Nahschuss

Die DDR ist nach über dreißig Jahren zu einer Art Vineta mutiert. Sie liegt auf dem Grund der Geschichte, nur ab und zu dringen noch Nachrichten über die zweite deutsche Diktatur des letzten Jahrhunderts an die Oberfläche des kollektiven Gedächtnisses. Meistens sind es Meldungen, die unter dem Motto „Es war nicht alles schlecht“ abgebucht werden können. Je länger die Erfahrung zurückliegt, desto stärker werden die Tendenzen der Verklärung. Ich kann sogar bei mir beobachten, dass ich mich nach klaren Verhältnissen zurücksehne, mit gut sichtbaren Fronten. Gegen diese Art von Verdrängung ist ein Film wie „Nahschuss ein gutes, wirksames Mittel. Leider gibt es sie zu selten. Auch das geniale Werk von Regisseurin Franziska Stünkel läuft leider überwiegend in kleinen Programmkinos. Ich sah es im winzigen „Intimes“ im Berliner Friedrichshain. Es waren außer mir nur zehn Personen da, die allerdings waren noch sehr jung. Ich hoffe, sie werden, was sie gesehen haben, nicht so schnell vergessen.

Der Film ist, wie in der Ankündigung annonciert, aus der Vermischung von wahren Begebenheiten entstanden. Der Hauptheld Franz Walter ist dem Leben des Stasi-Hauptmanns Werner Teske, des letzten Hingerichteten der DDR, nachempfunden. Sein Schicksal wird verwoben mit dem des Fußballers Lutz Eigendorf, im Film Langfeld, von Dynamo Berlin, Lieblingsclub von Stasichef Mielke. Eigendorf war nach einem Länderspiel in der BRD geblieben. Zusätzlichen Hass der Stasi zog er auf sich, weil er DDR-kritische Interviews gab. Eigendorf sollte deshalb mundtot gemacht werden. Etwa 50 Mitarbeiter der Stasi beobachteten ihn rund um die Uhr. Der Fußballer starb, nachdem sein Wagen geblendet wurde. In den Stasiakten findet sich die Bemerkung, Eigendorf solle „geblitzt“ werden. Dank umfangreicher Aktenvernichtung kann der Stasi der Mord nicht nachgewiesen werden.

Im Film bekommt Franz Walter, den die Stasi mit der Aussicht auf eine Professur dazu verleitete, interimsmäßig für die Hauptverwaltung Aufklärung, also die Westspionage, zu arbeiten, Zweifel, als er hören muss, dass die zurückgelassene Frau Langfeld eine Krebsdiagnose mit anschließender Chemotherapie bekommt, was Langfeld in die DDR zurück locken soll. Im wahren Leben wurde Frau Eigendorf von einem „Romeo“ der Staatssicherheit geheiratet, damit sie den Gedanken einer Familienzusammenführung aufgibt. Solche Romeos hat die Stasi an verschiedensten Stellen eingesetzt, gern auch bei einsamen Sekretärinnen in Bundesministerien.

Im Film ist es kein Romeo, der zum Einsatz kommt, sondern eine Julia, die einen prominenten BRD-Fußballer verführen soll, damit die Stasi ihn erpressen kann. Die junge Frau wird von dem One-Night-Stand schwanger, und Walter muss sie zur Abtreibung zwingen. Als er schließlich den angeblichen Selbstmord von Langfeld mit ansehen muss, beschließt Walter zu flüchten. Er entnimmt seinem Panzerschrank Dokumente und versteckt sie bei sich zuhause.

Das Muster der Tapete

Lars Eidinger spielt den Walter so eindringlich, dass man Gänsehaut bekommt. Aus dem attraktiven jungen Mann mit besten Aussichten wird sehr bald ein psychisches und körperliches Wrack, dem Trunk ergeben. Zum Verhängnis wird Walter, im wahren Leben auch Teske, dass der Stasioberstleutnant Werner Stiller sich mit brisanten Dokumenten in den Westen absetzte und dort viele DDR-Agenten in der Wirtschaft hochgehen ließ. Seitdem wurden die Stasimitarbeiter intern stark überwacht. Teske, der einen Termin versäumte, weil er betrunken in seiner Wohnung lag, wurde stärker unter die Lupe genommen. Dabei wurde festgestellt, dass er von dem Geld, das er Agenten im Westen überreichen sollte, für sich etwas abgezweigt hatte. Das führte erst zu einer internen Untersuchung, dann zur Untersuchungshaft im Stasigefängnis Hohenschönhausen, schließlich zum Prozess und zu seinem Tod.

