Volker Seitz / 28.02.2023 / 14:00 / Foto: Balou46 / 41 / Seite ausdrucken

Oh, wie schön ist Afrika

Ich habe viele Jahre in Afrika, in verschiedenen Ländern, gelebt. Deshalb hatte ich eigentlich nicht vor, die Reiseeindrücke des Musikers und Schriftstellers Sören Sieg zu lesen.

Als ich jedoch von seinem wochenlangen Kampf mit den Erziehungsmaßnahmen einer „Sensitivity-Gutachterin" des Verlages Penguin Randomhouse in FAZ-Online am 29. Januar 2023 (Postkoloniale Zensur) und in der Weltwoche am 16. Februar 2023 („Sie produzieren kolonial-rassistische Machtstrukturen") las, war mein Interesse geweckt. 

Nach langen zähen Verhandlungen konnte das Buch letzten Herbst mit einem Disclaimer-Vorwort, abgemilderten Formulierungen und gestrichenen Sätzen doch noch erscheinen. 

Erfreulich: Ideologisch konnte der Autor nicht auf Linie gebracht werden. Die Zensorin hatte ursprünglich verlangt, dass der Autor sich in die „postkoloniale Literatur einzuarbeiten und das Buch neu zu schreiben“ habe. Der Verlag schrieb ihm, der Vertrag stamme aus einer anderen Zeit, nach den George-Floyd-Protesten hätten sie sein Buch gar nicht mehr eingekauft. Die „Sensitivity-Gutachterin" bemängelte Betrachtungen, Haltungen, Termini und Überlegungen, die beleidigend für schwarze Menschen und generell strukturell benachteiligte Personen sein können. Gestrichen wurden Adjektive, die das Äußere von Personen beschreiben wie hübsch, schlank, füllig, groß, klein, stämmig, wuchtig, kräftig, hellhäutig, den Kopf glattrasiert und warmherzig. Vielen Leserinnen seien seine fast sexualisierenden und objektifizierenden Anspielungen unangenehm. 

Das „sensitivity reading“ entdeckte Rassismus überall. Manchmal fühlte sich seine Gutachterin sogar berufen, seine Aussagen ins Gegenteil zu verkehren und Zitate der Gastgeber zu verfälschen. Die Anmerkungen waren so lang wie sein Manuskript. 

Neuer Hautfarbenrassismus

Die Zensorin hält kritischen Umgang mit dem Kontinent für fragwürdig. Es erstaunt dann auch nicht mehr, dass sie den kürzlich verstorbenen Gunnar Heinsohn für einen „polnischen Soziologen" und David Livingstone für einen zweiten Cecil Rhodes hält. Sie weiß auch nicht, dass Äthiopien nie eine Kolonie gewesen ist. Für den Verlag Randomhouse ist sie aber „eine geschätzte Lektorin und Gutachterin, die sehr wichtige Arbeit leistet.“ Das Buch erschien, aber mit den Wörtern „Stamm“ und „Schwarzafrika“ wäre es nicht erschienen. „This is Africa!“ – das seine afrikanischen Gastgeber und nicht nur die, als Stoßseufzer öfter ausrufen – wollte die Frau, die ihn für Rassismus sensibilisieren will, streichen. Sie erträgt die Sicht derjenigen nicht, für die sie angeblich Partei ergreift. Dazu sagte Pascal Bruckner: „Noch vor dreißig Jahren hatte man sowohl rechts als auch links noch genügend Vernunft, um über diesen Unfug lachen zu können.“ Er nennt die postkolonialen Bußübungen in Europa einen neuen Hautfarbenrassismus unter umgekehrten Vorzeichen: Die neue Inkarnation des Bösen ist der alte weiße Mann. Diese aktivistischen Gruppen verschreiben sich nach Bruckner derselben Logik der Segregation, die sie kritisieren. 

Ich bin mir sicher, der Dame geht es nicht um Solidarität mit Afrikanern, sondern um die Zurschaustellung der höheren Moralität des eigenen Standpunktes. Mir sagen Afrikaner, dass unser wichtigstes Anliegen offenbar das Bedürfnis ist, beliebt zu sein. Sie nennen das Woko-Haram. 

Couchsurfing bei 18 Gastgebern

Als ich das Buch las, habe ich mich gefreut, dass sich Sören Sieg offenbar weitgehend durchsetzen konnte. Seine Couchsurfing-Abenteuer in sechs Ländern (Äthiopien, Uganda, Kenia, Tansania, Südafrika und Ghana) bei 18 Gastgebern sind flüssig zu lesen. In dem Buch geht es nicht um Naturparks, Tiere, Safari-Tourismus, noch um Hilfsprojekte, und erst recht nicht darum, wie man „Afrika entwickeln“ kann, was auch immer das heißen mag. Woher nehmen wir eigentlich das Recht, durch Entwicklungs-„hilfe“ in das Leben von Menschen einzugreifen und es zu verändern, die auf andere Weise als wir ihre Existenz gestalten, mit anderen Wertvorstellungen und anderen Lebensumständen? Es geht in dem Buch vor allem um die Gastgeber und ihre Lebensgeschichten, ihre Ideen und ihre Kultur. Natürlich spielen bei den Gesprächen auch die Folgen von Unterschlagung und Korruption durch die Machteliten in den jeweiligen Ländern eine Rolle. 

