Kanzler Merz will, dass es in Deutschland wenigstens nach Asylwende aussieht. Die Bundespolizei scheint vom Grenzschutz überfordert. Für mehr Abschiebehaft muss die Justiz Pensionäre rekrutieren. Aber die Pull-Faktoren werden weiter ignoriert.
Es waren zwei Meldungen am Montagmorgen, die deutliche Schlaglichter auf die angeblich neue Asylpolitik werfen. Bekanntlich hatte Friedrich Merz das Zurückdrängen der illegalen Einwanderung im Wahlkampf vollmundig versprochen. Eine Wende in der Asylpolitik sollte es vom ersten Tag seiner Kanzlerschaft an geben. Wer nicht glauben konnte, dass sich solch ein Versprechen auch nur ansatzweise im Bündnis mit der SPD erfüllen lasse, wurde bekanntlich durch den Koalitionsvertrag in seiner Skepsis bestätigt. Dort klang es – trotz einiger neuer – im Wesentlichen nach einem "Weiter so" in der Asylpolitik.
Doch Kanzler Merz wollte im Bunde mit seinem Innenminister Dobrindt dennoch gern ein Zeichen setzen, dass sich etwas tut in der Asylpolitik. So gibt es nun an vielen Stellen Grenzkontrollen und auch Zurückweisungen von Menschen, die gern einen Asylantrag zwecks Aufnahme ins deutsche Sozialsystem gestellt hätten. Aber wie das so ist im Land der Zeichensetzer: Symbolpolitische Handlungen allein sind oft so nachhaltig wie ein Strohfeuer.
Davor, dass auch die Grenzkontrollen zum Zwecke der Zuwanderungsreduktion ähnlich kurzatmig bleiben könnten, warnte nun am Montagmorgen die Gewerkschaft der Polizei. Nach deren Einschätzung seien die Kontrollen und Zurückweisungen nicht mehr lange durchzuhalten, wie unter anderem welt.de berichtet. „Das schaffen wir nur, weil Dienstpläne umgestellt wurden, die Fortbildungen der Einheiten aktuell auf Eis liegen und derzeit der Abbau von Überstunden gestoppt ist“, habe der Vorsitzende der Bundespolizei in der GdP, Andreas Roßkopf, demnach den Zeitungen der Funke Mediengruppe gesagt. „Klar ist: Die intensiven Kontrollen kann die Polizei nur noch einige Wochen aufrechterhalten.“
Damit diese Warnung nicht missverstanden wird, habe Roßkopf klargestellt, dass die Polizeigewerkschaft hinter dem Bemühen der Politik stehe, die „irreguläre Migration nach Deutschland auch mit Grenzkontrollen durch die Bundespolizei zu reduzieren“.
Aber wie tut man das, wenn offenbar die Truppenstärke der Bundespolizei nicht ausreicht, die Kontrollen im gegenwärtigen Umfang mittel- oder längerfristig aufrechtzuerhalten? Zumal es sich ja trotzdem nicht ansatzweise um eine flächendeckende Grenzüberwachung handelt. Unzählige Straßenverbindungen in unsere Nachbarländer können auch in diesen Tagen völlig unkontrolliert passiert werden.
Rückkehr der Pensionäre
Und wie sieht es in den anderen Bereichen aus, in denen ein Strohfeuerchen neuer Asylpolitik angezündet werden sollte? "Abschieben!", das war schon das große Versprechen von Bundeskanzler Olaf Scholz im Herbst seiner Amtszeit. Und wie er verkündete auch sein Nachfolger Merz, mit längerer und leichter zu verhängender Abschiebehaft für Ausreisepflichtige Abschiebungen erleichtern zu wollen. Doch dann wurde der deutsche Medienkonsument ebenfalls am Montagmorgen unter anderem bei zeit.de mit folgender dpa-Meldung konfrontiert:
„Ohne reaktivierte Ruheständler geht es künftig nicht mehr im Ausreisegewahrsam. Pensionierte Polizei- und Justizvollzugsbeamte sollen in den nächsten Jahren in Abschiebehaftanstalten arbeiten dürfen. Sie sollen helfen, Personalengpässe infolge aufgestockter Haftplatz-Kapazitäten zu überbrücken."
Hierbei geht es konkret um Justizpersonal in Nordrhein-Westfalen, aber es ist anzunehmen, dass es dieses Problem in den anderen Bundesländern genauso gibt. Offensichtlich ist auch dieser Teil der neuen Asylpolitik allein mit Bordmitteln nicht zu realisieren, sondern die politischen Verantwortungsträger müssen die Pensionäre reaktivieren.
