Hubert Geißler, Gastautor / 12.02.2023 / 16:00 / Foto: Pixabay / 13 / Seite ausdrucken

Neues vom Schrauber: Die Wiederkehr der Wurstzipfel

Es gibt in unserem Land eine Schicht, über die, oder besser über deren zunehmendes Fehlen, viel geschrieben wird: die sogenannten Fachkräfte, Techniker, der gut ausgebildete Teil der produktiven Arbeiterschaft, hier kurz „Schrauber“ genannt. Heute geht es um verdeckte Armut in Deutschland.

Ich hatte es in einem der vorigen Beiträge schon erwähnt. Mein Schrauberbruder dreht jeden Montag eine Runde durchs Städtchen, im Rahmen eines Spaziergangs, bei dem im letzten Winter öfter mal mehr als 1.000 Teilnehmer durch die Kleinstadtidylle meines schwäbischen Heimatortes schlenderten. Diesen Marsch gibt es immer noch, bei allerdings sehr reduzierter Teilnehmerzahl: Corona rückt mehr und mehr aus dem Fokus, die „Maßnahmen“ werden zurückgefahren, und Söder hatte ja nie mit nix was zu tun. Ein harter Kern, so knapp über hundert, dreht aber weiter seine Runden, um sich dann bei Glühwein auf dem Marktplatz über die Lage der Nation zu unterhalten: Gespräche, die mich sehr interessieren, weil dort doch ungefiltert die Stimme des Volkes erschallt.

Man kennt sich, viele von der Volksschule seligen Gedenkens oder einfach aus den dörflichen Zusammenhängen einer doch sehr ländlichen Struktur.

Eine Bekannte meines Bruder, nennen wir sie Maria, was in Bayern fast immer stimmt, ist gelernte Metzgerin. Für eine Frau doch schon fortgeschritteneren Alters ein ungewöhnlicher Beruf: Die Dame ist bodenständig, wirklich emanzipiert und gerade heraus.

Interessant war, was sie neulich meinem Bruder berichtete: Fast 25 Prozent der Belegschaft ihres Unternehmens waren krankgemeldet, überwiegend Männer in ihren Fünfzigern, überwiegend wohl auch geimpft und geboostert. Man hörte von kardiologischen Problemen. Und: Weil Maria momentan im Verkauf eingesetzt ist, fiel ihr auf, dass viel Kunden nach sogenannten Wurstzipfeln zu reduziertem Preis fragten, angeblich für den Hund, aber weiß man’s. Das gab es durchaus in der Nachkriegszeit, die „Wurstzipfel“, der Preuße würde sagen „Mettenden“ wurden verbilligt abgegeben und dass diese nun vermehrt nachgefragt werden, legt so manchen Schluss nahe. Um es vorauszuschicken: Der Chef des Unternehmens hat die verbilligte Abgabe von Wurstenden verboten, das käme nicht infrage, er wolle das nicht.

Der alltägliche kleine Luxus hat schon Absatzprobleme

Für mich und meinen Bruder sind die „Wurstzipfel“ ein Krisensymptom. Es gibt doch einen nicht zu unterschätzenden Teil der Bevölkerung, die massiv unter den stark gestiegenen Lebensmittelpreisen leidet. Und: Auf dem flachen Land an eine „Tafel“ zu kommen, ist auch nicht so einfach. Die Quantität der Pfandflaschen ist natürlich auch begrenzt, dazu kommt im Kleinstadtmilieu noch das Moment der Scham. Man will nicht zeigen, dass man „es“ nötig hat. Ich bleibe hier noch bei Schrauber’s Speis und Trank. 

Schon seit DMarkzeiten fahren mein Bruder und ich gelegentlich gemeinsam in Urlaub, mit Vorliebe in deutsche Weingebiete, um da anständig zu proben und den Keller zu füllen. Nun ist auch der Preis des Rebensaftes in den letzten Jahren kräftig explodiert. Ich erinnere mich noch genussvoll an den Diabetikerriesling in der Literflasche von Weingut Schneider an der Nahe, für sage und schreibe drei Mark. Bei eigentlich nicht sehr veränderter, immer schon guter Qualität hat sich der Preis bis heute fast vervierfacht. 

