Nachruf auf Vader Abraham: Ein „rechter“ Volksbarde

Der nun verstorbene niederländische Musiker Vader Abraham alias Pierre Kartner hat nicht nur über Schlümpfe gesungen, sondern war auch politisch kontrovers.

Vader Abraham ist tot. Wie am Freitag bekannte wurde, starb der niederländische Sänger und Musikschöpfer schon am Dienstag und die Beisetzung fand bereits in aller Stille statt. Mit 87 Jahren ist Pierre Kartner, so hieß er bürgerlich, immerhin halb so alt geworden wie die biblische Figur, nach der er sich vor einem halben Jahrhundert benannt hatte.

Ein vollbärtiger, bebrillter Herr, oft mit Melone auf dem Kopf, der außerhalb des niederländischen Sprachraums erstmalig durch einen musikalischen Dialog mit blauen Fantasiefiguren bekannt wurde – das ist unser Bild von Vader Abraham. Bevor er 1977/78 mit dem Lied der Schlümpfe (‘t Smurfenlied) zu Weltruhm auch als Interpret gelangte, hatte er seinen internationalen Durchbruch als Komponist bereits verzeichnen können. Nämlich durch In 't kleine café aan de haven von 1976, das er in anderen Sprachen nicht selbst mit seinem niederländischen Akzent vortrug, sondern das auf Deutsch durch Peter Alexander („Die kleine Kneipe“) und auf Französisch durch Mireille Mathieu („Le vieux café de la rue d'Amérique“), und Joe Dassin („Le café des Trois colombes“) zum großen Erfolg wurde. Auch englischsprachige Versionen wurden aufgenommen, z.B. von Demis Roussos.

Im niederländischen Originaltext wird besonders deutlich, dass es Kartner im Lied um die Kneipe als Ort der ‚kleinen‘, der ‚normalen‘ Leute ging. Seit seiner Kindheit lebte er überwiegend in Breda, im einst katholischen Süden der Niederlande, wo auch Karneval gefeiert wird. Ein ‚Somewhere‘, seiner Heimatprovinz Nord-Brabant eng verbunden. Stimmungslieder und Schlager waren seine Welt – zuweilen auch Nachdenklicheres –, Musik für die breiten Massen, nicht für das Establishment im Amsterdamer Grachtengürtel, das eher naserümpfend auf ihn blickte. Hip oder elitär war Vader Abraham nie, dafür aber volksnah und unterhaltsam, oft mit Augenzwinkern. Man denke etwa an „Wenn die Slipeinlage nur gut sitzt“ – inspiriert vom Werbefernsehen.

Der politische Künstler

Aber Kartner konnte nicht nur „Sagt mal, von wo kommt ihr denn her?“ fragen, sondern auch „Was sollen wir mit den Arabern hier?“. Humorvoll setzte er sich 1975 nicht etwa mit Einwanderung, sondern damit auseinander, dass arabische Akteure die Ölkrise zu verantworten hatten und nun niederländische Traditionsfirmen aufkaufen wollten. Selbstverständlich mit schlichten Klischees spielend. Dafür hagelte es damals schon Diskriminierungsvorwürfe, das Lied wurde von einigen Radiosendern boykottiert und sogar auf staatliche Veranlassung hin aus dem Handel genommen. Wegen Drohungen stand Kartner zeitweise unter Polizeischutz. Nicht der einzige Song auf Niederländisch, mit dem er sich im Heimatland einen gewissen politischen Ruf erarbeitete.

1974 hatte er einen Nummer-1-Hit zusammen mit einem nicht gerade sangesmächtigen Landwirt und Politiker gelandet. Mit Bauer Koekoek, dem Chef der agrarpoujadistischen Bauernpartei, gab er „Den Uyl is den olie“ zum Besten, ein karnevalistisch anmutendes Spottlied über den damaligen sozialdemokratischen niederländischen Premier Joop den Uyl, eine linke Symbolfigur in den 1970ern Jahren. Im Mittelpunkt stand die Ölkrise – „Wähl mich doch mal, dann werd‘ ich Präsident, dann senke ich den Benzinpreis um 50 Cent“ durfte Koekoek singen. Er saß jahrzehntelang als Paria im Parlament, seine Partei war ursprünglich durch erbitterte, teils gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen protestierenden Bauern und der Obrigkeit groß geworden, bei denen es um die staatliche Kontrolle des Agrarsektors ging. Genau wie bei steigenden Energiepreisen erleben wir, was das anbelangt, vor allem in den Niederlanden derzeit ein Déjà-vu...

1976 thematisierte Kartner – zur Melodie von Lili Marleen – „das Heer der Arbeitslosen“, die auf der faulen Haut liegen. Ähnliches gab es damals auch in der Bundesrepublik. Das galt allerdings als ‚rechter‘ Humor; und Kartner, der sich für Steuersenkungen ausgesprochen und mit dem rechten Gegenkulturellen Bauer Koekoek zusammengearbeitet hatte, lebte fortan zu Hause mit dem Image, ein ‚rechter‘ Künstler zu sein.

