Hubert Geißler, Gastautor / 10.12.2023 / 16:00 / Foto: Pixabay / 8 / Seite ausdrucken

Neues vom Schrauber: Die Lehrjahre der Chefs

Beide Chefs meines Bruders sind in längst vergangenen Zeiten von ihm als Lehrlinge ausgebildet worden. Er schonte sie nicht, aber so lernten sie was. Ein Modell, das inzwischen leider ausgedient hat, obwohl es nötig wäre – vor allem in der Politik.

Unlängst fand das obligatorische Weihnachtsessen für die Mitarbeiter der Firma meines Bruders statt. Natürlich wählte man ein angesagtes italienisches Lokal mit einem kulinarischen Komplettprogramm, das von Antipasti über Scampi und Carne bis hin zum finalen Espresso und Grappa in mehrfacher Ausführung reichte. Es gab viel zu feiern, denn der Umsatz der Firma im letzten Jahr ist nicht unerheblich gestiegen. Eingeladen waren neben den Chefs nebst Gattinnen die Rentnergang und auch weitere Teilzeitkräfte. Das Konzept der Firma, Aufträge schnell abzuarbeiten, dafür aber etwas mehr Geld zu verlangen, scheint aufzugehen, da immer mehr lokale Großbetriebe auf der Kundenliste stehen.

Wie üblich bei solchen Gelegenheiten schwelgten wir in Erinnerungen, die durch geistige Getränke an die Oberfläche des Bewusstseins blubberten, wie das CO2 in einem Eifelmaar. Bemerkenswert ist, dass beide Chefs meines Bruders in längst vergangenen Zeiten von ihm als Lehrlinge ausgebildet wurden. Mein Bruder berichtete, dass er, sagen wir es so, nicht immer übertrieben nett zu ihnen war. Es gab berüchtigte Feilaufgaben, die offensichtlich nicht immer auf enthusiastische Gegenliebe bei den beiden Auszubildenden stießen. Nun, die Reibereien sind vergeben und vergessen, aber im Rückblick gaben die Chefs doch zu, dass ihnen die Triezereien meines Bruders nicht geschadet hätten.

Da mein Bruder während seiner Ausbildungszeit die Grundausbildung in einer Lehrwerkstatt mit zwei Meistern durchlaufen habe, die in der Wehrmacht gedient hatten, war dies prägend. Durch das Bestehen auf sehr hohe Qualität und diszipliniertes Arbeiten stießen ihre Anforderungen auch bei den Lehrlingen nicht auf Begeisterung. Die Ablehnung der zur Kontrolle vorgelegten Arbeit war häufiger als die Erlaubnis, den nächsten Arbeitsschritt an den Teilen durchzuführen. Bei Ergebnissen außerhalb der Toleranzen wurde gnadenlos das Ganze nochmals gemacht. Wie mein Bruder sagt:

Hilfreich: Ein Bootcamp für Politiker

„Mir war bewusst, dass die Schulzeit mit der mehr oder weniger freundlichen Benotung vorbei ist und es nur noch darum geht, innerhalb der geforderten Leistung zu arbeiten, ob es mir Spaß macht oder nicht, und ob dabei Blasen an den Handballen entstehen oder nicht. Es ging nicht nur um das Erlernen und Üben handwerklicher Fähigkeiten, sondern auch um das disziplinierte Abarbeiten auch nicht geliebter Arbeit. Das führte dazu, dass ich solche Aufgaben mit besonderem Fleiß erledigte, um sie hinter mich zu bringen, und dabei immer meinen Hirnkasten anregte, eine bessere Methode zu finden.

Deshalb hatte ich bei meinen Chefs wenig Nachsicht und ließ sie trotz ihrer Hinweise, dass man den ,Scheiß‘ sowieso nicht mehr gebrauchen könne, die Dinge, wenn es erforderlich war,  von vorne beginnen, auch mit dem sarkastischen Hinweis, dass man durch das auf das Werkstück gelegte Haarlineal den Kirchturm der Nachbargemeinde sehen könne – einen Spruch, den sie auch nach 20 Jahren noch kennen und der geradezu wehmütige Erinnerungen an die vergangene Jugend auslöst.

