Neulich vor der katholischen Kirche

Von Snorre Martens Björkson.

Nun ist es wieder so weit: Der Herbst kippt in den Winter, insbesondere im meist schneelos-grauen Norddeutschland zieht ein kalter Wind über die Fläche und alles – die Erde, die Wiesen, die Felder, die Brücken, die Häuser – bekommt eine steinerne Härte, selbst Flüsse scheinen unter dem Nebel wie eingefroren. Um 16 Uhr wird es dunkel, um 17 Uhr sieht man die Hand vor Augen nicht mehr. In dieser Jahreszeit ist der Norden nicht besonders schön, und wenn es eine Jahreszeit gibt, in der das Wort „Heimat“ schwer in der Waage liegt, dann diese. Man fragt sich eigentlich, warum man dies als Heimat ertragen soll und fühlt gleichzeitig, dass alles, was Heimat und Geborgenheit ausmacht, erst im Winter eine Rolle spielt. Im Sommer sind wir frei und brauchen keine Heimat.

Aber vor ein paar Tagen traf ich sie oder ein kleines Stück von ihr: Am 11. November holte ich mit dem Rad meinen Sohn vom Klavierunterricht ab und war ob der frühen Dunkelheit hauptsächlich nur froh, dass unser Licht ging. Schon vorher in der Stadt, wo ich zur Sparkasse geeilt war, waren mir die Gruppen singender Kinder aufgefallen. Natürlich wusste ich, dass Martinstag war, aber irgendwie hatte ich es vergessen, oder es war mir egal. Doch jetzt, als wir mit den Fahrrädern an der katholischen Kirche vorbeikamen, war es nicht mehr zu übersehen: Kinder und noch mehr Kinder mit Laternen und Signalwesten, dazu ein paar Eltern, die aufgeregt Lichter sortierten. Eine riesige Marchingbass-Trommel stand auf dem Steinpflaster und wartete auf das Zeichen zum Marsch durch Dunkelheit und Kälte.

Im Internet findet man dieser Tage andere Botschaften: Dort kursieren gutgemeinte Meldungen, dass wahlweise Pegida oder AfD oder überhaupt alle Konservativen nicht auf Weihnachtsfeiern erscheinen dürften, denn der heilige Martin wäre Ungar, der Nikolaus Türke und Jesus Aramäer gewesen. Diese Meldungen werden fleißig von Leuten weitergereicht, die die abendländische Kultur sowieso für alt-patriarchalen Mist halten, und so ist es kein Wunder, dass nichts davon stimmt: Martin stammte aus Pannonien, einer heiß umkämpften römischen Provinz aus einer Zeit lange vor den Ungarneinfällen. Noch weniger war Nikolaus ein Türke. Wenn man dem Oströmer denn eine kulturelle Nationalität zuordnen möchte, wäre er wohl am ehesten Grieche. Die Türken ritten zu dieser Zeit noch durch die asiatische Steppe und waren übrigens auch noch Anhänger ihrer eigenen Stammesreligion.

Erst umschreiben, dann verschwinden lassen

Jesus sprach zwar Aramäisch, das taten aber fast alle Juden damals. Hebräisch war eine reine Tempelsprache geworden und wurde erst durch die Neugründung Israels als Alltagssprache wiederbelebt. Warum ausgerechnet kritische Linke Jesus nicht einfach einen Juden sein lassen können, erschließt sich mir nicht, denn aus meiner Zeit als evangelischer Kirchenmusiker weiß ich sehr wohl, dass es noch genug Menschen gibt, denen das Jüdische an Jesus eine Zumutung ist. Dass die Aramäer übrigens heute zum Teil Nachfahren früher christlicher Gemeinden sind, steht auf einem anderen Blatt. Immerhin erkennt Israel sie als Minderheit an.

All dies zeigt jedoch, dass diese ganze moralisch aufgeladene Besserwisserei gespickt mit Unwissen eigentlich nur das eine Ziel hat: Es geht nicht darum, Rassisten wie jenen, die jüngst in Nürnberg ein Mädchen mit indischen Vorfahren nicht als Christkindl ertrugen, die gerechtfertigte rote Karte zu zeigen, es geht darum, die europäische Geschichte erst umzuschreiben und dann verschwinden zu lassen. So erleben wir Bürger es von Jahr zu Jahr. Vor zwei Jahren organisierte die Grundschule noch selber einen Laternenumzug, nun nur noch mit Mühe und Not und allerlei Gegenstimmen eine Adventsfeier (immerhin zu Lucia!). Ob es Aufgabe der Schulen ist, Brauchtum aufrechtzuerhalten, ist die eine Frage, sicher darf man sich aber schon angesichts derartiger Posts fragen, warum der Schule es immer weniger gelingt, die einfachsten historischen Grundlagen zu vermitteln. Dass daran gearbeitet wird, Europa kulturell zu entkernen, empfinde sicher nicht nur ich so.

