Von Jesko Matthes.
In der Jugend links zu sein und später immer konservativer zu werden, das mag kein Kunststück sein – aber vielleicht ist es das doch: Aus dem strammen Kommunisten Yves Montand wurde der stramme Konservative Yves Montand, aus dem linken Revolutionsbarden Wolf Biermann wurde der von der Linken geschmähte und die Linke schmähende Revolutionsbarde und „Drachentöter“ Wolf Biermann – ich liebe Montand und Biermann, gerade deshalb. Aus dem linken Kabarettisten Wolfgang Neuss – auch den liebe ich – wurde der häufig bekiffte, zahnlose, scharfzüngige Kritiker der Linken, Wolfgang Neuss.
Irgendwann 1984 gab es eine Talkshow, „Leute“ hieß sie, im SFB, heute RBB. Zu Gast waren unter anderen der designierte Bundespräsident Richard von Weizsäcker und Wolfgang Neuss. Neuss setzte zum Angriff an, nur leider nicht von „links“. Neuss sagte zu von Weizsäcker, nun habe er wohl einen „feinen Job“ in Aussicht. Ein paar Jahre später schlug er „Richie“ vor, die Jenninger-Rede (über die die ganze parlamentarische wie außerparlamentarische Linke nebst ihrer Altnazis – allen anderen voran Walter Jens – in ihr durchschaubar antifaschistisches Delirium gefallen war), „noch einmal schön langsam“ vorzulesen, dann würde sie vielleicht verstanden.
Der designierte Bundespräsident antwortete in der Talkshow: „Mensch, Wolfgang, nun halt doch mal die Klappe.“ So war er: „Neuss Deutschland“. So ist auch das neue Deutschland.
Jan Böhmermann ist kein Idiot. Dass er den Mainstream lange genug bedient hat, wenn auch meist auf eher zweideutige Weise, das scheint ihm jetzt selbst aufzufallen. Ich persönlich neige dazu, ihn nicht allzu wichtig zu nehmen. Mit seinen Scherzchen ist er harmloser als der von mir heimlich verehrte und schmerzlich vermisste Christoph Schlingensief und deutlich weniger subversiv als es Wolfgang Neuss in einem einzigen Satz war.
Auch dass er, Böhmermann, „persönlich enttäuscht“ ist von Angela Merkel, mag man nach deren schnell bereuter Parteinahme im Sinne Erdogans und gegen ihn, Böhmermann, verstehen. Auch, dass er ARD und ZDF in Schutz nimmt. Wenn Angela Merkel ihm Rückendeckung verschafft, oder wenn er zu den „Privaten“ gewechselt hätte, klänge er wohl anders. Soll man das, nach der souveränen Art Harald Schmidts, vom „Unterschichtenfernsehen“ zum „Staatsfernsehen“ zu wechseln, ernst nehmen?
Man kann bei ihm nie ganz sicher sein
Böhmermann ist stilistisch eher ein Erbe des Dada und des Punk. Was Ernst ist und was Scherz, was die Ironie dazwischen, da kann man bei ihm nie ganz sicher sein – gerade weil ihm die Schlagfertigkeit und die Absurdität eines Wolfgang Neuss genauso fehlen wie die gravitätische Theatralik eines Christoph Schlingensief. Neuss und Schlingensief berühren mich. Böhmermann amüsiert mich, mehr auch nicht.
Manchmal tut er mir leid, der Jan Böhmermann. Wenn er sich auf Twitter aufreibt und so bierernst linksgrün daherkommt, dass ich meine, es – nicht ihn – ernst nehmen zu müssen; aber auch, wenn er in einem Musikvideo einen schwulen evangelischen Pfarrer ohne Unterhose unter dem Talar karikiert, und alle meinten, das sei ebenfalls nicht ironisch. Ich finde es zum Totlachen, wie er gleichzeitig die Ewiggestrigen und die Gutmenschen durch den Kakao zieht. Wieder amüsiere ich mich.
Am Ende sieht Böhmermann für mich allerdings immer aus wie einer, der einfach nichts ernst meint, und bei dem folglich Anspruch und Wirklichkeit meilenweit auseinanderklaffen. Ich verstehe, dass er sich ständig missverstanden fühlen will und daraus ein Kabarett macht, das keiner versteht. Nur: Das ist nicht komisch.
Es ist intelligent und harmlos zugleich, harmloser in der Rezeption, als er es vielleicht will; es setzt keine Treffer, und das nervt ihn. Da ist er beleidigt. Weil niemand Neuss und Schlingensief mitliest, weil niemand sie mehr kennt; darum tut mir Jan Böhmermann leid, weil ihm die Unabhängigkeit fehlt. Er beginnt, das zu ahnen, das rechne ich ihm an.
Auch er kann sich entwickeln, siehe oben. Vielleicht sollte er Wolfgang Neuss oder Christoph Schlingensief beherzigen, sich entspannen und endlich einmal weniger doppeldeutig werden. Denn wenn er sich das verkneift, bleibt er nur eins: amüsant und langweilig, wie eh und je.
Er ist in dem Stadium vor der Unabhängigkeit. Dass er sich von Merkel, der ARD und dem ZDF geistig so abhängig macht, obwohl er zugibt, dass das Fernsehen bald ein Medium von gestern sein könnte, das ist sein Problem. Der richtige Witz über das alles ist ihm noch nicht eingefallen, nur das indifferent Schwankende, das Loyale und das bisschen Fremdeln. Das ist nicht genug, um zwischen den Stühlen zu sitzen, und es heißt: Neo Loyal. Ich denke, das weiß er.
Noch einmal zum Nachlesen und hier noch ein Beitrag von Alexander Wendt zu Böhmermann.