Gastautor / 24.03.2019 / 10:00 / Foto: Tomaschoff / 42 / Seite ausdrucken

Niemand ist gerne der Unkultivierte

Von Jonathan Raskol

Sind Sie in jüngerer Vergangenheit mal in einer Ausstellung von Gegenwartskunst gewesen? Und falls ja, hat es Ihnen gefallen? Ich frage, weil wenigstens mir bei letzterem die Antwort oft nicht besonders leicht fällt und ich hoffe, damit nicht ganz allein zu sein.

Niemand ist gerne der Unkultivierte in der Runde, erst recht niemand, der sich selbst gerne, zu recht oder zu unrecht, als kultiviert betrachtet. Und zu sagen, dass man mit abstrakter Kunst nichts anfangen kann, das wirkt auf so manchen Intellektuellen, als hätte man gerade zugegeben, sich nie die Zehennägel zu schneiden. Beides ist ähnlich schlimm, in gewisser Weise rückständig und barbarisch.

Also schleppe ich mich zähneknirschend in zeitgenössische Ausstellungen, verschränke die Arme, fasse mir nachdenklich dreinblickend ans Kinn und spreche im Nachhinein von einer „interessanten Erfahrung“. Bei Nachfragen rezitiere ich, was ich dem Begleitheftchen zur Ausstellung entnehmen konnte. Danach fühle ich mich oft ein bisschen schmutzig, aber zumindest ernte ich Anerkennung als Zugehöriger einer Gruppe von Auserwählten. Versteher der Kultur, Interpreten der Gegenwart, dazu ausersehen, jenen Menschen beschränkten Horizonts die Welt zu erklären.

Ich hatte in diesem Zusammenhang ein prägendes Erlebnis, als ich die Fundació Joan Miró, ein Museum zu Ehren des katalanischen Künstlers Miró, besuchte. Da wurde ich relativ schnell mit Gemälden konfrontiert, auf denen außer Kreisen und ins Leere führenden Strichen nicht viel zu sehen war. Einige von ihnen waren angekokelt.  Mein Kopf lief spürbar heiß vor lauter Anstrengung, Zugang zu dem Werk dieses namhaften, also wichtigen Künstlers zu bekommen. Vergebens. Aber – der Herr sei gepriesen! – ein Kurator hatte eine Erklärung erfasst, auf die ich nicht im Traum gekommen wäre. Hier wurde nämlich, und das ist eine Phrase, der man verblüffend häufig begegnet, „die Räumlichkeit dekonstruiert“. Räumlichkeit dekonstruieren, welch hehres Anliegen! Endlich hat sich da mal jemand drum gekümmert, um diese verflixte Räumlichkeit! Wenn ich das gut in ein Gespräch einbände, bei einem Glas Rotwein vielleicht, könnte ich sicher viel Eindruck schinden.

Die Wirkung anspruchsvoller Erläuterungen

Allerdings lag mir diese Erklärung in den folgenden Tagen noch schwer im Magen. Was, wenn jemand nachbohren würde? Wie soll man da ins Detail gehen, um nicht das Gesicht zu verlieren? Nach und nach stieg in mir Wut auf diese kryptische Erklärung auf. Wie soll Miró Räumlichkeit dekonstruiert haben? Befand sich ein Teil des banal wirkenden Bildes in einer zusätzlichen räumlichen Dimension, die ich nicht sehen kann, sondern nur der Kurator? Hat der Kurator Quantenmechanik studiert? Mangelte es mir an der notwendigen Kreativität und Intelligenz, die ich bräuchte, um das Ganze zu verstehen? Schauerliche Vorstellung.

Aber so langsam dämmert es mir: Vielleicht wusste der Kurator selbst nicht so genau, was er mit seiner Erklärung meinte. Vielleicht war ihm klar, dass ein Bild, das handwerklich in etwa dem Level eines Grundschülers entsprach, bei Intellektuellen nur durch eine äußerst anspruchsvolle Erläuterung seine Wirkung entfalten könnte. Dass ein bestimmtes Publikum eben mehr Interesse zeigt, wenn es glaubt, vom tyrannischen Joch der Räumlichkeit befreit zu werden.

Der Sinn abstrakter Kunst scheint sich eher in der Rhetorik ihres Marketings als in ihr selbst zu finden. Durch die richtige Wortwahl kann jeder Gegenstand jede Bedeutung annehmen. Ausstellungen werden nicht länger von Künstlern, sondern von wortgewandten Selbstvermarktern bestimmt.

