Nawalny-Anwälten droht jahrelange Haft

Wer in Russland als Anwalt Regierungskritiker verteidigt, muss mit der Rache des Putin-Systems rechnen. Dieses Schicksal trifft jetzt auch drei Anwälte von Alexej Nawalny. Wegen angeblicher „Beteiligung an einer extremistischen Gemeinschaft“ stehen sie vor Gericht.

Die russische Justiz hat einen Strafprozess gegen drei Verteidiger des in Haft gestorbenen Kreml-Kritikers Alexej Nawalny begonnen. In dem Verfahren in der Kleinstadt Petuschki, 120 Kilometer östlich von Moskau entfernt, wird ihnen die Zugehörigkeit zu einer extremistischen Vereinigung zur Last gelegt. Gemeint ist der von Nawalny gegründete „Fonds zur Bekämpfung der Korruption“. Presseberichten zufolge schloss die Vorsitzende Richterin gleich zu Beginn die Öffentlichkeit von der Verhandlung gegen Wadim Kobsew, Alexej Lipzer und Igor Sergunin aus. Als Grund nannte sie eine Warnung der Polizei vor angeblichen Provokationen durch Unterstützer der Anwälte.

Die drei Anwälte waren im Oktober vorigen Jahres verhaftet worden und auf eine Liste von „Terroristen und Extremisten“ gesetzt worden. Nawalnys Umfeld bezeichnete das Vorgehen der Justiz seinerzeit als Akt der Einschüchterung, um den zu dem Zeitpunkt in einem Straflager in Haft sitzenden Kremlkritiker weiter zu isolieren. Alexej Nawalny starb offiziellen Angaben zufolge am 16. Februar 2024 in einer Strafkolonie im Norden Sibiriens. Laut Kreml starb er eines natürlichen Todes – woran bis heute Zweifel gibt.

Die Anklage gegen die drei Anwälte ist ein weiterer Beleg für Putins Willkür-Justiz. Im April wurde das Urteil gegen Lilia Tschanyschewa, einer Ex-Mitarbeiterin des Nawalny-Unterstützungsteams, um zwei Jahre auf neuneinhalb Jahre Haft verlängert. Das Gericht in der Stadt Ufa am Ural folgte damit einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft, die die Strafe wegen der angeblichen Gründung einer „extremistischen Organisation“ angefochten hatte. Ein „Horror-Urteil“, das dennoch weithin in der westlichen Öffentlichkeit ignoriert wurde.

Im Juli verurteilte Putins Willkürjustiz die Dramatikerin Swetlana Petritschuk und die Regisseurin Jewgenija Berkowitsch zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt – diesmal wegen "Rechtfertigung des Terrorismus".  Die Justiz störte sich am Stück „Finist - Heller Falke“, ursprünglich Titel eines bekannten russischen Märchenfilms aus dem Jahr 1975, in dem ein gutmütiger Bauer durch Zauberei zu einem Monster wird. Das jetzt beanstandete Drama, in dem die Thematik Gehirnwäsche zeitgemäß bearbeitet wird, bekam 2022 noch einen renommierten russischen Theaterpreis – nun sah die Justiz darin eine Diffamierung des russischen Staates und eine „Förderung des Terrorismus”. Laut staatlicher Nachrichtenagentur TASS könnten die Verurteilten im kommenden Jahr auf Bewährung freikommen, wohingegen westliche Rechtsexperten frühestens 2027 mit einer möglichen Haftverschonung rechnen.

Die gefährliche Arbeit von Anwälten für Menschenrechte

Allen Verfahren ist eines gemeinsam: Putins Justizbehörden gehen mit aller Härte gegen jede Opposition und jede Regierungskritik vor.  Die Gefahr, dass diejenigen, die gegen dieses Repressions-System ihre Stimmen erheben, selbst zu ihrem Opfer werden, ist groß.

Nawalnys Witwe Julia bezeichnete die drei Angeklagten in einem Youtube-Video als politische Gefangene. „Sie haben keine Verbrechen begangen”, sagte sie. „Sie sind im Gefängnis, weil sie einfach ihre Arbeit machen, die jeder Anwalt mit jedem Gefangenen machen sollte: eine Verteidigungsstrategie ausarbeiten, Fragen der Haft im Gefängnis besprechen, Beschwerden schreiben, Klagen einreichen.”

Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ist die Arbeit von Anwälten für Menschenrechte gefährlich, mitunter lebensgefährlich geworden. Dennoch verteidigen mutige Anwälte in Russland weiterhin ihre Mandanten gegen die Justizwillkür unter Putin. Sie zu darin zu unterstützten, sollte uns Verpflichtung sein.