Die späten Jahre

Jahrzehnte später, 2002, kooperierte er wiederum mit einem Politiker, diesmal mit geringerem kommerziellen Erfolg. Den liberalen Rechtspopulisten Pim Fortuyn, einige Monate später ermordet, pries er in seinem Lied „Wimmetje gaat, Pimmetje komt“ als möglichen Nachfolger des scheidenden Ministerpräsidenten Wim Kok und als Erlöser an. „Der Held, der Nostradamus, der Wächter übers Recht / Dann ist es eine Zeitlang vielleicht nicht mal so schlecht.“ Angesichts des charismatischen Bandes zwischen Fortuyn und seinen Fans dürfte dieser Text nicht einmal sonderlich ironisch gemeint gewesen sein. Im Song musste Fortuyn Vader Abraham versprechen, sich für Menschen aller Hautfarben einzusetzen.

Als vor 15 Jahren das Rauchverbot in der niederländischen Gastronomie eingeführt wurde, griff Gesellschaftskritiker Kartner zu einem seiner Klassiker und versah ihn mit neuem Text: „die rauchfreie Kneipe“. Gegen den Bevormundungsungeist gerichtet und mit sentimentalem Blick auf die Gaststätte, die er Jahrzehnte zuvor so populär besungen hatte. „Wo ist mein Geruch, mein Rauch, meine altmodische Kneipe?“ In den Niederlanden gelten die Ausnahmen, von denen in den meisten deutschen Bundesländern kleine Lokale – und größere mit abgetrennten Raucherräumen – profitieren, nicht.

In Deutschland wurde Kartners politische Ausrichtung erst in den vergangenen Jahren sehr vereinzelt thematisiert. In den Niederlanden konnte er – trotz mangelnder Anerkennung durch gewisse Kreise, insbesondere in den Mainstream-Medien – seine Popularität genießen und erfolgreich arbeiten. 2019 nahm Kartner, der bis ins hohe Alter als Komponist und Sänger aktiv blieb, noch ein Solidaritätslied für Landwirte auf.

Wieder ist ein alter, weißer Mann gegangen, dem wir etwas zu verdanken haben. Und seien es ein paar Momente guter Laune.

Rust zacht.

Foto: Onbekend/Anefo via Wikimedia Commons

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Leserpost

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W. Renner / 12.11.2022

Die Guten gehen, die Schlümpfe bleiben.

Ralf Pöhling / 12.11.2022

Ich bin mit dem Schlumpflied aufgewachsen. 1977 war ich 6 Jahre alt und davon total begeistert, wie alle meine damaligen Schulkollegen in der Grundschule auch. Bei einem Münsteraner wie mir haben die Niederländer aber auch aus einem anderen Grund einen Stein im Brett: Wenn man dem deutschen Regulierungswahn mal kurzfristig entfliehen wollte, ist man selbst in der Vor-EU-Zeit am Wochenende öfters nach Enschede rübergefahren. Nicht wegen der lockeren Drogenpolitik, kiffen war nie mein Ding, sondern wegen der niederländischen Lockerheit allgemein. Was sich da nicht nur bei den Coffeshops und natürlich dem berühmten Amsterdamer Rotlichtviertel, sondern z.B. auch bei den damaligen Videotheken und Kaufhäusern zeigte: Filme, die bei uns entweder zensiert oder sogar verboten waren, standen da vollkommen unzensiert mit einer maximalen Altersfreigabe von 16 Jahren in jedem Laden. Niemanden hat es gestört und die Niederländer sind deswegen auch nie verroht, so wie das unsere Zensoren hier immer beschwören. Die Niederländer ticken tendenziell viel freier als wir. Und den Niederländern selbst hat das auch nicht geschadet. Aber diese Liberalität bringt auch ein Problem mit sich: Man ist bisweilen zu liberal gegenüber Leuten, die selbst nicht liberal sind. Und diese Leute sind dann keine Niederländer, sondern zugewandert. Und das muss auch gesagt werden dürfen. Selbst in einem so liberalen Land wie den Niederlanden. Dafür braucht es aber eine gewisse Bodenhaftung, die Kartner offensichtlich nie verloren hatte. Insofern war der Mann auch kein “rechter” Volksbarde, sondern einfach nur ehrlich. Etwas, was Pim Fortuyn ja auch war. Und dafür wurde er ermordet. Genau wie auch Peter de Vries. Liberalität ist gut. Aber nur gegenüber liberalen Menschen. Und was da nach Europa in den letzten Jahrzehnten immer mehr zuwandert, ist nicht liberal. Aber das wissen die Niederländer wohl mittlerweile selbst. Kann man etwas gegen tun. Gemeinsam. Tot ziens mijn vrienden.

Ludwig Luhmann / 12.11.2022

Interessant, interessant! Und den “Poujadismus” kannte ich dem Namen nach auch noch nicht ...

Franz Klar / 12.11.2022

Ist es nicht eigentlich Blasphemie , sich als Blödelbarde ” Vater Abraham ” zu nennen ? Ich meine , wer 3 Weltreligionen provoziert , verdreifacht auch die Risiken gesundheitlicher Beeinträchtigungen .... Gottlob starb er hochbetagt eines natürlichen Todes . Er hatte wohl Protektion von ganz oben ....

Wolfgang Heinrich Scharff / 12.11.2022

Danke für diese warmen Worte über einen großen Künstler. Für mich war Schlumpfhausen immer auch ein Bild für die Heimat, die nicht nur bedroht, sondern fast schon verloren scheint. Ich mag nicht an Zufall glauben, dass die AfD das schöne Blau der Schlümpfe zu ihrer Farbe gemacht hat. Ein trauriger Tag für das Liedgut.

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