Geradezu unheimlich gut ist das Stasimilieu im Film porträtiert. Es fehlt nicht das „Schokoladenmädchen“ von Jean-Étienne Liotard, das in vielen Stasihaushalten über dem Sofa hing. Ich vermute, dass es in der stasieigenen Sonderversorgung angeboten wurde. Auch die Partys sind lebensecht nachgestellt. Devid Striesow brilliert als Führungsoffizier von Walter, besonders beim Tanzen und wenn er darüber spricht, dass sein verstorbener Sohn nach Zimtöl gerochen hat, weshalb er seiner Frau von seinen Ausflügen in den Westen immer Zimtöl mitbrachte. Die Stärke des Films ist, die Stasimitarbeiter nicht als Monster zu zeigen, sondern als Menschen wie du und ich. Das macht die Frage, wie sie einem verbrecherischen Regime dienen und dabei selbst zu Verbrechern werden konnten, um so brisanter. Ganz subtil wird auch auf die Parallelentwicklungen der beiden deutschen Teilstaaten hingewiesen. Das Muster der Tapete im Stasibesprechungsbüro ist dem in einer westdeutschen Bar täuschend ähnlich, nur ersteres ist grau-beige, zweiteres tiefrot.

Die Aufnahmen im Stasigefängnis Hohenschönhausen wurden am Originalort gedreht. Das war für mich besonders beklemmend, weil ich unwillkürlich Vergleiche damit anstellte, wie es mir seinerzeit erging, als ich dort eingeliefert wurde. Bis auf ein Detail stimmte alles, auch die ausgefeilten Verhörmethoden des eher gemütlich wirkenden Vernehmers sind beklemmend authentisch.

Schuss in den Hinterkopf nach sowjetischem Vorbild

Gespenstisch dann die Gerichtsszenen. Walter/Teske wurde wegen Hochverrats im schweren Fall zum Tode verurteilt, obwohl er die Spionage, die ihm zur Last gelegt wurde, gar nicht begangen hatte. Sein Urteil erfolgte aus Rache. Eine erzieherische Wirkung konnte seine Hinrichtung nicht haben, denn sie wurde geheim gehalten. Sie erfolgte übrigens in Leipzig, wo die Exekutionen durch unvermittelten Schuss in den Hinterkopf nach sowjetischen Vorbild ausgeführt wurden, nachdem das vorher bevorzugte Fallbeil zuletzt dreimal in Gang gesetzt werden musste, ehe die Hinrichtung endlich erfolgreich war. Wusste Teske, was ihn erwartete, als er von Berlin nach Leipzig transportiert wurde? Wir wissen es nicht. Aber der Name seines Henkers ist bekannt, der seiner Richter auch. Die wurden nach der Vereinigung sogar zu einer geringen Gefängnisstrafe wegen Totschlags verurteilt, Teske 1993 rehabilitiert, weil er auch nach den in der DDR geltenden Gesetzen nicht zum Tode hätte verurteilt werden dürfen.

Der Fall Teske geht mir besonders nahe, weil er in der Nachbarschaft meiner Eltern am Lichtenberger Hendrichplatz wohnte. Ich muss ihm dort begegnet sein. Die Wohnung im Film ist zwar keine vom Hendrichplatz, aber atmosphärisch gut getroffen. Auf der Ende der 1950er Jahre bebauten Seite des Hendrichplatzes zogen junge Offiziers- und Stasimitarbeiterfamilien ein. Mindestens zweimal hat sich in den Jahren, in denen ich dort lebte, ein Familienvater mit seiner Dienstpistole erschossen. Uns Kindern wurde das mit psychischen Problemen erklärt. Teske verschwand einfach, vorsichtshalber wurde nicht über ihn geredet. Ich bedauere sehr, dass ich meine Eltern nicht mehr fragen kann, wie sie dieses Verschwinden ihres Nachbarn erlebt haben. Es ist gut, dass es diesen Film gibt.

Wer wissen will, wie es wirklich war in der DDR, sollte sich diesen Film unbedingt ansehen. Hoffentlich sind wenigstens die Zuschauer dann von aller Illusion über die zweite deutsche Diktatur befreit.

Foto: www.nahschuss-derfilm.de/

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Leserpost

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Michael Scheffler / 12.09.2021

Warum hat der ganze Abschaum keine ordentlichen Strafen bekommen. Jetzt machen sie auf dritte deutsche Diktatur.