Nachplappern und nachäffen

Als ich kürzlich von der Debatte um das Framing Manual der ARD las, wurde mir klar, dass der Begleitheftchen-Kult auch in anderen Bereichen vorkommt. Die Parallele ist mir zwar nicht sofort aufgefallen, aber inzwischen scheint sie mir offensichtlich: Jemand, der Experte auf einem Gebiet ist oder zumindest gelernt hat, so zu reden als ob, erklärt seinem Publikum das scheinbar Sinnlose, vermeintlich Hochkomplexe. Aus dieser Expertise entsteht dann, durch den bloßen Effekt des Nachplapperns und Nachäffens, eine neue Mode. In die kann nur noch einsteigen, wer weiterhin nachplappert und nachäfft, möglichst ohne sich dabei Gedanken über seine eigene Position zu machen. Die eigene Wahrheit, der Standpunkt, den man bis vor kurzem noch selbstbewusst verteidigen wollte, weicht den Leitsätzen, auf die sich die Intelligenzija geeinigt hat. Und da haben wir es: Abstrakte Gegenwartskunst und politischer Journalismus sind in der Funktionsweise deckungsgleich.

Denn was ist so ein Framing Manual schon anderes als die Kapitulation vor einer sinnentleerten Welt, über die es allenfalls durch gezieltes Framing die Deutungshoheit zu gewinnen gilt? Ein Begleitheftchen für alle, denen eigenes Denken angesichts der unübersichtlichen Umstände gar nicht mehr zugetraut wird.

Am Ende muss ich womöglich doch eine Lanze für die abstrakte Kunst brechen. Sofern sie denn wirklich die Gesellschaft spiegelt, zeichnet sie wohl ein ganz akkurates Bild. Nur schade, dass dabei außer Orientierungslosigkeit und Geltungsdrang wenig gespiegelt wird.

Jonathan Raskol studiert Politikwissenschaften

Foto: Tomaschoff

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Leserpost

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Dieter Helbig / 24.03.2019

Liebe Leser und werte Kritiker des Beitrages Herrn Raskols, wieso wird auch hier wieder diese Meinung unterschwellig bis offen vertreten, künstlerische Erzeugnisse dürften nur von einschlägigen “Kennern” kritisiert werden und könnten, ja müssten von diesen dem Rest der Welt erklärt werden?  Genau das bemängelt Raskol schließlich auch. Warum bleiben diese Künstler und “Kenner” dann bitte nicht auch gleich unter sich und verschonen den Rest der Welt mit ihren Werken und Erklärungen? Wer als Künstler an die Öffentlichkeit geht, etwa mit Ausstellungen, hat sich dann auch gefälligst jeder Kritik zu stellen. Wie die aktuellen Hexenjagden politischer Art gegen vermeintlich “Rechte” und “Rassisten” auch hier sofort Verzicht auf echte Argumente, sondern gleich ad hominem und Verweigerung des Mitspracherechts. Muss man Kunst(geschichte) studiert haben, um sich zu Kunst äußern zu dürfen? Wenn nicht, ist dann auch das Loben aus unstudiertem Mund abzulehnen? Muss man Hund sein, um die Qualität von Hundefutter beurteilen zu können? Ich hoffe, dass sich immer wieder solche Beiträge wie der Raskols auf die Achgut “verirren” (welche Arroganz in dieser Wortwahl zu spüren ist!), denn eine glattgespülte Säuselsparte möchte ich jedenfalls nicht lesen. Bei Debatten hilft es doch, wenn argumentativ die Funken fliegen. Angriffe ad hominem und Ausschlusskriterien sind dagegen der Tod der geistigen Entwicklungen. Merken die, die das machen und fordern eigentlich, dass sie gerade da und selber ihre eigenen Grundrechte und die anderer beschneiden, mit Füßen treten? D. Helbig

Rainer Franzolet / 24.03.2019

Es gibt sicherlich angenehmere und vor allem sinnvollere Tätigkeiten, mit der man seine Zeit verplempern kann.

Sabine Heinrich / 24.03.2019

@Hilde Maas: Genau das ist das Großartige an der ACHSE: dass eben NICHT (wild) zensiert wird, wenn ein Beitrag nicht mit dem derzeit herrschenden Zeitgeist, der ja leider auch in der Kunst unübersehbar ist, konform geht! Wenn ich so etwas lesen möchte, kann ich mir auch jede x-beliebige Zeitung oder im aktuellen Fall auch Kunstzeitschrift zulegen. Deutlich widersprechen möchte ich Ihnen, was das Thema “Begleitheft” betrifft. Ich gehe so weit zu FORDERN, dass mir ein Begleitheft oder teurer Ausstellungskatalog ermöglicht, z.B. moderne Kunstwerke zu verstehen, zu denen viele Menschen auch bei längerem Sinnieren und Vertiefen sonst keinen Zugang finden. Dafür sind diese begleitenden Medien da, und dafür bezahle ich - bezahlen wir - auch einiges Geld.