Vor etwas 10 Jahren bekam man im Internet noch durchaus trinkbaren Stoff für etwa fünf Euro, heute muss man da eher acht bis neun dafür hinlegen. Das beansprucht natürlich das private Sondervermögen. Nun beobachten wir beide ein tsunamiartiges Anwachsen der Mailings der großen Weinversender und ein ebensolches der angebotenen Rabatte. Zum Normalpreis zu kaufen, ist mit anderen Worten geradezu dumm, mindesten muss da eine ordentliche Reduktion und noch ein Verkaufsanreiz der Art her wie: Bestellen sie heute und wir schenken Ihnen 10, manchmal 20 Euro. Man befindet sich in einer Art Dauerausverkauf.

Was schließen wir daraus? Der noch alltägliche Luxus, das Gläschen Wein am Abend, hat schon Absatzprobleme und ist zunehmend schwer unter die Leute zu bringen. Ich las mal einen Artikel, der glaubhaft ausführte, dass ein Winzer, nur um seine Produktionskosten reinzuholen, ungefähr sieben Euro für ein Flasche Wein verlangen müsse. Steillage, Handlese, man kennt das. Messerscharf geschlossen sind dann bei den Absatzstrategien schon einige Produzenten ansatzweise unter Wasser.

Unter Wasser wird bald ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung sein, das ist nicht schwer zu prognostizieren: Hypothekenzinsen, Grundsteuer und so weiter. Auf jeden Fall gilt: Der Wurstzipfel dürfte eine große Zukunft haben. Wir sind unterwegs zurück in die Fünfzigerjahre. Und das mittlere Segment des deutschen Weinbaus könnte auch in die Krise kommen. Erbarmen Sie sich, liebe Leser, das kann keiner wollen. 

Foto: Pixabay

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Leserpost

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Sam Lowry / 12.02.2023

Ich denke, dass viele Menschen an der Kleidung sparen, daher auch sehr viele ehem. Mode-Geschäfte mittlerweile leerstehend. Dann kaufen sicher auch viele so wie ich ihr Zeug bei Ämäs Son. Gestern mal wieder einen USB-Verteiler für 1,39 Euro inkl. Versand in China bestellt, brauche ich ja nicht heute. Warum sollte ich dafür in einem “Fachgeschäft” das Vierfache zahlen? Anlasser China-Roller ca. 20 Euro, “Fachgeschäft” mit Einbau sicher locker um die 100. Ich bin froh, schon immer alles zerlegt zu haben, um zu schauen, was da so alles drinsteckt. Zudem unterstelle ich vielen Firmen, dass sie heutzutage abzocken MÜSSEN, um überhaupt überleben zu können. Ohne mich.

Claudius Pappe / 12.02.2023

Die Leute verarmen und wählen rot, rot, grün und schwarz. ....Berlin….....Berlin….....Dummheit wird bestraft….......................

Andreas Elmshorner / 12.02.2023

Ich kauf nur Rosé, Verschnitt aus aller Welt, 1 Liter im Tetrapak zu 1,49. Mit 3 solcher Kartons kommt man locker durch den Tag und dick macht das auch. Hicks.

finn waidjuk / 12.02.2023

Und wen haben diese Hungerleider wohl gewählt? Gerade bei Ihnen im Schwäbischen? Ich würde diesen Zipfelklatschern auch keine Endstücke verkaufen. Leider merken die meisten Schafe erst was sie angerichtet haben wenn es ans Fressen geht.

sybille eden / 12.02.2023

Werter Autor, ich finde es prinzipiell gut wenn jemand einen erlesenen ( ... kommt das Wort von Weinlese ? ) Geschmack hat, aber bei EDEKA , NETTO und ALDI gibt es gute und trinkbare Weine, und zwar etwa von 3 bis 6 Euro ! Probieren sie es mal.

A.Schröder / 12.02.2023

Ein alter Witz aus meiner Kindheit: Fritzchen beim Fleischer, “für 20 Pfennig Wurstzipfel für den Hund, aber nicht von der Rotwurst, die ißt mein Vater nicht”.

Otto Nagel / 12.02.2023

Herr Geißler, prima, daß Sie meinen Vorschlag aufgegriffen haben und jetzt (jeden?) Sonntag aus dem Schrauberleben berichten. Bleiben Sie ruhig, “Schrauber” haben immer und überall ein gutes Auskommen ! Halten Sie sich an Ihren Bruder und uns auf dem laufenden.

Elke Siegmund / 12.02.2023

Das ist der Unterschied zwischen Bayern und Vorpommern - im hiesigen Famila-Supermarkt gab es diese nicht so dekorativen Wurstabschnitte schon seit Jahren in der Kühltheke, verschiedene Sorten, eingeschweißt. Jetzt nicht mehr. Ob man befürchtet, dass die Leute sonst von der anderen Wurst nichts mehr kaufen?

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