Wolfram Ackner / 14.04.2018 / 12:00 / Foto: Pixabay / 11 / Seite ausdrucken

Nazi-Hobbits in der kritischen Ferndiagnose

Seit Sarrazins Bestseller „Deutschland schafft sich ab” und Birgit Kelles Buch „Gendergaga“ gibt es eine neue Gattung in der Literaturkritik. Nennen wir sie „die kritische Ferndiagnose”. Eine für den Kritiker enorm zeitsparende Angelegenheit, weil eigenes Lesen, Reflektieren, Einlassen auf die präsentierten Argumente und Fakten nicht mehr nötig sind, um das Buch mit einem offiziellen Stempel zu versehen. In diesem Fall: „Nicht hilfreich“ – was ja auch die Wahrheit war, da sich Sarrazins Annahmen als viel zu optimistisch herausstellten.

Nun gibt es seit kurzem eine neue Sorte Erziehungsliteratur für Erwachsene – sogenannte Haltungsbücher – die kurioserweise boomt, ohne tatsächlich gekauft zu werden. Beispielsweise der Thriller des damaligen Bundesjustizministers Heiko Maas, „Aufstehen statt wegducken“ (Amazon-Bestsellerrang 75.606), die Denkschrift „So geht Deutschland: Eine Anleitung zum Mitmachen und Einmischen“ von Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth und Fetsum Sebhat (Amazon-Bestsellerrang 584.183) oder die Komödie des Leipziger „Prince of Whales“ Sebastian Krumbiegel „Courage zeigen – Warum ein Leben mit Haltung gut tut“ (Amazon-Bestsellerrang 364.716). Krumbiegel scheint übrigens gar nicht aufzufallen, wie unfreiwillig komisch folgende Sätze in den Ohren von Menschen klingen müssen, die in Wendetagen dabei waren: „Er (Sebastian Krumbiegel) ärgere sich noch immer darüber, dass er nicht bei der Leipziger Montagsdemo vom 9. Oktober 1989 dabei gewesen sei. Er habe diesen historischen Moment als damals 23-jähriger Musikstudent aus Angst vor Repressalien verpasst. (…) „Ich habe in diesem Moment keine Haltung gezeigt”, schreibt der Künstler in seinem ersten Buch mit dem Titel “Courage zeigen – Warum ein Leben mit Haltung gut tut”.

In diese Kategorie der Haltungsliteratur zählt auch das neue, hier (natürlich ungelesen, wie sich das gehört) zu besprechende Buch von Liane Bednarz, „Die Angstprediger – Wie rechte Christen Gesellschaft und Kirchen unterwandern“.

Toxische Facebookfreundschaften 

Liane Bednarz fiel mir vor zwei, drei Jahren das erste Mal auf, als sie auf Facebook mit einiger Beharrlichkeit die Nähe der christlich-konservativen Publizisten Klaus Kelle und Matthias Matussek suchte und es über Monate zu einem Acht-Stunden-Vollzeitjob zu machen schien, diese beiden „rechten“ Christen und „Angstprediger“ in kontroverse zeit- und nervenraubende Diskussionen zu verwickeln.

Wer die damaligen Diskussionen noch im Ohr hat, besitzt sicher eine ungefähre Vorstellung davon, worum es in dem Buch geht – um gefährliche Bürgerliche wie Kelle und Matussek, die kurz vor dem „offenen Abkippen in den Faschismus“ stehen. Belegt wird das durch toxische Facebookfreundschaft, inkriminierte „Likes & Shares”, von Bednarz dokumentierten Mitschriften von „nicht hilfreichen” Postings und Tweets – kurz und gut, es handelt sich um den üblichen Quark der üblichen Verdächtigen, bei dem man sehr schön erkennen kann, dass sich das Wort „Aufklärer“ oft keineswegs aus der Epoche der Aufklärung ableitet, sondern manchmal auch von der alten Stasi-Berufsbezeichnung. 

Der mit der Autorin eng befreundete Blogger Heinrich Schmitz schreibt in seiner Kritik: „Leider, und das ist ein echter Wermutstropfen, stammen fast alle starken Formulierungen, die sich in dem Text finden, aus den genannten Zitaten.“   Und genau aus diesem Grund kauft sich ein durchschnittlicher Achse-Leser vermutlich lieber gleich das neue Buch von Matussek, zumal 16,99 Euro nicht wenig Geld ist für Leute, die es gewohnt sind, Stasiakten kostenlos einsehen zu dürfen. 

Damit der hohe zeitliche Aufwand nicht völlig vergebens war, und sich in Anbetracht des letzten ARD-Degeto Meisterwerks „Aufbruch ins Ungewisse“ neue Chancen ergeben, würde ich der Autorin empfehlen, ihr Werk als eine zeitgemäße, genderfluide und politisch korrekte Neuverfilmung von Tolkiens „Der Herr der Ringe“ inszenieren zu lassen. Mit Liane Bednarz selbst in der Hauptrolle als Elbenprinzessin Arwen.

