Anabel Schunke / 15.05.2018 / 15:00 / Foto: Anabel Schunke / 39 / Seite ausdrucken

Özil und Gündogan: Was habt ihr erwartet? 

2015 kam die Chance für dieses Land, die Chance, sich endlich von den eigenen Sünden reinzuwaschen. Seither ist das „bunte“ Deutschland so unantastbar wie noch nie. Wir schaffen das, weil wir es angeblich auch in der Vergangenheit geschafft haben. Weil wir auch schon vorher multikulturell und weltoffen waren – oder zumindest, weil wir es um jeden Preis sein wollen. Kollateralschäden inklusive.

Vor diesem Hintergrund lässt sich erahnen, was für eine Vollkatastrophe zwei türkischstämmige Fußballidole, noch dazu deutsche Nationalspieler, sind, die sich mit dem türkischen Machthaber Erdogan ablichten lassen. Ausgerechnet Erdogan, der in den vergangenen Jahren einen respektablen Platz in der deutschen Rangliste des Bösen erkämpft hat, und das wider aller politisch korrekten Erwägungen bezüglich eines sensiblen Umgangs mit unseren gerne mal beleidigten deutschtürkischen Mitbürgern. Schlimmer wäre wirklich nur ein Bild von Thomas Müller mit Donald Trump gewesen. 

Das liegt zum einen daran, dass der Fußball generell nahezu das Einzige ist, was den leidensfähigen, aber nicht unbedingt leidenschaftsvollen Deutschen richtig in Wallung bringt und zum anderen, weil auch im – den „Proletensport“ zumeist ablehnend gegenüberstehenden – linksintellektuellen Spektrum hinlänglich bekannt ist, welche Bedeutung der Fußball in Deutschland für die Aufrechterhaltung des Integrationsmärchens hat. Nirgends wird der multikulturelle Traum so in die Tat umgesetzt, wie im Fußball. Und wer einmal sonntags bei einem Kreisliga-Spiel der örtlichen Dorfmannschaft war, der weiß, dass das längst nicht nur für die Bundesliga und die deutsche Nationalmannschaft gilt. 

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass der Fußball sich deshalb so gut als Paradebeispiel für gelungene Integration eignet, weil es zum einen abseits des Fußballsports wenig kulturelle und sportliche Ereignisse gibt, die als gemeinsames Interesse von „Biodeutschen“ und muslimischen Mitbürgern durchgehen, und zum anderen, weil auf dem Sportplatz politische und kulturelle Ansichten zumeist keine Rolle spielen.

Idole, denen der Journalist wohlwollend zur Seite springt

Will sagen: Bei aller Wichtigkeit und Anerkennung der Tatsache, dass Werte wie Teamgeist und sportlicher Zusammenhalt durchaus eine integrative Wirkung entfalten können, funktioniert Multikulti im Fußball auch deshalb so gut, weil es sich um eine Sphäre des gesellschaftlichen Lebens handelt, in der es um den sportlichen Zusammenhalt zwischen Männern und Jungs geht, die sich nicht vorrangig für die politischen und kulturellen Ansichten ihres Fußballkumpels interessieren.

In der es nicht darum geht, wie jemand zu Erdogan steht, oder zu Juden, Homosexuellen und Selbstbestimmung der eigenen Schwester. So gesehen ist die gelungene Integrationsarbeit des Fußballs nur dem Umstand zu verdanken, dass man ihre Oberflächlichkeit nicht benennt. Dass seine Protagonisten im Gegensatz zu Politikern Idole sind, denen der deutsche Journalist gewillt ist, wohlwollend zur Seite zu springen. Denen man das ganze relativierende Fake-Geschwafel, das ihnen irgendein PR-Mann schnell zusammengeschustert und in den Mund gelegt hat, glauben will, weshalb eine Mehr-oder-weniger-Entschuldigung von Ilkay Gündogan, der zuvor ein Trikot für „seinen Präsidenten“ signierte, zumeist anstandslos geschluckt wird.

Wer sich indes ein wenig in der Welt des Fußballs abseits des Platzes bewegt, der weiß, wie entkernt und weit entfernt der Fußball mittlerweile von tugendhaften Werten ist. Und es ist wichtig, zu benennen, dass diese Anstandslosigkeit und moralische Verkommenheit nicht nur Funktionäre betrifft, sondern auch Spieler selbst. Die Ex-Dortmunder Dembéle und Aubameyang, die sich durch Boykott und wiederholende Regelverstöße von ihrem Ex-Verein freipressten, sind als Spielertypus des Söldners genauso Teil dieses moralischen Vakuums im Fußball, wie die vielen anderen jungen Spieler, denen das eigene gute Gehalt und der Fußballer-Status, samt der damit verbundenen Vorzüge, zu Kopf gestiegen sind. Deren Leben abseits des Platzes nur aus Party und regelrechten Exzessen mit Frauen besteht.

