Roger Letsch / 18.06.2021 / 11:00 / Foto: New Zealand Government / 21 / Seite ausdrucken

Nachrichten aus dem Auenland — woke, woker, Neuseeland

Obwohl Neuseeland mehr zu bieten hat als traumhafte Natur, Schafe, ikonische Filmsets und Abgeschiedenheit im Südpazifik, findet es nur selten ein Plätzchen in unseren Nachrichten. Ausnahmen sind, wenn gerade ein Erdbeben die Stadt Christchurch in Schutt und Asche legt, wie 2010, oder dieselbe Stadt neun Jahre später bei einem terroristischen Anschlag, bei dem ein bis unter den Scheitel mit wirrer Ideologie angefüllter Australier in zwei Moscheen mehr als 50 Menschen ermordete, in die Schlagzeilen gerät.

Die Insellage machte die Abschottung gegen Covid einfach, sodass das Virus bisher ganze 2.711 positive Fälle und nur 26 Tote in der Statistik, dafür jedoch viel Hysterie in der Durchsetzung der strikten Regeln hinterließ. Eine Binsenweisheit sagt, dass alles, was in den USA geschieht, ein paar Jahre brauche, um nach Europa zu kommen – bis Neuseeland brauche es dann nochmal einige Jahre länger. Doch das sonst so friedliche Auenland scheint zwar die Türen gegen das böse Coronavirus geschlossen zu halten, gegen das Woke-Virus halfen alle Abschottungs- und Isolationsmaßnahmen nicht. Die Infektion verlief schnell und umfassend. Hier zwei aktuelle Beispiele.

Jacinda, (k)eine von uns

Die Grenze zwischen geschickter PR und Personenkult ist bekanntlich schmal. Auf welcher Seite des Grates Neuseelands PM Jacinda Ardern spaziert, möchte ich gar nicht beurteilen. Jedoch nützt ihr offenbar alles, was sie tut – und seien es Dinge wie Kinder kriegen und im Amt bleiben. Aber Jacinda ist eben eine Frau, was in heutiger Zeit schon mal für sie spricht, und immerhin führt sie in Neuseeland eine sonst im Commonwealth gerade weniger erfolgreiche Labour-Party von Wahlsieg zu Wahlsieg. Die Kiwis wollen es so und dann soll es der Welt natürlich recht sein und unsympathisch kann man Frau Ardern ja nun wirklich nicht nennen.

Im Nachgang des Terroranschlags auf zwei Moscheen in Christchurch im Jahr 2019 tauchte Ardern in der internationalen Presse und weltweit in den sozialen Medien auf. Die einen zogen eine Augenbraue hoch angesichts des „Solidaritätskopftuchs“, unter welches sich MP Ardern duckte, andere lobten sie für ihre einfühlsamen Kontakte zu den Familien der Opfer. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo in der Mitte. Ob man die mediale Präsenz Arderns 2011 als aufdringlich, angemessen oder deplatziert wahrnahm, hängt sicher vom Grad des Betroffenseins ab und entzieht sich meiner Einschätzung. So viel vorweg.

Nun gab es Pläne, dem Massaker von Christchurch ein filmisches Denkmal zu setzen. Mit Rose Byrne in der Titelrolle sollte in „They are us“ der Anschlag aus Sicht von Jacinda Ardern erzählt werden. Das Filmprojekt wurde nun gestoppt. „Neuseeland stemmt sich gegen den Christchurch-Film“, titelt die Süddeutsche und suggeriert, die Kiwis hätten sich in großer Zahl gegen den Streifen empört. Das ist so nicht ganz richtig und der Guardian wird etwas präziser: „Many Muslim New Zealanders criticised the move as “exploitative”, “insensitive”, and “obscene”. A petition to shut down the film’s production has gained about 60,000 signatures over the past three days.”

Es waren also nicht die Kiwis in toto, sondern ganz bestimmte Neuseeländer, die mit 60.000 Stimmen einer Petition das Filmprojekt kippten. „Many Muslim New Zealanders“ kann man schwerlich zur Mehrheit aufblasen, tonangebend sind sie offensichtlich. Um ehrlich zu sein, hielte ich einen solchen Film auch eher für Parteipropaganda mit cineastischen Mitteln, aber es sollte in einem freien Land wie Neuseeland zumindest prinzipiell möglich sein, jeden zeitgeschichtlichen Plot ins Kino, TV oder zu den Streaming-Abonnenten zu bringen. Offenbar ist das nicht mehr der Fall, und all das kulturelle Anbiedern – nicht nur an die Angehörigen der Opfer des Anschlags –, die absichtsvolle „kulturelle Aneignung“ des Kopftuchs hat nicht dazu geführt, dass Neuseelands progressive Ministerpräsidentin aus ihrer kulturellen Einfühlsamkeit politisches Kapital schlagen kann.

Sicherheitshalber distanzierte sie sich stattdessen selbst von dem Filmprojekt. Arderns bekanntes Zitat „Sie sind wir“, das auch als Filmtitel dienen sollte, wird stattdessen von muslimischer Seite kritisiert, weil es die „anhaltenden rassistischen Probleme des Landes beschönige“. Das sich hier wieder mal eine Religion unwidersprochen das Mäntelchen der „Rasse“ umhängt, weil es ihrer Agenda nützt, hinterlässt einen unangenehmen Nachgeschmack. Nämlich den, dass die empörten Muslime womöglich eher zur gegenteiligen Aussage neigen und sich nicht als Teil dieses „wir“ sehen. So fürchterlich der Anschlag auch war, wenn das die Konsequenz ist, sind das keine versöhnlichen Signale, wie sie Jacinda Ardern so gern aussendet.

