Für Angela Merkel gibt es gute und schlechte Nachrichten. Die guten lauten: Sie wird die Bundestagswahl am Sonntag klar gewinnen. Deutschland steht vor der Regierung Merkel IV. Und sie dürfte sich sogar eine Koalition auswählen können. Damit steigt Angela Merkel zu einer Großfigur der deutschen Geschichte auf. Ihre Amtszeit von jetzt bereits 12 Jahren erreicht bald Dimensionen von Konrad Adenauer (14 Jahre), Helmut Kohl (16 Jahre) und Otto von Bismarck (19 Jahre).
Selbst die politischen Gegner respektieren ihr international hohes Ansehen. In einer ungemütlichen Welt von Despoten, Diktatoren und ordinären Präsidenten wirkt sie oft wie die ausgleichende, ruhige Vernunft. Sie ist – die internationalen Leitartikel der kommenden Woche werden es wieder rühmen – eine besonnene “Anführerin des liberalen Westens”, “die mächtigste Frau der Welt” und eine “friedensorientierte Weltpolitikerin”, die Deutschlands Reputation guttut. Zudem gedeiht die wirtschaftliche Lage Deutschlands prächtig – im Angesicht der Krisen und Kriege in der Nachbarschaft halten viele Deutsche die 12 Merkel-Jahre daher schlichtweg für eine gute Zeit und gewähren ihrer Dauerkanzlerin darum noch einmal die Verlängerung.
Und doch braut sich um die Kanzlerin Ungemach zusammen. Denn auch schlechte Nachrichten gibt es reichlich, darum wird dieser Merkel-IV-Sieg weder triumphal noch geschmeidig. Ihr Wahlergebnis dürfte deutliche Bremsspuren einer Kanzlerschaft zeigen, deren Zug – anders als bei Martin Schulz – zwar nicht entgleist, aber doch ein Stück weit ins Schlingern gekommen ist.
Vor allem die Migrationspolitik erweist sich als Kardinalfehler ihrer Regentschaft. Durch sie steigen in Deutschland nicht nur soziale Spannungen erheblich. Die Republik verliert ihren inneren Frieden und wirkt gespalten, ja ein gutes Stück aus ihrer Balance geraten. Das enorme Aufkommen einer rechtspopulistischen Partei (AfD) und der kaum geringere Zulauf zur SED-Nachfolgepartei (Die Linke) sind Alarmzeichen für die Republik. Es wird der neuen Regierung nicht helfen, die Wähler oder Funktionäre dieser Parteien zu beschimpfen. Merkel wird die offensichtlichen Probleme und Fehlentwicklungen bekämpfen und also auch ihre Politik ein wenig revidieren müssen.
“Na gut, einmal darfst du noch”
Wenn der “Spiegel” Angela Merkel vorwirft, sie sei die “Mutter der AfD”, dann mag das polemisch übertrieben sein. Doch ihre Verantwortung für die Polarisierung der Republik ist da. Und so wirkt diese Wahl wie ein letzter Balltanz ihrer Macht, als gelte das Motto “Na gut, einmal darfst du noch”. Merkel ist im Bewusstsein der Menschen nicht mehr die Mutti des Herzens, sie wird als Tante des Vertrauens gewählt – die emotionale Distanz der Deutschen zu ihr wird größer. Diese schwindende Akzeptanz könnte ihr in bevorstehenden Konflikten noch zum Problem werden. Denn in der nächsten Legislatur weiß jeder, auch jeder Konkurrent, dass ihre Kanzlerschaft im Herbst angekommen ist und Widerstand zu ihr immer weniger Risiko bedeutet.
Merkel IV startet aber auch mit machtpolitischem Ballast. Zuvorderst wird die Kanzlerin es mit einer unangenehmen CSU zu tun bekommen. Nicht nur, dass die Bayern der Kanzlerin fundamentale Korrekturen der Migrationspolitik abfordern werden (Stichwort Obergrenze). Die CSU blickt vor allem auf die Landtagswahlen 2018 und definiert von diesem Ziel her ihre Politik der kommenden Monate. Das dürfte für Merkel unangenehm werden, denn die CSU fürchtet die AfD ganz besonders.
Seehofer wird Merkel daher mit Joachim Hermann einen Bundesinnenminister zur Seite stellen, der als “schwarzer Sheriff” die deutsche Innenpolitik und Grenzsicherung neu verorten will. Zugleich wird mit Alexander Dobrindt ein Merkel-kritischer, strategischer Kopf zum mächtigen CSU-Landesgruppenchef. Und Seehofer wird ein drittes Schwergewicht (vielleicht sogar Karl-Theodor zu Guttenberg, der mit Merkel auch keine positive Erinnerung verbindet) nach Berlin schicken, um den neuen Gestaltungswillen der CSU zu dokumentieren. Die Kanzlerin wird von München aus also eingehegt.
Kurzum, es wird ungemütlich
Zugleich dürfte ihre Koalition schwieriger werden. Sollte es zu einer Fortsetzung der Großen Koalition kommen, dann riskieren CDU und SPD den Achsbruch ihrer Volksparteienexistenz. Eine ausblutende SPD ist kein stabiler Koalitionspartner für vier Jahre. Aber auch eine Jamaika-Koalition verspricht wenig Stabilität und noch weniger Gestaltungsraum. Zu konträr sind wichtige Grundpositionen zwischen Grünen, FDP und CSU.
Die internationale Szenerie wirkt für Merkel IV. ebenfalls deutlich trüber als für ihre Legislaturen davor. Neonationalistische Rüpel-Politiker bedrohen Europa von Moskau, Ankara und Washington aus. Die Briten gehen den Deutschen mit dem Brexit von der Seite und die Rest-EU versinkt in tiefen Meinungsverschiedenheiten. Die Beziehungen Berlins zu Nachbarn wie Polen, Tschechien oder Ungarn sind geradezu vergiftet – kurzum, es wird ungemütlich.
Man mag sich kaum ausmalen, was passiert, wenn die gute Konjunktur in den kommenden vier Jahren – was nach vielen Jahren des Aufschwungs zusehends erwartbar wird – einbricht. Denn viele der aufgeschobenen Reformen Deutschlands und manche seiner inneren Konflikte sind durch den wirtschaftlichen Boom nur entschärft worden. Deutschland bräuchte eigentlich eine neue, digitale Agenda-Politik, um sich für die Rezession zu wappnen. Wird Merkel das wagen, um mit unpopulären Entscheidungen das Land langfristig krisenfest zu machen – wie weiland ein Gerhard Schröder? Vielleicht wird Merkel vorher, etwa in der Mitte der Legislatur, abtreten und einem Nachfolger das Kanzleramt streitfrei in einer letzten Abendsonne ihrer Zeit übergeben – das hat noch kein Bundeskanzler je geschafft. Ihr wäre es zuzutrauen.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf The European hier.