“Hab ich’s nicht schon vor zweieinhalb Jahren gesagt?” fragt meine Tochter rein rhetorisch und hat damit durchaus recht. “Aber ihr wolltet es ja besser wissen,” setzt sie ein wenig traurig, jedenfalls ohne Triumph in der Stimme hinzu—womit sie allerdings nicht ganz recht hat. Besser wissen wollten wir’s nicht, hielten nur ihre Kandidatin während der Präsidentschaftsvorwahlen des Jahres 2008, Hillary Clinton, für weniger wählbar und, das geben wir gerne zu, schwammen mit auf der Woge der Begeisterung über das Unerhörte, das noch kurz zuvor Ungeahnte, das eigentlich so gut wie Unvorstellbare: einen Präsidenten dunkler Hautfarbe. Ich gebe zu: Auch ich war recht euphorisch, während meine Frau, selber Afroamerikanerin, in leicht unwohler Solidarität Zweifel an des Kandidaten “Authentizität”, die “irgendwas” in Obamas schlaksiger Körpersprache in ihr auslösten, unterdrückte; und so stimmten wir damals mit voller Kehle ein in die zum Crescendo anschwellenden Lobeshymnen unserer demokratischen Parteifreunde, besoffen uns an der historischen Sensation, zelebrierten verzückt den Untergang des katastrophalen Bushregimes, wiegten uns beschwipst im Schoß einer Vox populi, die endlich Vernunft angenommen zu haben schien. Aber wie flüchtig ist doch ein Sieg, der gegen die Passatwinde der Opportunisten und die Herbststürme der Demagogen nichts als laue Lüftchen zu bieten hat? Pyrrhus, ick hör dir trapsen…
Die schweren Schlappen der demokratischen Partei bei den Wahlen am 2. November dieses Jahres wunderten uns nicht; wir hatten eine solche Entwicklung bereits zu befürchten begonnen, als Obama sich vor nunmehr fast zwei Jahren für seine Amtseinführung einen evangelistischen Selbstbeweihräucherer, den bei homophoben Reaktionären beliebten kalifornischen Pastor Rick Warren, zum Vorbeter bestellte. Andere Peinlichkeiten folgten, von oberflächlichen Dummheiten wie dem tiefen Diener vor dem saudischen König über wirtschaftspolitische Zaudereien und gebrochene Wahlversprechen (z.B. Schließung von Guantanamo) bis zum “vornehmen” Schweigen angesichts kleinlicher Zänkereien in der doch eigentlich ein ganzes erstes Amtsjahr lang gegen jegliche republikanische Stänkerei und Subversion gefeiten demokratischen Senatsmehrheit, wo ein präsidiales Machtwort zumindest Rückgrat hätte bezeugen können. Stattdessen schlingerte dieser Mann, der im Wahlkampf so überzeugend zu argumentieren vermocht hatte, nun auf dem von selbstgerechten Beratern und arroganten Wortführern glattgebohnerten Parkett des Weißen Hauses dermaßen unentschlossen herum, daß vielen seiner einst glühendsten Fans bald das Vertrauen schwand, sie hätten endlich einem Politiker ihre Stimme und Unterstützung geliehen, der sie nicht, einmal im Sattel sitzend, verriet.
Wer vom eigenen Weg abweicht und sich verirrt, kommt leicht unter den Zug. Vor allem, wenn man an seine eigene Unfehlbarkeit glaubt und den Rat seiner besten Freunde in den Wind schlägt, nur um sich dann vom Sirenengesang falscher Kompromisse ins Straucheln bringen zu lassen. Und so kam es, daß diesem Götterjünglingsdarsteller die Wunschaura der Unfehlbarkeit verlustig ging und er sich als bloßer Kaiserdarsteller der alten Vermäntelungsschule entlarvte, ein Poseur, der seine Nacktheit mit plakativen Versprechungen bemäntelt hatte, die bei den ersten Regentropfen der Realpolitik aufweichten: das reine Pappmaschee.
Wie sauer bin ich auf Barack Obama, der gewiß einen Löwenanteil an der Wahlniederlage hat? Wie sehr enttäuscht bin ich von ihm? Es kommt auf den Tag und die Stunde an, an dem und in der ich mir diese Frage stelle, so wie es auch auf den Tag und die Stunde ankommt, ob ich noch Hoffnung hege, daß die Katastrophe einer totalen republikanischen, ja christlich-fundamentalistisch getönten Machtübernahme und ein grausliger Wechsel im Weißen Haus (Sarah Palin?) bis 2012 abgewehrt werden kann. Selbst wenn die Obamisten nun ihre Irrtümer zerknirscht einsehen und Besserung geloben (was keineswegs gewährleistet ist, denn Selbstgerechtigkeit kommt nicht nur vor, sondern allzu oft auch nach dem Fall)—was soll’s, die Gesetzesmehrheit ist verspielt, und die bei der maroden Mittelstandslage nötigen Reformen werden kaum noch durchzusetzen sein. Verzweiflung und Hoffnung werden wohl beide in den kommenden zwei Jahren bis zur nächsten Schlacht um die Staatsmacht in dieselbe schwer kalkulierbare Frage münden: Wem werden dann von den Wählern die Arbeitslosenziffern, die öffentliche Verschuldung, die Geschäftsbankrotte, das Absinken weiterer Bevölkerungsschichten unter die Armutsgrenze, die Inflation der Krankenkosten, die Steuerlasten und auch der wachsende Reichtum der Oberschicht in die Schuhe geschoben? Sind bis dahin die Irren der Teepartei über alle Berge, oder werden sie es geschafft haben, sich so zu mäßigen, daß sie weitere Zünglein an der Wahlwaage, die von Legislaturperiode zu Legislaturperiode zwischen den harten Kernen der Demokraten und der Republikaner hin und her zappelnden Wechselwähler, für sich gewinnen?
Für heute: Schluß mit den Metaphern. Die Zukunft wird’s der Wirklichkeit schon zeigen.