Gerd Buurmann / 22.08.2023 / 10:00 / Foto: Screenshot/YouTube / 110 / Seite ausdrucken

„Nur ein Idiot mit seiner Gitarre“

In den USA geht ein Lied von Oliver Anthony viral, das die Ungerechtigkeiten, die der ländlichen Arbeiterklasse zugefügt werden beklagt. In den ersten 12 Tagen wurde das Lied bereis über 29 Millionen Mal auf YouTube angeklickt.

„Wir leben in der neuen Welt, mit einer alten Seele“, singt Oliver Anthony in seinem Lied „Rich Men North of Richmond“ (Reiche Männer nördlich von Richmond) und hat es damit auf Platz 1 der Charts von Apple, Spotify und iTunes geschafft. Das Lied beschreibt die Lebenswirklichkeit vieler Arbeiter in den ländlichen Regionen der Vereinigten Staaten von Amerika und beginnt mit diesen Worten:

„Ich habe meine Seele verkauft, arbeite den ganzen Tag, schiebe Überstunden für eine Scheißdreck-Bezahlung, nur damit ich hier sitzen und mein Leben vergeuden kann. Ich schleppe mich nach Hause und ertränke meine Sorgen.

Es ist eine verdammte Schande, was aus der Welt geworden ist, für Leute wie mich und Leute wie dich. Ich wünschte, ich könnte einfach aufwachen und es wäre alles nicht wahr, aber es ist so, oh, es ist so.“

Wer ist dieser Mann, der die Gefühle von Millionen Amerikanern so eindringlich in Worte und Melodien packt? Der Country-Sänger Oliver Anthony stammt aus den Appalachen und heißt eigentlich Christopher Anthony Lunsford. Seinen Künstlernamen gab er sich in Anlehnung an seinen Großvater „Oliver Anthony“, da dieser in der Ära der wirtschaftlichen Depression lebte.

Nicht diplomatisch, sondern deutlich

Anthony führt das Leben eines typischen amerikanischen Arbeiters. Er lebt in einem Wohnmobil auf einem autarken Grundstück, wo er Vieh züchten möchte. Mit siebzehn Jahren brach er die Schule ab und holte später ein allgemeines Bildungsdiplom nach. Zuvor arbeitete er neun Jahre lang in Fabriken in North Carolina und Virginia. Ein gewöhnlicher Arbeitstag ging für ihn zwölf Stunden und er arbeitete mindestens sechs Tage die Woche. Anthony kämpfte immer wieder mit mit psychischen Problemen und Alkoholmissbrauch.

Im Jahr 2021 begann Anthony, ernsthaft Musik zu schreiben. Seit 2022 veröffentlicht er seine Musik auf Spotify unter dem Namen „Oliver Anthony Music“. In einem Facebook-Beitrag vom 17. August 2023 beschrieb er, was seiner Meinung nach die Gründe für seine Beliebtheit sind:

„Ich habe die Musik geschrieben, weil ich unter psychischen Problemen und Depressionen litt. Diese Lieder haben mich mit Millionen von Menschen auf einer so tiefen Ebene verbunden, weil sie von einem Typen gesungen werden, der die Worte im Moment des Singens fühlt, keine Bearbeitung, kein Agent, kein Unsinn. Nur ein Idiot mit seiner Gitarre.“

Dieser „Idiot mit seiner Gitarre“ mischt nun die Musikszene in den USA auf, denn seine Worte passen so gar nicht in den woken Mainstream des zeitgenössischen Musikgeschäfts. Seine Worte sind nicht diplomatisch, sondern deutlich. Hier zwei Beispiele:

„Wir haben Leute auf der Straße, die nichts zu essen haben, und die Fettleibigen melken die Sozialhilfe.“

„Wenn du 1,60 Meter groß bist, aber über 130 Kilogramm wiegst, sollten die Steuern nicht deine Tüten mit Schokocremeteilchen bezahlen.“ 

„Die reichen Männer nördlich von Richmond“

Diese Worte wurden ihm natürlich umgehend als Hass und Hetze in Form des Bodyshamings ausgelegt, also als abwertende Äußerungen über das Aussehen anderer Menschen. Andere Passagen in seinem Lied bringen ihm den Vorwurf ein, rechte Verschwörungsmythen zu bedienen, so singt er zum Beispiel:

„Ich wünschte, Politiker würden sich um Bergleute (miners) kümmern und nicht nur um Minderjährige (minors) auf einer Insel irgendwo.“

Es handelt sich bei dieser Passage um ein Wortspiel, da die beiden englischen Worte für „Bergleute“ und „Minderjährige“ ähnlich klingen, nämlich „miners“ und „minors“. Anthony spielt damit auf die kleine Privatinsel „Little Saint James“, die zu den Amerikanischen Jungferninseln gehört, an, die im Besitz des verurteilten Sexualstraftäters Jeffrey Epstein war. Laut den Anwälten der mutmaßlichen Opfer soll der mittlerweile gestorbene Epstein Minderjährige zu sexuellen Handlungen mit hochrangigen Politikern und Stars gezwungen haben, die auf der Insel zu Gast waren.

Die Menschen, die sich derart vergehen, nennt Anthony „die reichen Männer nördlich von Richmond“ und spielt damit unverhohlen auf die US-Hauptstadt Washington D.C. an (Washington liegt nördlich von Richmond, der Hauptstadt des Bundesstaates Virginia, Anm. d. Red.). Er singt:

„Diese reichen Männer nördlich von Richmond, der Herrgott weiß, dass sie alle nur die totale Kontrolle haben wollen. Sie wollen wissen, was du denkst, wollen wissen, was du tust und sie denken nicht, dass du es weißt, aber ich weiß, dass du es tust, denn dein Dollar ist einen Dreck wert und wird ohne Ende besteuert, wegen der reichen Männer nördlich von Richmond.“

Kaum etwas ist gefährlicher

Das Lied ist so erfolgreich, dass Anthony nun selbst ein reicher Mann werden kann, aber laut eigener Aussage soll er ein Angebot einer Plattenfirma im Wert von acht Millionen Dollar abgelehnt haben. Auf Facebook erklärt er:

„Leute in der Musikindustrie starren mich an, wenn ich 8-Millionen-Dollar-Angebote ablehne. Ich möchte keine 6 Tourbusse, 15 Lastwagen und einen Jet. Ich möchte keine Stadionkonzerte geben, ich möchte nicht im Rampenlicht stehen.“

Anthony ist ein sehr gläubiger Mann. Am 13. August 2023 trat er kostenlos auf einem Bauernmarkt in Barco, North Carolina, auf. Er eröffnete seinen Auftritt mit einer Lesung von Versen aus dem Psalm 37 in der Bibel. Unter Tränen las er diese Passage vor:

„Die Gottlosen haben das Schwert gezückt und ihren Bogen gespannt, um gegen die Elenden und Armen zu gehen und jene zu schlachten, die aufrichtig sind. Ihr Schwert wird in ihr eigenes Herz dringen, und ihre Bogen werden zerbrechen! Das Wenige, das ein Gerechter hat, ist besser als der Überfluß vieler Gottloser.“

Ein religiöser Protestsänger, der sich nicht korrumpieren lassen will, gegen die Eliten singt und dabei deutliche Worte findet. Kaum etwas ist gefährlicher für all die reichen Männer nördlich von Richmond.

Nachtrag: Soeben erreicht uns die Nachricht, dass das Lied „Rich Men North of Richmond“ in den US Billboard Charts von null auf Platz 1 geschossen ist. Das Lied berührt. Der „Idiot mit der Gitarre“ ist mal eben so an Taylor Swift und Co vorbeigezogen.

Foto: Screenshot/YouTube

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Michael Stoll / 22.08.2023

Er kritisiert die reiche woke Oberschicht, die die Politik und die Medien beherrschen, die “die totale Kontrolle haben wollen” und gleichzeitig beklagt er die Dummen und Faulen, die “Fettleibigen”, die “die Sozialhilfe melken”. Das ist neu, aber es entspricht exakt dem Lebensgefühl vieler, hart arbeitender Menschen in der gesamten westlichen Welt, die mit viel Fleiß dafür sorgen, dass der Laden läuft und die dafür ausgequetscht, verachtet (“das steuerzahlende Pack”) und mit unsinnigen Vorschriften gegängelt werden. “Nur ein Idiot mit seiner Gitarre?” Nein, auf keinen Fall.

