Volker Seitz / 28.03.2019 / 13:00 / Foto: hafifmuzik.org / 23 / Seite ausdrucken

Nicht sehen wollen, was zu sehen ist

Im Französischen gibt es dieses Sprichwort „Il n’est pire aveugle que celui qui ne veut pas voir“, das übersetzt etwa heißt „Nicht sehen wollen, was zu sehen ist“ oder „Es gibt niemanden, der so blind ist, wie die, die nicht sehen wollen“. Wenn ich mir das am 27. März 2019 vom Kabinett verabschiedete Papier „Fortschreibung und Weiterentwicklung der Afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung“ ansehe, fällt mir dieses die Political Correctness beschreibende Sprichwort ein.

Das Papier, mit dem die Bundesregierung ihre Afrikapolitik intensivieren möchte, nennt fünf prioritäre Ziele:

  1. Frieden, Sicherheit und Stabilität fördern.
  2. Nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung, Wachstum, Wohlstand und Beschäftigung für alle – in Perspektiven für Afrikas Jugend und Frauen investieren.
  3. Migration steuern und gestalten, Fluchtursachen mindern, Flüchtlinge unterstützen.
  4. Mit Afrika die regelbasierte Weltordnung stärken.
  5. Unsere zivilgesellschaftlichen Partnerschaften vertiefen.

Wie die Afrikapolitischen Leitlinien von 2014 ist in dem vagen und dehnbaren Papier von den elementaren Grundsätzen wie Eigenverantwortung und Subsidiarität so gut wie nicht die Rede. Wie man den in der Entwicklungspolitik immer wieder postulierten, aber oft missachteten Prinzipien zu mehr Geltung verhelfen will, bleibt offen.

Das unbestreitbare zentrale Thema Familienplanung wird sehr kurz mit Allgemeinplätzen abgehandelt:

„Die demografische Entwicklung stellt in vielen Ländern eine große Herausforderung für das Bemühen dar, die Entwicklungs- und Wohlstandsgewinne zu erhalten. Um diese Herausforderungen zu bewältigen, bedarf es verstärkter Anstrengungen in Schlüsselbereichen wie sexueller und reproduktiver Gesundheit und Rechte, Bildung und sozialer Sicherung.“

So gern ich lese, dass verstärkte Anstrengungen endlich vorgesehen sind, so gern wüsste ich, wie denn die „verstärkten Anstrengungen“ aussehen sollen.

Rücksicht auf kirchliche Entwicklungs-Organisationen?

Will man mit solchen banalen Sätzen versuchen, die kirchlichen Entwicklungs-Organisationen nicht gegen sich aufzubringen? Immerhin will die Association of Protestant Churches in Africa (AACC) das Bevölkerungswachstum drosseln. Die protestantischen Mitgliedskirchen des Verbands in Afrika sollen die Gläubigen überzeugen, weniger Kinder zu bekommen. Aus Sicht des Verbands ein Akt der Menschlichkeit – denn weniger Kinder bedeutet größere Chancen für die, die da sind. „Kein Geldbetrag kann die Armut beseitigen, wenn wir nicht endlich die Bevölkerungsexplosion bremsen“, sagte Bright Muwador von AACC am 19.3.2019 in der ARD „Report München“. Inwieweit sich die katholische Kirche in Afrika an der neuen Kampagne beteiligt, ist offen. Gängige katholische Lehrmeinung ist weiterhin: Verhütung ist Sünde, schon deshalb kommt Familienplanung, wie der ökumenische Verband sie anstrebt, nicht in Frage.

Das Thema scheint heikel zu sein, auf Anfrage des Bayerischen Rundfunks wollte die Deutsche Bischofskonferenz keine Stellungnahme abgeben.

Das Thema ist auch für Afrikaner sehr delikat, und wenn man es anspricht, darf man es nicht vom Demografisch-Ökonomischen her tun, sondern mit dem Blick auf Mütter und schon vorhandene Kinder, deren Lebensverhältnisse sich verschlechtern, wenn noch mehr Kinder hinzukommen. Außerdem ist zu berücksichtigen, z.B. was die Zielgruppe im Sahel betrifft, dass dort (in Niger) nicht nur jede Frau sechs Kinder zur Welt bringt, sondern selbst nur eine von koranisch-legal vier Ehefrauen eines Mannes ist. So dass jeder Ehemann verantwortlich für 24 Kinder ist.

Der hohe Bevölkerungsanstieg verursacht Konfliktpotenzial: durch mangelnde Ernährungssicherheit, Wasserknappheit, Druck auf Gesundheits- und Bildungssysteme, Arbeitslosigkeit. Außerdem steigt bei einer höheren Population und Verteilungskämpfen die Aggression. Der Entwicklungsstand eines Landes hängt eng mit dem Bevölkerungswachstum zusammen. Mit einer erfolgreichen Familienplanung hat zum Beispiel in Vietnam der nachhaltige wirtschaftliche Aufstieg begonnen.

