Wie kommt es, dass sich selbst offensichtlich minderbegabte Politiker unfassbar selbstbewusst geben? Da ist zum einen der „grandiose“ Typus, vorrangig gekennzeichnet durch ein starkes Streben nach sozialer Bewunderung, zum anderen der durch Rivalität charakterisierte, der Selbsterhöhung durch Abwertung von Rivalen zu erreichen versucht.
Spätestens seit dem Beginn des deutschen Ampelzeitalters treibt mich eine Frage um: Wie kann es sein, dass Politiker, die teils dermaßen ungebildet, ahnungslos und ohne jede berufliche Erfahrung sind, sich ein Minister- oder ähnlich hohes Amt überhaupt zutrauen – und das ohne erkennbare Skrupel oder auch nur etwas Demut, dafür aber immer mit großer Klappe und scheinbar oder auch offensichtlich völlig überzeugt von sich selbst. Woraus speist sich ein solch grandioses Selbstbewusstsein? Die ebenso breite wie unkritische Unterstützung durch die einschlägigen Medien ist da sicherlich hilfreich, genügt als alleinige Erklärung aber wohl kaum.
In der Hochphase des letzten Bundestagswahlkampfes stellte die taz – vorrangig mit Blick auf Baerbock und Habeck – zunächst fest, dass es ohne Narzissmus in der Politik nicht gehe, und schloss die Frage an: „Wo verläuft die Grenze zwischen gesunder Selbstliebe und übersteigertem Narzissmus?“ Damit soll die Spur gelegt sein, die wir hier etwas breiter verfolgen wollen.
Narzissmus in Psychiatrie und Psychologie
Lange habe ich mich innerlich gesträubt, etwas zum Thema Narzissmus und Politik zu schreiben, führt doch eine Psychiatrisierung von Politik oder auch Politikern – zumal aus der Perspektive des Außenstehenden – nur selten zu wirklich fundierten und belastbaren Resultaten, auch wenn das Internet die Beurteilungsbasis zweifellos deutlich erweitert hat. Etwas anders verhält es sich dagegen mit der kleinen Schwester der Psychiatrie, also der Psychologie, genauer: der Persönlichkeitspsychologie. Denn die beschäftigt sich nicht mit dem Krankhaften, sondern dem Normalen und seinen Varianten, also den individuellen Besonderheiten des Erlebens und Verhaltens – bis hin an den Grenzbereich zum Pathologischen.
Der Narzissmus ist in erster Linie ein solch normalpsychologisches Phänomen. Nur bei extremer Ausprägung übernimmt die Psychiatrie und diagnostiziert dann eine narzisstische Persönlichkeitsstörung, charakterisiert durch ein Muster von Gefühlen von Großartigkeit, ein Bedürfnis nach Bewundertwerden und mangelnde Empathie. Von der wissenschaftlichen Psychologie wird der Narzissmus in mehrere Facetten oder auch Typen unterteilt. Weit verbreitet ist ein Konzept, das zwei sehr grundlegende Typen unterscheidet: zum einen den grandiosen Typus, der ganz vorrangig gekennzeichnet ist durch ein starkes Streben nach sozialer Bewunderung; zum anderen den durch Rivalität charakterisierten, der Selbsterhöhung durch direkte oder indirekte Abwertung von Rivalen zu erreichen versucht.
Wie in der Psychologie üblich, wurden diese oder ähnliche Konzepte weiter spezifiziert, übertragen in entsprechende Fragebögen und schließlich eingesetzt bei den unterschiedlichsten Stichproben. Nicht zuletzt auch in der Politik, also bei Politikern und Wählern – teils mit durchaus bemerkenswerten Ergebnissen. Aktuell scheint das Interesse am Narzissmus wieder zu wachsen. So hat eine nicht unbedeutende wissenschaftliche psychologische Zeitschrift jüngst die einschlägige Forschungsgemeinde dazu aufgerufen, sich an der weiteren Erforschung speziell der Rolle des Narzissmus in der Politik zu beteiligen, insbesondere im Hinblick auf deren Fähigkeit zur Lösung von Problemen – den ganz großen oder auch den etwas übersichtlicheren. Als Belohnung winkt die Veröffentlichung der Studie in einem geplanten Schwerpunktheft.
