Ahmet Refii Dener, Gastautor / 18.04.2021 / 14:00 / Foto: Pixabay / 28 / Seite ausdrucken

Nächtliche Ausgangssperre – Das ist doch mal was!

Die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung sind einfach zu amüsant, dass man sich kaum bremsen kann, ständig darüber zu schreiben. Ich wäre dafür, dass man eine nächtliche Ausgangssperre, und zwar dauerhaft, einführt, aber nicht in Deutschland, sondern in der Türkei. 

Als ich in Istanbul lebte und arbeitete, hatte ich meine Wohnung direkt am Bosporus. Genau gegenüber waren die meisten Sehenswürdigkeiten der Stadt, so dass ich immer, wenn ich Gäste aus Deutschland hatte, diesen lediglich mit dem Fingerzeig die Blaue Moschee, die Hagia Sophia und den Topkapi Palast von der Terrasse aus zeigte. Gut wars! Istanbul im Schnelldurchlauf. Klar, wenn ich den Gästen eine große Show bieten wollte, waren wir tagelang unterwegs, aber kommen wir zur nächtlichen Ausgangssperre.

Folgende Situation: Wir hatten ca. 20 Uhr und waren mit dem Essen fertig. Die Küche aufgeräumt, kam die Zeit zum Chillen. Bei dem Ausblick waren wir selten in der Wohnung, sondern zumeist auf der Terrasse. Nicht nur der Bosporus, auch viele Menschen kamen nachts in unser Viertel Moda und saßen bis nach Mitternacht in den vielen Teegärten und genossen die Aussicht. Fernsehen hatten wir zwar, aber schauten kaum, denn die meiste Zeit war immer ein Mann mit einem Schnauzer zu sehen, der alle anderen beschuldigte, für die Misere der Wirtschaft und der Menschenrechte in der Türkei schuld zu sein – und dabei vergaß, dass er regierte und nicht die Opposition.

Nach 18 Jahren hat sich nichts geändert. „Wenn wir gewählt werden, werden wir alles besser machen!“ sagte der Mann mit Schnauzer gestern noch. Witzig ist, dass er sich somit ein 18-Jahres-Zeugnis ausstellt und bestätigt, dass er auf der ganzen Linie versagt hat. Kommen wir wieder auf unsere Terrasse. Draußen immer noch fast 30 Grad, die Grillen singen, und wir trinken Tee oder Kaffee und machen es Hunderten, die die Teegärten füllen, gleich. Wenn sich der Mensch nicht eigene Regeln aufzwingen würde, könnte man die Nacht zum Tag machen und erst gar nicht schlafen gehen, denn die Stimmung ist immer danach. Kurz nach Mitternacht sage ich „Wenn ich in Deutschland wäre, würde ich schon längst schlafen.“

Wie die Erwachsenen, so auch die Kinder

Dann tun wir auch so, als wären wir in Deutschland und stehen auf, um schlafen zu gehen. Schnell die Terrasse aufräumen, Tassen und Teller in die Küche schaffen, den Tisch auf der Terrasse einmal schnell wischen und fertig. Immer freute ich mich auf den nächsten Morgen, zumal der Ausblick, obwohl immer gleich, doch anders schön war, wobei ich mich nicht festlegen möchte, ob der Sonnenuntergang nicht doch schöner war. Gut, wir lagen im Bett. Nicht, dass ihr denkt, dass unser Sohn, wie in Deutschland üblich, mit seinen 5–6 Jahren nach dem Sandmännchen, der in der Türkei Erdogan heißt, direkt schlafen ging, nein, mit Mühe und Not schafften wir es, ihn zu überzeugen, knapp eine Stunde vor uns ins Bett zu gehen.

So ist das in der Türkei. Wie die Erwachsenen, so auch die Kinder, die Uhr im Leben eines Türken ist nur eine Belastung. So kurz nach ein Uhr dann passiert es. Die Türklingel geht los. Schlaftrunken springe ich auf, schaue zu meiner Frau und sage: „Was kann da passiert sein? Ist bei den Nachbarn vielleicht was los?“ Ich gehe zur Haustür und schaue durchs Guckloch. Niemand zu sehen. Also muss jemand draußen vor dem Haus stehen. Ich mach die Terrassentür auf, gehe raus und schaue runter. Heiliger Bimbam, ich zähle 6 bis 7 Personen, alles bekannte Gesichter und alles die Verwandten von meiner Frau. Ginge auch nicht anders, denn meine Verwandtschaft weiß, dass ich deutsch geeicht bin, das wussten die anderen zwar auch, aber wer weiß, vielleicht wollten sie mich ja auch nur ärgern.