So überfiel ausgerechnet mich, der ich schon vor Unzeiten aus der Kirche ausgetreten bin und mich selbst als spirituell veranlagten Atheisten bezeichnen würde, ein merkwürdig heimeliges Gefühl beim Anblick der Laternenschar vor der katholischen Kirche. Wer wirklich Antirassismus sucht, wäre dort am guten Ort gewesen: Dort stand die afrikanische Mutter mit der afrikanisch aussehenden Tochter neben den norddeutsch-blonden Zopfmädchen, neben dem polnischen Buben mit dem rot-braunen Wuschelkopf (ja, die gibt es, denn die katholische Kirche ist im Norden Diaspora-Gemeinde hauptsächlich für Polen). Alles eine Klangcollage aus „Moin“, „Hallo“ und „Czesc“ und dem Durchsprechen von Liedtexten und „Wann geht‘s los?“

Und dann sah ich ihn, ja wirklich ihn ... für eine Sekunde war ich sicher, dass er es war: Auf einem Pony saß ein Mann mit dunklem Stoppelbart und Römerhelm, die Hände in dicken Wollhandschuhen locker an den Zügeln des Tieres – und das abendländische Kind in mir rebellierte und ich rief, so laut ich konnte: „Hallo Martin, wir grüßen dich!“ Und sah noch im Vorüberfahren, wie er uns nachblickte, die Hand im dicken Wollhandschuh hob und meinen Gruß erwiderte. Ohne Zweifel war er es, und für einen Augenblick war mir das graue kalte Land wie eine Heimat ...

 

Snorre Martens Björkson schreibt Erzählungen, Romane, Hörspiele, Kindergeschichten, Theaterstücke und Songs. Er unterrichtet Klavier und leitet zwei Chöre. Privat beschäftigt er sich mit älterer Geschichte, germanischer Dialektologie und den besonderen kulturellen Wechselbeziehungen zwischen Deutschland und Skandinavien. Gedichte, Songs und Angaben zu Veröffentlichungen finden sich untercafemeolodie.de

Foto: Snorre Martens Björkson

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Karla Kuhn / 17.11.2019

“Ohne Zweifel war er es, und für einen Augenblick war mir das graue kalte Land wie eine Heimat ...”  Na hoffentlich wird der Arme Kerl jetzt nicht als “Nahzieh”  enttarnt und darf deshalb nächstes Jahr nicht mehr reiten ??  Die “Unwissenheit”  Synonym dafür Dummheit, Blödheit Dämlichkeit, Dreistigkeit etc., dieser “geschichtsbewußten”  ELITE”  hängt vielleicht mit dem neuen Bildungssystem zusammen ? Hauptsache das Genderklo ist bekannt, ansonsten wir rutschen doch im europäischen Wissensvergleich gerne auf den hinteren Platz !! Herr Wieland Schmied, hier auf der Achse wird Ihr Kloß im Hals,  wohl kaum als lächerlich empfunden ! Auch wenn ich nicht in Norddeutschland lebe den Kloß kann ich schon gar nicht mehr runterschlucken, der wird immer dicker ! Auch hier in Bayern, wie in allen anderen Bundesländern !  Bei IKEA kaufen wir schon gar nicht mehr !  EPOCHE TIMES,  02.11.2019 IKEA benennt WEIHNACHTSFEST “WINTERFEST”  und “DER WESTEN”  “WINTERFEST” satt “Weihnachtsfest” , Kunden rasten aus ! 05.11.2019.  SOWEIT sind wir also schon, daß ein AUSLÄNDISCHES Möbelhaus unser CHRISTLICHES WEIHNACHTSFEST verhöhnen darf !!

Karla Hoffman / 17.11.2019

Viele fühlen das so wie Sie.

