Susanne Baumstark / 13.03.2018 / 11:00 / Foto: Helodrgt / 7 / Seite ausdrucken

Netz-Zensur: Weitere Löschorgien im Anmarsch

Microsoft hat vor ein paar Tagen seinen geänderten Servicevertrag an seine Nutzer versendet. Wer den Service ab 1. Mai 2018 weiterhin nutzt, stimmt den Änderungen automatisch zu. Unter Punkt 3 „Verhaltenskodex“ heißt es jetzt:

„iv. Unterlassen Sie es, unangemessene Inhalte oder anderes Material (das z. B. Nacktdarstellungen, Brutalität, Pornografie, anstößige Sprache, Gewaltdarstellungen oder kriminelle Handlungen zum Inhalt hat) zu veröffentlichen oder über die Dienste zu teilen.“

Im bisher gültigen Servicevertrag aus dem Jahr 2016 war der Wortlaut wie folgt:

„iv. Unterlassen Sie es, unangemessene Inhalte oder sonstige Materialien (z. B. Nacktdarstellungen, Brutalität, Bestialität, Pornografie, grafische Gewalt oder Kriminalität) zu veröffentlichen oder unter Verwendung der Dienste zu versenden.“

Die „Bestialität“ ist also der undefinierbaren „anstößigen Sprache“ gewichen. Ob das Unternehmen letzteres schlimmer findet als erstgenanntes, ist unklar. Die Initiative rekurriert jedenfalls auf eine Vereinbarung mit der EU, „möglichst keine rassistischen und fremdenfeindlichen Botschaften“ zu verbreiten, wie Heise im Mai 2016 berichtete. In puncto Meldung von Hassreden sollen „Organisationen der Zivilgesellschaft“ als „vertrauenswürdige Berichterstatter“ einbezogen werden.

Zur aktuellen Lage schreibt die Süddeutsche: „Eine gesetzliche Regelung, die dem deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetz entspräche, hält sich die Kommission weiterhin ausdrücklich offen, sieht dies aber aus Sorge um eine mögliche Auswirkung auf die Meinungsfreiheit offenkundig als zweitbeste Lösung an.“ Nichtsdestotrotz liegt eine weitergehende Empfehlung mit Forderungen an die Plattformen vor. „Sie ist verbindlicher … und enthält nun auch präzise Definitionen von Schlüsselbegriffen wie „content provider“, auf die sich nationale Gerichte berufen könnten. Die Empfehlung kann, muss aber nicht in ein europäisches Gesetz münden.“ 

Ein breites Bündnis warnt indessen vor einem „gefährlichen Irrweg“: Der EU-Abgeordnete Axel Voss (CDU) legte dem Rechtsausschuss des EU-Parlaments seinen Vorschlag vor, „der trotz aller Kritik die von der EU-Kommission vorgesehenen Upload-Filter enthält“. Automatische Upload-Filter kamen verstärkt während der Debatte um die Urheberrechtsreform zur Sprache. Diese Vorab-Filter sind „nicht in der Lage, zwischen rechtswidrig verwendeten und legalen Inhalten zu unterscheiden – und löschen pauschal alles, was verdächtig aussieht“, so Netzpolitik an dieser Stelle.

Das Bündnis aus Wirtschaftsverbänden, Bürgerrechtsorganisationen und der digitalen Zivilgesellschaft protestiert dagegen mit diesem Offenen Brief gegen die Einführung von Upload-Filtern. Es ist die Rede von Overblocking und Zensurinfrastruktur: „Komplizierte Abwägungen, was erlaubt ist und was nicht, sei es Kritik, Satire oder Kunst, können automatisierte Filter nicht vornehmen. Wirksame Maßnahmen, die rechtmäßige Inhalte vor entsprechender Blockung schützen, sind nicht vorgesehen. Damit werden nutzergenerierte Inhalte aus dem Internet verschwinden.“  

Nach Einführung der Verhaltenskodize würden laut Süddeutsche etwa 70 Prozent der beanstandeten Inhalte von den Plattformen gelöscht. Zur Vermeidung von ungerechtfertigtem Löschen von Beiträgen soll laut diverser Lippenbekenntnisse das hiesige Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) reformiert werden. Was es dazu zu sagen gibt, ließ bereits der estnische Kommissions-Vizepräsident Andrus Ansip verlauten: „Deutschland tue sich nach seiner Beobachtung schwer damit, zwischen Hassrede und zulässigen Meinungsäußerungen zu unterscheiden.“

