Susanne Baumstark / 18.06.2018 / 15:30 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 11 / Seite ausdrucken

Nachzug: Heile Familienwelt?

Der Bundestag hat vergangenen Freitag die neue Regelung zum Familiennachzug für „subsidiär Schutzberechtigte“ beschlossen: mit 370 Ja-Stimmen bei 279 Nein-Stimmen und drei Enthaltungen. Auf der Homepage des Bundestags erfährt man Genaueres – untermalt mit einem explizit nach links weisenden Schild „Flüchtlingspolitik“. Zum Nachzug von Familienangehörigen allgemein aus Sicht des Berliner Willkommenszentrums: siehe dort.

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hatte im Vorfeld aus Gründen der Machbarkeit die Aussetzung des Familiennachzugs begrüßt und rechnet auf kommunaler Ebene mit weiteren Zuzugsstopps für Flüchtlinge wie etwa in Cottbus. Einen Anhaltspunkt dafür, wie groß der Bedarf am Familiennachzug sein kann, bietet ein Bericht aus dem Landkreis Regensburg: „34 Antragsteller holten 130 Familienmitglieder nach Deutschland. Das ist fast das Vierfache der Menschen, die einen Antrag stellten.“

Die Sozialverbände hingegen wollen „die Gleichbehandlung von subsidiär Schutzberechtigten und Flüchtlingen im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention“: „Für beide Gruppen soll der Familiennachzug gleichermaßen uneingeschränkt möglich sein.“ Der Paritätische Wohlfahrtsverband will zudem „eine Erweiterung des Anspruchs auf Familiennachzug für volljährige Geschwister“. „Insgesamt sei die Bundesregierung gefordert, legale Zugangswege zu internationalem Schutz in Deutschland auszubauen.“ Alles andere erschwere den Integrationsprozess.   

Nicht zuletzt Ökonomen sehen das mit Verweis auf die traditionelle Rollenverteilung in muslimischen Familien anders. Frauen seien seltener in Integrationskursen anzutreffen, pflegten weniger soziale Kontakte zur einheimischen Bevölkerung und sprächen deshalb wenig oder gar kein Deutsch. „Dies wiederum schmälert auch die Zukunftschancen ihrer Kinder.“ Selbst das Wissenschaftszentrum Berlin verweist auf negative Erfahrungen. „Die ersten Gastarbeiter, die vor 50 Jahren nach Deutschland kamen, lebten hier eher modern und fanden Anschluss an die hiesige Bevölkerung. Als dann die Familien nachzogen und sich damit Gemeinschaften bildeten, wurden aus den modernen Männern plötzlich konservative Familienväter“ – mit sozialer Segregation als Folge.

Salafistische Doktrinen in Kinderköpfen

Soziale Verbände stellen die Sachlage regelmäßig so dar, als sei der Familiennachzug heilsam in jeder Hinsicht. Das mag teilweise zutreffen. Für nachgezogene Frauen aus patriarchalisch sozialisierten Gesellschaften, die sich tatsächlich hierzulande integrieren und ergo emanzipieren wollen, kann es nur höhnisch sein. Aus einem Besitzdenken der Frau gegenüber heraus sowie aus persönlicher Schwäche mit Eifersucht umzugehen, werden selbst entscheidende Frauen nicht nur massiv unter Druck gesetzt, sondern auch schamlos ermordet. Auf offener Straße wird etwa in Hannover eine 35-jährige und in Viersen eine 17-jährige erstochen. In Neukölln entkommt eine 18-jährige Ex-Freundin nur knapp dem Tod.

Und auch wenn man kaum noch was davon hört: Frauen muslimischer Männer in Deutschland werden nach wie vor Opfer von Ehrenmord. Die zwei häufigsten Motive laut einer Studie: eine beabsichtigte oder vollzogene Ehescheidung und eine außereheliche Beziehung. In diesem Kontext existiere kaum Solidarität zwischen Frauen: „Mütter und Schwestern wissen im Vorfeld der Tat sehr wohl um die Gefährdung der Opfer, unternehmen jedoch nur in den wenigsten Fällen Versuche, die Tat zu verhindern oder das Opfer zumindest zu schützen. Schwestern zeigen sich solidarisch mit den Tätern.“ Und zum unbedingten Gehorsam erzogene Mütter bestärken den Täter oft noch.

