Michael Miersch / 03.05.2007 / 21:51 / 0 / Seite ausdrucken

Offen gegen den Hinterhalt

Warum die Anonymität im Internet nur den Feinden der offenen Gesellschaft nutzt

Wolf Lotters Aufruf gegen Anonymität im Internet

Das Internet ist frei und niemand kann es unter seine Kontrolle bringen.
Wer diesen Satz heute noch glaubt, ist naiv. Die freie Rede im Internet ist bedroht. Schuld dran sind die, die sich nicht unter Kontrolle haben.
Nicht sinistre Geheimdienste und die Produkte anderer Hirngespinste bedrohen die Freiheit im Internet, sondern jene, denen es schlicht an Anstand und Mut fehlt, zu dem, was sie zu sagen haben, auch zu stehen.

Blogs und Foren sind mittlerweile der Tummelplatz anonymer Heckenschützen. Längst sind es nicht mehr rechts- oder linksradikale Spinner, die sich in Verschwörungstheorien, Verleumdungen und Beleidigungen üben. Diese Leute haben der Masse an Schreibtischtätern, die sich heute hinter Pseudonymen und Kürzeln verbergen, nur Pate gestanden.

Ihre Sprache kennt keinen Respekt – ihr fehlt also die Grundlage jeder Meinungsfreiheit. Dieser Sprache ist das Gegenteil eines demokratischen Diskurses, in dem freie Bürger ihre Meinung und ihre Position austauschen. Die kann, die soll kontrovers sein. Wer aber die Freiheiten der Technologie dazu nutzt, andere zu denunzieren, zu verleumden und zu diskreditieren, verzerrt dieses Recht bis zur Unkenntlichkeit. Solange, bis es nichts mehr wert ist.

Nun behaupten jene, die die Anonymität im Internet verteidigen, ihre freie Rede wäre gefährdet, wenn sie sich mit ihrem Namen dazu bekennen würden. Sie würden Nachteile erleiden müssen. Wer so argumentiert, spielt dem wachsenden Kontrollbedürfnis – etwa des Staates -  erst recht in die Hände. Denn aufseiten jener, die Kontrolle ausüben wollen, werden stets die Beispiele angeführt, bei denen Anonymität dazu führt, dass die letzten Hemmungen verloren gehen. Anonymität führt zum Generalverdacht und, schlimmer noch, zur Bedeutungslosigkeit. Ein Netz, dessen Bewohner weder Name noch Adresse haben, hat auch keine Stimme, wenigstens keine ernstzunehmende, bleibt stumm und Spielball der Macht.

Womöglich wird man einwenden, die Forderung nach offener, nicht-anonymer Debatte würde den Charme des Internet zerstören, die vielbeschworene Subkultur des Untergründigen, auf das, warum auch immer, so viele stolz sind. Ist es eine Ehre, sich in einem freiheitlich demokratischen System verstecken zu wollen? Braucht es vielleicht Mut dazu? Ist es ehrenwert? Oder doch nur Feigheit? Denkt nach, Heckenschützen. Oder könnt ihr nicht argumentieren? Fehlen euch Mut und Argumente? Dann wäre es doch auch mal in Ordnung, einfach die Klappe zu halten, meint ihr nicht?

Pseudonyme mögen in Diktaturen nötig sein. Wer sie in Demokratie verwendet, schadet der offenen Gesellschaft. Die Freiheit der Rede, zu der Redlichkeit, Anstand und Fairness gehören, leidet darunter. Die Freiheit des Wortes hat nur dann Gewicht in einer Demokratie, wenn sie von real existierenden Bürgern wahrgenommen wird. Blog-Heckenschützen und anonyme Diskutanten vermögen so wenig zu verändern wie vermummte Chaoten oder heimliche Brandstifter und nächtliche Schlägertrupps. Sie sind, was sie sind: Feige Gewalttäter.  Ein Bürger hat einen Namen. Dieses Herkunftszertifikat garantiert echte Haltung.

Das Internet ist frei, solange wir uns unter Kontrolle haben. Wo demokratische und liberale Grundhaltungen fehlen, herrscht bald Bunkermentalität. Aus Bunkern sieht man schlecht. Aus dünnen Schlitzen wird deshalb fest draufgehalten auf alles, was ausserhalb der eigenen, kleinen, verengten Meinungswelt existiert.
So führt die Anonymität zum Gegenteil der Freiheit: Sie führt zur Meinungswillkür, zur Ahnungslosigkeit, zum selbstgewählten Authismus.

Derlei ist nicht schützenswert, sondern gefährlich. Anonymität fördert die Feigheit und stützt alle jene, die gegen eine offene Gesellschaft sind. Eine offene Gesellschaft erträgt unterschiedliche Meinungen und Positionen. Feigheit aber ist die Vorhut der Tyrannen, sie ist ihre stärkste Legion.

Die offene Rede ist ein Bürgerrecht, im Internet und anderswo, aber beides taugt nichts, wenn Anonymisierung und Pseudonym den Gehalt der offenen Rede entwerten. Wer ohne Name schreibt und spricht, ist nicht fasslich für berechtigte Kritik und für Gegenrede. Wie soll unter diesen Bedingungen Wissen geteilt werden? Wie soll sich Wissen verbreiten, wenn es unter der Narrenkappe der anonymen Gleichgültigkeit auftaucht? So ist das Pseudonym im Web auch der Klassenfeind der Wissensgesellschaft.

Das Recht auf offene Rede ist wichtiger als jenes auf Camouflage.  Dieses Recht ist zu verteidigen, es ist in der Tat nie gesichert. Ganz bestimmt aber wird es nicht gestützt durch Feiglinge, die nicht wissen wollen, was Zivilcourage bedeutet: Das ist der Mut der Anständigen.

Wie wäre es stattdessen, die Kräfte darauf zu verwenden, all jenen, die die freie Rede sanktionieren, entgegenzutreten, mit Name, Adresse und dem dafür nötigen Mut? Dazu gäbe es reichlich Anlass, viele Möglichkeiten, gerade im Internet. Hasenfüsse haben wir schon genug.

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