Wolfgang Meins / 22.02.2020 / 06:20 / Foto: Achgut.com / 167 / Seite ausdrucken

Offener Brief an den General-Bundesanwalt Dr. Peter Frank zum Attentat von Hanau

Sehr geehrter Herr Generalbundesanwalt, sehr geehrter Herr Dr. Frank,

neben den medialen und politischen Reaktionen auf das Attentat von Hanau waren es leider vor allem auch Ihre Einlassungen, die mich als Bürger, aber auch als psychiatrischer Praktiker und Wissenschaftler in tiefe Sorge versetzt haben. Ich sehe nämlich die Gefahr, dass eine bedeutsame zivilisatorische Errungenschaft großen Schaden nehmen könnte: Der § 20 StGB, der bekanntlich die Frage der Schuldunfähigkeit definiert.

Erlauben Sie mir, auch wenn Ihnen der Inhalt natürlich geläufig ist, diesen Paragraphen kurz zu zitieren: „Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, (…) unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.“ Dazu erlauben Sie mir bitte einige Fragen.

1. In ihrer Stellungnahme vom 20.02.2020 zu den Vorfällen in Hanau heißt es u.a.: „Es liegen gravierende Indizien für einen rassistischen Hintergrund der Tat vor.“ Finden Sie nicht auch, dass sich aus dem vom Täter verfassten umfangreichen Manifest vielmehr ganz vorrangig Indizien für eine (schwere) krankhafte seelische Störung ergeben? 

2. Haben Sie bzw. Ihre Behörde vor der oben zitierten Stellungnahme bei der Analyse des Manifests fachpsychiatrische Kompetenz hinzugezogen?

3. Nach meiner fachpsychiatrischen Analyse des Täter-Manifests, die zweifellos – um es zurückhaltend zu formulieren – in den wesentlichen Zügen und Schlussfolgerungen von der großen Mehrheit des Faches geteilt werden würde, hat beim Täter ein psychiatrisches Syndrom aus einem schweren paranoiden Wahn mit zusätzlichen (wahnhaften) Größenideen, zumindest zeitweiligen akustischen Halluzinationen, sogenannten Ich-Störungen in Gestalt von Gedankenausbreitung, Gedankenentzug und Gedankeneingebung vorgelegen sowie eine Denkstörung in Form einer Denkzerfahrenheit. Sehen Sie oder ihre Behörde das ähnlich? Und falls nicht, warum nicht?

4. Gehen Sie oder ihre Behörde ebenfalls davon aus, dass der Täter zur Tatzeit mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit an einer paranoiden Schizophrenie erkrankt war?

5. Gehen Sie ebenfalls davon aus, dass, wäre der Täter noch am Leben, das Gericht deswegen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auf Schuldunfähigkeit wegen einer schweren krankhaften seelischen Störung entscheiden würde?

6. Jetzt kommt eine ganz wichtige Frage: Ist Ihnen bekannt, dass aus einem Schriftstück, welches in einem psychischen Zustand wie oben geschildert verfasst wurde, das also durchgehend (u.a.) wahnhaft geprägt ist, so gut wie keinerlei Rückschlüsse auf die „eigentliche“, also nicht krankheitsbelastete oder krankheitsgeprägte Persönlichkeit, auf politische Einstellungen und Motive möglich sind? Um es noch einmal zu betonen: weil in diesem Manifest auch potenziell rassistische Äußerungen – bis zum Beweis des Gegenteils (s. Punkt 6) – entscheidend oder gar ausschließlich durch das wahnhafte Erleben bestimmt sind. 

6. Vielleicht wies der Täter in gesunden Tagen tatsächlich eine fremdenfeindliche oder rassistische Gesinnung auf. Aber ist Ihnen bekannt, dass man valide Informationen über die „prämorbide“ Persönlichkeit des Täters, seine politischen Einstellungen und Motive allenfalls retrospektiv gewinnen kann durch eine umfassende biographische Ermittlung – also v.a. durch die Vernehmung von Zeugen, ergänzt durch die Analyse von Zeugnissen, medizinischen Behandlungsunterlagen etc.

7. Würden Sie auch die folgende Täterin als rassistisch oder fremdenfeindlich motiviert einschätzen? Eine 35-jährige Mutter von drei noch nicht schulpflichtigen Kindern erkrankt nach der Geburt des dritten Kindes an einer paranoiden Schizophrenie. Sie entwickelt dabei den Wahn, dass Muslime aus einer in der Nähe gelegenen Moschee ihre über alles geliebten Kinder entführen, foltern und bei lebendigem Leibe verbrennen wollen. Um ihnen das zu ersparen, erstickt sie alle drei Kinder. Falls Sie diese Täterin grundlegend anders beurteilen als den Hanau-Täter, warum?

