Der hohe Ölpreis half Putin entscheidend, den Ukraine-Krieg zu finanzieren. Jetzt kennt der Preis vor allem eine Richtung: Nach unten. Was bedeutet das für die Frage von Krieg und Frieden in der Ukraine?
Hat US-Präsident Donald Trump mit seiner Zollpolitik der harten Hand dem Kreml einen Schlag versetzt, der Wladimir Putins finanziellen Spielraum bei der Kriegsführung einengen könnte? Zwar hat Trump gegen Russland als wohl einzigem Land der Welt Anfang des Monats keine Zölle verhängt (Pressesprecherin Karoline Leavitt erklärte, Russland sei nicht einbezogen worden, weil die US-Sanktionen bereits „jeglichen wesentlichen Handel verhindern“). Doch wie kaum eine andere dürfte die russische Wirtschaft die Folgen der niedrigeren Ölpreise zu spüren bekommen – eine Folge des Bebens an den Finanzmärkten und der eingetrübten Konjunkturaussichten.
Rückblick: Nachdem Russland im Februar 2022 die Ukraine angegriffen hatte, stieg der Ölpreis blitzartig auf neue Rekorde, zeitweise bis auf 130 US-Dollar pro Barrel der Nordseesorte Brent. Als bald darauf klar wurde, dass der Welt keineswegs der Treibstoff ausgeht und russisches Öl weiter seinen Weg auf den Weltmarkt findet, normalisierte sich der Preis zügig, wobei die Tendenz seit Sommer 2022 nach unten zeigt, abzulesen am fallenden 200-Tage-Durchschnitt.
Der Anstieg im Januar 2025 auf 80 Dollar war ein kurzes Zwischenspiel. Anfang April stand der Preis noch bei 70 Dollar, im Zuge der Panik an den Finanzmärkten fiel er auf 60 Dollar. Und wir reden hier von Erdöl der Referenzqualität wie es in der Nordsee und in Saudi-Arabien gefördert wird. Russisches „Urals“ wird wegen seines höheren Schwefelgehalts — der für die Raffinerien höhere Kosten und niedrigere Margen bedeutet – mit einem Abschlag gehandelt und notierte zeitweise bei nur noch knapp über 50 Dollar.
Öl und Gas finanzieren ein Drittel des russischen Staatshaushalts
„Die Ölpreise begannen am 3. April zu sinken, als US-Präsident Donald Trump die Einführung von Zöllen auf Produkte aus 185 Ländern und Territorien ankündigte“, berichtet die staatliche russische Nachrichtenagentur TASS. Auch die Entscheidung der OPEC-Staaten, ungeachtet dieser Entwicklung die Produktion ab Mai zu erhöhen, habe zur Talfahrt beigetragen.
Die russische Zentralbankchefin Elvira Nabiullina warnte am Dienstag, sinkende globale Ölpreise könnten die Staatsfinanzen des Landes belasten. Die Einnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas machen etwa ein Drittel des russischen Staatshaushalts aus. Handelskriege „führen in der Regel zu einem Rückgang des Welthandels und möglicherweise zu einer sinkenden Nachfrage nach unseren Energieressourcen“, sagte die Zentralbankchefin vor russischen Abgeordneten. „Die Risiken sind vorhanden“, räumte sie ein und fügte hinzu: „Wir bereiten uns stets auf solche Risiken vor.“
Russlands Öleinnahmen sind im ersten Quartal im Vergleich zum Vorjahr um zehn Prozent auf 31 Milliarden US-Dollar gesunken, teilte das Finanzministerium am Dienstag mit und warnte vor weiteren Rückgängen „aufgrund des schwächer werdenden Preisumfelds“. Dies weckte in der Ukraine die Hoffnung, Moskau könne es schwerer fallen, seinen Krieg zu finanzieren.
Wladimir Putins Sprecher Dmitri Peskow bezeichnete die Lage in einem Briefing als „extrem turbulent, angespannt und emotional überlastet“ und fügte hinzu, die Finanzbeamten in Moskau arbeiteten daran, „die Folgen der internationalen Wirtschaftskrise für unsere Wirtschaft zu minimieren“.
