Marei Bestek, Gastautorin / 18.11.2023 / 12:00 / Foto: Tomaschoff / 50 / Seite ausdrucken

„Nazis“ for Israel?

Seit acht Jahren laufe ich, Migrationskritikerin, als „Nazi“  durchs Leben, während sich die korrekte Mehrheit der Deutschen an ihrem eigenen Gutsein ergötzt und damit prahlt, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. Aber jetzt, wo die Zahl der antisemitischen Übergriffe in die Höhe schießt, hört man von diesen Leuten kaum etwas. 

Ehrlich gesagt, fühle ich mich ein wenig verarscht. Wer sich wie ich im Jahr 2015 gegen die "Willkommenskultur" ausgesprochen hat, der wurde ganz schnell als „Nazi!“ abgestempelt. Doch nicht nur das. Jedes Argument, das sich gegen das woke Selbstverständnis richtet, wird früher oder später mit der „Nazi!“-Rhetorik ausgehebelt. Kritik an offenen Grenzen: Nazi! Sorge um die Integrationsbereitschaft von Migranten: Nazi. Stärkung von souveränen Einzelstaaten: Nazi. Nationalstolz: Vollll Nazi. Stärkung der Familie statt „Ehe für alle“: Nazi. Sorge um die Gewaltbereitschaft von Flüchtlingen: Nazi. Klassische Geschlechterrollen: Nazi. All Lives Matter: Nazi. Sich nicht gegen Corona impfen zu lassen: Nazi. AfD wählen: Nazi. Man könnte ewig so weitermachen. 

Mittlerweile bin ich an einem Punkt angekommen, wo ich fast schon so etwas wie Bewunderung für die linke Argumentations- und Denkweise empfinde. Denn die Linken besitzen das unnachahmliche Talent, jedes unwillkommene Argument so weit zu verunstalten und herunterzubrechen, dass am Ende immer wie von Geisterhand „Nazi“ dabei herauskommt. So wie ein Fluss, der sich durch unterschiedliche Vegetation windet, aber schließlich doch ins Meer mündet. Als die Diskussion rund um eine verpflichtende Corona-Impfung irgendwann bei „Omas gegen rechts“ landete, empfand ich fast so etwas wie Anerkennung für diesen Gedankenspagat.  

Seit acht Jahren laufe ich nun also als „Nazi“ durchs Leben, während sich die große und korrekte Mehrheit der Deutschen an ihrem eigenen Gutsein ergötzt und damit prahlt, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. Um diesem Gefühl Futter zu geben, arbeitet man sich kontinuierlich an den Verbrechen des Dritten Reichs ab. Der identitätslose Deutsche muss hier brav mitmachen, um seinem eigenen Selbsthass zu entkommen. Und genau dafür braucht man ihn, den bösen „Rechten“, der die perfekte Projektionsfläche für den eigenen Moralismus bietet.   

Wenn einem plötzlich die Hashtags ausgehen

Nun kam es am 7. Oktober zu dem größten Verbrechen – Massaker! – an den Juden seit dem Holocaust. Parallel schießt in ganz Europa die Zahl der antisemitischen Übergriffe in die Höhe. Die Vergangenheit wird plötzlich zur Gegenwart. „Jetzt ist es so weit“, denke ich. Nun hat diese große und korrekte Mehrheit der Deutschen endlich die Chance, die seit Jahrzehnten aufgestaute Empathie für die Juden herauszulassen. Ein großes, lautes Aufbäumen, das so große Wellen schlägt, dass selbst die Hamas-„Kämpfer“ in ihren Tunnelgängen zusammenzucken. Und was hört man stattdessen: Nichts. Nichts. Und…ach, ja: Nichts.  

Also wirklich, ich fühle mich verarscht! Der „Nazi!“, das bin doch ich. Ihr wart alle #wirsindmehr, #metoo, #blacklivesmatter, #roevwade, #stayhome, #fckafd und #fridaysforfuture. Eure Profilbilder wurden wahlweise in die Farben der Ukraine oder in die des Regenbogens getaucht. Und wenn ihr geimpft wurdet, dann habt ihr dafür gesorgt, dass es auch alle erfahren. Ihr habt Mitleid mit Bienen und volle Solidarität mit Randgruppen, Minderheiten, Opfern. Aber bei Israel, da hört das alles plötzlich einfach auf. Oder es werden zugleich ein paar relativierende Aussagen hinterhergeschoben. „Krieg ist immer schlecht.“ Sag' bloß! „Beide Seiten haben Schuld!“ Ist das so?   