Es herrscht weiter Ratlosigkeit

Wer aber die Reduktion der Geburtenzahlen in Afrika fordert, wird bei uns immer noch des Neokolonialismus verdächtigt und in die rechte Ecke gestellt. Obwohl Afrika extrem hohe Geburtenraten hat, kann ich mich in den letzten dreißig Jahren an keine Diskussion über die notwendige Reduktion der Geburtenzahlen erinnern. Es herrscht bei uns weiter Ratlosigkeit. Familienplanung und Empfängnisverhütung sind „kulturell sensible Bereiche“. Viele Kinder zu haben, ist in Afrika ein Symbol für vermeintliche Männlichkeit. Die Frauen, je nach Bildung der Familienplanung gegenüber aufgeschlossen, sind dem Willen der Männer ausgeliefert. Für viele Politiker hängt zudem ihre Macht vom Kinderreichtum ihrer Volksgruppe und damit ihrer Wähler ab.

Die Entwicklungspolitik leidet nicht nur an Missachtung des Subsidiaritätsprinzips, sondern auch an der klaren Zuordnung von Zuständigkeit und Verantwortung. Alle Probleme und Konflikte haben lokale und regionale Ursachen (z.B. jahrhundertealte Binnenmigration, Gegensätze zwischen Ackerbauern und Viehzüchtern), und die Lösung liegt in den einzelnen Ländern selbst. Deshalb sind „Afrika-Strategien“ fehl am Platz. Es braucht konkrete Lösungsansätze für jede Region (z.B. Sahel) und klare Prioritäten.

In dem Papier der Bundesregierung wird auf die UN Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und auf die Agenda 2063 der Afrikanischen Union verwiesen. 2013 anlässlich des 50. Jahrestages der Gründung der Organisation wurde ein Aktionsplan der Afrikanischen Union für die sozioökonomische Transformation afrikanischer Staaten bis 2063 veröffentlicht. Dies ist eine extrem langfristige Planung. Es wird mal wieder „alles auf die lange Bank geschoben.“

Angesichts des Zustandes des Kontinents wären weniger Worthülsen und konkrete politische und wirtschaftliche ehrgeizige, überprüfbare Ziele angebracht gewesen, zumal seit 2013 Nennenswertes nicht passiert ist. Die vielerorts desaströse Infrastruktur, ungenügende Bildung, schlechte Krankenversorgung, Dürrekrisen und blutige Konflikte werden regelmäßig unter den Teppich gekehrt. Der Kontinent sollte sich bemühen, gänzlich eigenständig zu werden und weder auf Spendengelder noch auf militärische Unterstützung der ehemaligen Kolonialmächte angewiesen zu sein.

Da der Rechercheehrgeiz vieler moralisch überlegener Journalisten beim Wohlfühl-Thema Entwicklungshilfe äußerst gering ist, wird sich so schnell nichts ändern und die „neuen“ Leitlinien werden großherzig beklatscht werden.

Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Buches „Afrika wird armregiert“. Die aktualisierte und erweiterte Taschenbuchausgabe erschien im September 2018. Volker Seitz publiziert regelmäßig zum Thema Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika und hält Vorträge.

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Angela Maaz / 28.03.2019

Afrika hat 30 Einwohner pro qkm. Deutschland hat 230 Einwohner pro qkm. Afrika hat ein Fünftel der Erdoberfläche (USA, Europa, China, Japan, zusammen). Es wird behauptet, Afrika hat nix und leide an Überbevölkerung. Ja, Deutschland hat auch nix. Jedenfalls nichts an nennenswerten Bodenschätzen. Selbst wenn sich die Bevölkerung in Afrika verdoppelt, erreicht sie noch lange nicht unsere Siedlungsdichte. Afrika hat viele junge Männer, die ihre Familien versorgen, Landwirtschaft oder Straßenbau studieren könnten. Können Sie nicht? Ok, dann sollten sie mal etwas anderes außer Koranschulen besuchen und ihre korrupten Machthaber + Anhang endlich zum Teufel jagen.

