Sabine Mertens, Gastautorin / 08.07.2020 / 16:00 / Foto: Tomaschoff / 50 / Seite ausdrucken

Neue Eskalationsstufe des Neusprechs

Von Sabine Mertens.

"... es ist Zeit, daß man weiß!

Es ist Zeit, daß der Stein sich zu blühen bequemt,

daß der Unrast ein Herz schlägt

Es ist Zeit, daß es Zeit wird.

Es ist Zeit."

(Paul Celan)

In meinem Geburtsjahr 1957 beschloß der Deutsche Bundestag das Gleichberechtigungsgesetz, während die dunkle Seite der deutschen Geschichte in meinem Rücken lag wie ein Wald, dem ich bei hereinbrechender Dunkelheit nur knapp entronnen war. Gendersprache hörte ich zum ersten mal Mitte der 1970er Jahre, als streitlustige Berliner Feministinnen das unbestimmte Pronomen "man" versuchsweise durch "frau" ersetzten. Wenige Jahre zuvor hatten Feministinnen in Amerika den Begriff "history" in "herstory" umgeformt.

...es ist Zeit, dass man weiß!

Seitdem wird immer deutlicher, daß auf lange Sicht die weibliche Perspektive die männliche leider nicht ergänzen, sondern ersetzen soll. In Deutschland ist nach den historischen Erfolgen wie Reformen des Ehe- und Familienrechts, der Einführung des Rechts auf Teilzeitarbeit u.v.m. der Feminismus salonfähig, ja – von der breiten Öffentlichkeit weitestgehend unbemerkt – strukturbildend geworden. Ein Vierteljahrhundert nach der zweiten feministischen Welle ist Sprache und ihr politisch erwünschter Gebrauch nach amerikanischem Vorbild zum schärfsten Schwert des (sehr heterogenen) Feminismus geworden. Mit seinen Genderidentitätspolitiken polarisiert er ganze Gesellschaften und treibt deren Spaltung bei allen zukunftsrelevanten Themen willentlich voran. Dabei wird er flankiert von Schwärmen immer neuer Opfergruppen, die neben der bunten Flagge der sexuellen Vielfalt für jede sexuelle Spielart von bi-, inter-, trans-, a-, poly oder pansexuell über non-binär, genderqueer, genderfluid, a- oder transgender bis intersexuell eine eigene Flagge haben.

Seit der UN-Weltfrauenkonferenz 1995 heißt das politische Programm "Gendermainstreaming". Es gilt parteienübergreifend und ist in Deutschland eine hochalimentierte "Querschnittsaufgabe". Vom institutionalisierten Geschlechterkampf und von der Abschaffung des Allgemeinguts durch zwanghafte Sexualisierung aller Lebensbereiche ernähren sich nicht nur radikalfeministische Gallionsfiguren wie die Amerikanerin Judith Butler, sondern auch bei uns eine stetig wachsende Phalanx von Gleichstellungs- und "Diversity"-beauftragten. Sachsen präsentierte für 2020 den "ersten geschlechtergerechten Haushalt", in dem über 5 Milliarden Euro allein für Genderziele (GG2, GG1) veranschlagt sind. An vorderster Front wird Sprache besonders von den "Grün*innen" instrumentalisiert, um Bürgern die totalitäre Ideologie des Feminismus als Das-neue-Besser beizukloppen. Sie legten sich bei der Delegiertenkonferenz 2015 verpflichtend auf den Genderstern fest, IS-Kämpfer*innen und Tagelöhner*innen inklusive. Sprache sei ungerecht. Sie mache Frauen (und andere Benachteiligte) "unsichtbar", heißt es. Als Entschädigung für Jahrtausende gefühlten Unrechts und angesichts der vermeintlichen Geschlechtervielfalt wurde die Mär bzw. totalitäre Metapher von der "geschlechtergerechten Sprache" erfunden.

Eine Behauptung wie die von der Geschlechtervielfalt wird nicht richtiger, je öfter man sie wiederholt. Vielmehr verweist ihre penetrante Wiederholung auf eine versteckte Agenda, hier die Aneignung bzw. den Missbrauch von Machtpositionen. Die Vielfaltsapostel streben nach Erziehungsgewalt, Weisungsbefugnis, Definitions- und Budgetmacht. Was im überholten autoritären Erziehungsmodell das Stück Seife war, mit dem man unangepassten Kindern den Mund auswusch, sind in der heutigen Volkserziehung Regeln für politisch korrekten Sprachgebrauch inklusive dem (ver-)queeren Gendersprech.

