Es gibt ihn wieder: den Übermenschen. Heute denkt er grün und glaubt sich im Recht, Anderen den Weg zu weisen. Der grüne Übermensch ist bereit, das fragile Glück seiner Mitmenschen zu zerstören.
Es ist wie im Film: Düstere Wolkentürme ziehen über Deutschland auf. Die Menschen blicken mit ängstlicher Vorahnung auf das drohende Wetter. Doch die Sonne bricht plötzlich durch – ein Riss im Wolkengebilde – und im Höhenflug ihrer Macht kann die grüne Romantik einschweben, auf uns herniederkommen wie ein Heilsbringer. So melodramatisch wie ergreifend inszeniert sie sich im Schwarz und Weiß einer entzweiten, vermeintlich dem Ende nahen Welt. Grün steht auf der weißen, der reinen Seite der Hoffnung, Schwarz, das sind wir, die unreflektierten Verbraucher, Verschwender, vom Abgas ihrer Automobile Vernebelten.
Grüne Endzeitlogik heißt: Die Verzagten und Verirrten, gefangen in der Entropie ihres schamlosen Kapitalismus, müssen endlich den Wandel wollen, denn „alles dürfen“ ist nicht mehr angesagt. Es muss umverteilt und der „Gerechtigkeit“ auf die Sprünge geholfen werden. Die Klimastreik-Jugendlichen aus der saturierten Mittelschicht diffundieren immer mehr ins Milieu der Kapitalismuskritik, und die ultra-linke Unterwanderung der Klimaschutz-Szene zeigt sich in Forderungen nach Staatszersetzung und Enteignung. Der Klimastreik wird radikal.
Es klingt wie staubiger Patriotismus, wenn der grüne Erweckungsstaat, wie er manchem Ideologen vorschwebt, uns ermöglichen soll, wieder wer zu sein – nämlich ein Vorbild für die Welt, im Angesicht des Verzichts auf Freiheit und Konsum, der uns zwangsläufig bevorsteht und den wir der Welt vorleben wollen – so das Narrativ. Als gäbe es wieder diese unbändige deutsche Lust am Untergang. Wir sollen demütig sein im Triumph des Wollens.
Degradierung der Freiheit als Ego-Exzess
Für die, die eigentlich nicht willens sind: Wir sollen das überbrachte Heil endlich gutheißen. Die Zeit ist günstig: Der Klimawandel und die Schuld des weißen Mannes, Covid-19 und die Lockdown-Psychosen, der Ukraine-Krieg und die Energiekrise, Inflation und drohende Rezession, Zweifel an westlichen Werten und Degradierung der Freiheit als Ego-Exzess, Angst und Obrigkeit, Volk und Wahn, Versagen und Hybris. Da kommen die Grünen gerade recht. Jetzt soll nicht nur der Planet und das Klima gerettet werden, sondern auch der Humanismus. Aber genau das ist nicht der Fall.
Es gibt ihn wieder: den Übermenschen. Heute denkt er grün und glaubt sich im Recht, Anderen den Weg zu weisen. Der grüne Übermensch ist bereit, das fragile Glück seiner Mitmenschen zu zerstören, in der festen Überzeugung, es sei zu ihrem Besten und ohnehin unvermeidbar. Der grüne Übermensch ist kein Homo faber, kein Ingenieur des Fortschritts, sondern ein regressiv veranlagter, wirtschaftspolitischer Pyromane, der seine ökonomischen Brandrodungen als grünen Idealismus verkauft und dafür absolute Notwendigkeit postuliert.
