Jahr für Jahr findet im Bundestag ein gut eingeübtes Ritual statt: die Debatte um die Verlängerung der Mandate der diversen Auslandseinsätze der Bundeswehr. Die Regierung unterstreicht bei dieser Gelegenheit die bedeutende Rolle, welche die deutschen Soldaten in Mali, Afghanistan oder Kleinpusemuckel bei der Erhaltung des Friedens, dem Bau von Schulen oder dem Bohren von Brunnen spielten. Die Opposition hingegen verweist auf unsere ach so friedliche Welt, möchte den Verteidigungshaushalt am liebsten auf das Niveau der Vereinskasse des Schützenvereins Wolfratshausen herunterschmurgeln und aus der Nato austreten. Am besten sofort.
Übers Jahr verteilt kommen zahlreiche Anfragen und Presseberichte zu den verschiedenen ambitionierten Rüstungsprojekten, bei denen Geld verbrannt wird wie bei einem ganzjährigen Osterfeuer, zu dem Schluss: Mit dieser Armee, diesem Verteidigungsministerium und dieser planlosen Politik ist kein Staat zu machen. Das Problem ist, dass unsere Verbündeten das genauso sehen.
Rückblende, 1992. Ich lernte einen ehemaligen Major der NVA kennen, der sich nach seiner Entlassung als Nachhilfelehrer durchs Leben schlug, nachdem seine Armee das Zeitliche gesegnet hatte. Er war im Generalstab tätig und sein ganzes Soldatenleben damit befasst, den bösen Feind, der gleich hinter Helmstedt auf ihn lauerte, nach allen Regeln der Kriegskunst zu überrumpeln und fertigzumachen. Und so schmiedete er Pläne, erstellte Tabellen, berechnete Zeitpunkte, Wegstrecken und Bereitschaftsgrade und spielte in tausenden Varianten durch, wie dem „Angriff des Imperialismus“ begegnet werden könne, den man jederzeit erwartete – zumindest solange wollte man durchhalten, bis „eine richtige Armee“ einträfe. Er meinte die Russen.
Dieser Mann, der sein Leben lang damit zugebracht hatte, kleine Plastikpanzer über Geländemodelle zu schieben und dabei auf Sonnenstand und Nordwind zu achten, berichtete mir tief enttäuscht davon, was er als erstes getan hatte, als er entlassen, die NVA verschrottet und Deutschland wiedervereinigt war: Er fuhr gen Westen, diesmal in einem echten Auto, zu den Plätzen, Hügeln und Tälern, wo er einst die Heerscharen des Imperialismus auf Karten bekämpft und in der Simulation versucht hatte, dem „Ansturm der Bundeswehr“ zu trotzen. Was er dort fand? Nichts.
Keine Stellungen, keine Truppen, keine Befestigungen, einfach gar nichts. Erst in diesem Moment, so sagte er, habe er begriffen, dass er dreißig Jahre lang eine Phantom-Armee bekämpft habe. Wörtlich fügte er hinzu, dass er, nach allem, was er sah, noch nie einen solchen „Sauhaufen“ wie die Bundeswehr kennengelernt habe. Seine erste Auslandsreise führte ihn dann folgerichtig in die USA, wo er die Militärakademie von West Point besuchte. Zumindest dort, sagte er fast erleichtert, gäbe es noch eine Armee, die diese Bezeichnung verdiene.
Peinlichkeiten aus der Waffenkammer des Guten
Zurück ins Jahr 2018. Unsere Drohnen fliegen nicht, unsere Hubschrauberpiloten üben beim ADAC, weil sie kein einsatzfähiges Fluggerät haben, der „Jäger90“ wurde mit zehn Jahren Verspätung ein überfrachteter Eurofighter, unsere U-Boote sind sämtlich kaputt, und von der A400M, dem neuen Transportflugzeug, redet schon gleich niemand mehr, weil es einfach nur noch peinlich ist. Nun kommt ein weiteres Fiasko hinzu, über welches das „Wallstreet Journal“ am 12. Januar 2018 berichtet: Die neuen Fregatten vom Typ F-125, welche unsere Marine bestellt hat, sind Schrott. Abnahme verweigert. Die Diagnose, die man in den USA den deutschen Verbündeten stellt, ist niederschmetternd. Ich kann zwar nicht behaupten, ein ausgewiesener Experte auf dem Gebiet militärischer Ausrüstung zu sein, aber selbst einem Laien stellen sich beim Anblick der Fähigkeiten der neuen Schiffe einige Fragen.