Freitags sind sie nie mehr da

Auch der zweite Fall, der uns nach Auckland, die größte Stadt Neuseelands, führt, handelt von echten oder imaginierten rassistischen Problemen. Denn in Auckland hat das lokale Chapter von Greta Thunbergs Schulstreikbewegung gerade die Segel gestrichen und sich aufgelöst. Nicht etwa, weil das Klima gerettet ist und freitags nun wieder gelernt werden soll, sondern weil die Organisation nach eigener Erkenntnis ein „rassistischer, weiß-dominierter Raum“ sei. Auf der Facebook-Seite von „School Strike 4 Climate Auckland“ ist zu lesen:

„Wir lösen uns auf, weil […] wir nicht in ihrem [gemeint sind People of Color] Namen sprechen können und seit 2019 ein rassistischer, weiß dominierter Raum waren. [Wir haben] Stimmen und Forderungen von Pasifika und Māori im Klimaaktivismus-Raum gemieden, ignoriert und tokenisiert. Sowohl die Verantwortung als auch die dringende Notwendigkeit, die Organisation zu entkolonisieren, wurde viel zu lange verschoben. […] Diese Entschuldigung ist nur einer unserer Schritte zur Wiedergutmachung für unsere Handlungen. Unsere Auflösung war überfällig.“

Bei der Frage, wohin das schrille Auftreten der F4F-Protagonisten und deren Naseweisheit noch führen soll und ob man vor ihnen nicht gleich kapitulieren und ihnen die Schlüssel zur Stadt überreichen sollte, wie Ex-Siemens-Chef Joe Kaeser es tun wollte, haben die Beobachter offensichtlich eines völlig aus dem Auge verloren: die Hackordnung innerhalb der verschiedenen Erweckungsbewegungen, denn die wird täglich neu ausgehandelt und wir dürfen uns darauf freuen.

Man kann heute nämlich nicht mehr einfach so das Klima retten, man muss in Rechnung stellen, dass es für PoC und Opfer des Kolonialismus noch viel mehr und somit gerechter gerettet werden muss! Wenn diese Opfergruppen also nicht vorangehen und stattdessen unterdrückerische Schneeweißchen wie Greta Thunberg, Luisa Neubauer oder weiße Aucklander Mittelstandsgören das große Wort führen, denen Privileg und „White Supremacy“ aus jeder Zeile ihre Lebenslaufes tropft, ist die Bewegung moralisch zum Scheitern verdammt. Muss ja! Und weil „Schwarzer Mann, geh du voran“ bedeutet, die kolonialistischen Weißbrote in ihre melaninarmen Schranken zu verweisen, übernimmt nun auch bei der planetaren Rettungsmission zum Wohle des Klimas die „Critical Race Theory“ die Führung.

So etwas wie ehrgeizige Zeitpläne für eine dekarbonisierte Zukunft können wir dann vergessen, denn Zeitpläne, Ziele oder wissenschaftliche Methoden überhaupt sind laut National Museum of African American History & Culture weißes Sklavenhalterteufelszeug. Das Klima muss also künftig ohne weiße Kolonialisten und deren weiße Supremacy-Kinder gerettet werden. Auckland, du hast es besser, bei deinen Klimarettern haben in Zukunft unterdrückte Minderheiten das Sagen und nicht mehr weiße Klimarassisten. Wer traut sich, diese Erkenntnis unseren grünen, deutschen und meist sehr weißen Upperclass-Kids mitzuteilen?

Es scheint also nicht nur ein amerikanisches oder neuseeländisches, sondern bald ein weltweites Phänomen zu sein, dass gerade die nächste, noch radikalere Ideologie über die Klimaretter hinweg an die Spitze der Nahrungskette klettert, um aus den Gewissen und der moralischen Hilflosigkeit der Menschen den verlockenden Nektar aus Geld und Macht zu saugen. Um das Klima müssen wir uns inzwischen weniger sorgen, denn dessen Rettung hat Zeit bis nach der Wiedergutmachung und Reparationen für die rassistische Vergangenheit. Wenn das erfolgreich war, wird ohnehin nichts mehr da sein, was man verbieten, abschaffen, regulieren oder umverteilen könnte. Aber wahrscheinlich krabbelt über den Kadaver der Neo-Rassistischen Ideologie namens „Critical Race Theory“ bald schon der nächste Ismus, der die Menschheit ins Licht und am Ende doch nur wieder hinter selbiges führen will.

Ein beherzt gesungener und getanzter Haka könnte helfen, die Gedanken wieder gerade zu rücken, liebe Kiwis. Sofern ihr euch das noch traut, wegen kultureller Aneignung und so.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs Blog Unbesorgt.

Foto: New Zealand Government CC-BY 4.0, via Wikimedia Commons

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Sabine Lotus / 18.06.2021

Young Global Leaders Tussi. Die tanzen alle synchron. Übrigens in der YGL Class of 2020. Genau wie die Anneliese und der Spahnomat. Oder anders gesagt: Kurzwitz.

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