Von Dr. Björn Peters.
Das zentrale ökologische Thema unserer Zeit ist der Verlust an Arten („Biodiversität“). Die Ursache ist einfach zu verstehen. In seinem Expansionsdrang, in seinem Hunger nach Rohstoffen und landwirtschaftlichen Flächen dehnt sich der Mensch immer weiter über den Globus aus. In Europa und den USA sind fast keine Wildnisflächen mehr zu finden, und nur in relativ kleinen Nationalparks kann sich die Natur noch gänzlich frei von menschlichen Einflüssen entfalten. Die großen Steppen Sibiriens, Afrikas und Lateinamerikas, die Urwälder Kanadas, Brasiliens, Indonesiens und Malaysias geraten unter Druck, weil wir die Fläche zur Herstellung von Lebensmitteln, Holz und Energiepflanzen beanspruchen. Auch in sämtlichen Weltmeeren ist der Mensch auf der Jagd nach Nahrung, Öl und Gas.
Eine Umkehr in der menschlichen Wirtschaftsweise ist daher dringend geboten. Hierbei sollten die modernen Erkenntnisse aus den Naturwissenschaften in ein umfassendes Gesamtkonzept der Energie- und Nahrungsmittelversorgung umgemünzt werden. Dieses Gesamtkonzept muss zwei Ziele erreichen, will es umgesetzt werden: Die Umwelt muss so an Qualität gewinnen, dass die Artenvielfalt in möglichst großem Umfang erhalten bleibt. Und es muss dem Menschen ermöglichen, Zivilisation und Technik weiterzuentwickeln. Zusammen muss es dem Menschen ermöglichen, in Frieden mit der biologischen Umwelt zu leben. Das „Ökologische“ steht daher beim Gesamtkonzept im Vordergrund. Gleichzeitig sollte es die modernen Erkenntnisse aus Naturwissenschaften, Volkswirtschaft und Technik „realistisch“ einbeziehen, das heißt, es muss messbare Ziele formulieren, die Zielerreichung anhand der Messkriterien ständig nachhalten und bei Bedarf Änderungen vornehmen. Wir nennen unsere Strategie daher „Ökologischen Realismus“.
Die erste Kernforderung des Ökologischen Realismus ist Konzentration: der Natur möglichst große Flächen zur freien Entfaltung zu überlassen. Sich selbst überlassene Wildnisflächen können sich besser an Stress und klimatische Veränderungen anpassen als Flächen, die durch Übernutzung geschwächt sind. Wie aber können wir der Natur möglichst große Flächen zurückgeben, auf denen sie sich selbst überlassen werden kann? Durch hochkonzentrierte Energieformen, die es – physikalisch gesehen – nur im Atomkern gibt. Und durch intensive Landwirtschaft auf immer geringeren Flächen.
Eine zweite Kernforderung des Ökologischen Realismus ist Kreislaufwirtschaft: Sie besagt, dass der Natur möglichst wenig entnommen werden sollte. Während natürliche Ressourcen prinzipiell unendlich sind, werden Rohstoffe auch auf lange Sicht aus der Natur stammen müssen. In erheblichem Maß können Rohstoffe aber über eine Kreislaufwirtschaft, wie sie die biologische Natur selbst vormacht, wiedergewonnen werden. Dies setzt voraus, dass preisgünstige Energie zur Verfügung steht. Den Ökologischen Realismus kann man daher auf die zwei Leitprinzipien zusammenfassen: Konzentration und Kreislaufwirtschaft.
Kohle: Effektiv, aber schädlich
Im Anfang war nur Muskelkraft. Lange danach entdeckte der Mensch, Feuer für sich zu nutzen. Die erste natürliche Ressource zur Energiegewinnung, die der Mensch also nutzte, war Holz. Mit dem Beginn der menschlichen Zivilisation kamen Wasser- und Windkraft hinzu. Deren Verfügbarkeit war aber räumlich und zeitlich beschränkt, weswegen ganze Wälder gerodet wurden für den Hunger der Menschen nach Energie und Bauholz. In der Frühen Neuzeit kam die Nutzung von Torf hinzu. In den Niederlanden wurden ganze Landstriche weggegraben und das Land bis unter den Meeresspiegel abgesenkt. Torf wird heute kaum noch genutzt, aber zum Holz gesellen sich andere biogene Kraftstoffe und „Bio“-Gas. Auch heute noch stammt knapp ein Zehntel der Energie, die die Menschheit verbraucht, aus diesen biogenen Quellen und aus der Müllverbrennung (9,8 Prozent, Zahlen hier und in diesem Abschnitt: IEA, Energy Statistics, für 2016). Solar- und Windenergie sowie die Geothermie stellen ganze 1,7 Prozent der Energie bereit.
Im 12. Jahrhundert wurden neben dem Torf in der Nähe von Lüttich auch die ersten Kohlelagerstätten entdeckt. Es dauerte allerdings bis ins 18. Jahrhundert, bis der Kohlebergbau perfektioniert wurde. Mit der gleichzeitigen Erfindung der Dampfmaschine konnte die Kohle besser genutzt werden – und der Kohlebergbau wurde immer weiter optimiert, da mit den Dampfmaschinen auch die unterirdischen Wasserzuflüsse schneller und zielgenauer abgepumpt werden konnten. Von nun an wuchs der Kohleverbrauch exponentiell, beflügelt durch Kriege, die europäische Gründerzeit, neue Technologien wie die Eisenbahn und immer effizientere Abbaumethoden und Transportwege. Heute noch stellt Kohle über ein Viertel der weltweiten Energieversorgung sicher (27,1 Prozent laut IEA im Jahr 2016).