Das NetzDG wurde am 30. Juni 2017 von der Mehrheit der Koalitionsfraktionen gegen das Votum der Linken und gegen eine Stimme einer CDU/CSU-Abgeordneten bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen und ist seit 1. Januar 2018 vollumfänglich in Kraft. Bei der Abstimmung im Bundestag waren nur 50 bis 60 Abgeordnete anwesend. „Die Geschäftsordnung des Bundestages sieht für eine gültige Abstimmung jedoch eine Anwesenheit von mehr als 50 Prozent der Abgeordneten vor … Der Bundestag war also nach diesen Regeln nicht beschlussfähig“, heißt es in dieser Programmbeschwerde

Dieser Beitrag erscheint auch auf Susanne Baumstarks Blog Luftwurzel

Foto: Helodrgt via Wikimedia Commons

Achgut.com ist auch für Sie unerlässlich?
Spenden Sie Ihre Wertschätzung hier!

Hier via Paypal spenden Hier via Direktüberweisung spenden
Leserpost

netiquette:

Karla Kuhn / 13.03.2018

“In puncto Meldung von Hassreden sollen „Organisationen der Zivilgesellschaft“ als „vertrauenswürdige Berichterstatter“ einbezogen werden.”  Sind das die, die ich aus dem ff kenne, damals in der DDR ? Immerhin war ich erst in der DDR und auch später noch im Westen “Arbeitgeber” von vielen Personen. Nachdem auch die IM´s (” VERTRAUENSWÜRDIGE BERICHTERSTATTER !!) identifiziert werden konnten, bin ich fast vom Stuhl gefallen, wer sich alles an meinen “Freßnäpfen” gelabt hatte. Aber über eines freue ich mich heute noch, daß meine ECHTEN !! Freunde und ich diese Nappsülzen (meistens intellektuell unterbelichtet ) immer wieder “verar…....” konnten.  “Organisationen der Zivilgesellschaft” als “vertrauenswürdige Berichtertatter.”  Wer eine dementsprechende DDR “Karriere” hinter sich hat, weiß genau, was das bedeutet und ich glaube, die wenigsten lassen sich noch einschüchtern.

Hans-Peter Hammer / 13.03.2018

Sofern man mich richtig unterrichtet hat ist wegen der zu geringen Anwesenheit wohl rechtlich nichts zu machen! Es wird nur einmal pro Sitzung die Beschlußfähigkeit festgestellt und zur vorhergehenden Entscheidung über die “Ehe für alle” war die Beschlußfähigkeit gegeben.  Das danach der größte Teil der MdBs bei der Entscheidung zum NetzDG, statt im Plenum zu weilen, lieber feierte, ändert leider nichts an der Feststellung der Beschlußfähigkeit. Es hätte eines Antrags zur erneuten Beschlußfähigkeitsfeststellung (was geht)  bedurft, der aus wohlfeilen Gründen natürlich nicht gestellt wurde, um die Abstimmung über das NetzDG wegen fehlender Beschlußfähigkeit hinfällig zu machen! So können wir nur betrübt feststellen das den meisten Mitgliedern des Bundestages entweder die Tragweite des NetzDG nicht bewußt war, es ihnen am A… vorbei ging, oder sie es (insgeheim) unterstützten! Armes Deutschland, in dem die gewählten Vertreter des Volkes einem politisch korrekten Gendergesetz freudig zustimmen, aber die Einschränkung von Grundrechten völlig egal ist!

uwe peters / 13.03.2018

vk.com zensiert nicht.

Rüdiger Wegener / 13.03.2018

Mal ehrlich - ich finde es noch viel gefährlicher, wenn wie gerade aktuell die Medien sich überschlagen in der Weitergabe von “mutmasslichen” Informationen über die “mutmasslichen” bösen Russen, die “höchstwahrscheinlich” den Doppelspion und seine Tochter vergiftet haben (sollen). DAS ist gefährlich! So bereitet man Kriege vor. Was ist die Weitergabe von unbestätigten Informationen? Lüge? Skrupellosigkeit? Hilflosigkeit? Auch hier ... in der Presseschau von heute - volles Rohr “haltet den Dieb” mit der unkommentierten Weitergabe des NZZ-Artikels. Gerade habe ich achgut.de kennengelernt und gut gefunden - aber nun auch schnell wieder enttäuscht. Schade