Ja, es gibt sie noch, Typen wie Thomas Müller, der seine Jugendliebe Lisa geheiratet hat und auch sonst ein gerader Kerl ist. Die große Mehrheit lebt jedoch ein Leben, in dem schon längst nur noch geile Klamotten, Partys und möglichst viele Frauen zählen und nicht, ob du ein guter Mensch bist. Vorbilder für die vielen jungen Männer, die sie genau für diesen Lifestyle feiern, sind sie dennoch. Gute oder schlechte, bleibt dahingestellt.

„Gegen Rassismus“ für „Vielfalt“ oder „Integration“

Den Hedonismus der westlichen Gesellschaft hat der Fußball damit nicht erfunden, aber es ist Zeit einzusehen, dass er genauso von diesem befallen ist wie andere Sphären der Gesellschaft. Dass er eigentlich nur auf der großen Bühne abbildet, was sich genauso im Kleinen seit Jahren vollzieht: die völlige Sinnentleerung des westlichen Individuums, das weder ein wirkliches Bewusstsein für die Werte, von denen es gerne redet, besitzt, noch den Ehrgeiz, diese Werte zu verteidigen beziehungsweise für irgendetwas anderes zu stehen als für oberflächliche Statussymbole. Dessen politische Haltung sich allenfalls noch an einem spärlichen Gratismut manifestiert, der ihm wiederum von der veröffentlichten Meinung oder – wie im Falle des Fußballers – von einem PR-Berater vorgekaut wird und besagt, dass man mit einer Aktion „gegen Rassismus“ für „Vielfalt“ oder „Integration“ nun wirklich nichts falsch machen kann. 

Insofern könnte man sich fast dazu hinreißen lassen, den Herren Özil und Gündogan für ihre türkische Wahlkampfaktion eine gewisse, im Fußball und der Gesellschaft generell selten gewordene, Wertetreue zu attestieren. Dass das nicht unbedingt die Werte eines musterintegrierten, die westliche Freiheit und Demokratie liebenden Deutschtürken sind, steht hierbei auf einem anderen Blatt.

Denn natürlich muss man als Kind schon sehr nah an der Wand geschaukelt haben, um zu glauben, dass Özil und Gündogan mit ihrem Besuch beim türkischen Präsidenten „kein politisches Statement abgeben“ wollten und einfach nur gemäß des Klischees des „dummen Fußballers“ nicht wussten, was sie da tun. Profi-Fußballer, die, nebenbei bemerkt, eine ganze Schar an Beratern um sich versammeln, ohne die sie für gewöhnlich keinen Schritt setzen.

Ein Özil, der darüber hinaus nicht zum ersten Mal für eine PR-Aktion seines Präsidenten zur Verfügung stand, der schon in der Vergangenheit dadurch aufgefallen war, dass er die Nationalhymne nicht mitsingt, weil er lieber zu Allah betet, in seiner Luxuswohnung in London einem Kamerateam auch gerne mal stolz ein Bild des Eroberers von Konstantinopel, Sultan Mehmed, zeigt, und den man nicht einmal bei der gewonnenen WM 2014 so freudestrahlend erlebt hat, wie bei der Trikotübergabe an seinen türkischen Führer. Dass es auch anders geht, zeigt der ebenfalls türkischstämmige Emre Can, der den Besuch beim türkischen Despoten, anders als seine Kollegen, im Vorfeld ablehnte. An Özils zweifelhaftem Verhältnis zur Heimat seiner Eltern ändern das jedoch nichts.

63 Prozent der sogenannten Deutschtürken stimmten im vergangenen Jahr für die Verfassungsänderungen Erdogans. Das Abstimmungsverhalten von mehr als der Hälfte aller in Deutschland lebenden türkischen Wähler legte auf schockierende Art und Weise offen, wie defizitär das Demokratieverständnis vieler, selbst hier geborener Türken ist. Wieso sollte das bei Özil und Gündogan anders sein?

Es wird klar: Auch der König Fußball kann die muslimische Parallelwelt nicht überwinden. Er ist in großen Teilen eine Integrationsveranstaltung für Sonnenscheintage, die so lange funktioniert, wie man nicht zu tief gräbt. Die Kluft zwischen Muslimen und Mehrheitsgesellschaft im Alltag wird auch er nicht schließen können. Vor allem, weil er selbst nicht mehr imstande ist, die Werte, von denen seine Funktionäre und Spieler reden, glaubhaft zu vermitteln. Am Ende geht es auch ihm, wie Özil bei seiner Entscheidung für die deutsche Nationalmannschaft, vorrangig um wirtschaftliche Aspekte und nicht um die politischen Ansichten seiner Spieler, und das einzige, was uns bleibt, ist die Hoffnung, dass nach dem Echo nun auch der Bambi abgeschafft wird, dessen Integrationspreisträger Bushido und Özil der ganzen lächerlichen Abfeierei eines bunten Deutschlands, das es mit solchen Leuten so nie gab, ein Gesicht geben.  