So effektiv die Kohle als Energierohstoff ist, so gefährlich ist der Abbau für die Bergleute und Minenarbeiter, und so schädlich sind die Abgase bei der Nutzung. Im Braunkohletagebau werden gar ganze Landstriche weggebaggert, neue Berge und Seen werden entstehen, wo einst fruchtbare Ebenen die Landschaft prägten. Die Menschheit machte sich daher auf die Suche nach weiteren Energiequellen.
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurden Erdöl, seit Ende des 19. Jahrhunderts auch Erdgas industriell abgepumpt und genutzt. Öl hat zwar eine kaum höhere Energiedichte als Kohle, lässt sich aber als flüssiger Kraftstoff vielseitiger und dosierter einsetzen. Ein einmaliger Siegeszug begann nach dem Zweiten Weltkrieg. Innerhalb von wenigen Jahrzehnten nach 1945 bis 1980 stieg die weltweite Förderung von wenigen hundert Millionen Tonnen auf 3,1 Milliarden Tonnen und bis heute auf über 4 Milliarden Tonnen jährlich an. Erdöl liefert heute weltweit knapp ein Drittel der Energie (31,9 Prozent).
Mit „Energiewende“ kein Fortschritt
Eine ähnliche Entwicklung durchlief Erdgas. Schon seit der Antike bekannt, begann dessen breite Nutzung zur Beleuchtung, als Heizmaterial, zum Kochen, zur Stromerzeugung und in der Herstellung von Industrierohstoffen erst in den späten 1950er Jahren. Es verbrennt sauberer als Erdöl, da es keine Schwefelverbindungen enthält, zu Kohlendioxid und Wasser. Erdgas liefert heute über ein Fünftel der Energie (22,1 Prozent). Zusammen liefern die chemischen Energierohstoffe Kohle, Öl und Gas über vier Fünftel der Energie für die Menschheit (81,1 Prozent). Dieser Wert von 2016 liegt kaum niedriger als im Jahr 1973, damals waren es 86,7 Prozent, und er sank hauptsächlich wegen des Ausbaus von Wasserkraft und Kernenergie. Seit den 1970er Jahren kam die Kernenergie als weitere Energiequelle hinzu und wurde in rasantem Tempo bis zum Ende der 1990er Jahre ausgebaut. Sie ist nochmals um einige Zehnerpotenzen konzentrierter als Kohle oder Öl. Kernenergie liefert heute knapp ein Zwanzigstel der weltweiten Energie (4,9 Prozent), der Anteil stagniert aber seit etwa 2005 bei etwa 2.500 TWh.
Jeder Schritt von einer Energiequelle zur nächsten ermöglichte technologische Innovationen, ließ neue Industrien entstehen, verbesserte das Leben der Menschen und sorgte für steigende Lebenserwartung. Insofern ist es nicht verständlich, dass im Rahmen der heutigen „Energiewende“ der Rückschritt von konzentrierten Energieformen auf extensive Formen angestrebt wird. Der Preis für extensive Energiequellen ist massenhafte Naturvernichtung. Konzentrierte Energiequellen sind eine ökologische Notwendigkeit, will der Mensch in Frieden mit Natur und Artenvielfalt die nächsten Schritte in der Zivilisationsgeschichte beschreiten.
Denn mehrere technische Revolutionen stehen an, die allesamt durch zuverlässige und preisgünstige Energiequellen angetrieben werden (siehe Die Physik der Zukunft – Unser Leben in 100 Jahren von Michio Kaku. Das Buch handelt von den Technologien, die absehbar im 21. Jahrhundert eingeführt werden, ist eine sehr empfehlenswerte Lektüre und erfordert keine technischen oder naturwissenschaftlichen Vorkenntnisse). Bereits heute ist das Internet einer der größten Energieverbraucher. Im Zuge der Digitalisierung, die eben erst begonnen hat, wird Künstliche Intelligenz in alle Lebensbereiche Einzug halten. Informationsverarbeitung wird auch die Medizin von einer kollektiven zu einer individuellen Disziplin machen, in der das individuelle Genom bei der Diagnose und der Auswahl von Therapien eine wachsende Rolle spielen wird. Die Fortschritte in den Materialwissenschaften werden es erlauben, Materie auf der Skala von Nanometern zu manipulieren und damit sowohl neue Werkzeuge als auch neue Ästhetik erschaffen lassen. Und nicht zuletzt wird die Menschheit den Sprung zu anderen Planeten anstreben.
Der Irrglaube, dass der Energieverbrauch der Menschheit irgendwann an einem Höhepunkt anlangt und dann zurückgeht, beruht wohl auf der Phantasielosigkeit gegenüber den künftigen technologischen Entwicklungen, die sämtlich alle durch preisgünstige und zuverlässige Energiequellen ermöglicht werden. Diese Technologien lassen sich mit Solar- und Windenergie nicht einführen, haben andererseits aber so viele Vorteile für Individuen, dass es immer Menschen geben wird, die sich an deren Umsetzung machen. Daher werden diejenigen Nationen, die die Suche nach konzentrierteren Energiequellen abblocken, immer weiter zurückfallen, während die Gewinner die sein werden, die diese Energiequellen nutzen. Wollen wir im Westen wirklich Vorbild für die aufstrebenden Volkswirtschaften Asiens und Afrikas werden, sollten wir uns auf die Suche nach kompakten und skalierbaren Energiequellen machen und sie allen Volkswirtschaften zugänglich machen.
Teil 1 dieser Serie finden Sie hier. Morgen folgt Teil 3.
Dr. Björn Peters beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Energiesektor in Zeiten der Energiewende unter wissenschaftlichen, volks- und betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten. Er ist Inhaber der Unternehmens- und Politikberatung Peters Coll.
Dieser Artikel erschien zuerst auf der Webseite des Deutschen Arbeitgeber Verbandes.