Und sie lieben sich doch noch. Den Eindruck konnte man jedenfalls gewinnen, wenn man in den letzten Wochen die Wahlkampf-Duelle der österreichischen Spitzenpolitiker im Staatsfunk ORF aufmerksam verfolgte. Sie, das sind Norbert Hofer, 48, nach Heinz-Christian Straches Fall über das Ibiza-Video neuer Parteichef der rechtskonservativen FPÖ. Und der zweite im Bunde, das ist ÖVP-Chef Sebastian Kurz, 32.
Da warteten die 8,8 Millionen Einwohner unseres südlichen Nachbarlandes seit Wochen auf das von den Medien hochgejazzte Spitzenduell für die bevorstehende Nationalratswahl, dem österreichischen Parlament. „Die Schlacht“ sollte es sein! Die „wahre Abrechnung der Ibiza-Opfer“ miteinander. Und der ORF meinte voll Eigenlob, Hofer gegen Kurz, Ex-Superminister gegen Ex-Kanzler, das wäre der Höhepunkt des Wahlkampfs.
Schon das Format lädt zum Krawall ein. Zwei Politiker stehen sich nur zehn Minuten live gegenüber. Der Moderator dazwischen soll sie mit scharfen Fragen zu Alpengladiatoren machen. Doch Hofer und Kurz am vorletzten Mittwoch in Wien, das war bestenfalls wie Winnetouch und Ranger im „Schuh des Manitu“.
Per Du ist man ohnehin, auch vor laufender Kamera. Kurz, von seinen Fans „Basti“ gekost – lächelte. Hofer, im Bierzelt rufen sie „Norbert, Norbert“ – lächelte. Kurz stand aufrecht, Anzug super slim. Die Hände staatstragend vor dem Buch verschränkt. Pose offen, entgegenkommend. Hofer durfte an dem Abend sitzen. Wie man über die Medien erfahren hatte, weil er mit einer Fieberattacke von 39,4 Grad im Studio eingetroffen war. Kurz, souverän cool wie immer, ließ sich auch durch mehrmaliges Nachbohren der Moderatorin keinen weiteren Ausschließungsgrund abringen, was gegen eine erneute Polit-Ehe zwischen türkis (ÖVP) und blau (FPÖ) spreche.
Dass Kurz den ehemaligen Innenminister Herbert Kickl nicht mehr in diesem Amt haben will, das ist bekannt. Dass Hofer da eine Lösung finden wird, die ihm, seinem rhetorisch begnadeten Bierzeltredner Kickl und vor allem dessen Anhänger zufriedenstellt, auch. Die Freiheitlichen hatten eh im ganzen Land plakatieren lassen, dass sie die Regierung mit Kurz fortsetzen wollen. Und dann rutschte es auch Kurz vor den ORF-Kameras heraus. Am liebsten wäre es ihm schon, wenn sich die „Mitte-rechts Koalition“ mit der FPÖ auch nach der Wahl am 29. September fortsetzen ließe.
Wenn schon die beide nicht mehr miteinander könnten, wer soll dann noch das Land regieren?
Mit beiden Pumps mitten ins Gesicht
Zwar lassen die Wahlumfragen noch alle möglichen Koalitionen offen – zumindest für Kurz. Unter Meinungsforschern besteht wenig Zweifel, dass der jüngste Kanzler und jüngste Ex-Kanzler auch der nächste Regierungschef in Wien wird. Seine türkise Volkspartei könnte sogar die 35 Prozentmarke überspringen. Danach folgen, mit großem Abstand, entweder die SPÖ mit der Spitzenkandidatin Pamela Rendi-Wagner oder Hofers FPÖ, die laut Demoskopen beide etwas über 20 Prozent punkten könnten. Dass Kurz mit Rendi-Wagner aber nochmal warm wird, das scheint seit letzten Mittwoch vollkommen ausgeschlossen.
