Hansjörg Müller / 22.11.2014 / 07:00 / 2 / Seite ausdrucken

Neues World Trade Center: Imperium in der Vertikalen

In ihrer ersten Expansionsphase dehnten sich die Vereinigten Staaten in der Horizontalen aus: «Westward the Course of Empire Takes Its Way», nach Westen nimmt der Weg des Imperiums seinen Lauf, lautet der Titel eines ikonischen Gemäldes des deutsch-amerikanischen Historienmalers Emanuel Gottlieb Leutze (1861), das bis heute das Treppenhaus des Washingtoner Repräsentantenhauses ziert.

Nicht einmal drei Jahrzehnte nachdem Leutze seinen Treck der Siedler, Pferde und Planwagen vollendet hatte, begann Amerika in vertikaler Richtung zu expandieren: 1888 wuchs in New York das Tower Building gen Himmel. 49 Meter mass das 13-stöckige Gebäude – ein Rekord, der nicht lange Bestand haben sollte. Immer höher wollten die Bauherren hinaus, denn Raum war knapp auf der schmalen Insel zwischen Hudson und East River.

Natürlich ist das Streben nach Höhe untrennbar verbunden mit dem Siegeszug des amerikanischen Kapitalismus. Doch Bürofläche, die sich in Mietzins ummünzen liess, war nicht alles, es ging auch ums Prestige. Warum sonst hätte Chicago, die neureiche Metropolis des Mittleren Westens, wo es nun wahrlich Platz genug gab, New York nach oben hinaus Konkurrenz machen sollen? Überall zwischen Atlantik und Pazifik wuchsen im Lauf des 20. Jahrhunderts kapitalistische Kathedralen empor, ausser in Washington, wo bis heute kein Gebäude das Symbol der politischen Macht, das 88 Meter hohe Kapitol, überragen darf.

Der fade, pseudo-intellektuelle Antiamerikanismus hat sich mit aller dekonstruktivistischen Erbitterung am Wolkenkratzer abgearbeitet: Das Bild vom Phallus lag allzu nah. Unvergessen bleibt jene Berliner Kulturfunktionärin, die sich, zwei Tage nachdem das erste New Yorker World Trade Center im Feuerbrand in sich zusammengesunken war, schwer beherrschen musste, um ihrer Genugtuung über den Untergang dieser «schlechthinnigen Symbole für Globalisierung, für Kapitalismus, für Weltmacht» nicht vollkommen freien Lauf zu lassen.

Dieser Tage, 13 Jahre nach 9/11, wird in New York ein neues World Trade Center seiner Bestimmung übergeben. Daniel Libeskinds Entwurf hat nicht die leicht frivole Verspieltheit des Chrysler Towers (1928), nicht die filigrane Monumentalität des Empire State Building (1931) und auch nicht die spiegelnde Eleganz der Seagram-Zentrale (1958). In der Geschichte von Amerikas vertikaler Expansion hat das Gebäude dennoch schon jetzt seinen festen Platz: Als Zeichen, dass sich die westliche Welt von den Feinden der Freiheit nicht schrecken lässt.

Zuerst erschienen in der Basler Zeitung

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Leserpost

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Markus Weber / 22.11.2014

Sehr geehrter Herr Müller, gegen Ende Ihres Artikels wird vollends unklar, ob Sie denn nun die Freiheit oder den Kapitalismus amerikanischer Prägung (turm-)hoch halten wollen. “Beides!” höre ich Sie im Geiste antworten, aber da scheinen Sie sich neueren Erkenntnissen und Beobachtungen vollends verschliessen zu wollen. Wenn Freiheit per se es einigen wenigen Grosskapitalisten erlauben soll, so reich zu sein, dass sich ganze Volkswirtschaften bei ihnen verschulden und sie bei jeder Richtungsentscheidung um ihr Plazet bitten müssen, dann ist eine solche Gesellschaftsordnung eines nicht mehr: eine Demokratie. Eher schon eine Plutokratie. Und in einer solchen, das wissen Sie sehr wohl, gibt es immer auch scharenweise Habenichtse mit de facto null Freiheiten (achso, ich vergass: die Freiheit, sich umzubringen haben sie natürlich jeder Zeit. “He says, it’s a free country.” “OK. Tell him, he is free to leave.”). Und wenn Sie sagen wollten “Den Kapitalismus in seinem Lauf halten weder Feuer noch Schwerkraft auf”, dann ehrt Sie das meinetwegen, aber es zeigt auch, dass die Anschläge vom 11. September 2001 für Sie in einer ganz eigenartigen Weise abgehandelt sind. Auf “verübt von den Feinden einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung” würde ich mich gerne noch mit Ihnen einlassen. Aber wer soll das im einzelnen gewesen sein? Weiss man das? Hat man die Täter schon bestraft? Es gibt die Version “die Araber waren’s” und die haben ihr Fett weggekriegt, wir (der “Westen” bis Vorderasien und Nordafrika, gelle!) hat sie ordentlich zusammengerummst. Jetzt haben sie was zu tun. So hohe lange Dinger wie wir kriegen die nicht hin. Weil: sind ja Araber. Nur glaubt das heute kein aufgeklärter Mensch mehr. Man kann sich - und einige meiner besten Freunde, die ich für nicht weniger gebildet halte als mich, tun das - in als Friedlichkeit getarnter Lethargie und Feigheit verschanzen à la: Gut möglich, dass die volle Wahrheit mehr als neunzehn Spargeltarzans mit Teppichmessern umfasst, aber besser, man stochert da nicht weiter nach, sonst können die Toten niemals ruhen und die Hinterbliebenen niemals wieder in ein normales Leben zurückfinden. Ich wünsche Ihnen ein intellektuelles Leben, das mindestens lang genug dafür ist, zu erkennen, dass die Zerstörung der Zwillingstürme an 9/11 auf das Konto einer sonderbaren Junta aus Kapitalisten und Bolschewisten geht. Ihnen bleibt bis heute nicht viel anderes, als einander um jeden Preis zu decken. Koste es eine Ukrainekrise, einen IS, eine Epidemie, einen Aufruhr in Ferguson, eine Finanzkrise…egal, Hauptsache Dauerausnahmezustand, sprich: Kriegszustand. Haben Sie sich einmal vergegenwärtigt, wo da mittelfristig die Freiheit des Individuums bleiben muss?

Aron Sperber / 22.11.2014

Gründen vernichten wollen, sondern Israel hätte aus ideologischen Gründen gar kein Interesse an einem “gemäßigten Iran”: https://aron2201sperber.wordpress.com/2014/11/21/gottesstaat-muss-so-oder-so-mit-satan-kooperieren/ Ein demokratischer Iran wäre zwar tatsächlich wünschenswert – insbesondere für die Iraner. Gerade Israel würde jedoch jedes iranische Regime, das bereit wäre, in Frieden mit Israel zu leben, akzeptieren.

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