Arwen ist des Blutvergießens müde. Seit Jahren tobt der Krieg gegen die Orks schon, und Arwen ist es leid. All die Anstrengungen, Entbehrungen, die ständige Lebensgefahr. Und wofür? Nicht ein Wort der Anerkennung in der Presselandschaft des Elbenreiches! Nur mit Halbwahrheiten und Weglassungen unterfütterte Kritik und gewalttätige Studentenproteste sind der Lohn für die Aufopferung der Elbenkrieger. Die mangelnde gesellschaftliche Anerkennung bringt sie dazu, ihren Job als kriegerische Elbenprinzessin zu quittieren, um in die Auenland-Metropole Münchådïr zu ziehen, in der Hoffnung auf einen besser bezahlten, prestigeträchtigen, ungefährlichen Job als sogenannter ‘Social Justice Warrior’. Denn mittlerweile leidet auch das einst so friedliche Auenland unter Spannungen. Ein Riss geht quer durch die Hobbitgesellschaft, denn ein Bürgerkrieg im weit entfernten Lande Mordor treibt hunderttausende Flüchtlinge ins Auenland, darunter leider auch das eine oder andere schwarze Orkschaf, das die Gunst der Stunde nutzt, um mit vorsätzlichen Gewalttaten alte Vorurteile der Auenlandbewohner über die … ähm … leichte Reizbarkeit der Einwohner Mordors neu anzustacheln. 

Die Anführer der Nazihobbits

Das Ziel ist es, einen Konfessionskrieg zu entfesseln. Traurigerweise fallen Frodo (Alexander Wendt) und Bilbo Beutlin (Henryk M. Broder), die Anführer der Nazihobbits, auf diese leicht zu durchschauende List herein und versammeln schon bald eine stetig wachsende Schar von Auenlandtümlern, die sich eine Vergangenheit als ethisch reine Hobbitgesellschaft ohne Schießereien, Rumgemessere, Massenvergewaltigungen und vorsätzlich in Passanten rasende Kutschen zurechtphantasieren, die es so in Wahrheit nie gab. 

Prinzessin Arwen, die sich nach wie vor dem Frieden und der Völkerverständigung verpflichtet fühlt, übernimmt einen von der halbstaatlichen Anton-Amadeus-Stiftung angebotenen Job, der wie die Faust aufs Auge zu ihrem persönlichen Anforderungsprofil passt. Nacht für Nacht für Nacht sitzt sie vor ihrer Glaskugel, beobachtet die „Auenland-VZ”-Profile der bekannten Hobbithetzer, protokolliert minutiös verdächtige Likes und Kommentare der braunen Halblinge. Ein Job, der körperlich zehrt. Schon bald ist das einzige, was noch an ihre alten Zeiten erinnert, als sie – bildhübsch und durchtrainiert – mit Schwert und Bogen durch das Land streifte, das Profilbild ihres Kundschafter-Accounts. Aber zumindest ihre großen Elbenohren kommen ihr jetzt zugute. Schon bald füllt sich Akte um Akte, und der Gedanke an ein Buchprojekt reift in ihr heran.

Zur gleichen Zeit schmiedet Sauron (Birgit Kelle), die Herrscherin Mordors, in der Glut des Feuerbergs einen mächtigen Zauberring.

Den Einen/ ihn zu knechten/ ihn immer zu finden/ 

ins Dunkel zu treiben/ und ewig zu binden. 

Diesen Ring steckt sie an den Finger des unschuldigen Hobbit Smeagol (Klaus Kelle), um ihn unter ihre Kontrolle zu bringen und in eine grauenhafte, zwangsheteronormative Kreatur namens Gollum (Matthias Matussek) zu verwandeln. Hier tritt Gandalf der Graue (Heinrich Schmitz) endlich in Erscheinung, der Gollum rät, seinen SCHATZ einfach in die Glut des Feuerbergs zu werfen, um den Bann zu brechen. Gesagt, getan. Der Ring und Birgit stürzen in die Glut. Und alle sind glücklich. 

Alle, bis auf Arwen, deren Buch in der Amazon-Rangliste nicht über Platz 637.892 hinauskommt. 

Doch Gandalf der Graue spricht einen Zauber und – simsalabim – schon steht Arwens Buch als Grundschul-Pflichtlektüre im Bildungsplan, wird von regierungsnahen Zeitungen, befreundeten Bloggern und wohlgesonnenen staatlichen und halbstaatlichen Instituten und Stiftungen beworben, worauf es wie durch Zauberei über Nacht um dreißig Plätze nach oben klettert. Voller Freude fällt Arwen ihrem Gandalf um den Hals und gelobt – frei nach dem alten Dichtermotto: „Nennst du mich Goethe, nenn’ ich dich Schiller“ – seine nächste magische Kolumne auf Facebook zu teilen.  Und wenn sie nicht beworben sind, dann werben sie noch heute.

Dieser Beitrag erschien auch in Alexander Wendts Magazin Publico

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Thomas Raffelsieper / 14.04.2018

dass sich das Wort „Aufklärer“ oft keineswegs aus der Epoche der Aufklärung ableitet, sondern manchmal auch von der alten Stasi-Berufsbezeichnung…  sehr schön übergeleitet und nachvollziehbar, chapeu.

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