Gastautor / 16.04.2016 / 06:30 / 5 / Seite ausdrucken

Neue Serie: Vom falschen Verständnis der Nächstenliebe (1)

Von Marei Bestek.

Nächstenliebe. Kein anderes Wort geistert momentan durch mehr Diskussionsrunden und Debatten. Sie gilt als Lösung all der Herausforderungen, die die Flüchtlingskrise mit sich bringt und mehr noch: sie wird schamlos jedes Mal dort eingesetzt, wo sachliche Diskussionen im Kern erstickt werden sollen, um so den Gesprächsgegner vornehmlich ruhig zu stellen. Denn die Nächstenliebe ist unser aller Retter. Sie zwingt sogar die Terroristen in die Knie! Ach, würden nur endlich mehr Deutsche nach dem Gebot der Nächstenliebe handeln! Leider hat der heutige Gebrauch und die unentwegte Forderung nach Nächstenliebe nur noch sehr wenig mit ihrem ursprünglichen (christlichen) Verständnis zu tun. Dass sie im Gegenteil meist missbraucht wird und für noch mehr Leid sorgt, versuche ich in  der folgenden Serie zu verdeutlichen.

Hilf deinem Nächsten - vom Übernächsten war nicht die Rede

Wie das Wort ‚Nächstenliebe‘ schon sagt, sollen wir unseren Nächsten helfen. Das sind zum einen einmal Familie, Freunde, Verwandte und Bekannte, zum anderen aber auch die Menschen, die uns in unserem alltäglichen Leben physisch am nächsten stehen. Das kann der Bettler vor unserer Tür sein. Oder die alte Dame an der Supermarktkasse. Aus „Hilf deinem Nächsten.“ wird nun aber „Hilf nicht deinem Nächsten, sondern deinem Übernächsten. Am besten aber deinem Überübernächsten.“ Kurz um: es zählt nicht mehr der direkte und persönliche Kontakt, das direkte Gegenübertreten, sondern die bloße Idee des Helfens. Der Empfänger der Hilfe bleibt dabei oft im Verschwommenen, es zählt die bloße Befriedigung des eigenen Gewissens. Was völlig vergessen wird: Auch unsere Überübernächsten haben Menschen, die ihnen selbst am nächsten stehen. Meistens haben diese Menschen auch eigene Vorstellungen und Erwartungen an Hilfeleistungen, die ihrem Kulturverständnis und -kreis angepasst sind. Der unbedingte Wunsch der westlichen Welt Hilfe leisten zu wollen, richtet oft langfristig gesehen Schäden an. Natürlich trägt die Globalisierung der Welt dazu bei, dass wir alle näher zusammenrücken und sich unser Verantwortungsgefühl erweitert. Trotzdem darf dabei weder unser Gespür für die Differenzierung, Unterteilung und Abstufung unserer Nächsten und Übernächsten verloren gehen, noch die Überprüfung von Nachhaltigkeit und Fruchtbarkeit unserer Hilfe.

Morgen in Teil 2: Bitte nicht beim Nachbarn klingeln

Marei Bestek (25) wohnt in Köln und hat Medienkommunikation & Journalismus studiert.

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Leserpost

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Helmut Driesel / 18.04.2016

  bibel-online.net liefert auf die Suche nach “Liebe Deinen Nächsten” 15 Ergebnisse, die es sich lohnt alle bis unten durchzulesen. Das älteste davon in 3. Mose, was wohl bedeutet, dass es definitiv keine ursprünglich christliche Tugend gewesen sein kann. Wie das? Wollen unsere Bischöfe heute mit jüdischem Kulturgut prahlen? Ganz zu schweigen davon, wieviel die Evangelisten, die die biblischen Texte verfassten, von der Welt und Europa wussten. Die “Nächsten” waren dort in der unbekannten Ferne jedenfalls nicht. Insofern ist der heutige inflationäre Gebrauch des geflügelten Wortes eine Umkehrung des originalen. Besser passt schon die Erwähnung der Züchtigung aus Ausdruck der Liebe an anderer Stelle. Die Bibel hat eben für jeden Geschmack etwas passendes.

Gertraude Wenz / 16.04.2016

Was immer wieder übersehen oder gar nicht gewusst wird, wenn man von christlicher Nächstenliebe spricht, ist die Tatsache, dass die Nächstenliebe sich im Judentum, und so sah es auch Jesus als frommer Jude, nur auf andere Juden bezog. Auf den Fremden, den Ausländer, bezog sie sich gar nicht.

