Reinhard Mohr, Gastautor / 24.06.2024 / 14:00 / Foto: WikiCommons / 45 / Seite ausdrucken

Wann war die Kluft zwischen Regierung und Volk noch größer?

„Die Partei, die Partei, die hat immer recht“ – so lautete die Hymne der „Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands“ (SED). Die DDR ist gottlob Geschichte, aber der Hang zu Bevormundung und Inanspruchnahme der absoluten Wahrheit ist offenbar nicht totzukriegen. Dennoch: Der Wind dreht sich.

Lange Zeit sah es so aus, als sei der rot-grün dominierte politisch-mediale Komplex, der woke Ampel-Zeitgeist voll guter Absichten und irrsinniger Fehlplanungen, schier allmächtig und unüberwindbar. Eine Politik, wie der Handwerkspräsident schrieb, „die mit ihrem Bürokratismus und ihrem Mikromanagement krachend scheitert und deren Ansinnen, die Kräfte des Wandels mit Formularen einzuhegen, zu einer noch größeren Unwucht führt“.

Nun aber scheint sich der Wind zu drehen. Nicht nur die neuesten Umfragen und Wahlergebnisse zeigen es: Die Blase aus endemischem Moralismus, obstinater Selbstgerechtigkeit und rechthaberischer Arroganz platzt. Was mit dem famosen „Heizungsgesetz“ von Robert Habeck anfing und sich über das „Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz“, die „Kindergrundsicherung“ – das Stuttgart 21 der außer Rand und Band geratenen Sozialbürokratie – und jenes „Selbstbestimmungsgesetz“ fortsetzte, das den jährlichen Wechsel des eigenen Geschlechts erlaubt, hat mit dem Ergebnis der Wahlen zum Europäischen Parlament ein vorläufiges Ende gefunden.

Der Aufruhr in der rotgrüngelben Chaos-Koalition wird immer heftiger, die gedemütigten Grünen lecken ihre Wunden, und die geschredderte Sozialdemokratie hadert mit ihrer Parteiführung – und ihrem Kanzler. Selbst der kurzfristige Bruch der „Fortschrittskoalition“ ist keineswegs ausgeschlossen, sollte es nicht zu einer raschen Einigung über den Haushaltsentwurf für 2025 kommen.

Die SPD lässt ihre Wähler im Stich

Angesichts der katastrophalen Wahlkampf-Inszenierung der Kanzlerpartei urteilte der Kolumnist Harald Martenstein, nicht die SPD-Wähler hätten ihrer Partei den Rücken zugekehrt, sondern umgekehrt, die SPD ihren Wählern.

Selbst der alerte Generalsekretär Kevin Kühnert, dem man sogar ein chinesisches E-Auto abkaufen würde, wenn er nur eine Minute Zeit zum Reden hätte, findet nun auch nicht mehr die passenden Worte, um die desaströse Lage der deutschen Sozialdemokratie rhetorisch glattzubügeln.

Ähnlich geht es bei den Grünen zu, deren Krisenkommunikation eine Mischung aus angedeuteter Einsicht, taktischen Rückzugsgefechten und ausgewachsener Ratlosigkeit ist – natürlich unter Verteidigung ihrer grundsätzlich völlig richtigen Politik, die aber selbst bei der Jugend keinen Anklang mehr findet.

Ohne es zu beabsichtigen, hat die preisgekrönte Publizistin Carolin Emcke, eine woke Zeitgeist-Ikone mit antrainierter Leidensmiene, jüngst auf einem Konklave der linksgrünen „Netz-Gemeinde“ namens „re:publica“ das wahre Narrativ des Ampel-Zeitgeists enthüllt. Es erinnert an die gute alte Zeit, in der nur eine Meinung galt. Unter großem Beifall sagte Emcke wörtlich: „Ich würde wirklich dazu aufrufen, dass niemand, der eingeladen wird in einer Rahmung, die Pro und Kontra heißt, teilnimmt. Ich würde wirklich inständig darum bitten, es muss aufhören.“

Frau Ehmcke hat eine Bitte

Und noch einmal für alle, die nicht glauben wollen, dass eine linke Intellektuelle in Deutschland, die mit den aufklärerischen Gedanken von Theodor W. Adorno und Jürgen Habermas groß geworden ist, das Ende des kritischen Diskurses ausruft – Schluss der Debatte, Ruhe im Bau: „Es wird uns beständig vorgemacht, es gäbe zu allen Fragen gleichermaßen wertige, gleichermaßen vernünftige, einander widersprechende Positionen. Das ist, mit Verlaub, einfach Bullshit. Wir müssen es abschaffen.“

Dieses peinliche Bekenntnis bestätigt das Gefühl von Millionen Menschen, dass die rotgrüne Obrigkeit gar nicht an Argumenten der Bürger „draußen im Lande“ interessiert ist, die mehr sind als die sprichwörtlichen „Sorgen und Nöte der Wählerinnen und Wähler“.