8. Wie t-online.de am 21.02.2020 meldete, lag ihrer Behörde bereits im November 2019 eine offenbar nur leicht gekürzte Version des späteren Täter-Manifests vor. Warum hat ihre Behörde damals nicht den zuständigen Sozialpsychiatrischen Dienst des Gesundheitsamts informiert, etwa mit der Bitte, zu prüfen, ob der Verfasser bereits aktenkundig ist und ob der Dienst die Notwendigkeit für eine Einbestellung oder einen (angemeldeten) Hausbesuch sieht? Und, ob die Person vielleicht gar einen Waffenschein besitzt. 

9. Aus Presseverlautbarungen  geht hervor, dass bei der etwas kürzeren Version des Täter-Manifests, welches Ihrer Behörde bereits im vergangenen November vorlag, der auf eine vermeintlich rassistische Motivation weisende Teil angeblich nicht enthalten war. Deshalb sei ihre Behörde damals nicht tätig geworden. Damit nicht der Eindruck entsteht, es handele sich hier vorrangig um eine Schutzbehauptung, wäre es hilfreich, zu erfahren, welcher Teil des Manifestes Ihnen damals genau vorgelegen hat. 

Abschließend, sehr geehrter Herr Dr. Frank, erlauben Sie mir die Anmerkung, dass sicherlich auch Ihnen ja nicht entgangen sein dürfte, wie schwer es Medien und Politik derzeit fällt, bei einer solchen Tat wie der in Hanau, dem Schuldunfähigkeitsprinzip bzw. dem Schutz der darunter fallenden psychisch kranken Täter angemessen Rechnung zu tragen. Ich jedenfalls würde mich freuen, wenn Sie künftig auch dieses Prinzip etwas offensiver vertreten und verteidigen würden. 

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. W. Meins

 

Dieser Brief wurde vom Autoren am Freitag, den 21. Februar 2020, an Generalbundesanwalt Dr. Frank poststelle@generalbundesanwalt.de gesandt.

Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Wolfgang Meins ist Neuropsychologe, Arzt für Psychiatrie und Neurologie und apl. Professor für Psychiatrie. In den letzten Jahren überwiegend tätig als gerichtlicher Sachverständiger im sozial- und zivilrechtlichen Bereich.  

Lesen Sie zum gleichen Thema: Der Täter von Hanau – eine Diagnose               

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M. Schneider / 22.02.2020

Danke, sehr geehrter Herr Professor Dr. Meins, mit großem Interesse lese ich Ihre Beiträge bei Achgut. Ihrem offenen Brief an den Generalbundesanwalt, dessen Inhalt man auch als Laie versteht, kann ich nur zustimmen und hoffen, dass er die Verantwortlichen zum Nach - und Umdenken anregt, was allerdings bisher auch nicht ansatzweise bei Politik und Medien zu bemerken ist, kam ihnen dieses schreckliche Verbrechen, so zynisch das klingen mag, doch gerade recht, um den antifaschistischen Kampf mit aller Härte zu führen und endlich der AfD so viel Schaden zuzufügen, bis sie endlich von der Bildfläche verschwindet. Dazu ist jedes Mittel recht, das geht von Gesetzesbrüchen über mediale und auch körperliche Angriffe bis hin zur Zerstörung von Existenzen. Dass es hier um totalitäre Ansätze geht, dürfte bald auch hoffentlich etwas mehr Menschen in diesem Land klar werden.

