Wolfram Weimer / 12.09.2019 / 13:00 / Foto: Raimond Spekking / 45 / Seite ausdrucken

Özdemir macht Habeck die Nummer 1 streitig

Bei den Grünen braut sich ein Herbststurm zusammen. Der offene Machtkampf um die Fraktionsführung beendet ein glänzendes, klimabewegtes Sommerhoch; zwischenzeitlich segelte man bei den Umfragen geschmeidig sogar an der Union vorbei, ein grüner Kanzlerkandidat schien für viele eine ernste Option zu sein. Doch seit einigen Wochen kühlt das grüne Sentiment ab wie die Abendtemperaturen am Badesee. Die Umfragewerte fallen sogar wie erstes Laub, plötzlich liegt die Union wieder deutlich vorn und die SPD erholt sich.

Erste Gewitter sind für die Grünen im Osten aufgezogen, als die Wahlergebnisse bei den Landtagswahlen unerwartet weit hinter den Prognosen blieben. Kümmerliche zehn Prozent, und ausgerechnet im Landesverband der Parteivorsitzenden Annalena Baerbock landeten die Grünen nur noch auf dem fünften Platz. Die sommerliche Siegeraura ist seither zerplatzt.

Obendrein ändert sich die Debattenlage in Deutschland. Mit den schlechten Nachrichten aus der Wirtschaft lösen Konjunktursorgen die Klimaängste zusehends ab. Über den Brexit wird wieder mehr gesprochen als über Baumrinden. Und da die anderen Parteien ergrünen, selbst Markus Söder neuerdings jede Biene persönlich umhegt und die Bundesregierung ein gewaltiges Klimapaket schnürt, fällt es den Grünen schwerer, kommunikativ zu punkten, ohne in extreme und damit unpopuläre Forderungen zu verfallen.

Kretschmann will offenbar verlängern

Mitten hinein in diesen grünen Spätsommerblues kommt nun Cem Özdemir wie der Ein-Mann-Herbstorkan. Er gehört zum Besten, was die deutsche Politik an Personal zu bieten hat. Charismatisch, rhetorisch stark, haltungssicher und doch verbindlich. Der anatolische Schwabe war zehn Jahre Parteivorsitzender. Er verkörpert neben Winfried Kretschmann die neue, anschlussfähige, bürgerliche Grünenpartei und führte die Beliebtheitsumfragen der Republik vor zwei Jahren an. Er schien als Außenminister, der auch einem Erdogan die Stirn bieten kann, schon gesetzt. Doch als die Jamaika-Koalition platzte, platzte auch seine Karriere. “From Hero to Zero”, jammerte sein Umfeld. Nun wäre er der prädestinierte Nachfolger von Ministerpräsident Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg. Doch der will offenbar verlängern.

Özdemir ist derzeit bloß Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Bundestag – das ist ungefähr so, als dürfe Sebastian Vettel nur noch einen Fiat 500 fahren. Er will daher zurück in die erste Reihe und erkennt das Machtdefizit an der Grünen-Fraktionsspitze. Denn das Duo Göring-Eckardt/Hofreiter führt die Fraktion (bereits seit Oktober 2013) unsicher, blass und uninspiriert. Weder im Wahlvolk noch in der Fraktion sind die beiden sonderlich beliebt.

Hinter den medial glänzenden Parteivorsitzenden wird die Fraktion mit ihnen kaum noch sichtbar. Bei der letzten Fraktionswahl im Januar 2018 bekamen die Göring-Eckardt und Hofreiter nur noch 66,1 (Hofreiter) und 67,7 (Göring-Eckardt) Prozent der Stimmen. Bei einem Wahlgang ohne Gegenkandidaten war das schon miserabel. Die seither weiter gewachsene Unzufriedenheit der Fraktion könnte Özdemir nun helfen.

Doch er hat starke Gegner in der Partei. Vor allem der linke Flügel will Özdemir unbedingt verhindern. Denn sollte Özdemir der Comeback-Coup gelingen, wäre (obwohl er mit der linken Co-Kandidatin Kirsten Kappert-Gonther aus Bremen antritt) der habituelle Generationenwechsel der Grünen von Bevormundungslinken zu Bürgerlichen vollendet. Die Generation Jürgen Trittin, Claudia Roth, Renate Künast hat in Anton Hofreiter ihren letzten linken Knappen im Feld.

Über Habecks Stil wird als “guttenbergisch” gewitzelt 

Doch Özdemir muss zugleich die Parteivorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck fürchten. Denn beide haben überhaupt kein Interesse daran, dass sie charismatische Konkurrenz bekommen. Sie sonnen sich im Licht der gesammelten Aufmerksamkeit, gerade weil die Fraktion so schwach vertreten ist. Das würde sich mit Özdemir schlagartig ändern.

Kein Wunder also, dass die beiden dünnlippig zu Protokoll geben: “Diese Frage werden die Abgeordneten im guten demokratischen Wettbewerb entscheiden.” Und weiter, als wünsche man sich doch kaum verhohlen eine Wiederwahl von Hofreiter/Göring-Eckardt: “Wir haben als Partei eine gute und erfolgreiche Zusammenarbeit mit der Fraktion und darauf wird es auch in Zukunft ankommen.”

Für manchen Bundestagsabgeordneten wirkt freilich die mediale Selbstinszenierung von Habeck bereits überspannt. Intern wird über Habecks Stil als “guttenbergisch” gewitzelt. Viele könnten sich Özdemir sehr gut als handfeste Alternative in der Außendarstellung vorstellen. In Wahrheit geht es bei dieser Kampfkandidatur nicht nur um den Fraktionsvorsitz. Für Habeck wie für Özdemir geht es um die Frage, wer künftig die Nummer eins der Grünen wird. Wer also bei der nächsten Bundesregierung das wichtigste Amt übernehmen kann.