In manchen Wohnungen hält es Sieg keine zweite Nacht aus. Es sind vor allem die schlechten hygienischen Bedingungen (Essensreste in der Küche, in denen ein Wurm herumkriecht und frisst), schmutzige Toiletten (Lochklos) und zerrissene Moskitonetze. Das deckt sich mit meinen Erfahrungen. Nicht nur einmal war ich bei Afrikanern der Mittelschicht eingeladen, deren Toiletten in einem lamentablen Zustand waren. Für viele Afrikaner haben eine gute Sanitärversorgung zu Hause und Hygieneanforderungen – leider auch in Krankenhäusern – noch keinen hohen Stellenwert. In Afrika habe ich viele hervorragende Ärzte kennengelernt, die das beklagen. Nicht erst seit ein afrikanischer Kardiologe in Benin einem Kollegen das Leben gerettet hat, habe ich große Hochachtung vor diesen Ärzten.

Moskitonetze – oft von westlichen Hilfsorganisationen kostenlos verteilt – wurden auch zu meiner Zeit nicht schonend behandelt, selten repariert, die Imprägnierung nicht erneuert. Selbst gebildete Afrikaner gaben mir gegenüber ganz offen zu, dass sie es lästig fanden, darunter zu schlafen. Sie bekämen darunter keine Luft. Die Lerneffekte der Bevölkerung zur sachgerechten Anwendung der Netze waren entsprechend gering. Wenn Regierungen richtige Prioritäten setzen wie Äthiopien und Ruanda, dann geht die Zahl der Erkrankungen deutlich zurück. 

Höchst lesenswert und unterhaltsam

Sören Sieg fällt auf, dass die Gastgeber wenig interessiert sind an Inneneinrichtung. Das Leben in diesen Ländern findet zum größten Teil draußen statt; innen ist es meist dunkel, kahle Wände, kaum Möbel, Glühbirnen als Wohnzimmerbeleuchtung. Das ist richtig. Kundenbedürfnisse in einem afrikanischen Land können sich erheblich von denen im Westen unterscheiden. So spielt auch bei den Einkommenseliten in Afrika zum Beispiel Design eine geringere Rolle, wichtiger ist es, dass Möbel und Geräte robust und erschwinglich sind. Da Bücher in Dörfern feucht und sandig werden, zerreißen und verkleben und damit unbrauchbar werden, gibt es dort kaum eine Buchkultur. 

Aber auch in den Städten werden kaum Bücher gelesen. Der großartige senegalesische Schriftsteller Sembène Ousmane begann deshalb Filme zu drehen, um auch die ungebildeten Schichten zu erreichen. Mit seinen Büchern und Filmen, die sich gegen Polygamie, Zwangsehe und Unterdrückung der Frau mittels des Islam wenden, machte er sich bei den Verantwortlichen keine Freunde. 

Sehr realistisch ist Sören Siegs Bemerkung: „Jeder will hier Geld von mir, es ist so erschöpfend. Manchmal subtil, manchmal aggressiv. Ich brauche eine 
Pause von dieser Muzungu-Cashcow-Existenz." (Muzungu werden vor allem in Ostafrika Weiße genannt). 

Dem Autor ist ein gedankenreiches, höchst lesenswertes und auch unterhaltsames Buch gelungen. Ich habe keine Anlässe zum ernsthaften Widerspruch gefunden. 

Sören Sieg; Oh, wie schön ist Afrika, Goldmann, 2022 

 

Volker Seitz ist Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“. Inzwischen liegt das Buch aktualisiert und erweitert in elfter Auflage vor.

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Rolf Mainz / 28.02.2023

George Floyd? Was hatte der noch mit Afrika zu tun? Weil ein Teil seiner Vorfahren offenbar daher stammte? Wer ist nun der Rassist? Der Autor - oder vielmehr die Zensorin? Jene Dame wird überdies vermutlich nie in Afrika gewesen sein, wenn doch, dann höchstens in kasernierter Sterne-Hotel-Blase. @Andreas Mertens: Sie werden sicher Recht haben, solche Menschen wie die Zensorin sind schlichtweg zutiefst gestört.

Robin Schürmann / 28.02.2023

Wenn die Zensorin ein Skript des gleichen Umfangs wie das von ihr zensierte Buch verfasst, warum schreibt sie dann nicht gleich ein eigenes Buch?