Antonio Ponzio / 17.11.2019

Liebe Snorre Martens, wenn ich in der Weihnachtzeit vor einer kath, Kirchen stehe,  muss Ich hineingehen um die Krippe anzuschauen.In Italien in meine Kindheit und Jugend habe Ich das negativ und positiv von der Kath. Kirche. Erst neulich als Ich das buch-  Der Assisi Untergrund- gelesen habe , das hat Mich ein wenig mit der Kirche versöhnt. Vor der Krippe habe Ich das gleiche Gefühl wie Sie beim Martins Umzug. Ich Habe fertig. Tanti Saluti dal Atlantico Antonio.

Ernst-Günther Zimniok / 17.11.2019

Moin, vielen Dank für diese wunderbaren Worte und diese Geschichte. Sie haben mein Herz gewärmt und was man einmal gelernt bleibt. Viele Jahre unbemerkt, aber es bleibt. Nochmals vielen Dank und liebe Grüße in den immer schönen Norden, jetzt ist es sehr ruhig dort und das ist auch sehr angenehm!

Werner Arning / 17.11.2019

Ja, genau das ist Heimat. Heimat ist ein Gefühl. Eine Erinnerung. An etwas, was uns als Kinder tief bewegt hat. Ich erinnere mich ebenfalls an so einen St. Martins-Umzug. Diese Mischung aus Spannung, Ehrfurcht, etwas Ängstlichkeit. Da lag etwas Geheimnisvolles in der kalten Dunkelheit des durch die Laternen erleuchteten Ortes. Kinder brauchen solche Erlebnisse. Sie sind prägend und positiv besetzt. Diese Erlebnisse diskriminieren niemanden. Sie gehören zu unserer Tradition. Und Tradition ist gut. Tradition schafft Identität. Wer einmal einen religiösen Umzug in Spanien miterlebt hat, fühlt, wie wichtig diese Tradition für die Menschen ist. Sie darf nicht verlorengehen. Selbst wenn man sich für einen überzeugten Atheisten hält, auch für diesen haben solche Traditionen ihren Wert. Sie schaffen etwas Eigenes, welches uns verbindet. Sie schaffen Gemeinsamkeit und schützen gegen das Beliebige, gegen das Austauschbare, gegen die Identitätslosigkeit. Und es ist nicht gegen irgendjemanden gerichtet. Niemand wird ausgeschlossen. Auch Zugewanderte haben ihre Traditionen. Diese gesteht man ihnen ja auch ausdrücklich zu. Aber diese Zugewanderten werden die ersten sein, die Verständnis für unsere Traditionen haben. Sie würden nicht nachvollziehen können, wenn wir unsere Traditionen „ihnen zuliebe“ abschaffen würden. Meine Güte, ihr Linksgrünen, versteht ihr das nicht? Es ist alles gut. Lasst bestehen, was besteht. Nehmt den Menschen doch nicht weg, was vielen das Heiligste ist. Entspannt euch. Tut es der Welt zuliebe.

Jochen Brühl / 17.11.2019

Für Linke, die Religion nur in Genderismus und Klimabeeinflussung durch den Menschen denken können, ist die Überwindung der klassischen Religion fast ein logischer Schluss.

Andreas Müller / 17.11.2019

An meinem Wohnort (katholisch geprägtes Dorf) hatte ich interessantes Erlebnis mit den Sternsingern. Meistens bin ich am ersten Januarwochenende nicht zu Hause - wer nichts spendet, bekommt auch keinen Segen. Zweimal war jedoch ein junger Mann dabei, der etwas verstanden haben muß : Er segnete jedes Haus, unabhängig von einer Spende und der Anwesenheit der Bewohner !

Karl Dreher / 17.11.2019

Bei uns in einer mittelgroßen Stadt in Sachsen (rd. 50.000 Einwohner) klingeln alljährlich zu “Halloween” verkleidete Kinder und begehren “Süßes”. Ich erkäre ihnen jedes Mal, daß wir nichts haben, aber wenn Sie zu Sankt Martin wieder kommen, dann hätten (und haben) wir etwas für sie. Die Reaktionen zeugen regelmäßig von völliger Verständnislosigkeit, sinngemäß: “St. Martin”? => “Der mit dem Mantel auf dem Pferd, der ihn mit dem Bettler teilt” => ??? => “na dann: “Laternenumzug” => ??? Zu Sankt Martin hat bei uns leider noch kein Kind geklingelt ... Immerhin: Die Sternsinger kommen regelmäßig, singen schön und wir spenden gerne.

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