Martin Schmidt / 13.03.2018

Die Frage ist doch wohl eher wen das eigentlich betrifft. Auch wird grundsätzlich nie die Frage beantwortet ob und welches Recht im Streitfall zum tragen kommt. Gestern schaltete das “Gesichtsbuch” eine ganze Seite in der BILD. Nur Geschwafel und Huldigung der Meinungsdiktatur. Ausdrücklich bedankt wurde sich bei den Partnern aus Politik, Gesellschaft und Experten. Wer das ist, verrät uns das “Gesichtsbuch” leider nicht. Dabei wäre ja gerade diese Information für den Bürger, Wähler und Freigeist sehr aufschlussreich.

Gabriele Schulze / 13.03.2018

Wäre es nicht an der Zeit, Codices zu entwickeln? Begriffe zu benutzen, die den Dummen zufriedenstellen und den Schlauen informieren? Enigmatisch….

Lars Bäcker / 13.03.2018

Kehren wir also zurück zu den “Blauen Elefanten”. Bis auch diese von irgendwelchen in Filtern eingebauten Algorithmen kassiert werden. Dann bleibt nur noch der Gang auf die Straße. Spätestens dann wird sich zeigen, ob der Staat seine hässliche Fratze auch offen zeigt und unerwünschte Meinungen gewaltsam niederschlägt. Bisher versteckt er sich ja hinter Computerprogrammen.

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Susanne Baumstark / 11.07.2020 / 16:00 / 6

Die Maskerade der Tagesschau

Zur Rede der Bundeskanzlerin im EU-Parlament am 8. Juli anlässlich des Beginns der deutschen EU-Ratspräsidentschaft hat die Tagesschau wieder einen derart schmierigen Hofbericht abgeliefert, dass die hinterlassene Schleimspur sogar…/ mehr

Susanne Baumstark / 29.06.2020 / 06:00 / 82

„Helfer sind tabu”? Die gemanagte Missachtung

Das war schon ein ungewohnt gepfefferter Kommentar von Thomas Berbner in den Tagesthemen am 22. Juni: „Schon vor Stuttgart haben mir Beamte immer wieder berichtet, bei jungen Einwanderern verbreitet…/ mehr

Susanne Baumstark / 25.06.2020 / 10:00 / 14

Yanis Varoufakis und die „Progressive Internationale“

Weitgehend unbemerkt hat sich die post-kapitalistische „Progressive Internationale“ (P.I.) gegründet. „Wir organisieren, mobilisieren und vereinen progressive Kräfte aus der ganzen Welt“, tönt es dort. Themen…/ mehr

Susanne Baumstark / 15.06.2020 / 14:45 / 10

Die Krise als Studium

In akademischen Netzwerken wird der englischsprachige Master-Studiengang „International Organisations and Crisis Management“ beworben. Er startet im Wintersemester 2020/21 in Jena „Das passende Studium zur Corona-Krise“, meint…/ mehr

Susanne Baumstark / 30.05.2020 / 12:00 / 14

Corona-Arbeitsplatzvernichtung: Von Not und Zynismus

Aus psychologischer Sicht nehmen die Folgen des Lockdowns inzwischen dramatische Ausmaße an. Wie aus einer Anhörung des Tourismusauschusses im Bundestag am Mittwoch hervorgeht, habe man „bereits Suizide…/ mehr

Susanne Baumstark / 23.05.2020 / 10:30 / 14

Mein Briefwechsel mit der Antidiskriminierungsstelle

Meine E-Mail an die Anti-Diskriminierungsstelle: Sehr geehrter Herr Franke,  ich bin seit längerem einigermaßen entsetzt über die regelrechte Stigmatisierungswut, die insbesondere von den etablierten Medien…/ mehr

Susanne Baumstark / 18.05.2020 / 11:30 / 9

Fortschreitend obskur: Die Finanzierung der Parteienstiftungen

Endlich mal eine gute Idee: Der Kandidat für den CDU-Vorsitz, Friedrich Merz, will wegen der Corona-Krise die Ausgaben des Staates überdenken. "Wir sollten nach der…/ mehr

Susanne Baumstark / 06.05.2020 / 11:00 / 12

Corona-App höchst problematisch

Das „Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung“ hat eine Datenschutz-Folgenabschätzung (DSFA) für die geplante Corona-App veröffentlicht. „Wir haben es angesichts der geplanten Corona-Tracing-Systeme mit…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com