Helmut Ortner, Gastautor / 26.10.2024 / 12:00 / 32 / Seite ausdrucken

Nawalnys Vermächtnis

Die Autobiografie des in einem russischen Straflager ermordeten Kremlkritikers Alexej Nawalny ist eine politische und persönliche Anklageschrift gegen Putins Regime – und Vermächtnis eines Mannes, der den Glauben an eine bessere Zukunft Russlands nicht aufgeben wollte.

Das Ende war so, wie er es vorausgesehen hatte: „Ich werde den Rest meines Lebens im Gefängnis verbringen und dort sterben. Es wird niemand da sein, von dem ich mich verabschieden kann“, notierte Alexej im Putin’schen Gulag. Am 16. Februar 2024 starb er allein im Straflager „Polarwolf“ in der Arktisregion unter nicht geklärten Umständen. Tagelang weigerten sich die Behörden, seine Leiche herauszugeben, bis seine Mutter Ljudmila Nawalnaja in einem Videoappell an Putin die Erpressungsversuche öffentlich machte. Sie erreichte es letztlich, dass Nawalny am 1. März unter großer Anteilnahme tausender Menschen in Moskau beerdigt wurde.

Vor seinem Tod hat er vieles bedacht, notiert, aufgeschrieben: für sich, seine Lieben, seine Freunde und Unterstützer; für alle, die ihn überleben sollten. Seine Aufzeichnungen – auch die unvollständigen – sind jetzt als Buch erschienen.  Es ist die umfassende Geschichte seines Lebens: seine Jugend, seine Berufung zum Aktivisten und Oppositionellen, seine Ehe und Familie sowie sein Einsatz für Demokratie und Freiheit in Russland, eine machtvolle Polit-Oligarchie, die ihn unbedingt zum Schweigen bringen will, die zahlreichen Anschläge auf ihn und seine Vertrauten und die wirksamen Kampagnen, die er und sein Team gegen das diktatorische Putin-Regime zu führen wagen. 

Wer Nawalnys politische Karriere verfolgt hat, kennt viele Stationen des Buches. Und er kennt auch die beißend scharfe Kritik des rastlosen Oppositionellen – bei öffentlichen Auftritten vor Tausenden Demonstranten, in seinen Sendungen im Internet oder vor Gericht. Einer,  der wie kein anderer mit unzähligen Enthüllungen ein mafioses System unter Putin anprangerte – und dafür verfolgt, vergiftet, inhaftiert, schließlich ermordet wird.

Warum hat er sich all dem ausgesetzt? Im Buch findet sich eine ausführliche Antwort auf die immer wieder gestellte Frage, warum er trotz drohender Inhaftierung und Todesgefahr von Berlin nach Moskau zurückgeflogen sei. Nur so könne er glaubhaft in seiner Liebe zu Russland sein. Alles andere wäre Verrat. Seine Aufzeichnungen und Texte beleuchten diesen schwierigen Balanceakt, für politische Überzeugungen Familienglück und das eigene Leben zu opfern.

Dass Alexej Nawalny auch in den dunkelsten Stunden der Haft – trotz Folter und Krankheit – seinen schneidenden Humor und hartnäckigen Optimismus nicht verlor, auch nicht den Glauben an eine bessere Zukunft Russland, ist bei der Lektüre des Buches auf berührende Weise spürbar. Vor allem die Liebe zu seiner Frau Julia und seinen Kindern Dascha und Sachar. Sie hat ihn getragen – bis zuletzt. Julia Nawalnaja sagt in einem Clip bei Instagram, sie habe immer wieder lachen und weinen müssen, als sie seine begonnene Arbeit an dem Buch beendete. Sie sieht es als Vermächtnis ihres Mannes. Das Buch erscheint zwar nicht in Russland, aber auf Russisch und in 19 weiteren Sprachen, darunter auf Deutsch, im S. Fischer Verlag. Alexejs Nawalny Autobiografie "Patriot" ist ein durch und durch politisches Buch – und eine große Liebesgeschichte. Wir sollten es lesen – und vor diesem mutigen Mann verneigen. 

„Alexej Nawalny, Patriot“, S. Fischer Verlag, 560 Seiten, 28 Euro

 

Helmut Ortner hat bislang mehr als zwanzig Bücher, überwiegend politische Sachbücher und Biografien veröffentlicht. Zuletzt erschienen: „Widerstreit: Über Macht, Wahn und Widerstand“ und „Volk im Wahn – Hitlers Deutsche oder Die Gegenwart der Vergangenheit“. Seine Bücher wurden bislang in 14 Sprachen übersetzt.

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Leserpost

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Steve Acker / 26.10.2024

Nowitschok soll ja das tödlichste Gift überhaupt sein. Erstaunlich . das haben schon 3 Personen überlebt: Nawalny und die Skripals.

Steve Acker / 26.10.2024

Nawalny hatte ja eine Tonaufnahme veröffentlicht, in dem er den Agenten der ihn auf dem Flug vergiftet , reingelegt hatte, und dazu gebracht hat, den Vorgang zu erzählen. Diese Geschichte kann ich nicht glauben. Generell, wenn jemand oder etwas in der Öffentlichkeit so hochgejubelt wird, bin ich erstmal misstrauisch.

Stefan Riedel / 26.10.2024

Ein politisches Straflager am nördlichen Polarkreis! Putin = Stalin? Gibt es einen glaubwürdigen Totenschein? Ach ja , das KZ, falsch! Es war n u r der Gulag? Am nördlichen Polarkreis?

Johannes Schuster / 26.10.2024

@L. Luhmann: Die größte Geschichte zergeht mitunter an der Banalität der Sache.  Danke für den Kommentar.

maciste rufus / 26.10.2024

maciste grüßt euch. herr nawalny war ein politischer wirrkopf und starb, wie auch der ukrainische geheimdienstchef zähneknirschend zugab, eines natürlichen todes. die westlichen medienpolitschranzen haben sich wieder einmal in unsinnige und falsche narrative verrannt. wenn doofland, europa, der westen und die weiße rasse überdauern wollen, braucht es einen zusammenschluß mit rußland und klare kante gegen den rest. bekennt euch zu putin und trump. battle on.

HDieckmann / 26.10.2024

Nawalny war der CIA-Mann für einen “Maidan” in Moskau. Ein Selenskij 3.0 quasi. Was erlauben Achse, eine solche Anti-Russland-Propaganda unkritisch zu verbreiten? Die USA, Nato, EU, Deutschland, England, Frankreich, ... bereiten einen Krieg gegen Russland vor. Navalnys Rolle dabei war die Destabilisierung Russlands im innern. Russland politisch, militärisch und wirtschaftlich schwächen (Baerbock will Russland ruinieren), das sind die Ziele des Westens. Der deutsche Vernichtungskrieg gegen Russland hat 27 Millionen Russen das Leben gekostet. Wir Deutschen sollten uns nicht an der Kriegspropaganda gegen Russland und der Verteufelung Putins beteiligen. Informieren sie sich bitte über die Verbrechen des Westens in Kiew, um die dortige Opposition gegen die US-Marionette Selenskij auszuschalten. Und das besprochene Buch wurde wahrscheinlich in Langley geschrieben.

Emanuel Franziskus Penzkofer / 26.10.2024

Man höre sich an, was Scott Ritter zu Nawalny zu sagen hat, und der ganze von Herrn Ortner eilfertig zusammengekehrt Haufen welker Propagandablätter zerstiebt zur Jahreszeit passend beim leichtesten Luftstoß.

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