Widerwillig mache ich in Shorts die Tür auf – schließlich sollte es auch für sie peinlich werden – und laufe auch die ganze Nacht in Schlafmontur rum, damit sie verstehen, dass sie gehen sollen. „Wir wussten nicht, was wir tun sollten, da haben wir gedacht, wir sollten zu Euch kommen und Tee trinken.“ Halleluja, warum zu uns? Nicht genug, dass der Besuch nach Mitternacht kam, nein, es waren auch drei Kinder unter zehn Jahren dabei. Fast wollte ich mich über die Kinder um diese Schlafenszeit wundern, da hörte ich die Kinder im hundert Meter weiter befindlichen Park schreiend spielen. Warum sollten also die Kinder der Verwandtschaft schlafen, wo doch alle anderen Kinder der Türkei auf den Beinen waren?

Tee macht man in der Türkei nicht einfach so schnell, nein, man muss die Teeblätter mit Heißwasser übergießen und dann ziehen lassen, den es sind lauter Teeexperten zu Besuch, die alle schwören, guten Tee vom schlechten unterscheiden zu können, was sie natürlich nicht können. Das Problem ist, wenn man so vielen Tee einschenkt, ist die Teekanne bei einem Mal wieder leer. Also kannst du dich dranhalten und wieder Tee machen. Klar, dass man Tee nicht nur so trinkt, da gehört auch Gebäck dazu. Süß- oder Salzgebäck, ist egal, Hauptsache ungesund.

Bei 7 Personen sind das 14 Schuhe

Was kann um diese Zeit sowieso gesund sein? Die Themen sind immer gleich. Dabei meine ich nicht nur die Überschriften, auch die Inhalte. Was soll man sich auch erzählen, wenn man sich schon tagsüber getroffen und auch mehrmals schon telefoniert hat? Gegen drei Uhr gibt es dann rege Betriebsamkeit, denn die Besucher möchten nach Hause. Das ist keine einfache Prozedur. Bei 7 Personen sind das 14 Schuhe, die man beim Kommen und Betreten der Wohnung ausgezogen hat, die angezogen werden müssen. Die drei Kinder sind ins Schlafkoma gefallen und geben keine Lebenszeichen mehr von sich. Gut so! Jemand sagt: „Nicht, dass die Kinder draußen frieren!“ Ich mache mir eher Sorgen, dass sie auf Höhe des Parks durch spielende Kinder wieder wach werden. Nun gut, die Kussprozedur fällt kürzer aus, weil die drei Kinder schlafen. So müssen vier Erwachsene lediglich acht Mal abgeküsst werden. Macht kein Unterschied, Mann oder Frau, jede lebende Person ist zu küssen. Eigentlich verwunderlich, dass der Erdogan mit Schwulen und Lesben nicht klarkommt, wo doch den ganzen Tag lang die ganze Türkei sich küsst. 

Ruhe kehrt ein. Egal, wann ich schlafen gehe, so lässt mich meine innere Uhr seit den Internatszeiten immer um 5 oder 6 Uhr wachwerden. In Mathematik war ich immer gut. Es blieben noch maximal zwei Stunden Zeit zum Schlafen. Allein die Gedanken, ob ich in so kurzer Zeit einschlafen und mich bis sechs Uhr erholen könnte, lässt mich erst gar nicht einschlafen. Die gezählten Schafe gehen aus. Da haben wir den Salat. Kurz nach fünf stehe ich auf. So wie die Hybrid-Autos vom Vergaser- auf E-Motor umstellen können, stelle ich mich auf Impulsenergie. Nichts zu machen, der Tag muss so überstanden werden. Während des Tages kommen mir Gedanken wie, ob die Selbstschussanlagen aus DDR-Zeiten noch käuflich zu erwerben wären usw. 

So, jetzt wisst Ihr, dass die nächtliche Ausgangssperre, zumindest in anderen Ländern durchaus Sinn machen würde, aber in Deutschland?

Nächtliche Hausbesuche gibt es in Deutschland nicht und wenn die Gastronomie sowieso dicht ist und die Treffen und Events nicht stattfinden dürfen, wo soll dann die Gefahr herkommen, dass sich die Menschen in Scharen auf der Straße aufhalten? Was ist wann falsch gelaufen, dass alle Regierenden so drauf sind, wie sie sind? Vor dem Aufsetzen der Nasen- und Mundbedeckung scheint der gesunde Menschenverstand draußen geblieben zu sein.

Foto: Pixabay

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Jana Hensel / 19.04.2021

Köstlich! Aferim! (Um mein Karl May-Türkisch zu bemühen.) Danke dem Autor für seine Zeilen, die uns aufmuntern sollen! Ich finde es großartig, dass uns auf achgut der Galgenhumor nicht ausgeht!

