Uta Böttcher, Gastautorin / 25.12.2024 / 06:15 / Foto: Uta Bötcher / 44 / Seite ausdrucken

O Tannenbaum: Warum macht der Klimawandel an Bayerns Grenze halt?

Ein Besuch des Dreisesselbergs zwischen Deutschland, Tschechien und Österreich wirft die Frage auf: Warum sieht der Wald auf der tschechischen Seite aus wie aus einem Endzeit-Film, und auf der bayerischen Seite ist er grün und putzmunter?

Auf dem Dreisesselberg ist eine Gratwanderung in mehrerer Hinsicht möglich: Genau entlang des Bergkamms verläuft die Grenze zwischen Deutschland und Tschechien. Auf der einen Seite des Gipfelwanderweges schweift der Blick hinunter in den Bayerischen Wald, auf der anderen Seite hinein in den Nationalpark Šumava in Tschechien (Foto oben). Während sich dem Blick in den Šumava – was übersetzt aus dem Altslawischen einfach Wald bedeutet – eine riesige Fläche von kahlen Baumleichen offenbart, sind auf der bayerischen Hälfte des Dreisesselberges grüne und kräftige Nadelbäume zu sehen.

Der Zustand der tschechischen Wälder wird derzeit generell mit dem Klimawandel und der dadurch ausgelösten Borkenkäferplage begründet (zum Beispiel hier). Das würde aber in diesem Fall bedeuten, dass Klimawandel und Borkenkäfer direkt an der Grenze zu Bayern Halt machen. Der Grund für den großen Unterschied im Zustand dieser direkt nebeneinander liegenden Waldgebiete ist also woanders zu suchen.

Es ist die Waldpflege

Während sich auf dem Dreisesselberg auf tschechischer Seite die unberührbare Kernzone des Nationalparks Šumava befindet, sehen wir auf deutscher Seite den Bayerischen Staatsforst ohne Nationalparkstatus. Der Nationalpark Bayerischer Wald beginnt erst 30 Kilometer weiter nordwestlich.

Der Nationalpark Šumava/Böhmerwald wurde 1991 gegründet und ist mit 680,6 km² der größte Nationalpark Tschechiens. Aufgabe des Nationalparks ist es, vom Menschen unberührte Gebiete als Waldwildnis zu erschaffen, zu erhalten und zu schützen. Naturnahe Waldwirtschaft bedeutet: Natur Natur sein lassen, der Wald bleibt sich selbst überlassen. Eine Waldbewirtschaftung mit Holznutzung wird gar nicht mehr praktiziert, und auf eine Waldpflege wird weitgehend verzichtet.

Es gibt im Nationalpark drei Zonen mit unterschiedlich wenig Eingriffen in die Natur. In der sogenannten Naturzone setzt man auf Selbstregulierung ohne menschliche Eingriffe. Aus derzeit noch ‚naturnahen Zonen im Übergang‘ und ‚gelenkten Zonen im Übergang‘ sollen bis zum Jahr 2030 ebenfalls Naturzonen werden, also Landschaft mit Selbstregulierung ohne menschliche Eingriffe. 

Dahinter steckt die Philosophie des Prozessschutzes: Durch das Nicht-Eingreifen in die natürlichen Prozesse sollen die durch menschliches Wirken erschaffenen Zustände verändert werden. Die natürlich-dynamischen Prozesse sollen zu neuen – nicht genau vorhersehbaren – Zuständen führen. Und Ereignisse wie Stürme, Brände und Schädlinge sollen hier für eine Entwicklungsdynamik sorgen. Es würden dann zwar Teile zerstört, aber durch neuartige Lebenssituationen soll die natürliche Auslese angeregt werden, der Genpool der Arten soll sich regenerieren, und schließlich soll sich das dynamische Gleichgewicht des Ökosystems stabilisieren.

UND: Es sind die Fichten

In Tschechien wurde bei der Waldbewirtschaftung fast auf nur eine Art gesetzt: die Fichte. Vor Beginn der Borkenkäferplage machte sie 52 Prozent des Baumbestandes aus. Fichten wurden gepflanzt, weil sie schnell wachsen und somit wirtschaftlich attraktiv sind. 