Etwa die, warum es wichtig war, deren maximale Einsatzzeit auf zwei Jahre auszudehnen, obwohl unsere Parlamentsarmee sich doch jedes Jahr ein neues Plazet im Bundestag holen muss, oder ob die Tatsache, dass die nötige Besatzung nun kleiner ist, keinen Schutz vor U-Booten und Flugzeugen mehr erfordert. Was soll es überhaupt bringen, dass der neue Fregattentyp im Vergleich mit dem alten erheblich an Fähigkeiten eingebüßt, dafür an Kosten und Gewicht mächtig zugelegt hat? Woran liegt das?
Das Wallstreet Journal spricht von „Schrumpfender militärischer Expertise und wachsender Verwirrung unter den führenden deutschen Politikern, wozu die Streitkräfte des Landes überhaupt da seien.“ Weiter heißt es: „Eine ganze Reihe verpfuschter Infrastrukturprojekte haben den Ruf von Deutschlands Ingenieurskunst zerstört. Für den 6 Milliarden Euro teuren Flughafen in Berlin, der bereits 10 Jahre hinter dem Zeitplan zurückliegt, gibt es noch keinen Eröffnungstermin, und die Neugestaltung des Stuttgarter Bahnhofs liegt auch erheblich hinter dem Zeitplan. Beobachter führen diese „Missgeschicke“ auf schlechtes Planungs- und Projektmanagement zurück, welches auch bei großen militärischen Projekten zu Rückschlägen führte.“
Technische und organisatorische Peinlichkeiten
Der ganze WSJ-Artikel lässt einem die Schamesröte ins Gesicht steigen, aber Sie sollten ihn dennoch unbedingt lesen. Bevor er hinter der Bezahlschranke verschwand, landete er zum Glück bei Archiv.is und kann dort eingesehen werden. International wird nämlich sehr genau verfolgt, wie rasant die Expertise Deutschlands gerade in zahlreichen Ingenieursdisziplinen schrumpft. Bei militärischem Know-how bekämen wir Panzer wohl noch ganz gut hin, doch sobald Software ins Spiel käme, gingen in Deutschland stets die Lichter aus.
Auch die Komplexität vieler Projekte werde in Deutschland heute tendenziell unterschätzt, meint das WSJ. Der Glaube, technische oder individuelle Fähigkeiten durch politischen Willen ersetzen zu können, zieht sich heute folgerichtig wie ein roter Faden durch die Gesellschaft. Im Militär wird dies nur deshalb früher sichtbar, weil es hier kaum Möglichkeiten gibt, sich einer alles beherrschenden staatlichen Doktrin zu entziehen, die sich als „Trickle Down“ unsinniger Weisungen einer Ministerin, die Ärztin gelernt hat und vorher im ministeriellen Umfeld von Familie, Senioren, Gesundheit und Soziales agierte.
Helmut Schmidt vom Nagel gehängt
Das größte aktuelle Problem ist für die Ministerin deshalb nicht etwa, dass ihr der ganze Laden schon rein technisch langsam um die Ohren fliegt, nein. Wichtiger ist, dass die Truppe mit einer neuen und besseren Tradition unterfüttert wird, aus der Sinn und Ansporn für künftige Friedensmissionen nur so fließen werden. Ist erst mal der Flakhelfer Helmut Schmidt vom Nagel gehängt, ist es nicht mehr weit bis zur Gerd-Bastian-Kaserne, in der das Bataillon „Joschka Fischer“ den Häuserkampf mit dem Wischmop-Modell „Jutta Ditfurth“ übt.