Der eine meiner Chefs, Sohn des Firmenbesitzers, ließ ein Werkstück von einem Fräser geradefräsen und machte dann ein paar Feilspuren darauf. Zu seiner Verwunderung flog dies immer auf, und mein Kommentar lautete dann: ,Die Maschine hat das gut hinbekommen, jetzt möchte ich dasselbe von dir mit der Feile sehen.‘

Der Metallgrundkurs ist das Bootcamp für angehende Mechaniker, um den Wechsel der Einstellung vom Schüler zum Facharbeiter zu fördern. Ich glaube, dass auch in anderen Bereichen ein solches Art von Bootcamp sehr hilfreich wäre, zum Beispiel bei Politikern, die immer glauben, sie seien die Elite, und im Falle von Problemen zum Steuerzahler laufen und verlangen, dass dieser ihnen aus der Patsche hilft. Es wird Zeit, dass diese Menschen endlich Qualität und Leistung erbringen und durch effektiven Einsatz der Mittel die Lasten für den Steuerzahler reduzieren, anstatt immer mehr zu fordern. Wenn ihnen das zu schwerfällt, die Werkbank aufgeräumt zu verlassen, sollten sie sich einen anderen Job suchen.“

Das war der O-Ton meines Bruders.

Heutzutage geht die Entwicklung nahtlos von der Krabbelgruppe ins parlamentarische Dasein über. Bei Naturvölkern gab es noch sogenannte Initiationsriten, die auch schmerzhaft sein konnten, um den Übergang in eine andere Reifestufe zu markieren. Heute fehlt das, und man kalibriert eben die Work-Life-Balance. Ob es darüber bei künftigen Weihnachtsessen so viel zu erzählen oder auch zu lachen gibt, scheint fraglich.

 

Hubert Geißler stammt aus Bayern und war Lehrer für Kunst/Deutsch/Geschichte. Er schreibt diese Serie zusammen mit seinem Bruder. 

Bernhard Geißler gehört zu den sogenannten Fachkräften und Technikern, also zum gut ausgebildeten Teil der produktiven Arbeiterschaft, hier kurz „Schrauber“ genannt. Der arbeitet viel, kommt aber selten zu Wort, was diese Serie ein wenig wettmachen will.

Foto: Pixabay

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Leserpost

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Sam Lowry / 10.12.2023

Ich habe eine gut dotierte Lehrstelle sausen lassen, weil eben dieses schwachsinnige “Feilen” auf der Liste stand, dass eine Maschine deutlich genauer und schneller erledigen kann. Warum also die Lehrlinge nicht an dieser Maschine einweisen? Es ist eben einfach nur Schikane im Sinne von “Ich Chef, Du nix!”. Nicht anderes. Ich habe fertig!

Prisca Kawubke / 10.12.2023

Ich kann die hier teilweise anzutreffende Euphorie über manche Härten des Lehrlingsdaseins ebenfalls nicht nachvollziehen. Für Gesellen einzukaufen steht in keinem Ausbildungsrahmenplan, dient vielleicht dem Gruppenzusammenhalt, sollte in meinen Augen aber von ALLEN Teammitgliedern gemacht werden. Ich habe auf verschiedenen Arbeitsstätten und aus dem Erzählen von Bekannten/Freunden sowohl über Studium als auch Ausbildung mitbekommen, wie schädlich es für junge Menschen sein kann, zumindest temporär, wenn sie “gebrochen” werden. Insbesondere eine frühere Freundin, die Schauspiel studierte, hatte hier ziemlich was zu ertragen - jemanden “zu brechen”, war nämlich das erklärte, explizit vorgetragene Ziel einer Dozentin, und auch die anderen Dozenten waren nicht zimperlich. Ansonsten: Eine Bekannte, die in der Tischlerausbildung Zeugin war, wie der Ausbilder Zangen hinter den Auszubildenden herwarf; Kochlehrlinge, die vor aller Augen und Ohren in der Küche beschimpft wurden; eine Schulkameradin, die in der Verwaltungsausbildung fast jeden Tag zu Hause heulte, weil sie auf Arbeit wie Scheiße behandelt wurde. Ja, alles keine Herrenjahre, ist klar, aber muss man deshalb gleich ein Sklave sein…? Nee danke, man kann auch mit Auszubildenden ordentlich umgehen, und ein Auszubildender, der geohrfeigt wird, sollte wohl erstens Strafanzeige stellen und zweitens den Laden wechseln. Ach übrigens: Auch im Studium muss man sich durch Sachen durchfressen, die man nicht mag, sogar in den Geistes-/Sozialwissenschaften. Und auch hier gibt es miese Arschlöcher unter den Professoren, die einem das Leben verleiden möchten. Alles selbst erlebt.

