Österreich hat einen Bundeskanzler. Er heisst Werner Faymann und gehört der Sozialdemokratischen Partei an. Das mag banal klingen, doch muss man ab und zu daran erinnern, denn Faymann wird ausserhalb Österreichs kaum einmal bemerkt. Das hat auch – aber nicht nur – mit der Grösse seines Landes zu tun: Bruno Kreisky, Franz Vranitzky oder Wolfgang Schüssel hatten auch im Ausland einen gewissen Bekanntheitsgrad.
Nun ist Faymann doch noch aufgefallen, allerdings unangenehm. Nachdem Ungarn begonnen hatte, Flüchtlinge nach Österreich weiterreisen zu lassen anstatt sie festzuhalten, sagte der Kanzler: “Dass die in Budapest einfach einsteigen (…) und man schaut, dass die zum Nachbarn fahren – das ist doch keine Politik.” Merke: Unter “Politik” hat man das zu verstehen, was Werner Faymann nutzt.
Ist diese Äusserung einfach nur dämlich, so ist das, was Faymann auch noch sagte, schon bedenklich: “Wo ist denn da der starke Regierungschef, der immer auffällt durch besonders undemokratische Massnahmen?”, fragte er unter Verweis auf seinen ungarischen Amtskollegen, den autoritär regierenden Viktor Orban.
Im populär-psychologischen Jargon würde man von einem «Freudschen» sprechen: Faymann wünscht sich, dass Orban mit den Flüchtlingen umspringen würde wie ein Diktator, anstatt sie weiterreisen zu lassen; selbstverständlich würde er Orban dann auch dafür heftig kritisieren, aber in Wahrheit wäre er froh, denn die Flüchtlingswelle bliebe das Problem Ungarns.
Und so kommt in Faymann, dem SPÖ-Funktionär, der auf jedem EU-Gipfel den Musterschüler gibt, ein sehr österreichischer Typus zum Vorschein: der unsterbliche “Herr Karl”, wie ihn der Kabarettist Helmut Qualtinger vor einem halben Jahrhundert darstellte, der Wiener Kleinbürger, der mit sich und anderen alles geschehen lässt, solange er nur seine Ruhe hat.
Erschienen in der Basler Zeitung: http://bazonline.ch/ausland/europa/der-herr-faymann/story/14314398