Und wenn man denkt, jetzt könnte eigentlich niemand noch blöderes um’s Eck kommen, beweist die Linke Politikerin Evrim Sommer das Gegenteil und beklagt, Deutschland könne nicht mehr glaubhaft gegen Kindersoldaten eintreten, wenn die Bundeswehr weiterhin 17-jährige rekrutiere. Ja, wer kennt sie nicht, die kriminellen Anwerber deutscher Heere, die durch deutsche Innenstädte ziehen und willenlose Knaben aufsammeln, sie mit Drogen gefügig machen, ihnen Waffen in die Hand drücken, damit sie ihre Eltern töten und unverwundbar werden. Liebe Frau Sommer, da in unserer Bundeswehr die Waffen kaum richtig funktionieren und die Rekruten erst mit 18 an selbige herangelassen werden, besteht da wohl doch keine Gefahr – noch nicht mal eine moralische. Schöne, friedliche Welt des deutschen Militärs.
Das könnte uns alles egal sein, weil es, wie seit Jahrzehnten, ja zur Not noch richtige Armeen gibt, etwa in Frankreich, Großbritannien oder den USA, die uns zu Hilfe eilen würden, sollte es mal eng werden. Das würden sie doch, oder? Sigmar Gabriel hat leider bei mehr als einer Gelegenheit geprahlt, wir könnten schon ganz gut allein auf uns aufpassen – daran habe ich angesichts unserer tatsächlichen militärischen Fähigkeiten doch erhebliche Zweifel.
Sollte der amerikanische Präsident jemals in seinem Morgenbriefing eine Zusammenstellung der ihn betreffenden Headlines von SPON, SZ, taz und Zeit lesen, könnte er sich das mit dem „America first“ nochmal überlegen und auch in Sachen Militär ein „America only“ daraus machen und zum Beispiel unseren Friedenstruppen die Erfolge in Afghanistan gleich ganz und vollständig überlassen. Wie wir ja wissen, schießen die Taliban nie auf Soldaten, die sich kaum angemessen zur Wehr setzen können. Was heißt nochmal „Wir kommen in Frieden“ auf Paschtu?
Zu allem entschlossen, zu nichts mehr fähig
Die Posse mit den untauglichen neuen Fregatten führt uns plastisch vor Augen, auf welchem Weg sich Deutschland längst befindet. Zu allem entschlossen, aber letztlich zu nichts mehr fähig. Der Schrei nach „mehr Europa“, wie er von fast allen Parteien uni sono zu vernehmen ist, wird wohl in Wirklichkeit ein Hilfeschrei sein. Die ideologische Verfettung und die Unfähigkeit der deutschen Politik, die eigenen Möglichkeiten realistisch einzuschätzen, werden uns über kurz oder lang zum Mühlstein am Hals Europas machen. Auch hier lassen sich neben dem Militärischen noch weitere Beispiele anführen, deren inhaltlicher Größenwahn in keiner Weise zu den endogenen Fähigkeiten passen will: Massenmigration, Klimawandel, Energiewende, NetzDG.
Andererseits stellt sich die glatte Weigerung vieler deutscher Politiker, die zugesicherten Mittel in die Verteidigungsfähigkeit zu stecken, womöglich doch als pragmatische Einstellung zur Realität heraus. Denn wozu mehr Geld in militärische Projekte versenken, wenn dabei sowieso nichts als Schrott entsteht, weil wir auf diesem Gebiet längst zu nichts mehr in der Lage sind?
Dann pumpen wird das Geld doch lieber gleich in Migrationsforschung, Genderstudies, Politkampagnen und Lichterketten. Zum Schluss möchte ich noch einen der kommentierenden Leser des WSJ zu Wort kommen lassen: „Germany is not invincible. Germany and Germans are not super smart, either.“Dem ist nichts hinzuzufügen. Leider nicht nur im militärischen Bereich.
Dieser Beitrag erschien zuerst in Roger Letschs Blog Unbesorgt.