Yehudit de Toledo Gruber / 10.12.2023

Endlich mal wieder ein toller Beitrag von Ihnen, sehr geehrter Herr Geißler. Da habe auch ich mich sofort an diverse “Lehr- und Studienjahre” zurück erinnert. Während meiner früheren Schuljahre gab es ja noch Ohrfeigen, daß man aus der Bank fiel. Tja, und die Sprüche von den Lehrjahren, die keine Herrenjahre sind, kenne auch ich aus dem Dresdener “Vorzeigebetrieb der sozialistischen Produktion”, dem VEB Pentacon. Dorthin, in die riesige Werkhalle der damals hochmodernen, schwedischen Halbautomaten (für die weltberühmten Reflex-Kameras), wurde ich eine zeitlang “strafversetzt” und hatte das Bohren, Senken, Fräsen, Schrauben und Drehen zu lernen - unter sagenhaftem Gelächter der gut ausgebildeten, halbstarken Kerle!  Einer von ihnen schenkte mir damals, ob aus Mitleid oder Anerkennung, ich habe es leider nie herausgefunden, eine wunderschöne, hand- geschmiedete Rose.  Die schmückt noch heute eines meiner Bücherregale - Seufz.

Birgit Hofmann / 10.12.2023

Meine Ausbildung( Augenoptik ) war Anfang der 70ziger, Boomtown in Germany, nach der Berufsschule noch in die Firma, Chefken war sehr grosszügig und so habe ich mir meinen Führerschein zusammen gespart, als Lehrling gab es ja damals nicht viel… Ansonsten galt : Lehrjahre sind keine Herrenjahre , da mussten schon mal die Mülltonnen auf dem Hof gereinigt werden,  die Werkstatt Tische wurden noch gewachst etc, den halben Tag Einkäufe für die Gesellen tätigen….geschadet hat es mir im späteren Berufsleben wahrlich nicht. Dafür öfter mal Bierchen nach Feierabend mit den Kollegen, war irgendwie eine tolle Zeit. Ich denke gerne daran zurück.

Dr. Ralf Mühlbauer / 10.12.2023

Vielen Dank für diesen Artikel, er hat ein paar Erinnerungen an mein Maschinenbaupraktikum geweckt. Das lief an der RWTH Aachen über 26 Wochen und ich hatte das Glück, in der Lehrwerkstatt von Rheinbraun zu praktikummieren. Wir durchliefen eine komprimierte Ausbildung mit allen Bearbeitungsstationen und der Ton der Meister war durchgängig freundlich, aber in der Sache deutlich bis vernichtend. Später ging es an die großen Maschinen und wir assistierten den Facharbeitern. Und weswegen ich das hier schreibe, ist der Spruch, den mir ein Bohrwerksfräser (ich hoffe, die Bezeichnung ist korrekt, das Ding konnte so ziemlich alles außer Schweißen) mitgab: “Wenn hier einer von den Chefs runterkommt und blöd quatscht, stell ich mir den einfach nackt vor” Ich gestehe, ich habe dieses in den folgenden Jahren mit guten Resultaten sehr oft beherzigt. Bei unseren Regierenden fällt es mir allerdings nicht leicht..

Roy Bush / 10.12.2023

Zur Zeit der Maulschellen war Deutschland eine Hochburg der Ingenieurtechnik, Handwerkskunst Und Made in Germany war kein Produkt von Genderei oder Plapper Studiengängen.

Gerd Quallo / 10.12.2023

Bootcamp. Initiationsriten. Hallo! Kehren wir doch am besten zur guten alten Maulschelle zurück. Man kann’s auch übertreiben mit dem “Früher war alles besser!”. Wäre mir ohnehin neu, dass das Prinzip Holzhammer besser funktioniert als die didaktisch begabte Methode eines verständnisvollen Chefs mit natürlicher Autorität. Oder gilt hier das sozialistische Prinzip, wir scheren alle Auszubildenden über denselben Kamm?

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