Dabei bleibt es zunehmend nicht. Offenbar nach dem Motto „Gewehr bei Fuß“ verankern salafistische Mütter „ihre menschenverachtende Doktrin in Kinderköpfen“, wie jetzt NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) „vor dem Einfluss Dutzender Frauen aus der Salafistenszene in NRW“ warnt: Sie „spielten bei der Verbreitung extremistischer Propaganda eine wichtige Rolle“, seien engagiert in der Gefangenenhilfe, beim Sammeln von Spenden und als Ideologieproduzentinnen. Frauen stellten derzeit einen Anteil von zwölf Prozent der Salafistenszene. Und: „Es laufen in NRW immer mehr radikalisierte Kinder herum.“ Die angestrebte Lösung: Orientierungshilfen für Jugendämter sowie Sensibilisierung und Prävention in Schulen, Ordnungsbehörden und Sozialarbeit.

Szene breitet sich aus

Und während man diese Maßnahmen der Arbeitsplatzbeschaffung für Opportunisten plant, breitet sich die Szene ganz gemütlich immer weiter aus. „Die Sächsische Begegnungsstätte (SBS)– eine vom Verfassungsschutz wegen ihrer Nähe zur extremistischen Muslimbruderschaft und ähnlicher Vereinigungen beobachtete gemeinnützige Unternehmergesellschaft – nutzt eine Immobilie in Zittau“, geht aus dem gerade vorgelegten Verfassungsschutzbericht des Freistaats für 2017 hervor. „Durch die Schaffung von vermeintlich seriösen Angeboten für Muslime versucht die SBS, insbesondere im ländlichen Raum im extremistischen Sinne Einfluss auf die islamische Gemeinschaft zu erlangen“ – auch in Görlitz, Pirna, Riesa und anderen Städten.

In Brandenburg warnt der Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) vor der wachsenden Bedrohung durch kaukasische Islamisten: „Wir müssen die Entwicklungen innerhalb der islamistischen Szene sehr ernst nehmen und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpfen.“ Dem Verfassungsschutzchef Frank Nürnberger liegt es allerdings politisch korrekt näher, vor Verallgemeinerung zu warnen: „In Brandenburg leben mehrere zehntausend Muslime, davon gelten lediglich (?) 130 als Islamisten … Wer Muslime von vornherein als potenzielle Terroristen abstempelt, schürt übertriebene Ängste in der Bevölkerung und erschwert die Integration der zu uns geflüchteten Menschen.“

Schröter hatte zwar gar nicht Muslime von vornherein als potenzielle Terroristen abgestempelt. Er wies auf die Problematik in bestimmten Gruppen hin. Immerhin aber weiß man jetzt, falls man noch zweifelte, dass eine Lösung von diversen Seiten her mindestens blockiert und die Entwicklung ihren Lauf nehmen wird, solange nicht eintrifft, was der Theologe Kurt Marti so ausdrückte: „Gesucht sind Macher. Nötig wären Verhinderer.“

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Karl Anders / 18.06.2018

Ein Beispiel aus der Praxis: ich besuche eine erwachsene iranische Schülerin aus dem Deutsch-“Integrations“kurs in ihrer Flüchtl.unterkunft, sie stellt mir den syr. Nachbarsjungen vor, 11 Jahre alt, mit seinem Vater vor 4 Jahren nach D gekommen aus einer Stadt in der „eigentl. kein Krieg“ herrsche, Latakia, die Mutter wird nun mit den Geschwistern nachkommen. Der Junge liebt die iranische Mitbewohnerin innig, er spricht gut Deutsch (bitter erzählen die Iraner, wieviel sein Vater schon spricht: es reicht für „Deutschland- nich gut!“) und erzählt gerne, etwa von seinen Onkeln, die er öfter in ihren Häusern (!) in Spandau, Tempelhof (Berliner Stadtteile) und Düsseldorf besucht, sie würden nicht arbeiten, da sie nicht genug Deutsch sprächen, auch für ein Praktikum reiche es nicht, im Deutschkurs machten sie gerade „Pause“. Er zeigt mir, wie gut er von der Iranerin Stricken gelernt hat, ich staune - er sagt: „Meine Mutter hat mir schon verboten, dass ich weiter stricke“. Viva Familiennachzug.  Ähnliches setzt sich fort, wenn mir Teilnehmer erzählen, welche Moscheen sie besuchten, Stichwort Beobachtung durch VS, und sie mir unisono versichern: “Islam- nur Liebe!”. Eine junge Irakerin war so ehrlich, auch von “schlechten” Imamen zu berichten. Sie wurde mit 9 Jahren verheiratet, hat sich hier von ihrem Mann getrennt, lebt nun geschützt im Frauenhaus, berichtet von alltäglichen Säureangriffen auf Verwandte im Irak, trägt jetzt! ein Kopftuch, alles andere sei ja “haram”. Ein Gruppendruck, der auch auf anderen Gebieten feststellbar ist, z.B. bei der Einhaltung des Ramadans, der Gebetszeiten usw.. Viva Selbstbestimmung.

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