Beinahe macht es den Anschein, als habe man erst bis zur Pogromnacht warten müssen, um den Juden wieder uneingeschränkte Anteilnahme zusprechen zu können. Dann konnte der Deutsche wieder dem frönen, was er am liebsten tut: nämlich erinnern. Ironischerweise mit dem Hashtag #wehretdenanfaengen. Aber keine Sorge, das bezieht sich natürlich nur auf die AfD.

Wie der Nahostkonflikt die Doppelmoral der Deutschen zutage fördert

Ich gebe zu, für den Durchschnittslinken scheint der israelisch-palästinensische Konflikt auch eine intellektuelle Herausforderung darzustellen, die zu einer inneren Zerreißprobe wird. Schließlich besetzt Palästina die Rolle des klassischen Opfers: Das kleine (angeblich) unterdrückte Volk, dem man (angeblich) das Existenzrecht abspricht und das nun vom mächtigen Israel (angeblich) kaltherzig bombardiert wird. Ein Linker wird davon natürlich angezogen wie die Fruchtfliege von einem faulen Stück Obst, und der Hashtag #freepalestine kribbelt wahrscheinlich schon in den Fingern. Nun steht auf der anderen Seite aber leider nun mal Israel und damit unser geschichtliches Pflichtgefühl den Juden gegenüber. Wenn man sich selbst seit Jahren an den Juden abarbeitet und die verübten Verbrechen des Dritten Reichs für die eigene Selbstdarstellung nutzt, dann kann man sich nun natürlich nicht so leicht aus dieser Verantwortung lösen. Ein Dilemma, das der klassische Linksliberale anscheinend nicht zu lösen vermag. Und das Resultat daraus ist eben Schweigen.       

Man überlege sich alleine mal, dass es in den letzten Jahren nicht möglich war, auf Deutschlands Straßen friedlich für kontrollierte Migration zu demonstrieren, ohne dass sich umgehend auf der anderen Seite ein erboster und betroffener Gegenprotest formierte. Oh, was erinnere ich mich an die vielen Demonstrationen, die ich besuchte, auf denen Menschen für die Verteidigung unserer Werte – also für Einigkeit und Recht und Freiheit – auf die Straße gingen, nur um dann von einem trommelnden und wütenden Gegenprotest niedergeschrien zu werden. Wo sich Lichterketten formierten und Peace-Fähnchen geschwenkt wurden. Wo man überschwänglich die Liebe feierte und sich für das eigene Gutsein auf die Schultern klopfte. Vor allem war man sich eines gewiss: Den „Rechten“ werde man nicht die Straße überlassen. Aber wenn Muslime und Islamisten mit judenfeindlichen Parolen durch unsere Städte ziehen, dann ist da… ach, ja: nichts! Dann ist da kein unmittelbarer Protest, kein Widerstand, keine Gegendemo. Wo sind die Lichterketten? Wo sind die vielen Bündnisse gegen Rassismus? Ja, wo ist die Antifa? Diese Doppelmoral widert mich an.

Menschenkette für Israel – oder etwa doch nicht?

Warum fällt es den Deutschen leicht, in jeder noch so sachlich formulierten Migrationskritik umgehend Rassismus und Rechtsextremismus zu entdecken, während das muslimische Macht- und Gewaltpotenzial samt tiefsitzendem Judenhass weder benannt noch verurteilt werden darf? Um mal ein Beispiel zu nennen: Am 3. November zog eine „Anti-Israel-Demo“ durch meine Heimatstadt Essen. Völlig ungestört liefen 3.000 muslimische Protestierende geschlechtergetrennt (wo sind die Emanzen?) mit judenfeindlichen Parolen durch die Essener Innenstadt und forderten unter anderem ein Kalifat. Es wurde ja bereits bundesweit darüber berichtet.