Einige interessante Forschungsergebnisse
Repräsentative Studien aus den USA und Dänemark zeigen, dass Narzissten von der Politik in besonders starker Weise angezogen werden, nehmen sie doch häufiger an bestimmten Arten des politischen Geschehens teil. Dieses häufigere politische Engagement erfolge durchaus nicht nur aus ideellen Gründen, sondern auch im Hinblick auf konkrete Vorteile oder Belohnungen.
Andere Untersuchungen ergaben, dass es grandiosen Narzissten besonders häufig gelingt, an die Spitze von Unternehmen zu gelangen. Allerdings gibt es keine fundierten Hinweise darauf, dass diese Unternehmen auch erfolgreicher sind oder die narzisstischen Führungspersonen kompetenter als weniger narzisstische. In der Politik scheint es sich teilweise ähnlich zu verhalten. Jedenfalls konnte für die USA gezeigt werden, dass nicht nur die an einem politischen Amt bloß Interessierten sich durch einen erhöhten Narzissmus auszeichnen, sondern vor allem auch die dann tatsächlich Kandidierenden. Es bestehe Konsens, dass Politiker zu den narzisstischsten Personen des öffentlichen Lebens gehören. Legendär seien etwa Hillary Clintons „grandioser“ Narzissmus und Donald Trumps „vulnerabler“ Narzissmus.
Grandiose Narzissten scheinen vergleichsweise tough zu sein – sie trauen sich mehr zu. Etwa wie in dieser Studie, wo sie weniger Angst vor der (damaligen) Covid-19-Pandemie und vor einem intellektuellen Versagen bei einem anstehenden Intelligenztest zeigten. Dabei sind beide Narzissmustypen unabhängig von Intelligenztest-Leistungen. Aber grandiose Narzissten halten sich für intelligenter, als sie tatsächlich sind.
Ein anderer Forschungszweig beschäftigt sich mit der Frage nach dem Zusammenhang von Narzissmus und politischer Orientierung, zu dem es bemerkenswert wenig empirisch Gesichertes gibt. Eine aussagefähige Studie, basierend auf einer repräsentativen Stichprobe der US-Präsidentschaftswähler 2016, fand als zentrales Ergebnis heraus, dass rechte und linke Wähler unterm Strich gleich narzisstisch sind. Aber die beiden politischen Lager unterschieden sich in einzelnen Narzissmus-Aspekten, nicht in den eher positiven, sondern ausschließlich in den negativen: Der sogenannte Anspruchsaspekt ist durchgehend verbunden mit eher „konservativen“ Positionen. Diese Wähler stimmen also eher Aussagen zu wie „Ich werde niemals zufrieden sein, bevor ich nicht alles das bekomme, was mir zusteht“ oder „Ich habe einen starken Machtwillen“. Angeberei ist dagegen eher mit „liberalen“ Einstellungen verknüpft, die sich in den Statements „Bescheidenheit passt nicht zu mir“ und „Ich neige dazu anzugeben, wenn sich mir Gelegenheit dazu bietet“ widerspiegeln.
„Focus“ hält sich eine Narzissmus-Expertin
In deutschen Medien – so jedenfalls das Ergebnis meiner kurzen Google-Recherche – spielt das Thema Narzissmus in der hiesigen Politik kaum eine Rolle. Neben dem bereits erwähnten taz-Artikel bin ich noch auf anderthalb andere gestoßen: Die FR hat sich vor zwei Jahren mal an diesem Thema versucht – mit dem Ergebnis: „Scholz und Laschet sind eher keine Narzissten, bei Annalena Baerbock ist eine ganz kleine Neigung zu erkennen, während Markus Söder in dieser Kategorie die volle Punktzahl erreicht.“ Scholz schneidet bei der FR deshalb so günstig ab, weil er „Demut“ in Bezug auf seine Fehleinschätzung der G7-Krawalle in Hamburg gezeigt habe – nun ja. Auch Narzissten, liebe FR, können (verbal) Demut zeigen, wenn es ihnen nützt. Der Focus hält sich gar eine eigene Narzissmus-Expertin. Die fragt sich angesichts des „superteuren“ Fotografen von Habeck und der 100.000 Euro-Visagistin von Baerbock, ob das jeweils Anzeichen für Narzissmus sein könnten? Sie kann die Leser beruhigen: wohl eher nicht. Vielleicht gehe das ein bisschen in Richtung Eitelkeit, aber Ferndiagnosen solle man ohnehin nicht stellen. Solche Experten braucht das Land.