Horst Jungsbluth / 12.09.2021

Ein durch und durch verbrecherisches Regime, das sich zudem als vollkommen   unfähig erwies, die Bedürfnisse und ganz normalen Wünsche der Bevölkerung zu erfüllen, die dann einfach eingemauert wurde. Der “Klassenfeind” im Westen wurde mit kriminellen Methoden bekämpft, aber man brauchte ihn dringend,  da ausgerechnet der dafür sorgte, dass in der DDR nicht schon viel eher die Lichter ausgingen. Es ist leider kein Witz, sondern traurige Tatsache, dass die jeweiligen Bundesregierungen und ihre Bürger die DDR wirtschaftlich unterstützten und die SED einen Teil der Gelder dafür verwandte, um schwere Verbrechen in der Bundesrepublik zu verüben und geradezu perfide Pläne ausheckte, um mit NVA und Stasi das freie Westberlin militärisch zu überfallen, da man das dortige Vermögen einkassieren wollte. In der Wendezeit wurde panisch ein Milliardenvermögen verschoben, “rechte” Verbrechen verübt oder provoziert und eine verheerende Politik der verbrannten Erde betrieben, Der neue “Star” Gysi wollte dann sogar noch den sowjetischen Funktionär Falin ermuntern, die bevorstehende Einigung durch militärisches Eingreifen zu verhindern. Die westdeutschen Politiker steckten den Kopf in den Sand und die Journalisten in den Allerwertesten von Gysi. Und jetzt machen unsere “ewig Unverantwortlichen” (fast) alles nach, was in der DDR schiefgelaufen ist.

Johannes Schuster / 12.09.2021

Dieser Fall zeigt auch noch eines: Daß Pershing II nicht aus Jux stationiert wurden. Was daraus wurde, wenn man einem verblendeten Sozialisten nicht Gleiches mit Gleichem zu vergelten droht, kann man sich in der Geschichte der vergangenen 16 Jahre betrachten. Der kalte Krieg der Genossen wird eine zerstörte BRD hinterlassen. Ich glaube, daß die Staatssicherheit es vollkommen unterschätzt hatte, wie wirkungsvoll die Dummverschlagenheit unterer FDJ - Chargen unter dummen Wessis sein konnte. Hätte Wolf gewußt, was Kohls Ziehtochter anrichtet, sie hätten sich Topas getrost gespart und ein paar FDJler mit pragmatischem Dummsprech geschickt. Die größte Bresche der Nato ist doch die Einfalt deutschen Obrigkeitsglaubens. Im Nachgang wird man feststellen, daß Deutschland das Vietnam Europas ist: Stumm nach links revolutioniert und das unter amerikanischer Besatzung. Man könnte auch sagen: Unter Big “M” ging für die Alliierten die Nachkriegsordnung auf Deutschem Boden verloren. 16 Jahre und 20 in Afghanistan und in einem Jahr 2021 zwei Kriege verloren und das mit einer Schauspiellücke von 76 Jahren in Europa. Deutschland ist wieder totalitär: Zynischer kann man den zweiten Weltkrieg als Sieger nicht ein zweites Mal verlieren. Die Schachpartie gewonnen und vom Gegner vorm Lokal erschlagen. Übrigens haben die Deutschen eine ähnliche Masche wie die Taliban: Sie haben nur auf Zeit gespielt und viel gespielt und am Ende kommt das wahre Ich zurück: Jeanny is coming home.