Die Fichte ist die Baumart mit dem höchsten Risiko, im Falle eines Wintersturmes umzustürzen, denn ihre Kronen bieten – im Gegensatz zu den kahlen Laubbäumen – eine breite Angriffsfläche für den Wind. Die Fichte neigt außerdem dazu, sehr flache Wurzeln auszubilden. Schon wenn 10 bis 20 Prozent Laubbäume untergemischt sind, wird der Wald deutlich widerstandsfähiger gegen Sturmschäden.

Die aktuelle Borkenkäferplage in Tschechien erreichte in den warmen, trockenen Jahren 2018 bis 2020 sein größtes Ausmaß. Seit 2020 geht der Borkenkäferbefall wieder zurück, und seit 2023 erholen sich die Wälder in Tschechien und ihr Zustand verbessert sich. Im Jahr 1995 litt der tschechische Wald schon einmal unter einer Borkenkäferplage. Damals entstand der größte Teil der Waldschäden, nämlich mehr als 98 Prozent, durch den Käferbefall an Fichten, rund 60 Prozent davon durch den Buchdrucker oder Großen Achtzähnigen Fichtenborkenkäfer (Ips typographus). Der Bestand an Kiefern wurde seinerzeit deutlich weniger durch Borkenkäfer geschädigt.

Es wird hier deutlich, dass der schlechte Zustand des tschechischen Waldes zu einem großen Teil durch die Fichten-Monokultur verursacht wird.

Bei den vom Borkenkäfer befallenen Fichtenwäldern auf dem Dreisesselberg sehen wir das Ergebnis dieser Vorgehensweise im direkten Vergleich zur Waldbewirtschaftung in den Bayerischen Staatsforsten in diesem alten Naturschutzgebiet. Dort gehört es zum Staatsauftrag, den Borkenkäfer zu managen. Die Bewirtschaftung und Regulierung ist erwünscht, insbesondere, um den Waldbestand an den Hanglagen zu erhalten. Rechtzeitig im Frühjahr werden vom Borkenkäfer befallene Bäume erkannt, gefällt und entfernt, denn ein einziges Käferpärchen kann bis zu 100.000 Nachkommen pro Jahr produzieren. 

Im Nationalpark auf tschechischer Seite hingegen darf Holz nicht entfernt oder gar genutzt werden, und so wird der Schädling geradezu gezüchtet. Noch dazu entstehen dort als Folgegeneration wieder nur Fichten, denn ein aktiver Waldumbau durch Pflanzung von resistenteren Baumarten darf nicht betrieben werden.

Aus einer Fichtenmonokultur durch Nichtstun die Wildnis zurückgewinnen zu wollen, ist ein vollkommen abstruser Gedanke. Dahinter steckt der Traum, die Eingriffe des Menschen ungeschehen machen zu können: Menschgemachte Kulturlandschaft wird wieder zu steinzeitlichem Urwald. Was über kurz oder lang passieren wird, sind Waldbrände, denn harzgetränktes Totholz brennt wie Zunder. Und dann war es wieder das Klima.

Uta Böttcher ist Diplom-Geologin, mit dem Fachbereich angewandte Geologie, speziell Hydrogeologie.

 

Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch zum Thema von Stefan Klinkigt: 

Bei mir stirbt der Wald anders

Bei mir stirbt der Wald anders“ – Nachlese 

Der Wildnis ein Stück näher

Sächsische Schweiz: Zerstörung heißt jetzt „Waldpflege“

Die Natur findet einen Weg? Manchmal muss mensch nachhelfen.

Nachhilfe auf dem Weg zur Wildnis?

Foto: Uta Böttcher

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U. Prengel / 25.12.2024

Gleiche Situation wie im Nationalpark Harz: keine Waldwirtschaft, es sollte und soll alles “Naturnah” verbleiben. Ergebnis: Waldbrände (die natürlich auf den “Klimawandel” statt auf das staubtrockene, meterhohe Unterholz zurück geführt werden), ebenfalls Fichtenmonokultur und Borkenkäfer, die auf die Monokulturen der Waldbauern im Umland übergriffen. Die Fichte war der Lieblingsbaum der Waldbauern, weil schnell zu Geld zu machen (die Fichte fällt in Geld). Jetzt hat die Nationalparkverwaltung und die umliegenden Waldbauern die Quittung für das “Waldmanagement”: tote Bäume und ein Waldgerippe!