Narzissmus bei Grünen? Fehlanzeige
Erstaunlicherweise – oder vielleicht auch nicht – gibt es in der wissenschaftlichen Literatur nicht eine einzige empirische Studie, die sich speziell mit dem Thema Narzissmus bei grünen Politkern oder grünen Wählern beschäftigt. Hier scheint es ein unausgesprochenes Kontaktverbot zu geben. Niemand aus dem ja ganz wesentlich grün-links geprägten Milieu der universitären Sozialwissenschaften möchte offenbar das berufliche Risiko eingehen, diese Partei oder ihre Wähler mit dem Label des Narzissmus zu beflecken.
Dabei darf getrost unterstellt werden, dass der ein oder andere Wissenschaftler entsprechende Datensätze schon mal – just for fun – durch seinen Rechner hat laufen lassen. Dass bisher aber so rein gar nichts veröffentlicht wurde, kann auch als indirekter Hinweis darauf gedeutet werden, dass die Ergebnisse nicht gerade schmeichelhaft ausfielen. Der eigenen Reputation zweifelsohne förderlicher ist es dagegen, die AfD oder die „Rechtspopulisten“ allgemein in irgendeine Verbindung mit dem Thema Narzissmus zu bringen, wie es der seit 2022 amtierenden Lehrstuhlinhaberin für Politische Soziologie an der Uni Bamberg, Prof. Sabrina J. Mayer, bereits zweimal gelungen ist.
Schon in ihrer Zeit an der Uni Mainz verfügte sie über einen repräsentativen Datensatz (GESIS-Panel). Die Teilnehmer beantworteten 2016 unter anderem auch sechs Items aus einem Narzissmus-Fragebogen und die Frage, welche Partei sie wählen würden, wären am kommenden Sonntag Bundestagswahlen. Dieser Datensatz wurde von Mayer und ihren zwei Koautoren allerdings nur sehr selektiv ausgewertet. Die doch besonders naheliegende Analyse, wie sich die Wähler bestimmter Parteien – zum Beispiel Grünen- vs. AfD-Wähler – in puncto Narzissmus unterscheiden, wurde nicht in Angriff genommen. Stattdessen wird sich ausschließlich an den AfD-Wählern abgearbeitet, was die einschlägige Forschungsgemeinde natürlich mit Pluspunkten goutiert.
An der Wissenschaftsfront
Im Stile eines Boulevard-Mediums oder auch Kriegsberichterstatters titelte die Pressestelle der Uni Mainz dazu im März 2020: „Zusammenhang zwischen narzisstischer Persönlichkeit und Rechtspopulismus aufgedeckt.“ Gemeint war damit die eben erwähnte Veröffentlichung von Mayer, die hier nicht detaillierter besprochen werden soll. Denn im August 2021 publizierten Mayer und ihr Koautor Nguyen eine ganz ähnliche, aber statistisch noch etwas ausgefeiltere Studie mit dem reißerischen Titel: „Wütende reaktionäre Narzissten? Wut aktiviert die Verbindung zwischen Narzissmus und Unterstützung rechts-populistischer Parteien.“ Anklänge an den „Wutbürger“ sind hier ausdrücklich erwünscht.
Bei der Besprechung dieser Studie soll großzügig, auch wenn das einem Wissenschaftler alter Schule nicht leicht fällt, darüber hinweggesehen werden, dass Professorin Mayer assoziiertes Mitglied des DeZIM ist, also des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung, bei dem es sich bekanntlich in allererster Linie um eine linksradikale Propaganda- und Umerziehungsanstalt handelt (Achgut berichtete), deren wissenschaftlichen Output (zum Beispiel hier und hier) man zumindest ganz überwiegend nur in die Tonne treten kann (z.B. hier).