Petra Wilhelmi / 12.09.2021

Liebe Frau Lengsfeld, Widerstand in der DDR haben nur ganz, ganz wenige Bürger geleistet. Die Massen bei den Demos 1989 z.B. kann man dazu nicht heranziehen, um den Widerstand zu definieren. Dazu waren die Zielsetzungen derjenigen, die mit demonstrierten einfach zu bunt durcheinandergewirbelt. Dieser Film kann überhaupt nicht die wahren Verhältnisse in der DDR darstellen. Ein Einzelschicksal ist nicht das Schicksal aller Ostdeutschen. Viele haben die DDR völlig anders erlebt. Wie man in der DDR lebte, ist ganz privat und davon abhängig, wo man arbeitete, wo man wohnte, welche Chefs man hatte, d. h. es war sehr subjektiv. Ich weiß nur, dass ich in der DDR - und ich war weiß Gott nicht die Brave - nicht als Idiot, Bekloppte (jetzt erst von Gauck), Dunkeldeutsche, Nazi, Pack und noch mit viel mehr Schimpfwörter belegt wurde. Das war sicherlich bei den meisten so. Damit will ich nicht sagen, dass ich die Unfreiheit und die fehlende Meinungsfreiheit, die fehlende Reisefreiheit negiere, aber das alles gibt es heute auch wieder. Ich habe Achtung vor Ihren Widerstand in der DDR, aber viele Dokus in im Fernsehen, zeichnen auch ein reales Bild, wie man sich dort als ganz normaler Bürger gefühlt hat. Diese Diktatur jetzt ist sehr viel hinterlistiger, weil sie sich als Demokratie ausgibt und bei der sehr viele Bürger überhaupt nicht merken, wie sie manipuliert werden. Die DDR war dagegen Kindergarten, schon deshalb, weil die Technologie fehlte, die man heute einsetzen kann. Im Übrigen, das muss auch gestattet sein, haben Sie einen Gutteil dessen, was heute über uns gekommen ist, mitgetragen, erst bei den Grünen und jetzt bei der CDU.

Sebastian Weber / 12.09.2021

Vielen Dank, Frau Lengsfeld. Der Film wird angeschaut. Ähhh - nur so zum Verständnis: ist aus der SED (= die für die Todesschüsse an der Innerdeutschen Grenze und andere unsägliche Menschenrechtsverletzungen unmittelbar verantwortlich war) nicht über die PDS Die Linke geworden? Eine im Bundestag vertretene, also mutmaßlich demokratische Partei ?

Annette Mueller / 12.09.2021

Nein, da gibt es kein Erwachen. 99,99% aller ab 45 im Westen und ab 85 im Osten Geborene haben Null Interesse daran sich mit der Realität einer Roten Diktatur zu beschäftigen. Uns gehts doch gut, der Wohlstand hat längst jede Hirnzelle zugekleistert. Man beschäftigt sich lieber mit der Scheinlösung selbst erfundenen Luxusproblemchenen . Also werden Sie die Erfahrung mit einer Dekade Rot-Grüner-Diktatur und danach kommt die Glaubensdiktatur mit der grünen Fahne als Erlebende machen. Game over.

Walter Weimar / 12.09.2021

Wie weit das heutige Deutschland von der DDR entfernt ist, läßt sich nur ahnen. Ein wenig neidisch müssen die heutigen politischen Verantwortlichen schon sein. Sie können zwar hundert mal besser ausschnüffeln und überwachen, auch jedes Gericht wird hinter ihnen stehen, jedes Urteil zu verkünden, aber der finale Schuß bereitet sicher noch Bauchschmerzen. Die Pläne dafür sind sicher vorhanden. Die Coronaübung ist ein Manöver, die Ergebenheit stattlicher Behörden zu prüfen, die Knechtschaft des Volkes zu testen. Weitere Aktionen sicher in der Schublade, nicht nur mit Klima und CO2, sondern Sachen die wir jetzt nicht für möglich halten.

Wilfried Düring / 12.09.2021

Aber, aber Frau Lengsfeld!:  ‘Wer Sozialismus negativ verwendet, hat halt einfach keine Ahnung. So!’ Genossin Saskia Esken auf Twitter; am 8. Janaur 2018. DIESE Frau ist Vorsitzende der SPD, der Partei, welche nach allen Umfragen den nächsten Kanzler stellt. Dieser Kanzler wird übrigens NICHT Olaf Scholz heißen! Die Aufgabe des Herrn Scholz ist, den Wahlpöbel durch sein ‘schlumpfiges Grinsen’ (ich zitierte den CSU-Genossen Söder) zu beruhigen und die Stimmen einzusammeln. NACH der Wahl werden dann seine Verfehlungen in der Wire-Card Affäre plötzlich publik werden. Alle werden völlig überrascht sein und sich eilig vom Wahlsieger Scholz ‘distanzieren’. Und Kanzler wird dann ganz jemand anders! Vielleicht der Genosse Kevin? Vielleicht stellt die SPD ja auch eine Kanzlerin? Noch kurz zurück zum Film. Auf den MfS-Hauptmann Werner Teske (wie auf viele andere Opfer der Roten Dikataturen der letzten 100 Jhre) trifft zu, was ein makaberer Scherz wie folgt formuliert: ’ Er war ein guter Kommunist und wurde gut erschossen - von einem guten GENOSSEN !’. Das ist nicht von mir; mglw. hat Biermann mal so etwas formuliert. Ich kann die Quelle nicht mehr nachweisen.

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