Ralf.Michael / 25.12.2024

Es ist halt eine Crux, wenn viele, zuviele Naturfachkräfte und Naturwissenschaftler unsere schöne Natur vergewaltigen :o((

L. Luhmann / 25.12.2024

Borkenkäfermusaufstrich ist sicher und wirksam und darüber hinaus Klimaneutral. Mehr mus man nicht wissen. Dass der Bayerische Wald radioaktiv verseucht ist, weiß sowieso jede Grüne:innin. Genetisch Experimentiernde:innen haben gezeigt, dass genetisch manipulierte Borkenkäfer:innen weniger Treibhausgase emittieren als naturbelassene, was Pfizer, Moderna und BioNTech zu verdanken ist. - Wegen des bedrohten Waldes kann ich leider wieder nur Unfröhliche Weihnachten wünschen. Wir sind eben deutsch und somit schuld, schuld, schuld!

Wiebke Ruschewski / 25.12.2024

@Gert Lange. Der Harz sieht stellenweise wirklich schlimm aus! Ich durchfahre ihn einmal im Jahr, wenn ich zum Galopp-Rennen fahre. Manche Bereiche ähneln eher einer Mondlandschaft als einem Wald. Da wünschte ich mir auch manchmal etwas mehr Einmischung durch den Menschen. Abgesehen von ihrer Hässlichkeit, sind die betroffenen Flächen geradezu prädestiniert für Waldbrände. Aber wenn das passieren sollte ist das allen mehr als nur grün Angehauchten wohl nur recht. Schließlich wäre es nur ein weiterer „Beweis“ für den menschengemachten Klimawandel.

Jochen Lindt / 25.12.2024

Als ich noch im Containerbetrieb arbeitete, war ich häufig in Wismar, Deutschlands größtem Holzhafen. 90% der Hölzer waren Fichten, davon 100% aus Baltikum/Skandinavien/RUS. Sie wurden verballert für Sperrholz, Papier und Pellets. Wir bezahlen andere dafür, um Klimasünden-neutral zu sein, während bei uns das Holz herumliegt und verrottet. Ich denke wir sollten einfach vernünftiger handeln, weniger ideologisch. Weg mit dem Holz-Heizungsverbot. Überflüssige Fichten abholzen und hier verbrauchen. Wir müssen nichts importieren. Wir haben viel zuviel Fichtenholz. Schon mit dem heutigen Totholz könnte D jahrzehntelang heizen.

Franz Klar / 25.12.2024

Apropos :  Eine vergleichende wissenschaftliche und sensorische Betrachtung des tschechischen und des bayrischen Bieres wäre auch einmal verdienstvoll . Vielleicht wäre Autor Etscheit dazu bereit ? Ich als Leser wäre es !

Anna Hegewald / 25.12.2024

@Wiebke Ruschewski, ich finde Ihre Aussagen ein wenig abenteuerlich. Da wird den Landwirten einfach unterstellt, dass diese gedankenlos Dünger, Unkraut- und Schädlingsvernichter einsetzen. Nun bin ich zwar selbst nicht in einem bäuerlichen Betrieb tätig und auch nicht Landwirt, aber habe einen kleinen Garten. Da reicht es mir schon, wenn ich mal Dünger oder Schädlingsvernichter kaufen muss. Klar, in größeren Mengen mögen die Preise für das Zeug günstiger werden - BILLIG ist aber die Chemie bei weitem nicht. Und mit unserer Politik wird sie auch im Rekordtempo immer teurer und für die Bauern unerschwinglicher. Und dann schauen wir mal, ob die Landwirte das Zeug alles so gedankenlos auf ihren Kulturen verteilen. Und auf längere Sicht sehen wir sicher auch, wie sich die Sicherheit der Nahrungsmittelversorgung entwickelt. Ich bin da sehr gespannt und grundsätzlich etwas anderer Ansicht…

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