Michael Stoll / 28.02.2023

Es ist schon komisch. Ich hätte das Buch gerne unzensiert gelesen, aber ohne die “Erziehungsmaßnahmen einer „Sensitivity-Gutachterin“”, hätte die Achse das Buch nie vorgestellt und ich hätte von seiner Existenz nie erfahren und es nie gekauft. Noch werden Bücher “nur” zensiert oder “gecancelt”, aber wie lange dauert es noch, bis fanatische “Aktivisten” vermeintlich “schädliche” Bücher wieder verbrennen?

T. Schmidt-Eichhorn / 28.02.2023

@ Hjalmar Kreutzer: Gewiss können die Verlage es sich leisten, auch Sensitivity-Gutachterinnen zu beschäftigen. Die Verlage meinen sogar, es sich leisten zu müssen. Denn der woke Zeitgeist ist so erfinderisch darin, selbst harmloseste Aussagen zu verdrehen, dass sie dann einen Shit-Storm auslösen. Und in diesem Fall kann der Verlag dem Sturm wenigstens entgegen halten, es tue ihm leid, aber er habe sogar eine Sensitivity-Beauftragte mit eingehender Überprüfung des Textes betraut, aber manchmal könne eben auch den Sensitivsten etwas durchgehen. Und ist eine solche Gutachterin erst einmal eingesetzt, dann versucht sie natürlich, die Notwendigkeit ihres Tuns zu belegen und streicht deshalb sogar Adjektive wie groß oder klein. Da kann man nur hoffen, dass sich ihre Kolleginnen nicht der medizinischen Lehrbücher annehmen, sonst ist es aus mit der Unterscheidung zwischen dem großen und dem kleinen Blutkreislauf. Und @ Ludwig Luhmann: Dass sich so viele Autoren versklaven lassen, beruht schlicht auf dem modifierten aktuellen Lindnerschen Lehrsatz “Besser schlecht publizieren, als gar nicht veröffentlichen”.

Dieter Grimm / 28.02.2023

Ich habe rund 10 Jahre meines Beruflebens in diversen Ländern Africas zugebracht. Mir kommt jedesmal die Galle hoch, wenn ich sogenannte “Experten” über jedes nur mögliche Afrikathema schwurbeln höre. Man erkennt innerhalb kürzester Zeit, ob jemand eine Ahnung bzw. Erfahrung über Afrika hat. Ganz besonders schlimm ist es, wenn die Themen Rassismus oder Kolonialismus geschwurbelt wird. Ich habe zu diesen einen völlig anderen Bezug als das was den Bürgern in unserem Land als angeblich rechtens und richtig suggeriert wird. Ich habe unvorstellbar grausame Dinge gesehen, die Menschen anderen Menschen aus Belanglosigkeit angetan haben. Ich habe viele, viele Afrikaner kennengelernt, die eine völlig andere Meinung zum Thema Kolonialisierung haben als es diverse Woke -Psychos in unserem Land gerne hätten. Und !!!!! Ich habe viele Afrikaner kennengelernt, die weitaus größere Rassisten sind als ich es selbst werden könnte. Es schon komisch und eigenartig, wenn ich von einem meiner Freunde aus Kenya (vom Stamm der Kalenjin) zu hören bekomme das die größten Rassisten in Africa die Afrikaner sind. Bestimmter wird es dann, wenn ich das selbe von einem schwarzen Ingenieur auf einer Baustelle in Kapstadt zu hören bekomme. Ich war 1990 ein Jahr in Simbabe tätig. Weiß einer dieser Superwichtigafricaexperten eigentlich was Gukurahundi bedeutet ? Wissen dies Woke-Deppen wieviel Tutsi innerhalb von 100 Tage zumeist mit Macheten von Hutus getötet wurden ? Wieviel Frauen der Hutus vergewaltigt wurden ? Wissen diese Deppen wieviel Afrikaner tagtäglich von Afrikanern im Kongo, im Sudan, in ZAR, ........getötet werden? Es ist unvorstellbar arrogant,selbstgerecht und verblödet wenn man wichtigtuerich von Themen spricht, von denen man keine Ahnung hat.

Marcel Seiler / 28.02.2023

Es ist meine Meinung, dass viele derer, die sich für multikulti halten, sich für andere Kulturen absolut nicht interessieren. Sie benutzen die anderen Kulturen, um sich damit selbst zu erhöhen und um zu versuchen, ihre Landsleute, die sich anders verhalten, zu erniedrigen. Hinter multikulti verbirgt sich nur zu oft absolut selbstsüchtiges Verhalten.

Jan Henrik Holst / 28.02.2023

Auf Sören Sieg lasse ich nichts kommen! Ich kontaktierte ihn im Dez. 2017 auf der Suche nach einer tollen Popguppe (oder Künstler) in etwa “Nkuzi mbanka” (ungefähre Schreibung nach Gehör, so etwas war im Radio). Ließ sich nicht feststellen. Anscheinend hat er in dem Buch nur geschrieben, was ist.

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