„Die Partei, die Partei, die hat immer recht“ – so lautete die Hymne der „Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands“ (SED). Die DDR ist gottlob Geschichte, aber der Hang zu Bevormundung und Inanspruchnahme der absoluten Wahrheit ist offenbar nicht totzukriegen.

Auch die beiden Chefinnen der „Grünen Jugend“ beharren auf einer zeitlosen Wahrheit, die sich von keiner historischen Erfahrung irritieren lässt. Im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ teilten sie jüngst der deutschen Öffentlichkeit mit, was schon für Wladimir Iljitsch Lenin glasklar feststand: „Das kapitalistische System funktioniert nicht, es bringt immer neue Krisen hervor. Es produziert immer wieder systematisch Ungleichheit, und der Zwang zu immer weiterem Wachstum führt den Planeten ins Verderben. Dieses System kann und darf nicht das Ende der Geschichte sein. Der Kapitalismus ist aus der Zeit gefallen. Unser Ziel ist ein demokratischer Sozialismus.“

Der ewige Traum vom Paradies auf Erden

Da stöhnt nicht nur manch älterer Sozialdemokrat auf, sondern auch der Autor Rainer Zitelmann (jüngstes Buch: „Weltreise eines Kapitalisten“). Er ist einer der wenigen deutschen Intellektuellen, die unermüdlich, theoretisch, historisch wie empirisch, die unleugbaren Vorzüge des Kapitalismus vulgo Marktwirtschaft ins Feld führen und an das Scheitern jeder Art von Sozialismus erinnern.

Aber was zählen Fakten schon, wenn es um den ewigen Traum vom Paradies auf Erden geht. Immer wieder werden neue Wolkenkuckucksheime errichtet, die sich schon beim nächsten Talkshow-Geschnatter in heiße Luft auflösen. All das spricht für die tiefe Verwirrung der rotgrünen Geister, eine politische Implosion, die mit einer Kommunikation einhergeht, die niemand mehr verstehen kann. Nie war die Kluft zwischen Regierung und Volk größer, nie die Sprachlosigkeit offenkundiger.

Doch die gesellschaftliche Atmosphäre ändert sich, ob in der Migrationspolitik oder beim Bürgergeld. Plötzlich werden hier Verschärfungen und dort Kürzungen – etwa für Flüchtlinge aus der Ukraine – gefordert, die eben noch Entrüstungsstürme hervorgerufen hätten. Selbst im politisch korrekten Deutschlandfunk erfährt man nun Genaueres über die Herkunft der Messer-Attentäter, und die Gefahr durch radikale Muslime wird nicht mehr so routiniert heruntergespielt, dass der „Kampf gegen Rechts“ als alleinige Staatsaufgabe übrigbleibt. Auch das öffentlich-rechtliche Gendern ist nicht mehr ganz so präsent. Unverkennbar, dass der branchenübliche Opportunismus auch jetzt seine Wirkung entfaltet, selbst wenn die Lieblingsvokabeln immer noch „Weltoffenheit“, „Vielfalt“ und „Klimagerechtigkeit“ lauten.

Es scheint, dass sich am Ende doch die immer drängender werdenden Herausforderungen der Realität gegen die rotgrüne Phrasen-Maschine durchsetzen. Den Rest erledigt der demokratische Druck der Wähler, die dafür sorgen, dass vor allem bei Grünen und SPD existenzielle Ängste ausbrechen. In Thüringen und Sachsen laufen die Sozialdemokraten Gefahr, zur Splitterpartei zu werden.

Wie oft im Leben setzt die Angst vorm Untergang neue Kräfte und neue Ideen frei, womöglich den Mut, sich einfach, soweit vorhanden, des eigenen Verstandes zu bedienen. Immanuel Kant, der Alte aus Königsberg, hätte sich jedenfalls gefreut.

Zuerst erschienen in der Preußischen Allgemeinen Zeitung für Deutschland

 

Reinhard Mohr, geb. 1955, schrieb als Journalist u.a. für den Pflasterstrand, die taz, die FAZ, Die Welt und den stern. Von 1996 bis 2004 war er Kulturredakteur beim Spiegel.

