Peter Grimm / 28.03.2018 / 14:00 / Foto: Sanofi / 11 / Seite ausdrucken

Nomen est omen: “Institut für gesellschaftlichen Zusammenhalt”

Wer in einer kommunistischen Diktatur aufgewachsen ist, wird sich vielleicht an ein zentrales Argument erinnern, mit dem einem in der Schule immer wieder die Überlegenheit der herrschenden Ideologie „bewiesen“ wurde: Der Marxismus-Leninismus sei die einzig wirkliche „wissenschaftliche Weltanschauung“.

Irgendwie erinnere ich mich beim Lesen einer Antwort der Bundesregierung auf eine Frage der Bundestagsfraktion der Linken an das Etikett „Wissenschaftliche Weltanschauung“, und das liegt nicht daran, dass die Linken als Erben der SED auch den Marxismus-Leninismus in ihrer Erbmasse hatten.

Die Anfrage bezog sich auf eine Ausschreibung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) zum Aufbau eines „Instituts für gesellschaftlichen Zusammenhalt“. Das klingt zwar ein wenig, als hätte sich George Orwell die Bezeichnung ausgedacht, aber in einem Land, in dem vor 15 Jahren Jahren ein „Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit“ beschlossen wurde, sollte man sich über solcherlei Behördenpoesie nicht mehr wundern. Lesen wir also zunächst in der Ausschreibung, was sich das Ministerium denn unter einem „Institut für gesellschaftlichen Zusammenhalt“ vorstellt:

„Die Aufgaben und Zielstellungen des ‚Instituts für gesellschaftlichen Zusammenhalt‘ umfassen im Wesentlichen die folgenden Aspekte: Identifizierung und interdisziplinäre Analyse der aktuellen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt relevanten gesellschaftlichen Trends und Entwicklungen sowie ihrer historischen Wurzeln. Zusammenführung und Weiterentwicklung bereits vorhandenen Wissens, insbesondere zu problematischen Aspekten gesellschaftlichen Zusammenhalts. Untersuchung und Operationalisierung des Begriffs ‚Gesellschaftlicher Zusammenhalt‘ mit dem Ziel der Entwicklung eines übergreifenden Konzepts sowie aussagekräftiger Indikatoren. Austausch und Aufbau von Kooperationsbeziehungen mit der Zivilgesellschaft und der politisch-administrativen Praxis. Maßnahmen der Politik- und Gesellschaftsberatung.“

Welcher Heimatbegriff gilt im Forschungsministerium?

Bei einem solch anspruchsvollen Aufgabenpensum ist für einfache Lösungen kein Platz. Es wird keine Empfehlung gegeben, dass Minister es unterlassen sollten, jene unzufriedenen Bürger zu „Pack“ und „Mob“ zu erklären, weil sie nicht damit einverstanden sind, dass die Zusammensetzung ihrer Gesellschaft durch Handeln bzw. Unterlassungen der Regierung dramatisch und nachhaltig verändert wird. Auch eine Empfehlung an Bundespräsidenten, dass es wenig hilfreich ist, Teile des Landes zum „dunklen Deutschland“ zu erklären, wäre für ein solch differenziert arbeitendes Institut zu simpel.

Das heißt nicht, dass die geplante Einrichtung nicht auch brisante Themen anpacken würde. Die Linke hat eine heikle Passage entdeckt:

„Durch Mobilität – räumlich, im Lebenslauf und im Generationenwechsel – und inner-gesellschaftliche Diversität werden Zugehörigkeiten zu einer Region (‚Heimat‘), einer sozialen Schicht oder einer Herkunft (Milieu) relativiert.“

Nur auf den ersten Blick sieht es nämlich so aus, als müsste auch jeder Linke dem zitierten Satz zustimmen können. Entscheidend aber ist, dass das Ministerium den Begriff Heimat – der ist doch beinahe rechts, oder? – in den wissenschaftlichen gesellschaftlichen Zusammenhalt einführt. Da müssen die Genossen doch mal nachfragen:

„Wie definiert das Bundesforschungsministerium den Begriff „Heimat“, und welchen Heimatbegriff legt das Bundesforschungsministerium der Ausschreibung mit welcher Begründung zugrunde?“

Und weil das heutzutage eine wirklich brisante Frage ist, halten wir besser kurz den Atem an, bevor wir die regierungsamtliche Definition lernen:

„Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) verwendet den Begriff „Heimat“ im Kontext der genannten Ausschreibung als sozialwissenschaftliches Konstrukt, dessen Ausdifferenzierung der Wissenschaft obliegt.“

Warten auf die Ausdifferenzierung

Regierungsamtlich betreute Wissenschaft wird uns also ausdifferenziert die Heimat erklären. Bis dahin warten wir geduldig und verlangen besser von niemandem der zahlreich zu uns Gekommenen und noch Kommenden, dass sie sich an völlig unwissenschaftliche Regeln und Gepflogenheiten halten, die noch nicht richtig ausdifferenziert wurden. Wenn etwas nicht differenziert betrachtet werden muss, dann sind es all die Zuwanderer, die man pauschal Flüchtlinge oder Geflüchtete nennen soll, damit der gute Ruf der Araber, Afrikaner und Afghanen möglichst wenig durch die Glücksritter, Diebe, Gewalttäter oder Islamisten in ihren Reihen leidet.

Das Institut, das ganz wissenschaftlich Heimat und gesellschaftlichen Zusammenhalt sezieren soll, muss selbstverständlich höchsten Qualitätsstandards genügen. Es ist gut, dass die Linken da genauer nachfragen, denn wer kennt sich in Sachen wissenschaftlicher Weltanschauung besser aus. Also die Frage lautet:

„Welche Kriterien gelten für den Nachweis der in der Ausschreibung geforderten „wissenschaftlichen Exzellenz“, und welche Stelle in und/oder außerhalb des BMBF definiert diese auf welcher Grundlage (bitte unter Angabe und Begründung aller Kriterien, die für den Nachweis bzw. die Beurteilung wissenschaftlicher Exzellenz herangezogen werden)?

Auf diese konkrete Frage ist vor allem die Kürze der Antwort des Ministeriums verblüffend:

„Die Bewertung „wissenschaftlicher Exzellenz“ wird durch ein unabhängiges Expertengremium vorgenommen.“

Wenn es die Parlamentarier genauer wissen möchten, dann können sie ja nachfragen. Das war schließlich nicht die erste parlamentarische Anfrage zur Institutsausschreibung. Auch wenn die letzte zitierte Antwort vielleicht etwas unbefriedigend sein mag, so ist es doch schön, zu wissen, auf welch hohem Niveau sich die Bundesregierung um den gesellschaftlichen Zusammenhalt kümmert. Da soll noch einer sagen, die Worte der Kanzlerin, ihre Regierung wolle die Spaltung der Gesellschaft überwinden, seien nur Floskeln. Beruhigt können sich die Menschen, die schon länger hier leben, den gemütlichen Gepflogenheiten ihres sozialen Konstrukts hingeben und entspannt auf die wissenschaftliche Ausdifferenzierung ihrer Identität warten. Prost!

Der Beitrag erschien auch hier auf sichtplatz.de

Foto: Sanofi

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Karl Schmidt / 28.03.2018

Ich werde mir nicht von der Bundesregierung - schon gar nicht von dieser - vorschreiben lassen, mit wem ich zusammenhalten möchte und mit wem nicht, wen ich als zugehörig akzeptiere und wen nicht. Schon die Tatsache, dass ein Institut errichtet werden soll, macht (unfreiwillig) klar, dass der Zusammenhalt ein Problem in Deutschland geworden ist. Daran kann kein noch so exzellenter Wissenschaftler etwas ändern, denn Zugehörigkeit ist ein Gefühl und kein wissenschaftlicher Begriff. Man kann vielleicht feststellen, warum die Bürger dieses Land (im wahrsten Sinne des Wortes) nicht mehr als ihr eigenes betrachten (was eine Voraussetzung für Zugehörigkeit ist). Doch ändern kann man das durch eine noch so ausgefeilte Propaganda nicht. Dafür muss die Willkommenskatastrophe abgewickelt werden. Ansonsten wird dieses Institut nur ein weiteres schönes Beispiel dafür sein, wie sehr sich das Regierungsraumschiff von der Erde bereits entfernt hat. Reichlich Arbeitsplätze für linke Akademiker wird die Einrichtung ja allemal regnen lassen. Die SED-Fortsetzer wollen das mit ihren Nachfragen gesichert wissen.

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