Der grüne Übermensch ist übergeschnappt im Momentum seiner alternativlosen Macht und leidet an fataler Selbstüberschätzung, die vor offener Misanthropie nicht haltmacht. Es wird Verluste geben, Opfer und Verlierer. Es ist schon absehbar, wer die Leidtragenden der grünen Weltrettungspolitik sein werden: die sozial und finanziell Schwachen. Nicht die Oberlehrer der urbanen grünen „Elite“ werden unter dem Verzicht ächzen, sondern die Habewenigen und Habenichtse. Die Klimastreikenden haben das schon richtig erkannt. Aber mit Umverteilung ist es bald nicht mehr getan. Die sozialen Utopien und Wolkenkuckucksheime aus den Mittelschicht-Villen der FFF-Jünger werden bald von den ökonomischen Realitäten eingeholt und auf kalten Entzug gestellt.
Unfähigkeit zum Krisenmanagement
Im gekaperten Staat haben sich die Grünen hermetisch abgeriegelt vom Leiden, das sie dem Land aufbürden. Sie können dieses Land, die Industrienation, nicht führen. Ihr Versagen ist im Kontext ihrer Ideologie jedoch hilfreich: Es erschüttert und schädigt die Statik unserer Wirtschaft nachhaltig und beendet „endlich“, was freiwillig nicht zu Ende gehen wollte. Deshalb ist die offensichtliche Unfähigkeit zum Krisenmanagement heute ein Erfüllungsgehilfe im Kampf gegen das Etablierte: das kapitalistische Erbe, die industrielle Hochleistungskultur, den hart erarbeiteten Wohlstand.
Die Dekadenz des Mutwillens im Angesicht der ganzen Dekonstruktion, die angezettelt worden ist, spricht von Besessenheit, Ignoranz und Herzlosigkeit des neuen grünen „Patriotismus“. Er verstellt den Blick auf die Drift, die unsere Gesellschaft anzunehmen droht. Und sie führt nicht zwangsläufig zu der schönen neuen Welt, die uns die Grünen so sehr versprechen. „Die Geschichte wiederholt sich immer zweimal – das erste Mal als Tragödie, das zweite Mal als Farce“, sagte Marx und ich befürchte, er hat recht.
Deshalb reden grüne Ideologen, Minister und ihre Follower so viel dummes Zeug. Immerhin: Erfolgreiche Propaganda stellt unlösbar erscheinende Probleme als Herausforderungen an den kollektiven Willen dar, der imstande sein soll, Übermenschliches zu leisten. Sie stilisiert Entbehrungen und Härten zu notwendigen Begleiterscheinungen eines Überwindungskampfes, der den neuen Menschen hervorbringt. Auch in der grünen Propaganda wird der Mensch zu einem Objekt der heroischen Umformung.
Propaganda als eine Form technischer Wahrheit
Propaganda spricht nicht das Individuum an, sondern das Kollektiv, die Gemeinschaft, die Leidensgenossen, die in ihrem gemeinsamen Kampf, in ihrer mutigen Abwehr des Feindes, in der Überwindung der Katastrophe zu Trägern einer Transformation werden, an deren Ende die bessere, reine, befreite Zukunft steht. Ohne diese Katharsis, die die „verkommene“ Gesellschaft wie ein Reinigungsritual vollziehen soll, gibt es keine Erlösung vom Bösen, keine Auflösung im Idealen, keine Ablösung von einer dämonisierten Kultur, keine „Endlösung“ im Rausch der (ökologischen) Feindbilder.
Moderne Propaganda unterscheidet sich in ihrem Manipulationsvermögen nur graduell von ihren Vorgängern des letzten Jahrhunderts. Und es ist nicht erstaunlich, dass sie entgegen der allgemeinen Auffassung nicht nur eine Domäne von Diktatoren und Regimen ist, sondern in nahezu jeder ideologischen Denkschule in Erscheinung tritt. Wer eine Mission zu erfüllen hat, oder Andere dazu aufstacheln möchte, einer Mission zu folgen, benutzt Propaganda als eine Form technischer Wahrheit, die die Semantik als eine Disziplin steuerbarer, manipulierbarer Bedeutungen missbraucht. Daher ist in der Propaganda die „Wahrheit“ nur ein konstruierter Wert innerhalb eines geschlossenen Systems von Behauptungen, falschen Prämissen, Unterstellungen, Schuldzuweisungen und Lügen. Das ist hinlänglich bekannt, und trotzdem funktioniert sie. Die Propaganda ist sogar anerkannt, weil sie die Durchsetzung ihrer „Wahrheiten“ als aufopfernde Verschwörung zwischen Absender und Empfänger inszeniert. Das haben die Grünen gut gelernt.
