Richard Wagner / 30.01.2011 / 23:04 / 0 / Seite ausdrucken

Nofretete hat keine Wahl!

Alte arabische Sprichwörter und Redensarten:

Unter einem Stein wächst kein Gras.

Jeder, dem aufgespielt wird, fängt an zu tanzen.

Es hängt von dem Reiter ab, ob das Pferd gut läuft.

Sieh erst auf das Gesicht, bevor du jemand eine Ohrfeige gibst.

Am Regentage leiht niemand seine Dachröhre aus.

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Joumana Haddad ist, so die Schweizer Wochenzeitung WOZ, eine zornige arabische Frau. Klingt gut? Ja, aber.

Die 1970 geborene Haddad ist Libanesin. Sie kommt aus einer christlichen Familie. Aus einer Intellektuellenfamilie. Mehr Ausnahme geht gar nicht.

Der Libanon ist eine Ausnahme. Immer noch. Das Christentum ist eine libanesische Ausnahme. Eine Intellektuellenfamilie dieser Art ist mittlerweile sogar im Libanon die Ausnahme.

Das alles zusammen genommen erklärt den folgenden Satz: In der Bibliothek ihres Vaters hat Joumana Haddad mit 12 Jahren die Schriften des Marquis des Sades entdeckt.

Nun ließe sich sagen, sie ist die Helene Hegemann von Beirut, aber ließe sich auch sagen, Helene Hegemann sei die Joumana Haddad aus Berlin Mitte? Nein.

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Der geringe Bekanntheitsgrad palästinensischer Literaten lässt sich vorwiegend auf die repressive Politik der israelischen Besatzungsmacht zurückführen. Das wird auf der Homepage der „Generaldelegation Palästinas in der Bundesrepublik Deutschland“ behauptet.

Dort wird auch dieses gesagt: Die Renaissance- Bewegung versuchte das Prosagenre in die arabische Welt einzuführen. Obwohl diese Debatte auch in Palästina stattfand, konnte sich die Renaissance- Bewegung aufgrund der politischen Verhältnisse nicht durchsetzen. Der Zusammenbruch des Osmanischen Reiches, der Übergang zur britischen Mandatszeit und die zunehmenden jüdischen Einwanderungen veranlasste die Lyrik, sich zu politisieren, während die Prosa durch ihre kaum gefestigten Strukturen auf die politische Situation nicht reagieren konnte. Arme Prosa!

Erst durch die Nakba von 1948 erfuhr die palästinensische Literatur neue und entscheidende Impulse, heißt es weiter. Poesie und Prosa wandten sich Themen wie der Verlorenheit und Machtlosigkeit gegenüber den Briten und den Zionisten zu. Trotz eines langsam entstehenden literarischen Widerstandes kam es immer wieder zur Stagnation der literarischen Entwicklung. Betroffen war insbesondere die Prosa. Die israelische Besatzungsmacht griff auf Maßnahmen wie ein absolutes Verbot von Veröffentlichungen sowie auf die Zensur zurück, um Entwicklung und Verbreitung der Werke entgegenzutreten. Ohne Prosa, kein Staat, könnte man sagen.

Zusätzlich kontrollierte die israelische Besatzungsmacht soziale Institutionen, erfahren wir, Klubs und kulturelle Aktivitäten, so dass auch in diesem Rahmen weder politische noch literarische Diskussionen geführt werden konnten. Unter anderem wurden immer wieder Schulen willkürlich und auf unbestimmte Zeit geschlossen, die eine Entwicklung des palästinensischen Bildungssystems unmöglich machte. Ungenügende Fremdsprachenkenntnisse bei den palästinensischen Autoren erschwerten somit die Verfolgung der literarischen Entwicklung und den Zugang zur Weltliteratur. Im Klartext: Israel verwehrte den Palästinensern den Zugang zur Weltliteratur.
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Im Gegensatz zu dem unbestimmten Bewusstsein der arabischen Zugehörigkeit, des Araber
tums, sowie der ethnisch nationalen Ideologie, die es hervorbringt, steht das, was wir hier Arabismus nennen. Dieser Arabismus ist der arabische Nationalismus, der sich auf der Grundlage des Arabertums entfaltet und an den modernen Nationalismus anknüpft, dessen Modell sich in Europa in einem langsamen Prozess seit dem Ende des Mittelalters entwickelt hat. (Maxime Rodinson, Die Araber, Edition Suhrkamp neue Folge Bd. 51, Suhrkamp 1981, S. 97)

Während aber in Europa die Autorität der Regierung durch das Parlament gegeben ist, wird sie im arabischen Raum durch Armee und Polizei oder durch Religion und Polizei gesichert.

Ja, die Generation von Facebook und Twitter ist auf der Straße. So die Agenturen. Aber.
Das Ägyptische Museum wurde geplündert, und.

Der tunesische Islamistenchef Ghannouchi ist nach 22 Jahren Exil nach Tunis zurückgekehrt. Und wo war er im Exil? In Paris!

In Kairo fordert El Baradei, langjähriger Okkupant von Posten in internationalen Behörden, den Rücktritt des Autokraten Mubarak. Wird El Baradei, der nächste Autokrat Ägyptens? Den Friedensnobelpreis hat er ja schon.

Nein, Nofretete hat keine Wahl.

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