Auch wieder im ORF, auch wieder Speed-Duell. Da trafen eine Woche nach Hofer-Kurz jetzt die rote „Pam“ und der türkise „Basti“ aufeinander. Österreich ist ein kleines Land. Da bricht man normalerweise auch im Wahlkampf nicht alle Brücken zum politischen Gegenüber hinter sich ab. Aber was macht die letzte Hoffnung der Roten? Pam, von ihrer Mutter als Kind auch „Joy“ genannt, springt ihrem einzig möglichen Partner für eine Regierungsbeteiligung mit beiden Pumps mitten ins Gesicht – bildlich gesehen natürlich nur.
Sie kenne „beide Gesichter des Sebastian Kurz“, drosch sie ohne Vorwarnung auf den jungen ÖVP-Chef ein. Das freundliche nach außen und das unmenschliche des Machtpolitikers. So habe dieser letzte Woche, als er erfahren habe, dass Hofer hoch fiebrig ans Studiopult trete, seinen Pressesprecher angewiesen, dass dieser die Medien über die Fieberschwäche des politischen Gegners informiere.
Autsch! Denn am nächsten Tag musste die Sozialdemokratin über ihren Medienmenschen heftig zurückrudern lassen. Denn es war Hofers Sprecher gewesen, der den Gesundheitszustand seines Chefs vor dem Schmuseduell mit Kurz getwittert und somit öffentlich gemacht hatte. Und jetzt?
Theoretisch könnte Kurz nach der Wahl wohl noch ein Dreierbündnis mit den Grünen und den Neos eingehen, einem neoliberalen Abspalter der Alt-ÖVP. Sofern die Demoskopen nicht allzu sehr daneben liegen, werden den beiden Kleinparteien elf und acht Prozent zugetraut. Aber will der designierte Kanzler mit den besonders in Wien als linksradikal verschrienen Grünen solch ein unsicheres Bündnis wagen? Unwahrscheinlich. Denn pünktlich zur Wahl werden die vermeintlichen grünen Saubermänner und Sauberfrauen in der Bundeshauptstadt von einem deftigen Bauskandal um ihren ehemaligen Planungssprecher Christoph Chorherr heimgesucht.
Die Partei Richtung Bauindustrie verlassen
Das grüne Urgestein, das sogar mal grüner Bundesvorsitzender war, soll über ein Vereinskonstrukt Spenden von Wiener Immobilienhaien für ein von ihm gegründetes Schulprojekt in Südafrika erhalten haben. Von mittleren sechsstelligen Euro-Beträgen ist die Rede. Hat Chorherr da sein eigenes Ibiza-Video gedreht? Der grüne Senior bestreitet vehement, dass es zu Ungereimtheiten gekommen sei. Aber dass er zu Jahresbeginn die Partei Richtung Bauindustrie verlassen hat, lässt die Causa nicht besser aussehen.
So ungewöhnlich das klingt, eigentlich stehen die Blauen trotz aller Ibiza-Blessuren ziemlich gut da. Natürlich war das Land und die FPÖ-Anhänger geschockt, als am 17. Mai die Süddeutsche Zeitung (SZ), DER SPIEGEL, und das Wiener Wochenmagazin Der Falter zeitgleich einen sechsminütigen Zusammenschnitt der Videofalle mit der falschen russischen Oligarchennichte veröffentlichten. Dass Vize-Kanzler Heinz-Christian Strache und FPÖ-Fraktionschef Johann Gudenus ihren Hut nehmen mussten, stellten erst mal wenige in Frage.
Aber Österreich und die Piefkes, wie die Deutschen im Nachbarland verballhornt werden, das ist immer eine heikle Geschichte. Frei nach dem Motto, was uns trennt, ist die gemeinsame Sprache. Und so setzte sich bei den FPÖ-Anhängern schnell eine „jetzt-erst-recht“-Haltung durch. Niemand will sich von großen Nachbarn bevormunden lassen. Schon bei der Europawahl am 26. Mai gaben 18,1 Prozent der Österreicher wieder der FPÖ ihre Stimme, gerade mal 1,6 Prozent weniger als vor fünf Jahren.