Rolf Lindner / 28.03.2019

Die Leitlinien für die Afrikapolitik zeigen wieder, ich weiß nicht zum wievielten Mal, wie abgehoben von der Realität diese Regierung und die Altparteien sind. Es ist nicht nur ein rasa Elefant, sondern der Raum ist voller rosa Elefanten. Oder sind es eher rotgrün gestreifte Elefanten? Wenn den Altparteien im Bundestag bei Reden der AfD die Fakten um die Ohren gehauen werden und man die hysterischen Zwischenrufe besonders von der linken Seite sieht bzw. hört und dazu die Phrasen und Parolen sowie die Diffamierung der Faktenaufzähler in den Reden der Altparteien, ist mir klar, dass mit dieser Regierung und diesem Bundestag die generell notwendige Kursänderung - egal auf welchem Gebiet - nicht möglich ist. “O glücklich, wer noch hoffen kann, aus diesem Meer des Irrsinns aufzutauchen!” (Zitat leicht geändert).

Gerd Koslowski / 28.03.2019

Lord Peter Bauer:  Entwicklungshilfe ist die Umverteilung des Geldes der Armen aus den reichen Ländern an die Reichen aus dem armen Ländern.

Rainer Hanisch / 28.03.2019

Nicht nur seit 2013 ist nichts Nennenswertes passiert; ich kenne die sattsam bekannten Bettelgesänge von den “armen hungernden Kinder in Afrika” seit über 50 Jahren! In der (ex-)DDR sind Spendengelder systematisch eingetrieben worden. Das Geld ist futsch, geändert hat sich nichts! Wenn nicht endlich mit dem “Kindersegen” Schluss gemacht wird und die Afrikaner endlich anfangen, ihr Land aus eigener Kraft und eigenem Antrieb auf- oder besser: wiederaufzubauen, bleibt alles beim alten: die Verlierer aus Afrika kommen nach Europa, vor allem nach Deutschland, werden dort alimentiert und bleiben Verlierer. Integrierbar in unsere Gesellschaft ist die Masse sowieso nicht, bildungsmäßig und kulturell sind die Unterschiede viel zu groß und unvereinbar mit den hiesigen Verhältnissen. Und mit “Integrationskursen” a la D ist diese Tatsache nicht aus der Welt zu schaffen. Und die “Migranten” ändern ihre Ansichten nicht - nur ihre Forderungen werden dreister werden. Und die Art, diese durchzusetzen.

Marcel Seiler / 28.03.2019

Ich danke für diese regelmäßigen, absolut notwendigen Beiträge von Volker Seitz. – In der Entwicklungspolitik gilt das gleiche Motto, wie in der deutschen und der Europapolitik: nichts tun, das irgendwie kontrovers wäre oder den Widerstand angeblich “moralisch hochstehender” Akteure hervorruft. Also kann man nur noch nichts wirklich Entscheidendes tun, Symbolpolitik treiben und möglichst viel Geld ausgeben.

Frank Box / 28.03.2019

Das Hauptproblem in Afrikarabien sind die ständig zunehmenden Menschenmassen, die diese Länder weder beschäftigen, noch ausreichend ernähren können. Deshalb wandern die jungen, gesunden Männer aus, bevorzugt Richtung Norden, um dort ihr Glück zu versuchen. - Kann man dieses Bevölkerungswachstum kontrollieren? - Nein! - In den arabischen Ländern scheitert das am Islam, der in den Auswanderern Religionskrieger sieht, um den Rest der Welt zu unterwerfen. - In Schwarzafrika scheitert es an dem erschreckend niedrigen Intelligenzquotienten dieser Menschen, der so um die 80 liegt. Damit gilt man in Europa schon als geistig behindert. - Was können WIR tun? - Peter Scholl-Latour: “Wer halb Kalkutta aufnimmt, hilft nicht etwa Kalkutta, sondern wird selbst zu Kalkutta.” - Wenn wir unseren Lebensstandard und unsere Kultur auf Dauer erhalten wollen, ist konsequente Abschottung der einzige Weg!

Patricia Steinkirchner / 28.03.2019

Diesen Ausführungen kann ich nur zustimmen. Es gibt ja bei uns leider bestimmte Kreise, die es für unverantwortlich halten, Kinder zu bekommen (deutsche, weiße Kinder sind gemeint). Genau von diesen Herrschaften habe ich nichts zum Thema Bevölkerungsexplosion in Afrika und Arabien gehört. Tja - gibt es da einen Zusammenhang?

Martin Landvoigt / 28.03.2019

Ein Beispiel kann die Hohlheit der Entwicklungspolitik zeigen: Es sollte eine Binsenweisheit sein, dass die Erwirtschaftung von Mitteln eine funktionierende Wirtschaft und eine funktionierende Infrastruktur braucht. Also auch eine verlässliche Stromversorgung. Diese lässt sich wirtschaftlich nur mit fossilen Kraftwerken bereitstellen. Aber der Westen - EU, Weltbank etc. - haben den Bau von Kohlekrafwerken nicht mehr gefördert. Aussichten auf eine Bereitstellung einer notwendigen Infrastruktur schwinden. Was will man dann erreichen?

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