Der andauernde Höhenflug der Grünen beruht auf dem Mythos, dass es einer Katharsis bedarf, durch die die Menschheit das nahe Ende des Planeten, den Kollaps des Klimas und das Verschwinden der eigenen Spezies verhindern kann. Dass dieser schon im Gründungsmythos der Partei angelegte Weltrettungsanspruch nun zu einem wahnwitzigen Sturzflug übergeht, an dessen Ende eine Bruchlandung droht, das ist den Apologeten des Untergangs ideologieseitig natürlich egal. Es scheint sogar ersehnt und forciert – aus dialektischer Rechthaberei und noch schlimmer als notwendiger Anlass zur brutalst-möglichen Kehrtwende.
„Da bleibt kein Stein auf dem anderen“
Zur Zerstörung braucht man keine Fähigkeiten außer Radikalität, Gewissenlosigkeit und das Gefühl des dazu Berufen-Seins. Nicht ohne Grund ist der Wort-Appendix „Wende“ eins der Lieblingswörter der grünen Propaganda. Im Beharren auf dem industriellen Niedergang, der Forderung nach „Schrumpfung“ und der gebetsmühlenartigen Wiederholung ihrer Verzichtsmoral finden die Grünen ihren Triumph des Wollens. Das ist ein grausiger, misanthropischer Befund, der der grünen Weltrettung einen genozidalen Beigeschmack verschafft hat. Denn was wird aus all den Menschen, die mehr verbrauchen (wollen), als man zurückführen kann? Haben die Grünen darauf eine Antwort, gar einen Plan? Gibt es eine Nachhaltigkeit unter Ausschluss von Bevölkerungsmassen, die sich nicht in eine Kreislaufwirtschaft integrieren lassen?
Wie ich dazu komme? Schauen Sie sich den Redebeitrag der taz-Redakteurin Ulrike Herrmann aus dem vergangenen Januar an (ab Minute 11:50). Eigentlich mag sie den Kapitalismus, sagt sie, aber man will es ihr nicht ganz abnehmen. Zumindest stellt sie richtig fest: „Grünes Schrumpfen lässt sich nicht verbinden mit dem Kapitalismus. [...] Wenn wir hier wirklich klimaneutral werden wollen, dann ist das mit dem Fliegen vorbei. [...] Die Ökoenergie wird auch nicht für die privaten Autos reichen.“
Wenn man erst mal schrumpft, so Ulrike Herrmann, würden ganze Branchen nutzlos. In der neuen Welt der grünen Kreislaufwirtschaft wird nämlich alles obsolet, was auf Wachstum basiert. Sie nennt Banken, PR-Agenturen, Messe-Logistiker, Grafik-Designer. „Das sind alles Bereiche, die dann eigentlich überflüssig sind.“ Der Kernsatz ist: „Man muss sich klarmachen, dass Klimaschutz den totalen Umbau bedeutet. Da bleibt kein Stein auf dem anderen.“ Solche Klarstellungen braucht das Land.
Wie viele Menschen trägt die grüne Kreislaufwirtschaft?