Özdemir würde sich – sollte er gewählt werden – die Option auf das Außenministeramt einer schwarz-grünen Regierung zurückholen. Habeck dürfte sie – falls Özdemir gewählt wird – hingegen verlieren. Das könnte recht bald relevant werden. Sollte der Bruch der Großen Koalition noch in diesem Herbst erfolgen, gilt es, sich in Position zu bringen für künftige Regierungsämter.

Der Machtkampf ist also mitnichten auf die Bundestagsfraktion beschränkt. Die gesamte Machtarchitektur der Grünen steht plötzlich zur Debatte. Für die Partei ist die innerparteiliche Machtprobe gefährlich. Denn der Grünen-Höhenflug der vergangenen zwei Jahre lag auch darin begründet, dass sich die Grünen – anders als früher – in der Öffentlichkeit kaum noch gestritten haben und als Einheit aufgetreten sind. Die innere Windstille ist nun vorbei: Orkan Cem ist da.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf The European

Foto: Raimond Spekking CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

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Corinne Henker / 12.09.2019

Meinen Sie den Özdemir, der 2011 Gigawatt mit Gigabyte verwechselte? Der ist schon eine echte Koryphäe auf dem grünen Spezialgebiet der Energiepolitik! Okay, er ist vielleicht unter den sonst geistig recht blinden Grünen der Einäugige, aber ein charismatischer Politiker und kompetenter zukünftiger Außenminister ist er ganz sicher nicht! Und bürgerlich ist er ebenso wenig, höchstens ein bisschen weniger links als der Rest. Dennoch soll mir seine Kandidatur recht sein: sie wird die Grünen und applaudierenden Medien hoffentlich etwas spalten und alles, was dem Vormarsch der grünen Ideologie schadet, ist gut für unser Land.

Frank Stricker / 12.09.2019

Hui , Hui Herr Weimer , geht’s auch eine Nummer kleiner ? Er (Özdemir) , gehört zum Besten , was die deutsche Politik zu bieten hat. Wenn das so ist , dann gehört Arminia Bielefeld auch in die Champions.League………….

Ko. Schmidt / 12.09.2019

25 % wollen also eine Partei wählen, in der sich Maoisten, orientalische Kolonisten, Fundamentalchristen und Kinderbuchautoren/Theater.. um die Macht streiten. Und die Union koaliert dann noch mit denen. Übrigens steht Özdemir doch wohl eher für linke Agitation und Gesellschaftsspaltung.

elke popken / 12.09.2019

Herr Weimer schreibt sich seine Kandidaten für seinen sign award preis selbst passend zurecht. Irgendeiner muss nun mal gekrönt werden, jetzt also der anatolische Schwabe als neuer Außenminister! Fake news, Satire, was auch immer, Hauptsache die Richtung stimmt!

Jörg Themlitz / 12.09.2019

Meinetwegen kann der Herr Özdemir werden was er will. Aber Hände weg von Annalena! Ohne ihre Realsatire und die von ihr perfektionierte Kunstform, Ungewollte Standup Comedy, wäre mein Alltag um vieles grauer. Und ich hoffe mal, das will hier niemand!?

Sepp Kneip / 12.09.2019

“Mit den schlechten Nachrichten aus der Wirtschaft lösen Konjunktursorgen die Klimaängste zusehends ab.” Nicht nur das, Die haltlosen Behauptungen, dass CO2 die Ursache eines menschengemachten Klimawandels sei, weden immer stärker angezweifelt und verworfen. Nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Richter lassen sich von einer schwedischen Göre nichts mehr vormachen. Hier wurde der Bogen überspannt. Habeck und Baerbock sind in Deutschland die Repräsentanten dieser Ideologie-Hype. Sie verfängt nicht mehr. Den Leuten ist das Hemd wieder näher als der Rock. Daher hat Özdemir gute Chancen.

Anders Dairie / 12.09.2019

Wenn CEM ÖZDEMIR   irgendetwas im Leben gewünscht hat,  dann war es das Amt des deutschen Außenministers.  Ich erinnere mich noch an sein aschfahles Gesicht und die Dünnhäutigkeit,  als feststand,  dass es zur Jamaika-Koalition nicht kommen würde.  Im Grunde hat ihm der FDP-LINDNER persönlich den Lebenstraum zerstört.  Die FDP-Erklärung, “....lieber nicht als falsch regieren…”  zu wollen,  war ein existentieller Schlag.  Es war die Folge einer politischen Dummheit der Grünen.  Dem künftigen Koalitionspartner,  der FDP,  muss bei Verhandlungen,  im Angesicht von MERKEL, soviel zugestanden werden,  dass er mitregieren will,  statt an den Katzentisch gesetzt zu werden.

Rolf Mainz / 12.09.2019

“Er schien als Außenminister, der auch einem Erdogan die Stirn bieten kann…” Nun, zumindest dies träfe mit Sicherheit nicht zu - was bitte keinesfalls als Zustimmung zu Herrn Erdogan zu werten ist. Ich kann dem positiven Tenor des Beitrags nicht folgen, denn auf mich hat Herr Özdemir immer einen gekünstelten Eindruck gemacht - ich spreche ihm schlichtweg die Authentizität ab. Was bitte keinesfalls als Zustimmung zu Frau Baerbock, Herrn Habeck oder gar Frau Göring und Herrn Hofreiter zu werten ist…

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