Alexandra Prokopenko, ehemalige Beraterin der russischen Zentralbank und heute Fellow am Carnegie Russia Eurasia Center, glaubt nicht an schnelle Kürzungen bei den Kriegsausgaben; dies sei der letzte Bereich, der gekürzt werden müsse. Sollten sich die Ölpreise aber nicht stabilisieren, dann werde Russland gezwungen sein, „eine erhebliche Anzahl von Ausgaben zu revidieren und eine strengere Haushaltskonsolidierung anzustreben“.
Drohendes Defizit
Russland hat sein Budget mit einem Ölpreis von 70 Dollar kalkuliert. Ein Rückgang der Ölpreise um lediglich 10 Dollar reduziere die Einnahmen um rund 23 Milliarden Dollar (20 Milliarden Euro), errechnete Ekaterina Mereminskaya, Wirtschaftsredakteurin des englischsprachigen russischen Magazins The Insider, im Februar. Bei 58 Dollar pro Barrel rechnet sie mit einem Haushaltsdefizit von umgerechnet 30 Milliarden Euro. Bei einem Ölpreis von 40 Dollar — also 20 Prozent unter dem derzeitigen Niveau — würde es auf über 100 Milliarden Euro steigen. Ein solch starker Rückgang würde russische Ölkonzerne an den Rand der roten Zahlen bringen, prognostiziert sie. Oleg Itskhoki, Wirtschaftsprofessor an der University of California, glaubt, dass der Preisrückgang gravierende Folgen für die gesamte russische Wirtschaft haben würde, wenn er dauerhaft sei:
„Dies ist ein fundamentaler Schock, der die gesamte Wirtschaftsstruktur beeinflussen wird. Exporteinnahmen stützen den Rubelkurs und den Haushalt.“
Es sei ein Irrtum zu glauben, dass dies keine Auswirkungen auf nicht-exportbezogene Haushaltseinnahmen haben werde. Die meisten Haushaltseinnahmen seien indirekt an Exporteinnahmen gekoppelt.
„Ein stark gestiegenes Haushaltsdefizit wäre durch inländische Kredite nur schwer zu finanzieren. Es ist unklar, wer unter solchen Bedingungen freiwillig Staatsanleihen kaufen würde – wahrscheinlich niemand außer Banken, die unter dem Druck der [russischen] Zentralbank oder des Finanzministeriums stehen.“
Andrij Jermak, Stabschef des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, hatte schon am 13. Januar in den sozialen Medien geschrieben, ein niedriger Ölpreis sei der Weg zum Frieden:
„Seit der Breschnew-Ära betrachtet Moskau Energieexporte als ein Instrument der Geopolitik. Putin hat dieses Verhaltensmodell vollständig übernommen. Es besteht ein klarer Zusammenhang zwischen dem Energiepreis und dem Ausmaß der russischen Kriegslust. Energieexporte sind für den Kreml die wichtigste Quelle der Kriegsfinanzierung. Je höher der Ölpreis, desto mehr Waffen und Angriffsabsichten hat Russland. Je billiger das Öl, desto näher der Frieden. Eine strikte Preisobergrenze und eine weitere Senkung des Preises für ein Barrel russisches Öl sind der Weg zur globalen Sicherheit.“
Der Preis, den Russland für sein Öl erhalte, müsse auf 30 Dollar pro Barrell fallen, forderte Jermak damals. „Alle Ideen des neugewählten US-Präsidenten Donald Trump und seines Teams zur Senkung der Ölpreise sind nur zu begrüßen“, fügte er hinzu. Ob er dabei daran gedacht hat, dass Trump einen Handelskrieg vom Zaun brechen und die Welt an den Rand einer Wirtschaftskrise bringen könnte? Auch Trumps Kritiker bescheinigen ihm, ein großer „Disruptor“ (Störer) zu sein. Da haben sie Recht.
Stefan Frank, geboren 1976, ist unabhängiger Publizist und schreibt u.a. für Audiatur online, die Jüdische Rundschau und MENA Watch. Buchveröffentlichungen: Die Weltvernichtungsmaschine. Vom Kreditboom zur Wirtschaftskrise (2009); Kreditinferno. Ewige Schuldenkrise und monetäres Chaos (2012).