Gernot Radtke / 16.04.2016

Sich fordernd, dreist, verächtlich, verschlagen, aggressiv usw. zu verhalten, ist der sichere Weg, es sich mit dem, der aufrichtig helfen will, zu verderben. So muß es auch sein, denn schlechtes Benehmen und Undankbarkeit dürfen nicht auch noch belohnt werden. Der Staat tut aber genau dies, wenn er Mildtätigkeit und Großmut zu einer kollektiven ‚Tugend‘  macht, die er unter Preisgabe aller pragmatischen Selbstbeschränkung rücksichtslos und bis ins Gigantisch-Nichtmachbare erzwingt. Deutschland ist unter Merkel zu einem rechtsbrecherischen Tugend- und Sozialtotalitarismus verkommen, der unser früher in vielem vorbildlich organisiertes und liebenswertes Land zerstören wird. Die persönliche Moral untergräbt er auch. Warum soll ich noch persönlich etwas abgeben, wenn der Staat sowieso alles regelt und mir über Steuern/Abgaben/Umverteilungen das Privatbudget kürzt, das ich für Mildtätigkeit (‚Caritas‘) eigentlich vorgesehen hatte?  Erzwungene Moral führt zum Ende aller Moral, ist keine Kultur, sondern die Vernichtung derselben und endet in Hauen und Stechen. Linke Weltrettungspolitik ist ein todsicheres Untergeherprojekt für den, der sie betreibt.

Hermann Neuburg / 16.04.2016

Ich weiß nicht, ob die Autorin einen wesentlichen Aspekt in den nächsten Teilen thematisieren wird, daher hier meine Anmerkung. Es gibt das Wort “Religionsfreiheit” nicht im Grundgesetz - es ist eine zusammenfassende Erfindung des Bundesverfassungsgerichts - und: es gibt das Wort “Nächstenliebe” nicht in der Lutherbibel - unter http://www.bibel-online.net/ (Lutherbibel von 1912) kann das gerne nachkontrolliert werden.  Was steht denn nun drin, also, was hat Jesus denn nun genau gesagt?  “Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.”  Also geht es 1.) nicht um ein “Programm” sondern um konkretes menschliches Handeln - es ist ein Verb, ein Tu-Wort: Lieben!  Und 2.) das noch viel Entscheidendere: Du sollst dich selbst lieben!  Du kannst deinen Nächsten nämlich nicht lieben, wenn du dich nicht selbst liebst! Und je mehr du dich selbst liebst, desto mehr kannst und sollst du den anderen lieben. Aber du sollst eben nicht nur den Nächsten lieben. Wie weise der Prediger Jesus doch war - wieder einmal seiner Zeit sogar über den heutigen Tag voraus. Der Mensch darf, ja soll an sich denken, im theologischen Sinne soll er erst sich und Gott lieben um dann diese Liebe auf den Nächsten übertragen zu können - ohne das Erste geht das Zweite nicht. Ein Pastor hat das in einer Predigt einmal thematisiert. Nichts dazu aber von den Kirchenoberen, daher bin ich aus der Ev.-Luth. Kirche ausgetreten, da sie zu sehr politisiert (wie auch die Katholische Kirche). Durch diese Verkürzung und Substantivierung bekommt “Nächstenliebe” eine Art ideologisches Programm und entstellt und verkürzt auf dramatische Weise. Worte, Sprache, wie hier auf der Achse schon mehrfach thematisiert, sind Mittel, Macht auszuüben. Wenn nun das “ich soll mich selbst lieben”, substantiviert: die Selbstliebe, weggelassen wird, auch gerade von den politisierenden obersten Bischöfen der beiden Kirchen, dann wirft das Fragen auf, warum? Sind sie in erster Linie die Hirten der Über-Übernächsten? Sollen wir uns selbst nicht lieben, wir bösen Nazi-Deutschen? Das steht im krassen Widerspruch zur Lehre Jesu Christi, der sehr wohl bei allen Menschen ist und für alle Menschen gestorben ist. Die christliche Lehre, gerade im Bekenntnis nach Marin Luther ist eben gerade kein Gesetzesbuch und sie darf nicht reduziert werden auf konkrete Handlungsanweisungen: Es ist die Liebe. die Liebe zu den Menschen, zu sich selbst, zu seinem Nächsten und so weiter - mehr nicht. Und jeder einzelne Mensch muss mit sich und seinem Gewissen, und als Gläubiger mit Gott, klären, was richtig ist - dazu kann, ja soll er selbst lesen. Vorgaben durch die Kirche, was richtig und falsch ist, das hatten wir schon einmal: bis zum Jahr 1517 - die Zeiten sind vorbei, Gott sei Dank!

Verena Degener / 16.04.2016

Es war schon immer beliebter, sich dem “fernen Nächsten” zu widmen, statt sich um die Menschen zu kümmern, die einem wirklich anvertraut sind. Den Anblick von Obdachlosen in unseren Straßen, von Altersarmut oder von hungernden deutschen Schulkindern aus sozial schwachen Familien haben wir viele Jahrzehnte recht gut “ertragen”, während uns Fremde aus aller Welt nun um den Schlaf bringen. Sehr sonderbar!

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