Helmut Ortner hat bislang mehr als zwanzig Bücher, überwiegend politische Sachbücher und Biografien veröffentlicht. Zuletzt erschienen: „Widerstreit: Über Macht, Wahn und Widerstand“ und „Volk im Wahn – Hitlers Deutsche oder Die Gegenwart der Vergangenheit“. Seine Bücher wurden bislang in 14 Sprachen übersetzt.

Foto: Evgenyfeldman CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Franz Klar / 19.12.2024

@Gerd Maar : “Auf den Whataboutism der üblichen Kommentare hier ist immer Verlass” . So sehr , daß mittlerweile zweieinhalb Parteien gut davon leben können . Ein Wachstumsmarkt !

kai marchfeld / 19.12.2024

Achja…die bösen Russen wieder. Gut, dass es die gibt. Das lenkt so herrlich von den eigenen Unzulänglichkeiten ab. Wobei: Edward Snowden und Julian Assange erleben den guten Westen vielleicht noch einen Tick differenzierter. Oder kurz formuliert: Das Gruseln im Osten macht das Elend im Westen keinen Deut besser.

E Ekat / 19.12.2024

Wie steht es eigentlich mit dem Prozeß gegen die Umsturz-Rentner-Gang? Man weiß manchmal so wenig. Warum eigentlich? Da man nur wenig erfährt gehe ich davon aus, daß die Anwälte von Nowanly nicht alleine wegen des Umstandes, Anwalt zu sein, angeklagt werden. Vertrauen wir unseren Medien, daß sie hier noch hineinleuchten. Russische Medien sind ja bekanntlich gesperrt. Über die Leier eines Whatsaboutismus hinaus sollte mehr erwartet werden dürfen. 

Gregor Horn / 19.12.2024

@ Horst Mahler: Erleuchten Sie mich. Was an den Umstand, Kommentar, Hinweis, daß die hiesige Justiz sich von der russischen, siehe Corona Irrsinn, siehe die Politik der aktuellen Regierung nicht mehr so von der des Kreml unterscheidet, ist ein whataboutism ? Was an dem Umstand, daß man erstmal vor der eigenen Türe kehren soll, ist misszuverstehen, völlig egal um welches Land es geht ? Und was hat das Alles auf einmal mit den Geopolitischen Interessen Russlands zu tun ? Aber vielleicht verstehe ich dies alles deswegen nicht oder hab einfach dazu eine andere - nicht mainstreamkonforme - Meinung, weil ich ein „verblendeter Ideologen direkt aus dem Kreml“ bin. Verdammt, dabei sprech ich gar kein Russisch und das kyrillische Alphabet kann ich auch nicht.

Gregor Horn / 19.12.2024

@Marc Greiner: Was vor 10 Jahren war ist irrelevant. Relevant ist die Justiz, wie sie sich heute aufstellt, wie die sich heute von unserer Regierung gegen den Bürger missbrauchen lässt. Und die unterscheidet sich nicht mehr so sehr von der Russlands. Und Rechtsanwalt Haintz saß, meines Wissens, in der Zeit des Corona Irrsinns, genau deswegen auch im Knast. Und bei dem Verfall unsere Justiz sind Ihre „Prognosen“ zu den RAs Vosgerau und Steinhöfel nur eine Frage der Zeit. Und ich billige weder Russlands Politik noch interessiert mich dessen Krimannexion, die wohl nach der dortigen Volksabstimmung letztendlich völkerrechtlich OK war. Aber ich verstehe nicht, warum man einen Russland nicht die gleichen geostrategischen Zugeständnisse macht, wie sie für Vereinigten Staaten absolut selbstverständlich sind.

Sam Lowry / 19.12.2024

@Tom Schiller: Volle Zustimmung…

Marc Greiner / 19.12.2024

@Gregor Horn—-Vor 10 Jahren war es hierzulande viel besser aufgestellt mit der Justiz. Keiner konnte sich Beleidigungsklagen und Hausdurchsuchungen vorstellen. Und trotzdem wird hier seit der Krimannexion die gleiche Leier gespielt und Russland verteidigt. Es geht nicht um hiesige Verhältnisse sondern das Ihresgleiche Russland die Absolution erteilen wollen. Und das es hier immer noch viel viel besser ist als in Russland ist leicht belegbar: unsere Anwälte Vosgerau und Steinhöfel sind weder im Gefängnis noch sind sie aus einem Fenster “gestürzt”.

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