Wenn Sie schon etwas reiferen Alters sind, dann können Sie sich vielleicht noch an Hanns Joachim Friedrichs erinnern. Der Mann war früher nicht nur schlechthin das Gesicht der Tagesthemen, er war auch ein Aushängeschild für den Anspruch an journalistische Qualität, der seinerzeit in öffentlich-rechtlichen Redaktionen durchaus noch weit verbreitet war. Für ihn gab es einen wichtigen professionellen Grundsatz, den er auch anderen Kollegen anempfahl:
„Das hab’ ich in meinen fünf Jahren bei der BBC in London gelernt: Distanz halten, sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten, nicht in öffentliche Betroffenheit versinken, im Umgang mit Katastrophen cool bleiben, ohne kalt zu sein.“
Heutzutage etablieren sich andere journalistische Leitbilder in den gebührenfinanzierten Redaktionen. Ein solches konnte man dieser Tage in dem vom Deutschen Journalistenverband (DJV) herausgegebenen Branchenmagazin „journalist“ lesen, das auch jedem DJV-Mitglied zugeschickt wird. Darin erklärte Georg Restle, beim WDR immerhin der Leiter des ARD-Magazins „Monitor“:
„Ganz grundsätzlich glaube ich, dass Journalisten überhaupt wieder über einen werteorientierten Journalismus nachdenken sollten – statt permanent nur abbilden zu wollen, 'was ist'."
(Dieses und alle nachfolgenden Zitate stammen aus: journalist-Das Medienmagazin, Nummer 08, August 2018, Hrsg.: DJV)
Warum auch sollte sich ein Journalist mit verstörenden Fakten plagen, wenn ihm nun empfohlen wird, das trockene Brot der Berichterstattung gegen die süßen Schaumdesserts aus der Wertevermittlungsabteilung einzutauschen? Falls es das Publikum lieber faktenreicher mag, hat es Pech gehabt, wenn es an den bei Restle nichtt weltbildkompatiblen Fakten interessiert ist. Auch das lässt er die „journalist“-Leser, also meist Kollegen, klar wissen:
"Wir haben in diesem Land weder eine Asylkrise noch steht uns eine 'Islamisierung' bevor. Wer allen Ernstes meint, aus Deutschland würde in den kommenden Jahrzehnten Saudi-Arabien werden, hat nicht mehr alle Tassen im Schrank. Das sollte man auch so deutlich sagen, statt immer wieder auch noch die irrationalsten Sorgen irgendwelcher Bürger zu verstärken, weil man meint, sie ernst nehmen zu müssen."
Ein schöneres Wort für die Islamisierung?
Strenggenommen hat er ja ein bisschen recht. Wie Saudi-Arabien wird Deutschland nicht werden können, denn dazu fehlen die Ölreserven. Dieses Land muss produktive Wertschöpfung organisieren, wenn es nicht in Not und Elend fallen will. Aber das hat Restle erkennbar nicht gemeint.
Auch steht die Islamisierung nicht bevor, sie hat längst begonnen. Was ist das rasante Anwachsen der Zahl von Moscheen, von Imamen, von islamischen Religionslehrern, von Islam-Unterrichtsstunden in öffentlichen Schulen, von Islam-Lehrstühlen an deutschen Universitäten und Hochschulen, von demonstrativ getragenen Kopftüchern und Vollschleiern, von islamkonformen Rücksichten in Kindergärten, Schulen und Betrieben denn sonst als Islamisierung? Diese also sollte man leugnen, um sich nicht mit den verstörenden Gefahren einer politischen Islamideologie auseinanderzusetzen?
Gut, Friedrichs empfiehlt Distanz und Coolness, also verzichte ich an dieser Stelle auf eine weitere Bestandsaufnahme, in wessen Schrank die meisten Tassen fehlen. Viel schwerer wiegt eigentlich die Verachtung, die der öffentlich-rechtliche Fernsehfunktionär gegenüber jenen zeigt, die ihn mit ihren Abgaben unterhalten. Man sollte nicht „die irrationalsten Sorgen irgendwelcher Bürger […] verstärken, weil man meint, sie ernst nehmen zu müssen."?
Diese Haltung wäre angemessen, wenn man nicht gleichzeitig von ebendiesen „irgendwelchen Bürgern“ mit ihren „irrationalsten Sorgen“ eine regelmäßige Bezahlung erwartet. Man muss selbstverständlich niemandem nach dem Munde reden, aber sollte man nicht besorgten Bürgern anhand gut recherchierter journalistischer Werke erklären, wie unbegründet ihre Sorgen sind, wenn man es denn kann?
Nur muss man sich zuvor auch ernsthaft mit unbequemen Fragen auseinandersetzen, und möglicherweise wollen das viele Werte-statt-Fakten-Journalisten nicht, weil sie ahnen, welche Erkenntnisse ihnen bei näherem Hinsehen drohen. Erkenntnisse, die Zweifel am bislang gut gepflegten Weltbild wecken könnten. In kommunistischen Diktaturen hieß es dazu passend im Volksmund: „Die Wirklichkeit ist tendenziell immer parteifeindlich“.
