Thilo Schneider / 13.12.2022 / 15:00 / Foto: Fabian Nicolay / 18 / Seite ausdrucken

Nervös zwischen Katzenfutter und Reichsbürgern

Die Person vor mir könnte eine Reichsbürgerin sein! Was mache ich nun? Und wirken kiloweise Katzenfutter nicht auch irgendwie verdächtig? Am Ende wird noch mein ehemaliger FDP-Ortsverband durch die Mangel des Verfassungsschutzes genommen... 

Der Schatz hatte mir aufgegeben, dass ich noch Katzenfutter im diversen REWE kaufen muss, aber das Zeug von der Hausmarke „Ja!“, weil es verdammte Katzen sind, die sich eigentlich ihr Futter selbst jagen sollen. Und so stehe ich mit vier Pack Katzenfutter in unterschiedlichen Geschmacksrichtungen (man will ja nicht, dass sich die Viecher langweilen beim Essen, das ist anders als bei uns Menschen) um kurz vor acht Uhr abends vor der Kasse. Die Schlange ist lang, weil auch Angestellt:innen des REWE, Diversität hin oder her, nicht vor den derzeitig grassierenden Atemwegserkrankungen gefeit sind und sie wenig Personal haben.

Ich langweile mich ein wenig, weil ich ja nur Katzenfutter gekauft habe und so fällt mein Blick beim Umherschweifen auf die Dame und ihren Einkaufswagen hinter mir. Sie ist eine etwas ungepflegte Mittfünfzigerin, also ungefähr so wie ich. Ihre Haare sind fettig und sie hat tiefe Augenringe. Anscheinend kommt sie von der Arbeit, wahrscheinlich Hausarbeit. Das alleine wäre es aber nicht: Satte 10 Dosen mit Fertigravioli, Sauerkraut, Rotkraut, Ananas und Linsen sowie drei Schöpfkellen und drei verschiedene Arten Nudeln liegen im Wagen. Ganz oben thront ein Zwölferpack Toilettenpapier. 4-lagig. 

Bis vor ein paar Tagen wäre mir das völlig egal gewesen, es geht mich einen feuchten Kehricht an, was sich andere Leute in den Einkaufswagen packen. Mögen sie zum Frühstück schön einen Korn und zum Mittagessen lecker Dosenravioli aus der Mikrowelle haben, was schert es mich? Aber in der Zwischenzeit ist viel, sehr viel passiert und als Bürger ist man ja auch sensibilisiert, was so um einen herum vor sich geht. Wir wohnen in einem kleinen Ort, wo jeder nach jedem schaut und wir aufeinander aufpassen und während ganz vorne eine Rentnerin versucht, ihren Einkauf in Cent-Stücken zu bezahlen, überlege ich mir, wo ich die Frau hinter mir schon einmal gesehen habe. Lief sie nicht letzten Sommer bei einer Querdenker-Demo hier auf dem Dorfplatz mit, wo sich die Teilnehmer einzeln und per Handschlag begrüßten? Hat sie da nicht sogar ein paar Worte zum Thema „neues Wahlsystem“ gesagt? Je länger ich darüber nachdenke, desto sicherer werde ich mir. Hinter mir steht buchstäblich eine Reichsbürgerin, die sich soeben, mitten im diversen Rewe, mit Putschmunition für die Gulaschkanone ausrüstet. Ich werde nervös, während die Russkis vor mir etwas miteinander schnattern, was sich für mich nach Umsturzplänen anhört. Plötzlich wäre es mir lieber, die Frau hinter mir hätte einfach nur Korn und Mikrowellenkram gekauft.

Am Ende werde ich noch verhaftet 

Ich checke meine Privilegien und meine Optionen. Ich könnte mich auf sie stürzen und sie niederringen, während ein anderer Kunde die NavySeals oder die GSG9 anruft, damit sie die Terroristin verhaften. Aber sie sieht, wie gesagt, ungepflegt aus und ich bin Jungfrau im Sternzeichen, außerdem ist sie korpulent und der Ausgang des Kampfes ist vielleicht viel offener, als ich mir das vorstelle. Zumal vor mir ja die Russen sind und Reichsbürger und Russen, da weiß man ja gleich Bescheid und ich werde getötet und nach mir werden dann Realschulen und Neubaugebiete benannt, aber ich hätte da ja nichts mehr davon und so wichtig ist mir dieses diverse Deutschland jetzt auch nicht, dass ich dafür mein Leben riskieren würde. Erst recht nicht vor Weihnachten. Außerdem schreit sie bestimmt markerschütternd Zeter und Mordio, wenn ich jetzt hier, im diversen Rewe, über sie herfalle, das kann ja auch falsch interpretiert werden. Am Ende werde ich dann verhaftet, obwohl ich doch sie zur Strecke bringen wollte. Da hätten die Nachbarn schön was zu erzählen. 