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Leserpost

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Peter Volgnandt / 15.05.2018

Fußball als Mittel zur Integration kann man vergessen. Einer meiner Freunde ist Kassier bei einem Fußballverein und erzählt mir da so einiges. Wenn türkische Mannschaften als Gegner erwartet werden, dann hat man schon Mühe einen Schiedsrichter für das Spiel zu finden, weil sie keine Lust haben, sich verbale oder körperliche Angriffe während des Spiels gefallen zu lassen. Sie haben auch keine Lust, sich in der Halbzeitpause oder nach dem Spiel nur unter Personenschutz in die Umkleidekabine zu begeben. Den deutschen Spielern geht es auch nicht anders. Die Türken können nicht verlieren. Es geht ihnen dann an die Ehre. Wenn sie verlieren, dann versuchen sie sich, durch Prügeleien usw. wieder zu revanchieren. Für diese Menschen ist Rangordnung das allerwichtigste. Man will immer die andern dominieren. Dazu auch interessant das Buch von Frau Freimuth, “Lehrer am Limit”.

Ivan de Grisogono / 15.05.2018

Frau Schunke, freundliche Gesichter der „Deutsch–Türken“ neben Erdogan haben mit muslimischem Parallelwelt nichts zu tun! Es hat auch nichts mit Integration zu tun aber viel mit Heimat und Gefühlen. In Deutschland werden Patriotismus und Leitkultur, sogar die Deutsche Fahne, von „Eliten“ und linken Demagogen verpönt. Über Resultate darf man sich jetzt nicht wundern. Gesinnung und Religion eines Nationalspielers wird in Deutschland noch nicht vorgeschrieben, aber lassen wir uns überraschen!

M. Köhler / 15.05.2018

Das Ablichten von politischen Führern mit Sportlern hat eine lange Tradition. Ich erinnere z. B. an 1938, als sich Hitler mit den Erstbegehern der Eiger Nordwand Heinrich Harrer (späterer Autor von 7 Jahre Tibet und Freund des Dalai Lamas), F. Kasparek, V. Vörg und A. Heckmayer der begeisterten Öffentlichkeit zeigte. Es dauerte dann bis 1997, bis sich Harrer dafür rechtfertigen musste. Die Bergsteiger hatten zumindest tatsächlich herausragende Leistungen erbracht, ob das bei Fußballern ebenfalls der Fall ist??

Karla Kuhn / 15.05.2018

Herr Arning drückt das aus, was mir beim lesen des Textes spontan eingefallen ist. Ich bin absolut kein Fußballfan und froh, daß ich diese Vereine noch nie unterstützt habe. Aber ich finde es skandalös, wenn ausländische Spieler oder Spieler mit Migrationshintergrund, die in Deutschland leben zwar äußerst großzügig, für meine Begriffe keine Relation zur Leistung, bezahlt werden aber nicht mal den Anstand haben, die deutsche Nationalhymne mit zu singen. Vielleicht ist das Benehmen von den beiden Spielern der Auftakt, endlich mal den Fußball wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen und mehr deutsche Spieler in der Nationalmannschaft- das sagt doch schon der Name !!- spielen lassen.

Mark Schild / 15.05.2018

Bei dieser unappetitlichen Geschichte gibt es einen kleinen Trost: Reus und Goretzka sind zur Zeit auf den Positionen von Özil und Gündogan stärker und sollten aufgrund der gezeigten Leistungen den Vorzug erhalten.

Leo Hohensee / 15.05.2018

Sehr geehrte Frau Schunke, gut geschrieben! Was mir aber nicht so richtig heraus gearbeitet ist, ist die persönliche Aufschrift auf Gündogans mit Unterschrift versehenemTrikot: “für meinen Präsidenten”. Gündogan und Özil stammen aus Gelsenkirchen und ihr Präsident heißt Steinmeier. Wenn sie, oder einer von Beiden dem widerspricht, so zeigt mir das das Mass in dem Integration nur möglich ist. Auch nach einer Generation und voll anerkannt, bleiben sie irgendwie auf einer zweiten Spur. Was bei Erfolgreichen nicht klappt, macht unsere Staatsführung für die Masse dann schnell mal passend - mit einem Integrationskurs und mit Familiennachzug. Auweia sind das Traumtänzereien.

Marco Mahlmann / 15.05.2018

Löw ist bettvorlegertypisch diensteilfertig und hat Özil und Gündogan für die WM nominiert, anstatt sie demonstrativ zu Hause zu lassen. Man stelle sich vor, ein Spieler hätte Sympathie für die AfD bekundet. Mit Schimpf und Schande wäre er vom Hof gejagt worden. Diese bigotte Haltung stößt allerdings auch immer mehr Fußballanhängern auf. In ihrer Selbstgewißheit werden es Özil, Gündogan und andere rasch zu weit treiben. In der Kreisklasse ist der Graben zwischen Türken und Arabern einerseits und Deutschen und Leuten aller Herren Länder andererseits bereits ausgehoben; der Fußball spaltet hier die Gesellschaft schon und wird es weiter tun.

Viola Heyer / 15.05.2018

Manfred Burgsmüller durfte 1978, in der besten Form seines Lebens, nicht mit zur WM in Argentinien, weil er die damalige Militär-Diktatur kritisierte. Immerhin ist der DFB konsequent und schätzt die Nähe zu totalitärer Tyrannei seit 40 Jahren.

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