Framing und Manipulation
Doch ist es nicht vielleicht ein wenig übertrieben, sich hier an Äußerungen des „Monitor“-Chefs abzuarbeiten? So bedeutend wie einst ist dieses Magazin ja nun auch nicht mehr. Vielleicht liegt es daran, dass das Interview mit Restle Teil einer Titelgeschichte des vom Deutschen Journalistenverband (DJV) herausgegebenen Branchenmagazins „journalist“ über „Medien und Populismus“ ist. Und mit der soll den Kollegen – und Verbandsmitgliedern – schon etwas gesagt werden.
Es geht darin ums „Framing“, also darum, mit welchem sprachlichen Rahmen das Denken in bestimmte Richtungen gelenkt wird. Gegenwärtig, so heißt es, würde sich ein rechtes Framing etablieren und dem müsse man gute Sprachregelungen entgegensetzen. Elisabeth Wehling wird derzeit im Medienbetrieb als Framing-Expertin gehandelt. Sie sagt: „Sprache und Bilder selektieren Informationen vor und bestimmen maßgeblich, wie wir denken und entscheiden […] Anders gesagt: Ich frame immer.“
Das ist durchaus richtig und wurde auch schon lange, bevor der Begriff „Framing“ geboren wurde, erkannt. Bewusst eingesetzt, sprach man früher zutreffend von Manipulation. Warum jetzt „Framing“? Vielleicht, weil sich so auch Sprachbilder denunzieren lassen, die wirkungsvoll, aber leider auch zutreffend sind, so dass die Manipulationszuschreibung nicht zuträfe?. Oder weil es nicht so schlimm klingt, wenn man es jetzt selbst macht und von Kollegen fordert? Oder weil sich so sprachpolizeiliche Regeln auf Selbstverpflichtungsbasis leichter etablieren lassen?
Im journalistischen Fachblatt wird beispielsweise der Begriff „Flüchtlingswelle“ inkriminiert. Dieses Wort sei beispielsweise viel zu oft von Journalisten verwendet worden, denn damit würde man „bedrohliche apokalyptische Bilder“ heraufbeschwören. Expertin Wehling fällt im „journalist“ ihr Urteil: „Man muss es deutlich so sagen: Die journalistische Gemeinschaft hat nicht wirklich viel dazugelernt.“
Sprachpolizeilicher Pyrrhus-Sieg
Damit sie das tut, ist Frau Wehling unter anderem in verschiedenen Sendeanstalten unterwegs, um dort ihre Lehre von den richtigen Sprachregelungen zu verbreiten. Dabei hat doch die sprachliche Manipulation im Sinne des Guten vor einigen Jahren hervorragend funktioniert. Jeder ohne Papiere illegal Eingereiste, der flugs einen Asylantrag stellte, wurde zum „Flüchtling“ erklärt, egal ob er ein Verfolgter war oder einer der Verfolger, ob er aus einem Kriegsgebiet kam oder die Schleusertour in der Heimatstadt wie im Reisebüro gebucht hat, ob Glücksritter oder Krimineller, ob Freiheitssucher oder Islamist. Doch den einen vom anderen zu unterscheiden, zu differenzieren, macht Mühe. Man hätte prüfen müssen, es wäre um die Einzelfälle gegangen. Wenn alle "Flüchtlinge" sind, ist das nicht vonnöten.
„Flüchtling“, das klang so unschuldig, so hilfsbedürftig. Wer kann schon einem „Flüchtling“ Schutz und Unterstützung oder Kost und Logis versagen? „Schutzsuchende“ kamen hinzu und es wurde allenfalls gestritten, ob „Flüchtling“ nicht zu herablassend wäre und man nicht lieber „Geflüchtete“ sagen sollte. Letztlich hat sich bei den meisten Journalisten, wie auch umgangssprachlich, der pauschale „Flüchtling“ durchgesetzt. Richtigerweise in den jeweiligen Fällen auch von Migranten, Zuwanderern, Asylbewerbern, illegal Eingereisten zu sprechen, die Pull-Faktoren der sozialen Absicherung zu erwähnen, nicht zu verschweigen, dass die meisten Zuwanderer nicht kommen, weil sie irgendwo weg mussten, sondern weil Wohlstand und Sozialleistungen lockten, gilt ohnehin weitgehend als anrüchig.
Das Problem für die Sprachpolizisten ist nur, dass auch ihr Erfolg verderblich ist. Der „Flüchtling“ steht nun mittlerweile auch für die Messerstecher und Vergewaltiger, für die Islamisten und Intensivtäter. Damit hat der Begriff schwer gelitten. Kaum einer assoziiert noch automatisch einen wirklichen Flüchtling mit dem Wort. Den tatsächlichen Flüchtlingen wurde quasi ihre Bezeichnung und ihr guter Ruf geraubt.
Nun könnte man sich sagen, dass auch der „Framing“-Hype wieder vergeht. Aber schon jetzt gibt es bleibende Schäden in der Sprache und der journalistischen Kultur.
Der Beitrag erschien auch hier auf sichtplatz.de