Ich könnte sie natürlich auch fragen, was sie mit den Sachen vorhat und ihr da blitzschnell meine Platin-Card vor die Nase halten, damit das so aussieht, als sei ich von der geheimen Verfassungsschutz-Polizei. Vielleicht gesteht sie dann ja freiwillig und ich würde sie nach dem „Jedermann“- Festnahme-Gesetz verhaften und dürfte dann nach Berlin und mir vom Bundespräsidenten Steinmeier, sofern seine Gedanken bei mir und meinen Opfern sind, ein hübsches Bundesverdienstkreuz abholen und bei Lanz würde ich davon erzählen, wie ich quasi unter Lebensgefahr die ältere Frau in den Schwitzkasten nahm und so lange festhielt, bis die 7. Kavallerie eintraf und sie und die Russen als Terroristen verhaftete. Dann könnte ich noch ein Buch schreiben, „Unter Reichsbürgern“ oder so und würde schlagartig reich, das würde mir gut gefallen. Aber die Schlange geht gerade weiter und jetzt ist so ein Ehepaar mit einem quengelnden Sechsjährigen dran, der darauf besteht, eine Playmobil-Figur mitzunehmen und sehr sehr ungehalten ist, dass seine Rabeneltern das unter Hinweis auf das herauf dräuende Weihnachtsfest verweigern. 

Ich, ein etwas dicklicher Mittfünfziger

Dann fällt mein Blick in meinen eigenen Wagen. Vier Pack Katzenfutter. Vier Pack. Das sind 15 Stück pro Pack á 100 Gramm. 1,5 Kilogramm mal vier Pack bedeutet, dass ich hier sechs Kilogramm Katzenfutter im Wagen habe. Welcher normale, geistig gesunde Mensch, der keinen Staatsstreich plant, kauft ad hoc sechs Kilogramm Katzenfutter? Also, würde ich mich beobachten, ein etwas dicklicher Mittfünfziger in Cordhose und Wollpulli, mit Christian-Lindtner-3-Tage-Gedächtnisbart und etwas adeligem Aussehen (okay, wie ein ungepflegter korsischer Adliger), ich hätte mich schon auch in Verdacht, ein rechtsextremer Terrorist und Volksverräter zu sein. Wenn dann noch im Verhör in irgendeinem wüsten Polizeikeller herauskäme, dass ich für die Achse und einige andere Magazine schreibe – ich weiß nicht, ob es genügen würde, auf meine Artikel bei der Jüdischen Rundschau  zu verweisen und ob mich das entlasten würde. Man kennt das ja: In dem Moment, in dem die BILD „DAS IST DER PUTSCH-AUTOR“ titelte, wäre ich verloren und jeder würde sich von mir distanzieren und auch meine ehemalige Mitgliedschaft in der FDP würde mir da gar nichts nützen. Im Gegenteil würde dann vielleicht sogar mein bedauernswerter ehemaliger Ortsverband vom Verfassungsschutz durch die Mangel gedreht, das wäre mir peinlich und am Ende würde die FDP als verfassungsfeindlich aufgelöst werden, nicht, dass sie jetzt wirklich fehlen würde, aber ich mochte Genscher und Westerwelle und das kann ich den Leuten ja auch nicht antun. Und da haben wir über die NERV-Pistole, die mein Jüngster bei mir zu Hause hinterlassen hat, noch gar nicht geredet…

Plötzlich stehe ich also selbst unter Generalverdacht. Ich überlege gerade, aus der Schlange auszuscheren und zwei Pack Katenfutter wieder zurückzutragen, als mir einfällt, dass das ja erst recht verdächtig wirkt. Als hätte ich etwas zu verbergen. Die Russen vor mir haben bezahlt. „Gell, Sie haben Katzen?“, lächelt mich die Kassiererin an und ich sage so laut, dass es die ganze Schlange hört, „ja, zwei Stück“ und sie fragt nicht weiter und ich bin entlastet. Vorerst. Bis Katzenfutter bei rechtsextremen Reichsbürgern gefunden wird. Oder ich die Frau hinter mir auf der Titelseite der BILD sehe.

(Weitere verdächtige Geschichten des Autors unter www.politticker.de)  

 

Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.

Foto: Fabian Nicolay

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Nico Schmidt / 13.12.2022

Sehr geehrter Herr Schneider, man kann heute gar nicht vorsichtig genug sein! Mfg Nico Schmidt

George van Diemen / 13.12.2022

Bei “Mittfünfziger” zuckte mein linkes Auge; bei “Cordhose” habe ich 112 gewählt. Intern. Und anonym. Man will ja nicht auffallen. Nicht einmal woke. Obwohl der Staatschutz schon informiert werden sollte. Katzen sind ja so was von Rächts. Selbst wenn sie - wie die guten LinksGrünen - Mäusen gegenüber nicht abgeneigt sind…

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