Thomin Weller / 22.08.2023

Es gibt auf dieser Erde tausende Götter an die Menschen glauben. Wiki, Liste (Gottheiten). Manch befremdliche wie die Alfred Bovis Anhänger die sich Pyramidenhüte aus Aluminium auf den Kopf setzen. Hier eine interessante Aussage über 100 Jahre her. Im Jahr 1893 sprach ein Inder, Wandermönch Vivekananda in den USA vor dem “Weltparlament der Religionen” “So wie der Glaube des mit Füßen getreten Juden durch achtzehn Jahrhunderte hindurch die halbe Erde in Bann hielt, ist es vielleicht nicht unwahrscheinlich dass der verachtende Hindu dereinst die Welt beherrscht.” In der Gegenwart, je mehr von heiliger Gerechtigkeit geplappert wird, diese Regierung eine extrem massiv Ungerechtigkeit durchführt. Sie vergreifen sich an allen und vor allem dem Rentensicherungssystem der Beamten, “Um den Pensionsverpflichtungen von über 50 Milliarden Euro in den nächsten Jahrzehnten nachkommen zu können, hat das Land Berlin die Deutsche Bundesbank damit beauftragt, eine Versorgungsrücklage in Form von Staatsanleihen und deutschen und internationalen Aktien anzulegen. Die Rücklage ist jedoch mit 1,2 Milliarden Euro kaum gefüllt. Zum einen ist die jährliche Zuführung mit 80 Millionen Euro zu niedrig angesetzt (2020 und 2021 wurde nichts zugeführt). Der Börsensturz infolge des Ausbruchs des Ukrainekrieges sorgte für einen Verlust von 162,5 Millionen Euro.” Vielleicht kommt Oliver Anthony darauf das gerade in den USA die Armut und Kriege Gottgewollt ist.

Ralf.Michael / 22.08.2023

Ein Woody und Arlo Guthrie Remake : As my Father before me, i am a working Man ? Und dann Was will Er ? Eine ” Teilhabe ” ? Ist im Land der unbegrenzten Möglichkeite jetzt nicht ganz so einfach…obwohl da Jeder Millionär werden kann ! Da müssten die Reichen Jungs nördlich von Richmond ein paar Dollas mehr rausrücken, Die Spezialsozialdemokraten ( hier Demokraten ) haben es ja bis Heute nicht geschafft, in den USA ein allgemeines Sozialversicherungs-System zu etablieren. Eine Beratung durch ” Deutsche Fachkräften ” war da auch bisher nicht hilfreich !!

Nico Schmidt / 22.08.2023

Sehr geehrter Herr Buurmann, ich finde diesen Mann toll und unsere Politiker werden ihn zum kotzen finden. MfG Nico Schmidt

Egon Schieler / 22.08.2023

Genau solche Leute braucht es die ihre Stimme erheben, gerade hier in Deutschland. Nicht diese Hasenfüsse die sofort einknicken wenn ein bisschen Gegenwind droht, Ich wünsche mir eine Armee von Protestkünstlern die gegen diese politische Kaste und deren Umtriebe ansingt.

Katharina Fuchs / 22.08.2023

In einer normalen Welt wäre das ein typischer, folkloristisch und sozialistisch angehauchter Liedermacher im linken Spektrum, in den Fußstapfen von Woodie Guthrie und Pete Seeger, ein Joe Hill der Neuzeit. Ich warte nur noch auf den Tag, an dem sie Bertold Brecht wegen rechtsextremer Inhalte auf den Index setzen und Josh White posthum wegen Rassismus anklagen, weil er eben ‘White’ hieß und keine Rassenunterschiede akzeptieren wollte.—————Wie kann es sein, daß die Gesellschaft so doof geworden ist? Wie konnte das passieren - in einer Zeit, in der fast jeder lesen und schreiben kann und beinahe unbegrenzt Zugang zu Informationen hat? Wie kann man da derart verblöden? Das werde ich nie begreifen können.

B.Kröger / 22.08.2023

Danke für diese ehrliche Stimme aus dem bislang schweigenden Amerika, südlich von Richmond.

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