Auch in den Ausführungen von Ulrike Herrmann finden sich stereotype Argumentationslücken. So ist ihre Erzählung von der grünen Kehrtwende als Verzicht auf Wachstum und als gesellschaftlicher Neuanfang einer deindustrialisierten Gesellschaft unvollständig, denn auch eine Kreislaufwirtschaft, wie sie die taz-Redakteurin beschreibt, ist auf Mikrochips, Spezialwerkstoffe und Beton angewiesen (Windräder, Recycling-Technik). Die Lebensmittelproduktion mit nicht intensiver Landwirtschaft (Verzicht auf Düngemittel, System-Pflanzen, Massentierhaltung) benötigt größere Ackerflächen und bringt weniger Erträge. Wenn man extensiv wirtschaften, nachhaltig Energie erzeugen und in einer Gesellschaft ohne Wachstum leben möchte, muss man zuerst die „Überbevölkerung“ in den Griff bekommen und Geburtenkontrolle betreiben. Denn in einer (nicht kapitalistischen) Kreislaufwirtschaft darf es auch bei der Bevölkerung kein Wachstum geben. Die Frage ist: Wie viele Menschen trägt die grüne Kreislaufwirtschaft?
Millionen Arbeitsplätze werden wegfallen, aber Ulrike Herrmann ist sich sicher, dass die Kreislaufwirtschaft genügend neue Arbeitsplätze schafft, zum Beispiel in den vielen Windparks oder zur „Aufforstung der Wälder“. Doch der weiße Fleck in der grünen Landkarte ist auch hier, ob solche niedrigschwelligen, kreislaufwirtschaftenden Gesellschaften überhaupt für 84 Millionen Deutsche, 750 Millionen Europäer, 8 Milliarden Erdenbewohner gedacht sind – oder ob da bevölkerungstechnisch am Rad gedreht werden muss.
Man wird an die misanthropischen Dystopien des Biologen Paul Ehrlich erinnert, der schon 1968 mit seinem Buch „Die Bevölkerungsbombe“ den „Fortpflanzungstrieb“ als evolutionär begründete Bürde des Menschen bezeichnete und das Bevölkerungswachstum mit einem Krebsgeschwür verglich. Auch der deutsche Volkswirt Niko Paech verbreitet in seiner Postwachstumsökonomie die Ansicht, dass moderne Gesellschaften ihr Wohlstandswachstum durch „Entgrenzungsmechanismen“ erlangen. Dieser „Expansionsrausch“ müsse durch eine „radikale Reduktion von Ansprüchen“ beendet werden.
Manche werden gleicher sein als andere
Ich glaube, dass wir seit Jahren der unbewussten Erzählung einer Zweiklassengesellschaft lauschen, in der es wieder Herren und Diener geben wird. Nur bleiben uns die grünen Ideologen die Antwort schuldig, wie denn die Eliten in einer Kreislaufwirtschaft herrschen wollen, wenn Demokratie und Menschenrechte eigentlich die freie Entfaltung des Individuums garantieren. Die Schilderung von Ulrike Herrmann beschränkt sich auf die Menschen, die verzichten müssen und im Mangel leben, denn auch regenerative Energien wird es nicht im Überfluss geben, das gibt sie unumwunden zu. Also werden wieder manche gleicher sein als andere, das scheint sicher. Aber die Frage nach der Freiheit bleibt offen, denn wenn jeder Mensch entscheiden darf, wie er leben möchte, ist die Idee der Schrumpfung und Bescheidenheit dahin.
Wenn das vollends ergrünte Deutschland wirklich die ganze Welt retten will, kann dieser Anspruch nicht auf Deutschland beschränkt werden. Im Gedanken eines deutschen Sonderwegs zur Klimaneutralität findet sich der logische Widerspruch, dass die neu zu schaffenden ökologischen Realitäten Deutschlands nichts zur Weltrettung beitragen können (man nimmt zwei Prozent CO2-Einsparung an). Der Rest der Welt scheint einen anderen Weg zu bevorzugen. Die grüne industrielle „Musterleiche Deutschland“ wird der Welt zeigen, was man auf keinen Fall machen sollte. Der Sonderweg mag klimaneutral sein, er führt aber für sehr viele Menschen in die Katastrophe.
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