Ein typischer Fall von Datenquälerei
Nach Lektüre von Mayers 2021er Publikation drängt sich zunächst einmal der Wunsch auf, in Analogie zum Tierschutzgesetz das Datenschutzgesetz dahingehend zu erweitern, auch Datenquälerei unter Strafe zu stellen. Trotz aller statistischen Kunstgriffe führt aber kein Weg an der Erkenntnis vorbei, dass diese Studie zunächst, genau wie die 2020er Studie, eine große Enttäuschung für die Leser bereit hält: Es findet sich nämlich keine direkte Beziehung zwischen narzisstischer Rivalität und einer Stimmabgabe für die AfD.
Nach exzessiver Datenquälerei können die Autoren aber wenigstens einen Teilerfolg vermelden: Erwartungsgemäß beeinflusse eine – wie es nicht ganz treffend heißt – „reaktionäre politische Orientierung“ die Stimmabgabe pro AfD positiv. Diejenigen mit höherer narzisstischer Rivalität, die außerdem einen erhöhten Wutpegel angaben, also ankreuzten, sich in den letzten vier Wochen stärker geärgert zu haben, wählten etwas häufiger AfD als die ohne erhöhten Wutpegel. Genauer: Ein hohes Ausmaß von „Wut“ stellt – vermittelt über den Persönlichkeitszug narzisstischer Rivalität – eine vorbestehende „reaktionäre politische Orientierung“ dergestalt scharf, dass die Betroffenen etwas häufiger als Menschen ohne diesen Persönlichkeitszug ihr Kreuz bei der AfD machen.
Die Autoren vermeiden es, die Stärke dieses Effektes für den Leser zu veranschaulichen. Warum wohl? Erstens, weil es sich um einen zwar statistisch signifikanten, aber erkennbar eher geringen Effekt handelt. Zweitens, weil in Bezug auf die ebenfalls erfassten „Vorbehalte gegenüber Immigranten“ sich ein gegenteiliger Effekt zeigt: Ein hoher Wutpegel bei denjenigen mit höherer narzisstischer Rivalität erhöht nicht, wie eigentlich doch zu erwarten, die „Vorbehalte gegenüber Immigranten“, sondern vermindert diese und damit auch die Wahrscheinlichkeit, AfD zu wählen. Was schlicht und einfach unplausibel ist, von den Autoren aber nicht diskutiert wird. Beim kritischen Leser wird dadurch allerdings der Verdacht bestärkt, dass wir es hier mit Ergebnissen zu tun haben könnten, die sich in einer erneuten Untersuchung nicht bestätigen lassen, was ja bekanntlich in 46 bis 64 Prozent von psychologischen Studien der Fall ist, also mitnichten ein seltenes Ereignis.
Narzissmus bei grünen Politikern und Wählern
Genaues weiß man nicht, es darf also frei assoziiert werden, wenngleich aus Gründen der Staatsräson selbstverständlich mit der gebotenen Zurückhaltung. Aber bildet nicht die dem grünen Funktionärs- und Ministerkörper innewohnende moralische Erhabenheit – bei gleichzeitigem Besitz des Schlüssels zur Weltenrettung vor der Klimaapokalypse – bereits ein im narzisstischen Sinne grandioses Fundament? Geht diese Selbstüberschätzung einher mit einem durchgehend ideologischen, also wirklichkeitsfernen Denk- und Wertesystem, schützt das auch noch davor, eigenes Versagen als solches überhaupt zu registrieren oder gar anerkennen zu müssen. Hinzu kommt: Kritik von Klimaleugnern, Rassisten, Verschwörungstheoretikern, Transfeinden, Rechten oder Nazis muss man ohnehin nicht zur Kenntnis oder gar ernst nehmen.
Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Wolfgang Meins ist Neuropsychologe, Arzt für Psychiatrie und Neurologie, Geriater und apl. Professor für Psychiatrie. In den letzten Jahren überwiegend tätig als gerichtlicher Sachverständiger im zivilrechtlichen Bereich.