Sabine Schönfelder / 18.04.2021

„..... im Unterschied zu Ihnen weiß ich, dass die Pandemie kein Fake ist,“...Ach so.  Frau oder Herr @Löwe, gegen so viel Wissen helfen keine Argumente. Kann man nur auf himmlische Eingebung hoffen. Impfen, Maske tragen und DURCHHALTEN. Im Oktober gibt es bereits schon wieder neues Stöffchen. Viel Vergnügen.

Eckhart Diestel, Arzt / 18.04.2021

Kommentar zu Beitrag Dr. Jäger: und wenn hundert Prozent Migranten auf der Intensivstation lägen - es sind Patienten. Das sind Momente im Leben eines Menschen wo die Herkunft keinerlei Rolle spielt. Die Herkunft sollte übrigens nie eine Rolle spielen, sondern das Verhalten. Und dann das Verhalten jedes Einzelnen, und nicht das Verhalten eines ‘Kulturkreises’ - denn bei der Verallgemeinerung geht es nur ums Denunzieren.

Pedro Jimenez Duarte / 18.04.2021

Ich liebe ja die südliche Lebensart. Was ich allerdings nicht liebe, ist wenn man den gleichen Lebensstandard wie die haben will, die viel arbeiten.

Marc Greiner / 18.04.2021

@Kim Loewe——-Dass das was Sie erzählen Unsinn ist kann man sehr leicht beweisen, nähmlich mit Bundesstaaten und Ländern, welche keine mehr oder noch gar nie Corona-Massnahmen getroffen haben, z.T. nicht mal Empfehlungen abgegeben haben. Und die stehen besser da als die sehr strickten Länder. Es gibt keine Corona-Treiber. Corona kommt in Wellen und geht wieder, egal was die Regierung tut. Und noch ein schönes Zitat von einem Wissenschaftler dessen Namen ich nicht mehr weiss: “Maskentragen ist so in etwa dasselbe wie im Mittelalter ein Amulet zu tragen, gegen böse Geister.” S. Schönfelder hat vollkommen Recht. Ausländerproblem und Schein-Pandemie sind zwei paar Stiefel, jeweils von der selben Regierung verursacht.

Sebastian Weber / 18.04.2021

Was ist das für ein Volk, das nicht in der Lage ist, den Mann mit Schnauzer, der seit 18 Jahren nur seinen und den Reichtum seiner Familie fördert, in die Wüste zu jagen? Schade um die (ehemals) wunderschöne Türkei, aber das Volk bekommt den Schnauzbärtigen, den sie wünscht.

Kim Loewe / 18.04.2021

@Sabine Schönfelder (oder soll ich schreiben Sabine@Schönfelder, wie Sie das, aus welchem Grund auch immer, so gerne tun?), im Unterschied zu Ihnen weiß ich, dass die Pandemie kein Fake ist, die Regierung macht nur einen schweren Fehler nach dem anderen. Wenn Sie schon den aktuellen Zahlen bei den Intensivbetten nicht glauben, sollten Sie wenigstens zur Kenntnis nehmen, dass weltweit praktisch alle Länder Maßnahmen gegen Covid ergreifen. Da müssen Sie Ihre Verschwörungstheorie schon ziemlich weit fassen. Sie schreiben “Migranten sind die LETZTEN, die sich an Ausgangssperren oder Maskeraden halten.” Das ist ja genau mein Reden. Diese sind die Hauptverursacher. Erkennbar auch daran, dass zwei Drittel aller Covid-Intensivpatienten Migrationshintergrund haben, wie seit Wochen immer mehr durchsickert. Und diese sind sicher keine Australier oder Ostasiaten. Da man Ausgangssperren nur für Muslime nicht machen darf, müssen sie halt für uns alle gelten, damit die Polizei eine Handhabe auch gegen die wahren Verursacher hat. Hat nichts mit Brunnenvergiftung zu tun, die Leute gefährden ja in erster Linie ihresgleichen. Es gibt ja auch genug Erklärungsversuche, um einen Zusammenhang mit der Kultur zu entkräften (laut Focus sind sozusagen alle diese Migranten Ärzte, die durch ihre Tätigkeit einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind, und die gleichzeitig in äußerst prekären Wohnverhältnissen in einer Großfamilie leben - nun ja…). Viele Migranten aus der Türkei oder Nahost leugnen aber vielleicht auch einfach die Pandemie, genau so wie Sie.

Marcel Seiler / 18.04.2021

Och, in Südamerika, jedenfalls da, wo ich war, geht es auch nicht um 10 ins Bett. Das Wetter, die Wärme, das Licht…

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