Sabine Heinrich / 24.03.2019

Lieber Herr Rasko, Sie sprechen auch mir (nicht ganz unbedarft in Sachen Kunst) aus der Seele! Danke! Auch mein Eindruck ist der, dass sich zahlreiche “Kunstschaffende” einen Jux daraus machen, vermeintliche Kunstsachverständige und ein Publikum, das nicht als ungebildet gelten möchte, an der Nase herumzuführen und sich ins Fäustchen lachen, wenn Betrachter ihrer Werke so wie Sie nachdenklich grübelnd davorstehen. Der berühmteste, inzwischen verblichene geschäftstüchtige “Kaiser” war m.E. Beuys, der aktuelle ist Meese, fast verehrt wie ein Heiliger der modernen Kunst. Mir sind einige Ähnlichkeiten zur “heiligen” Greta aufgefallen: In seiner Jugend starker Entwicklungsrückstand (mit 22 war er auf dem eines 16jährigen - lt. Wikipedia), nach dem Abitur - bei dem man Ende der 80er Jahre allerdings schon rechtzeitig anspruchsvolle Fächer wie Mathe, Deutsch und eine Fremdsprache abwählen konnte -Ausbildungen abgebrochen. (Wie lange ist G. in welche Art Schule gegangen?  Hat sie einen Schulabschluss? Macht sie irgendwann eine Lehre - was ich bezweifle? Wollen die Eltern deswegen so viel Geld mit ihr verdienen (Unterstellung - pardon), weil Greta wohl kaum eine Chance hat - außer in einer Behindertenwerkstatt - je eine Arbeit zu finden und später für sich selbst zu sorgen? Ende der Abschweifung! ;-) ) Dann wurde Meese entdeckt; hinter ihm stehen - wie bei G. auch - geschäftstüchtige gewiefte Leute, die sich an und mit ihm eine goldene Nase verdienen. Ihm wurde sogar der Hitlergruß vor ein paar Jahren nachgesehen, der war natürlich auch Teil seiner “Kunst”. Das hochgestochene Geschwurbel mancher Kunstsachverständiger, die Führungen veranstalten, hat mich früher tief beeindruckt, weil ich - trotz vollwertigen Abiturs - kaum etwas verstanden habe. Inzwischen amüsiert es mich. HURZ! Am glaubwürdigsten sind für mich Künstler, die ihre eigenen Werke uns Betrachtern und Zahlenden verständlich erklären mögen/können und sich nicht hinter eine Wand von Arroganz zurückziehen. 

Archi W Bechlenberg / 24.03.2019

Als studierter Kunsthistoriker weiß ich um die Komplexheit dieses Themas, das sich weder in einem Artikel noch in einer Leserzuschrift auch nur halbwegs behandeln lässt. Dennoch habe ich eine Meinung, die sich im Laufe meiner Beschäftigung mit Kunst immer wieder bestätigt hat. Das Grundübel liegt im Nichterkennen von Dilletantismus. Sei es, weil das nötige Hintergrundwissen fehlt, um ein “Werk” erkennen und werten zu können, sei es, weil niemand zugeben will, dass er des Kaisers neue Kleider nicht sieht. Womit auch andere Bereiche des Lebens wie Politik, Wirtschaft und Greta treffend erklärt werden können.

Irmgard Müller / 24.03.2019

ganz zu schweigen von moderner Oper: München, Rigoletto als Planet der Affen und moderner Literatur,die nicht ohne Sex,Vergewaltigung, Tierquälerei…auskommt! Ich mag sie alle nicht!!

R. Nicolaisen / 24.03.2019

Entweder überzeugen Kunst und Musik aus sich heraus - oder eben nicht. \\ Apriori nichtüberzeugend ist alles, das klare handwerkliche Mängel aufweist. Idee allein genügt nicht!\\ Gewiß kann man und sollte(!) auch Sehen und Hören entwickeln! Und Neugier muß sein! \\Ansonsten lasse man sich von seinen ersten Eindrücken leiten, die entweder ein echtes Interesse zu wecken vermögen - oder auch nicht. Irgendwelche Beihefte lese man tunlichst erst nach dem ersten oder zweiten eigenen Eindruck.\\ Und, klar, es sind jede Menge Scharlatane samt ihre Zuschreibern unterwegs, vor allem im Bereich Kunst, im Bereich Musik sehr viel weniger, denn da geht es nicht um u.U. exorbitante Summen.\\ Und - es mißlingt sehr viel mehr als gelingt, auch den echten Könnern.\\ Und: Es muß gestritten werden. Über Geschmack muß man streiten. Geistige Faulheit und Bequemlichkeit sind nur nullig.

WOLF-D. SCHLEUNING / 24.03.2019

Miro ist doch noch eine harmlose dekorative Spielerei. Die Fluxus Gruppe oder auch Lucio Fontana sind viel schlimmer.

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