In NRW will die schwarz-grüne Landesregierung am Mittwoch einen Entwurf für eine entsprechende Gesetzesänderung in den Landtag einbringen. Nach dem bereits im vergangenen Jahr beschlossenen sogenannten Rückführungsverbesserungsgesetz wurden schon die Haftgründe für die Abschiebehaft ausgeweitet und die maximal mögliche Dauer des Ausreisegewahrsams von zehn auf 28 Tage erhöht. Die festgestellte Notwendigkeit des Pensionärseinsatzes bezieht sich nur auf die nach diesem Gesetz erhöhte Zahl der Haftplätze. Nach den weitergehenden Vorstellungen von Friedrich Merz würde noch viel mehr Platz gebraucht, zumindest wollte er ursprünglich auch die 28-Tage-Grenze schleifen.
Die jetzt von der NRW Landesregierung vorgesehene Pensionärslösung soll den Meldungen zufolge vorerst bis Ende 2034 gelten.
Alternativlos weiterwursteln?
Also an den Grenzen reichen die Kontrollkapazitäten nicht, und bei der Abschiebehaft mangelt es an Platz und Personal, weshalb man dringend Pensionäre rekrutieren muss? Das klingt, als wären die Strohfeuer der versprochenen Asylwende bald ausgebrannt. Ist deshalb das bisherige Weiterwursteln alternativlos, weil es überall an den Beamten mangelt, die ganz praktisch für den Vollzug neuer Regeln nötig sind?
Natürlich nicht, aber man muss eine Wende in der Asylpolitik wirklich wollen und dann auch an den richtigen Stellschrauben drehen, um sie zu erreichen. Der Innenexperte der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Alexander Throm, möchte verständlicherweise gern schnelle Erfolgsmeldungen verkünden. Um den Erfolg der Grenzkontrollen zu feiern, verstieg er sich zu dem Satz: „Deutschland ist nicht mehr der Magnet für Migration in Europa." Das ist nun wirklich grundfalsch. Die Zuwanderungszahlen mögen derzeit temporär sinken, doch Migrationsmagnet für die Zuwanderung in die Sozialsysteme ist Deutschland weiterhin.
Die Schleuser wissen sehr genau, dass es momentan nicht kommod ist, ihre Kundschaft in die Bundesrepublik zu bekommen. Also warten sie ab, denn sie wissen ebenso gut wie die Polizeigewerkschafter, dass das heutige Deutschland den augenblicklichen Kontrolldruck nicht langfristig aufrechterhalten kann. Entscheidend für ihr Geschäft ist, dass jeder, den sie ins Land bringen, irgendwann auch regelmäßige Leistungen des deutschen Sozialstaats allein für seine Anwesenheit bezieht. Das motiviert die Kundschaft nicht nur, es sichert auch ihre Zahlungsfähigkeit.
Die Verheißung, nach einem Asylantrag mit Kost, Logis, kostenloser medizinischer Versorgung und regelmäßigen Geldzahlungen versorgt zu werden, scheint irgendwie sakrosankt zu sein. Diese Verlockungen werden nicht angegangen, von solch leicht zu umgehenden Maßnahmen wie der Umstellung von Barzahlung auf Bezahlkarten einmal abgesehen.
Einfältiger Souverän?
Auch das Privileg, als Asylantragsteller sofort nach Antragstellung und nicht erst nach dessen Genehmigung Versorgungsleistungen zu erhalten, wird bislang nicht ernsthaft infrage gestellt. Ebenso scheint kurzfristig keine Änderung der Praxis in Sicht, auch Ausreisepflichtige noch mit regelmäßigen Sozialleistungen dafür zu belohnen, dass sie sich ihrer Ausreisepflicht verweigern.
An den Pull-Faktoren ließe sich – Umsetzungswillen vorausgesetzt – schnell etwas ändern. Bei der Umsetzung dürfte keine Behörde an Kapazitätsgrenzen stoßen, und Geld spart es zudem. Warum eine versprochene Asylwende nicht an dieser Stelle mit erster Priorität beginnt, kann nur am mangelnden politischen Willen liegen. Oder die regierenden Politiker halten den Souverän – also das Wahlvolk – für einfältig genug, sich immer noch von ein paar Strohfeuerchen und markigen Worten beeindrucken zu lassen.
Ja, es ist eine fast gebetsmühlenartige Wiederholung, aber die ist bei diesem Thema unvermeidlich. Dass das alles mit Erfolg machbar ist, haben die letzten sozialdemokratischen Regierungen Dänemarks bewiesen. Ihre deutschen Genossen nebst der jeweils aktuellen Koalitionspartner sind allerdings in puncto Ignoranz gegenüber vernünftig-pragmatischen politischen Lösungen immer noch Weltspitze.
Peter Grimm ist Journalist, Autor von Texten, TV-Dokumentationen und Dokumentarfilmen und Redakteur bei Achgut.com.