein anderes, auf dem das indische Kastensystem mit dem Rassismus der Nazis in Verbindung gebracht wird. Dafür gibt es aber bei Surrend, anders als bei vielen anderen politischen Künstlern dieser Jahre, keine wohlfeilen Attacken auf Bush oder Blair. „Man muss diejenigen angehen, vor denen die Menschen sich wirklich fürchten“, sagt Egesborg, und man wünschte sich, diesen Satz noch von vielen Künstlern, Politikern und Journalisten aller Richtungen und Lager zu hören.
Seit Anfang des Jahres indessen haben sich die Bedingungen, unter denen das Surrend-Team arbeitet, spürbar verändert. Zum einen ist aus dem Duo seit der Geburt des gemeinsamen Sohnes im Januar eine Familie geworden, was den Aktionsspielraum von Pia Bertelsen erheblich einschränkt. Zum anderen wird es für die Künstler, die seit ihrer Ahmadineschad-Aktion unter verschärfter Beobachtung der Medienwelt stehen, immer schwerer, ‘unter dem Radar der Zensur hindurchzufliegen’, wie es Jan Egesborg nennt, um die Objekte ihres Spotts zu treffen. ‘Aber das heißt trotzdem noch lange nicht, dass die Diktatoren jetzt ruhig schlafen können’, sagen Egesborg und Bertelsen wie aus einem Mund. ‘Uns wird immer wieder etwas Verrücktes einfallen.’ Der Tyrann aus Nordkorea etwa steht seit langem auf ihrer Liste. ‘Wir haben schon einige Ideen für ihn entwickelt.’ Hoffen wir, dass eine davon den Zensoren entgeht.”