Wer sich damit befasst, kommt aktuell nicht umhin, eine neue Eskalationsstufe in der medialen Verabreichung des Neusprechs zu bemerken. Einige Genderfunktionäre mit Arbeitsverträgen in öffentlich rechtlichen Medien missbrauchen neuerdings ihre Sendezeit gezielt dazu, die Ohren von unbedarften Zuschauern und Hörern mit neuen Genderspitzfindigkeiten zu piesacken. Anstatt der bisherigen Doppelnennungen der Geschlechter, oder neutralisierenden Verlaufsformen wie "Studierende" oder "Zufußgehende", probiert man nun, wieviel mehr Aufmerksamkeit zu erzielen ist, wenn man als generische Form ausschließlich weibliche Formen gebraucht, nach dem hämischen impliziten Motto: Die Männer dürfen sich gern "mitgemeint" fühlen. Die Krönung des Genderneusprechs ist derzeit der glottale Stop. Er soll die "Geschlechterkluft" hörbar machen. Die Lücke wird als kleine Pause innerhalb eines Wortes eben da inszeniert, wo sonst die Schriftsprache wahlweise mit Sternchen, Unterstrich oder Binnen-I gehexelt wird.

In ARD, ZDF oder DLF wimmelt es nur so von "Politiker[Pause]innen", "Forscher[Pause]innen", "Künstler[Pause]innen" usw., und wenn Anne was will, schreckt sie nicht mal vor der Genderisierung von Eigennamen zurück. Mit süffisantem Grinsen stellte sie einen Studiogast vom "Bund der Steuerzahler[Pause]innen" vor.

Es ist Zeit, dass der Stein sich zu blühen bequemt

Gendermainstreaming ist völlig ohne Legitimation des Volkssouveräns zum politischen Programm erhoben worden, das nun auf Biegen und Brechen durchgeboxt werden soll. In politischen Gremien, Universitäten, Bildungseinrichtungen und Unternehmen wird gendersprachlicher Anpassungsdruck ausgeübt, den man nur als Nötigung bezeichnen kann: Politisch unliebsam gewordene Begriffe wie Mann und Frau werden (nach amerikanischem Vorbild) durch geschlechtsneutrale Begriffe wie Person ersetzt, Mutter und Vater durch Nichtworte wie Elter 1 und 2 (parent). Anträge für Forschungsgelder, studentische Abschlussarbeiten usw. werden nur noch in gegenderter Form zugelassen. Und dass man als Autor in korrektem Standardhochdeutsch gedruckt wird, ist lange nicht mehr selbstverständlich. Unlängst wollte mich ein großer österreichischer Schulbuchverlag unter Androhung der Nichtveröffentlichung meines Fachbeitrags zum Gendern zwingen. Der Nötigungserfolg besteht darin, dass ich acht fragliche Stellen neutralisieren musste, damit mein Artikel ungegendert erscheinen durfte. Anstatt „Mitarbeiter wurden gekündigt" schrieb ich „Personal wurde gekündigt" usw.. Unnötig zu erwähnen, dass "Personal" nicht dasselbe ist wie "Mitarbeiter" im Plural, und nicht mal das Gleiche. Aber nur so kam der Beitrag ins Heft.

Es ist Zeit

Sprechen ist Denken. Sprachlenkung ist Gehirnwäsche. Die ist ein Merkmal politisch instabiler Systeme auf dem Weg zur Diktatur, resp. von Diktaturen selbst. Nötigung – Anwendung von Gewalt und Drohung mit einem empfindlichen Übel – ist in Deutschland nach §240 StGB strafbar. Es ist Zeit, die Rechtswidrigkeit solchen Gebarens gesondert festzustellen. Genderlobby und ihre Lakaien heucheln Freiwilligkeit des Gendersprechs, während ihre würdelosen Methoden die Demokratie nicht nur gefährden, sondern zersetzen. Wo wegen Quotenregelungen Frauen bevorzugt und Männer benachteiligt werden, oder wo ein verweigertes Bekenntnis zur verordneten Sprachdoktrin zum Malus bei der Existenzsicherung wird, ist die ideologische Vergiftung des Systems schon weit fortgeschritten. Bei den Grundrechten ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eins der wichtigsten Rechtsstaatsprinzipien. Gendermainstreaming verletzt diesen auf allen Ebenen. Es ist nachweislich nicht geeignet, das angestrebte Ziel (Gleichstellung) zu erreichen, denn dagegen steht u.a. die Kontingenz der menschlichen Natur.

Ergebnisgleichheit ist nicht erforderlich, um Menschenrechte zu gewähren oder Gleichberechtigung und Chancengleichheit herzustellen. Die angewendeten Mittel sind unverhältnismäßig. Es ist Zeit, dass wir innehalten, zusammenkommen, reden, und gemeinsam Entscheidungen treffen, die von allgemein menschlichem Interesse sind.