Am Wochenende möchte Essen nun darauf antworten. Super, denke ich, und erkundige mich online nach Ort und Zeit. Dabei lese ich Folgendes: „Eine Gegendemo wird es nicht geben – dafür aber ruft die ‚Essener Allianz für Weltoffenheit, Solidarität, Demokratie und Rechtsstaat‘ zu einer Menschenkette in der Innenstadt auf.“ Und weiter: „Es soll darum gehen, ein Zeichen für Frieden im Nahostkonflikt zu setzen.“ Mein Kopf prallt einmal kurz auf der Tischplatte auf. Ich werde selbstverständlich hingehen, aber was ist so schwer daran, sich unmissverständlich an die Seite Israels zu stellen? Warum stehen wir nicht ausdrücklich und ausnahmslos an der Seite der Juden? Warum können wir die Verachtung unserer freiheitlichen Werte und den Judenhass nicht als muslimisch benennen? Warum wird mit aller Macht versucht, irgendeine (groteske) Form von Neutralität zu wahren, die bis in den Himmel stinkt? Warum windet man sich wie ein Aal, um das Offensichtliche nicht aussprechen zu müssen?    

Sicherlich, es gibt auch diejenigen, die uneingeschränkt zu Israel stehen – ohne Relativierungen und ohne die Täter- und Opferrolle zu vertauschen. Aber komischerweise sind das eben meistens die, die schon seit Jahren den „Nazi“-Stempel tragen – die Rechten, die AfD-Wähler, die Ausgestoßenen, die Konservativen, die Hasserfüllten, die Rassisten. Es sind eben jene „Nazis“, die keine Probleme damit haben zu sagen: #istandwithisrael

 

Marei BestekJahrgang 1990, wohnt in Köln und hat Medienkommunikation & Journalismus studiert.

Foto: Tomaschoff

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Leserpost

netiquette:

Peter Holschke / 18.11.2023

Wer mit der Nazikeule um sich schlägt, verharmlost die historischen Nazis, welche immerhin mit beispiellosen Massenmord auffällig waren,  und wäscht ... Wie schön!... nebenher noch die eigenen Vorfahren rein. In Deutschland braucht man nicht lange an der Oberfläche kratzen, bis die braune Scheiße durchschimmert, quer Beet durch die Gesellschaft. Insofern haben die Leute mit der Nazikeule im Grundsatz recht außer, dass sie auf einfache und elegante Art, selbst nicht dazu rechnen wollen

Werner Gottschämmer / 18.11.2023

Schwester im Geiste. Ich halte die Kritikunfähigkeit meiner Mitbürger schon lange nicht mehr aus, wahrscheinlich genausi lange wie ihnen schon. Kein Mut, kein Nachforschen, kein Nachdenken. Obrigskeitshörig wie schon immer dieses Volk. Dummerweise noch nicht weg…Sie ko….. mich im Strahl an.

Thomas Szabó / 18.11.2023

Linker Antifaschismus & islamischer Faschismus sind Verbündete. Linke sind gar keine Antifaschisten. Sie lehnen nur den klassischen deutschen Faschismus ab. Sie favorisieren den islamischen Faschismus. Unsere westlichen Antifaschisten sind falsch etikettierte Faschisten.