Und als dann im August das SZ-Aufdeckerduo Frederik Obermaier und Bastian Obermayer ihr Buch „Die Ibiza Affäre“ auf dem Markt warfen, sahen das nicht nur FPÖ-Anhänger als versuchte Rechtfertigung eines ziemlich fragwürdigen Journalismus an. Immer klarer wurde in dem Werk nämlich, dass Strache zwar erklärt hatte, wie illegale Parteienspende in Österreich bei allen Parteien usus seien. Aber gut zwei dutzendmal hatte er während der gut sieben Stunden währenden Videofalle auch betont, dass er nicht gegen die Gesetze verstoßen werde. Viele Wähler der Alpenrepublik hätten es als Akt journalistischer Fairness geschätzt, wenn die betroffenen Medien die gesamte, gut 20-stündigen Aufzeichnungen veröffentlicht hätten. Besonders oder gerade vor der Wahl.
Was aber die Aufdecker jetzt in ein noch schlechteres Licht rückt, ist die Tatsache, dass ihre geheimen Quellen entweder in der Halb- oder Unterwelt zu suchen sind, so österreichische Online-Medien, oder beim politischen Gegner von Hofer, Strache und seinen Parteifreunden.
Immer wieder wird auch der deutsche Kabarettist Jan Böhmermann als Hintermann genannt, was er aber bisher bestritten hat. Federführend bei dem Lauschangriff war ein Wiener Anwalt im Zusammenwirken mit einem dubiosen österreichischen Privatdetektiv mit Firmensitz in München. Ihnen gegenüber hielt sich die Justiz ungewöhnlich vornehm zurück. Warum eigentlich? Noch immer sind sie auf freiem Fuß. Ihre Rechtsvertreter haben sogar erreicht, dass die Namen ihrer Mandanten nicht in der Öffentlichkeit genannt werden dürfen.
Der Mief einer ziemlich veritablen Staatsaffäre
Diese Woche, und damit wenige Tage vor der Nationalratswahl, hat dieses Netzwerk nun erneut Material über angeblichen Spesenbetrug von Heinz-Christian Strache an die Medien lancieren können. Er soll Parteigelder für private Einkäufe genutzt haben. Strache bestreitet die Vorwürfe vehement. Die FPÖ lässt nun alle Spesenbelege aus der Ära-Strache von einem Sachverständigen prüfen. Der Mief einer ziemlich veritablen Staatsaffäre liegt in der Luft zwischen Prater und Schönbrunn.
Denn das Material soll von Straches früherem Leibwächter stammen. Der Mann kam Montag wegen Verdacht auf Erpressung in Haft. Offenbar war er vor Jahren schon an die Wiener Justizbehörden herangetreten und hatte Geld für weiteres Material verlangt. Dennoch hatte es die Polizei nicht für nötig befunden, den Politiker zu informieren. Norbert Hofer sprach in einer Videobotschaft über einen lang geplanten Versuch, die Freiheitliche Partei nicht nur schwer zu schädigen, sondern vollständig zu vernichten.
Das Gefühl beschleicht mittlerweile selbst Kritiker von Strache und Hofer. In der gemeinhin der ÖVP nahestehenden Tageszeitung „Die Presse“ konstatierte Johannes Huber, der Vorsitzende der Bioethikkommisson der österreichischen Bundesregierung zur Ibiza-Affäre vor ein paar Tagen schon:„ ... die vierte Gewalt hat die Kompetenz der zweiten Gewalt übernommen, indirekt eine öffentliche Rechtsprechung ausgeübt und die Betroffenen ohne Gegenrede zum politischen Tod verurteilt.“
Aber ganz so schlimm wird es vielleicht gar nicht kommen. Letztlich könnte die FPÖ unter Neu-Parteichef Norbert Hofer langfristig zur größeren Gefahr für Sebastian Kurz werden, als seine Gegner ahnen. Schließlich hatten bei der letzten Bundespräsidentenwahl im Jahre 2016 schon einmal 49,7 Prozent aller Österreicher für Hofer und damit die FPÖ ihre Stimme abgegeben. Und das sind gut 17 Prozent mehr, als bisher jemals für Sebastian Kurz gestimmt haben.
Lesen Sie morgen zum gleichen Tmea von Wolfram Weimer: Wagt Sebastian Kurz Jamaica?