Foto: Nachoman-au - A digital photograph taken by myself., CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

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Rainer Nicolaisen / 24.06.2024

...“voll guter Absichten”...  HaHaHa

Mathias Rudek / 24.06.2024

Ein treffender, guter Artikel, lieber Herr Mohr. Es ändert aber nichts daran, daß die SPD und die Grünen komplett verwahrlost sind und jegliche Glaubwürdigkeit verspielt haben. Es kann für mich nur eine deutliche Oppositionspartei richten und jeder Forist hier weiß wer diese ist. Eine Partei, die von einer Einheitsphalanx der Blockparteien bis in jeden Winkel denunziert und verfolgt wird. Eine Partei, die vom Verfassungsschutz komplett unterwandert ist und undemokratisch bekämpft wird mit korrupt-kriminellen Mitteln staatlich voll unterfüttert. Eine Partei, die aber mit sehr gutem Personal und Potential ausgestattet ist. Nun komme was da wolle!

Dr. R. Möller / 24.06.2024

Solange die CDU von 30% als Lösung und nicht als Problem gesehen wird, solange pfeift der Wind aus der gleichen Richtung. Nur Menschen mit gesundem Menschenverstand, Logic und unverbildeter Intelligenz sind immun gegen Propaganda (Lügen der Mächtigen), aber leider in der Minderheit. Das sind die rund 20 bis 25 % der Bevölkerung die sich keiner Gentherapie unterzogen haben und/oder die AFD wählen. Wähler der NSDAP tragen eine Mitschuld für die Toten in KZs und auf den Schlachtfeldern. Wähler der Altparteien, Inclusive BSW und Werteunion, tragen Mitschuld an den Millionen von Opfern der Grünen Faschisten - und die wird es geben, wenn sie nicht bald gestoppt werden.

Irene Luh / 24.06.2024

Mit dem Ergebnis der Wahlen zum Europäischen Parlament ein vorläufiges Ende gefunden? ++ Nun, solange Frau Meloni sich nicht gegen das Verbrenneraus stellt, die Migration nicht in den Griff bekommen will, komisch oder, und nichts gegen eine erneute Kandidatur der Frau hat, die Panzer für Schwangere umbauen lassen wollte, dürfte die Ernüchterung bald erneut eintreten. ++ Die Worte von Bärbel Bohley gelten noch immer. Unsere Gegner sind skrupellos und gefährlich. Im Grunde tun diese nur das, was Ihre pol. Aufklärung forderte: der Mensch muß allein entscheiden, was gut und böse ist. Genau das tun sie. Und Habermas liefert die Steilvorlage: wahr ist, was die Mehrheit entscheidet. Die Mehrheit wird von der linken Lügenpresse weiter geliefert. Geld ist noch genug da, dank dem Kapitalismus.

Irene Luh / 24.06.2024

Theodor W. Adorno war einer aus dem Kreis dieser linksintellektuellen Stalin-Versteher und Terrorbeschöniger. Der deutsche Professor schrieb im November 1936, als Stalin mit Schauprozessen und Exekutionsaktionen die KPdSU auch von Tausenden Juden säuberte, aus seinem sicheren englischen Exil an seinen Freund Horkheimer: „In der gegenwärtigen Situation sollten wir – sei es auch um den schwersten Preis – Disziplin halten und nichts publizieren, was Russland zum Schaden ausschlagen kann.“ ++ Für die Liebhaber von Brecht: Bertolt Brecht schrieb Ende der zwanziger Jahre wie ein Jubelperser Hymnen auf Stalins Industrialisierungsprogramm, als Hunderttausende Bauern verhungert, verschleppt oder versklavt wurden.

Karl-Heinz Vonderstein / 24.06.2024

Die Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit (was es nicht alles gibt), habe im vergangenen Jahr 1.926 antimuslimische Vorfälle erfasst. Durchschnittlich hätten sich damit täglich mehr als fünf solcher Vorfälle ereignet, heißt es in einem zivilgesellschaftlichen Lagebild der Allianz Claim, die vom Bundesfamilienministerium gefördert wird. Äußerungen im Internet fließen in das Lagebild nicht ein. 2022 wären es noch 898 dokumentierte antimuslimische Vorfälle in Deutschland gewesen. Quelle: ZDF text Nachrichten. Wenn man nach dem ÖRR Fernsehen geht, müssen die Deutschen (Biodeutschen) ja ein schreckliches Volk sein: Ein Volk voll von Antisemiten, Antimuslimen, Rassisten, Ausländerfeinden, Pädophilen, Nazis, antiislamisch, antiziganistisch, homophob, transgenderfeindlich, die Männer sexistisch, Klimaleugner, Impfgegner, die Ostdeutschen alle rechts, AfD Wähler und Putinversteher, was sind sie nicht noch, die Deutschen?    

Rainer Hanisch / 24.06.2024

@Volker Kleinophorst: Genau so ist die Sache! Wenn überhaupt möglich, könnte eine wirkliche Änderung nur aus dem Osten Dooflands kommen. Der Rest kriegt eh nichts auf die Reihe.

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