Foto: Tomaschoff

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Uta Buhr / 08.07.2020

Dieser Irrsinn erinnert stark an das Peter-Prinzip. Er hat allerdings bereits seinen Zenit weit überschritten. Dennoch wird von den Öffis munter weitergemacht. @Ulrich Jäger: Dass von der dümmlich unbedarften Annalena ein solcher Hirnschiss kommen musste, ist doch völlig klar. Wir werden sicherlich noch weitere Sternstunden ihres Ungeistes ertragen müssen. Aber den Grünen und deren Wählern scheint das pausenlos Böcke schießende Baerchen zu gefallen. Ich erinnere mich auch noch lebhaft an eine alte Schachtel, die die Haspa vor den Kadi zerren wollte, weil die Bank es verständlicherweise aus technischen Gründen ablehnte, die Anrede an ihre Klientel “Liebe Kunden…” noch um “liebe Kundinnen” zu erweitern. Hatte besagte Schachtel nicht vor, mit ihrer Forderung bis zum Bundesverfassungsgericht zu gehen? Das Schlimmste aber war, dass verschiedene Zeitungen auch noch en détail über diesen idiotischen Vorgang berichteten. Dieses Land wird täglich mehr zum Irrenhaus, in dem die Insassen inzwischen die Leitung übernommen haben.

B. Kurz / 08.07.2020

Mit Ihrem Hinweis auf den österreichischen Schulbuchverlag hat sich meine Frage erübrigt, ob man nur in Deutschland (oder ggf. USA) so bescheuert ist. Es müssen eben Probleme geschaffen werden, um von der Lösung der wirklich dringenden abzulenken. Armes Deutschland, du hast schon lange fertig!

J.G.R. Benthien / 08.07.2020

Zusammenkommen und reden können Sie mit den Meinungs-Talibanen und Willkür-Schlampen nicht, denn das würde deren Existenzgrundlage vernichten. Dass das alles diskriminierend für den »Rest« der Menschheit ist, interessiert niemanden.

Wilfried Cremer / 08.07.2020

Die Frau ist halt nicht nur die Pforte neuen Lebens, sondern, so verlangt es die Balance des Universums, auch des Gegenteils.

W. van Dyk / 08.07.2020

Sollte es weiter bei dieser Migration aus dem muslimischen und afrikanischen Raum bleiben, wird Gender, sowie alles andere Links-Grüne, wieder entsorgt. Es werden dann neue Parteien gebildet und wenn entsprechend politisch Einfluss genommen werden kann, herrscht hier ein anderer Wind. Feminismus, Gender, (z. B. Frühsexualisierung) und Muslime? Das pass ja wohl gar nicht, wenn man bedenkt, hier holt man sich Erzkonservative ins Land! Viele der 3. muslimischen Generation radikalisieren sich immer mehr. In Wien bekam die Antifa ja schon was aufs M..l. Ich möchte nicht dabei sein, wenn Klein-Memmet in einer Kita gendert wird und ihm erklärt, dass er auch ein w/d sein darf und am anderen Tag der Herr des Hauses sammt Clan vor der Tür steht. Mit Gender werden noch schnell ein paar Euros an Steuergeldern für links-grünes Personal abgegriffen bevor m/w/d auf dem Abfallhaufen landet. Natürlich dient Gender ebenso dafür, die mit einer Armlänge hier länger Lebenden zu gängeln, so lange es irgendwie noch geht.

Sabine Lotus / 08.07.2020

Höre ich Gendersprache, denke ich Kinski: “Halt doch endlich die Schnauze, du dumme S…”. Und wenn mich mit dem Dummsabbel irgendjemand angeht, spreche ich es auch gerne mal aus. Denn dieser Satz enthält eigentlich alles, was man zum gendern können muß, da ist alles schon drin.

Dr. Gundolf Hartenstein / 08.07.2020

@Sirius Bellt Ein Tipp für Sie: Mann - Weib / Herr - Frau. Das Pendant zum Adelstitel “Freiherr” ist dementsprechend auch “Freifrau” (oder “Freiin”), und nicht “Freidame”.

Dr. Gundolf Hartenstein / 08.07.2020

Weiß eigentlich irgend jemand, dass Sprachen wie Türkisch oder Farsi völlig perfekt “genderneutral” sind, d.h. es gibt in diesen Sprachen nur einen Genus, und somit keine Flexionen der Substantive und Adjektive? Zumindest keine, die die Kongruenz zum Genus herstellen? (Sicherlich gibt es Flexionen, die Kasus und Numerus bestimmen.) Wie sieht es mit der Gleichstellung der Frauen im Iran aus im Vergleich zu Deutschland? Die Theorie lautet, man müsse die deutsche Sprache verblödhornen, damit “die Frau” sichtbar wird, und wie durch ein Wunder stelle sich dann Gleichstellung ein. Warum gibt es keine linguistischen Feldstudien nebst soziologischer Erforschung der Gesellschaften, die zu diesen “genderneutralen” Sprachen gehören? Warum macht in Deutschland jeder, ohne groß zu fragen, diesen hirnverbrannten Blödsinn einfach so mit? Auf welchem Niveau der Kerndurchverblödung ist dieses Land eigentlich inzwischen angelangt? Wie bescheuert muss jemand eigentlich sein, um das biologische Geschlecht eines Säugers mit dem Genus eines Wortes zu verwechseln? Hat ein und derselbe Mond im Frankreich eine Mumu und in Deutschland einen Schniedel? Entweder bin ich mittlerweile komplett verrückt geworden oder um mich herum sind fast nur noch Wahnsinnige.

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