Ralf Schulze / 22.02.2020

Da haben alle Demokratieverfechter auf,wie Johanmes B. Kerner damals,auf das Wort “Autobahn” gewartet und top,die Meute killt. War es vorher nicht der echte Islam gewesen,in dessen Namen unzählige Grausamkeiten begangen wurden und die Täter immer als Geisteskranke bezeichnet wurden,so muss ein wahrer “Irrer” als Muster eines WAS herhalten? Ja Herr Meins, es ist absolut beängstigend,wie nach der Thüringer Wahl weiter die Deutungshoheit derartig missbraucht wird,dass eine weitere gefähliche Zuspitzung droht.Denn wir können es noch gerade so aushalten und kommen vielleicht noch mit Schlafstörungen davon. Aber welche kleinen I-Tüpfelchen braucht es wirklich noch, bis noch mehr kranke Menschen durch diese Spaltungen durch die Regierung und deren Machtmissbrauch nicht mehr anders können um sich Luft zu verschafen. Kampf gegen rechts,Kampf für Gerechtigkeit,Kampf um das Klima,Kampf um Menschenrechte,Kampf um den Arbeitsplatz,Kampf für Meinungsfreiheit,Kampf der Wohnungsnot…......so viele Kämpfe. Die Gesellschaft ist an der Belastungsgrenze,oder? Niemand blickt mehr durch.Das Feld der anstehenden wichtigen Entscheidungen,wird von diesen diffusen Kampfszenarien gewollt überdeckt. Und dann kommt auch noch Merkelrötgen aus dem Gebüsch…..

A. Ostrovsky / 22.02.2020

Nicht alle Erkrankungen sind psychisch. Es gibt auch in Norditalien eine Ausbruch des Coronavirus. Bemerkenswert ist, dass bereits gestern die zweite Person gestorben ist und dass man - warum auch immer - von zwei verschiedenen Virenstämmen spricht. Die Geschichte von einem 38-Jährigen, der sich vor einer Woche mit einem aus China zurückgekehrten Freund getroffen hat und der der Auslöser der Wellen sein soll macht die Runde. Bei einer angeblichen Inkubationszeit von über einer Woche ist diese Geschichte völlig aus den Fingern gezogen. Im Klartext: Jemand kehrt aus China zurück, überträgt zwei verschiedene Virenstämmen auf einen Bekannten, der ansonsten nichts mit China zu tun hat, und verschwindet wieder aus dem Blickfeld, scheint also nicht in Italien geblieben zu sein und ist nicht erkrankt. Der Bekannte infiziert in einem Krankenhaus mehrere Ärzte und wird wieder entlassen. Daraufhin sterben an zwei 180km entfernten Orten in Norditalien zwei Menschen im Rentenalter fast gleichzeitig noch bevor die einfache Inkubationszeit des Covid-19 vergangen ist. Beide Rentner haben untereinander keinen Kontakt und keine Verbindung mit China. In den Nachrichten wird im selben Satz von SARS und von Covid-19 gesprochen, allerdings nicht in Deutschland. Deutschland starrt wie die Schlange auf ein Blutbad, das ein Irrsinniger angerichtet hat. Von dem weiß man, dass er fließend Englisch sprach und wahrscheinlich noch andere Sprachen und deshalb nicht der deutschen Informations-Quarantäne unterlag.

Ralf Pöhling / 22.02.2020

Ganz großen Dank für den Einwurf ihrer Fachexpertise, Herr Meins. Mir drängt sich derzeit der Verdacht auf, dass dieser Fall auf politischen Druck hin ganz bewusst laufen gelassen worden ist. Und zwar in der stillen Hoffnung, dass das Endergebnis genauso ausfällt, wie es ausgefallen ist, um es dann politisch instrumentalisieren zu können.

Lars Bäcker / 22.02.2020

Diese Worte waren fällig. Denn einmal mehr wird deutlich, dass an entscheidenden Stellen des Staates Leute sitzen, die zwar formal Juristen, in erster Linie aber Parteisoldaten sind. Sie sind für diesen Berufsstand eine Schande. Danke, Herr Professor, für diesen Brief. Ich hoffe, dass er nicht in der runden Ablage der Poststelle landen wird.

Juliane Mertz / 22.02.2020

Klasse, vielen Dank, endlich mal Profis am Werk hier. Wenn die Staatsanwaltschaft das Tätermanifest kannte, egal wie rassistisch, und der Täter aber gleichzeitig Mitglied im Schützenverein war - sorry, dann hat hier jemand mächtig geschlafen und dürfte jetzt wohl nie wieder ruhig schlafen können.

J. Renz / 22.02.2020

Jeder der diese Tat eines offensichtlich Verrückten politisch instrumentalisiert und mit der AfD in Verbindung bringt betreibt bewusste und bösartige Spaltung der Gesellschaft und nimmt billigend in Kauf, dass AfD Politiker (und Andersdenkende) durch zu erwartende Gegenreaktionen in ernste Gefahr gebracht werden.

Kopp, Harald / 22.02.2020

Wo liegt das Problem: Hexen hat man früher doch auch verbrannt (Satire). Kommt alles wieder, nur körperlich töten wird man uns nicht gleich..

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