Rainer Niersberger / 18.11.2023

Abgesehen davon, dass “der Deutsche” bzw ein hant bestimmter Teil davon “seine” Opfer braucht, um sich wohl zu fuehlen, um sich zu entlasten, um so etwas wie Sinn im eher langweiligen Leben eines ( zu) hoch alimentierten Beamten zu kreieren, sollten wir bei der Ursachenforschung zur Nazi - Rolle bzw ihrer Zuschreibung nicht nur auf Rotgruen schauen. Dass es fuer die ein Teil der Feindbekaempfung ist, vor allem ein erfolgreicher Teil, hat weniger mit der rotgruenen Minderheit, als der liberalkonservativen Mehrheit zu tun. Zu aendern ist da einstweilen nichts, denn eine Therapie dagegen, gegen diese Anfälligkeit “ist weder bekannt, noch moeglich.  Solange die Verwender Erfolg generieren, waeren sie” bloed”, es zu unterlassen. Ihre liberalkonservativen Helfer sind es, die hier wieder einmal ihr Geschaeft fuer sie erledigen, sei es aus Dummheit, sei es aus Opportunismus. Angezeigt waere auch hier ein “normaler” , unbefangener Umgang mit dem, was nicht selten auch sachlich falsch als “rechts” bezeichnet wird, wie er in allen anderen 199 Laendern dieser Erde ueblich ist.  Einstweilen ist mit dieser Normalisierung, uebrigens ein allgemeines psychisches Problem dieser Gesellschaft, partiell auch anderer im Wertewesten, nicht zu rechnen. Zum einen fehlt aus verschiedenen Gruenden das Interesse daran, zum anderen klammert sich sogar der Stigmatisierte, der qua deutsch ewige Boese, selbst daran.  Vermutlich muesste man ihm erst eine Art Ersatz anbieten, so wie man auch die ( zugeschriebenen) Opferrollen immer wieder besetzen muss, um Verwirrung und Desorientierung zu vermeiden.  Die Erwartung, dass die Liberalkonservativen klug und mutig genug sind, den Rotgruenen den narrativen, psychisch wirksamen Erfolgsboden zu entziehen, habe ich vor sehr langer Zeit aufgegeben.  Wer die Artikel hier und auf TE liest, erkennt sehr schnell das Problem. Man echauffiert sich ueber das Stigma, bedient es aber im Umgang mit der einzigen Opposition vermutlich aus taktischen Gruenden selbst.

Michael Schauberger / 18.11.2023

Frau Bestek hat noch viel zu lernen, etwa, daß die Zahl antisemitischer Übergriffe seit dem 7. Oktober 2023 nicht in die Höhe geschnellt ist, nachzulesen in einem empfehlenswerten Artikel von Karsten Montag mit Datum vom 16. November 2023. Zu lernen hat sie außerdem, daß Kritik an der israelischen (Kriegs!-)Politik nicht zeitgleich eine Abwertung von Juden oder sogar den Haß auf sie bedeutet; hier ist Differenzierung angesagt. Wenn judenfeindliche Parolen durch Essen hallen, dann ist das ein Fall für den Staatsschutz. Man greift sich die Schuldigen heraus und bestraft sie. Genau so sollte das in jedem Konflikt geschehen, so auch im Nahen Osten: man bestraft die Hamas-Mitglieder, welche den Überfall begangen haben, aber genauso sollte man israelische Militär- oder Politik-Funktionäre bestrafen, die bewußt humanitäres Völkerrecht im Gazastreifen brechen. Derlei Nachweise dürften mittlerweile als “erbracht” gelten, da diese “Reaktion” unangemessen im völkerrechtlichen Sinne ist und mehr nach Rache & Auslöschung aussieht denn nach einem legitimen “sich wehren” (selbst die bundesdeutsche “Notwehr”-Klausel sieht eine Verhältnismäßigkeit vor, ebenso eine Strafe, wenn man sie nicht einhält). Lesen sollte Frau Bestek auch den Artikel von Karin Leukefeld, datiert auf den 4. November 2023, mit dem Titel: “Israel und die Vereinten Nationen”, ebenfalls auf den NachDenkSeiten. Zu guter Letzt, was die “uneingeschränkte Solidarität mit Israel” angeht, hier ein Verweis auf “Leserbriefe zu „Der Begriff „Staatsräson“ sollte in unseren Beziehungen zum Staat Israel nicht mehr verwendet werden“”, Leserzuschriften Nummer 6 & 7 (auch NDS). Wenn Sie Fragen zu meinen Ausführungen haben: Sie haben ja meine eMail-Adresse.

Burghard Gust / 18.11.2023

Die Chance für einen 7.Oktober in Deutschland ist recht hoch, dann werden die Schweiger begreifen-allerdings zu spät ! Und wetten die Krumbiegels und Konsorten werden sich dann rechtzeitig abgesetzt haben…

Thomas Szabó / 18.11.2023

Die Nazis kämpfen für die Juden. Die Antifaschisten kämpfen für den (islamischen) Faschismus. Eine verkehrte Welt? Oder wurden nur die Etiketten vertauscht?

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