Nachkriegsarchitektur: Des grünen Spießers liebstes Hassobjekt

Von Christoph Lövenich.

„Es kann so erhellend sein, wenn das öffentlich-rechtliche Fernsehen seinem Bildungsauftrag nachkommt …“, kommentierte ein Zuschauer auf der ARD-Website die Doku „Unsere Städte nach ‘45. Ob als Kompliment gemeint oder ironisch – der Mann hat recht. Die diesen Monat im Ersten ausgestrahlte zweiteilige Sendung offenbart mehrerlei, vor allem über die Post-68er-Neuen Linken und darüber, wie weit sie sich doch vom fortschrittlichen Denken abgekoppelt haben.

Thema sind der deutsche Wiederaufbau ab 1945 und die (Groß-)Stadtplanung der Nachkriegszeit. Der Kriegszerstörung widmet die Doku wenig Aufmerksamkeit – sie wird eher als Anlass und Vorwand für die „blinde Zerstörungswut“ der Architekten und Bauverwaltungen in der jungen Bundesrepublik (und DDR) betrachtet. Gebäude – historische gar – wurden einfach abgerissen, um Platz für neue, ambitionierte Pläne zu schaffen. Moderne Architektur brachte „Verwüstung“ und „Bausünden“ noch und nöcher. „Emotionslos“ und „kaltschnäuzig“ wurden Städte „verhunzt“, „Schönheit und Qualität“ zerstört, „trostlose Neubauten“ stehen für eine Stadtplanung, die als verfehlt und misslungen gelten müsse. Nach 1968 wurden dann doch viele Gründerzeitvillen mit ihren Stuckdecken vor dem Weg alles Irdischen bewahrt, vor allem dank der Hausbesetzer.

Soweit die Geschichtsschreibung der Neuen Sozialen Bewegungen aus den 1970ern, ihren durch die Institutionen – nicht zuletzt die öffentlich-rechtlichen Medien – marschierten Anhängern und Nachfahren. In gewohnter Einseitigkeit fällt diese ARD-Doku ihre Wert- und Unwerturteile. Alt = erhaltenswerter Schatz, moderne Architektur = Bausünde. Besonders sündig dabei: Die „autogerechte“ Stadt der 1960er und -70er, die so gar nicht ins Weltbild des zeitgenössischen deutschen Ökos passt.

Mehr Luft, mehr Licht statt Enge und Elendsviertel

Dabei erhellt die Sendung – wenn auch ablehnend – den progressiven Ansatz der damaligen Stadtentwickler. Man wollte (in den Worten von Architekturhistoriker Werner Durth) weg von der Klassengesellschaft des Kaiserreichs und dem von ihr geprägten Stadtwuchs, gekennzeichnet durch „bürgerlich-neobarocke historizistische Pracht in den Reichenschichten und dem Zusammenpferchen der Armutsbevölkerung in den Mietskasernen“. Mehr Luft, mehr Licht statt Enge und Elendsviertel; Zeilenbau (Häuser senkrecht statt parallel zur Straße) durch Ausfallstraßen; Entlastung der Innenstädte vom Verkehr bei gleichzeitiger guter Erreichbarkeit mit dem Auto, das sich nun auch Arbeiter leisten konnten.

Ganz anders die 68er-Bürgersöhnchen und -töchterchen mit ihrer Vorliebe für bourgeoise Jugendstilvillen. Durch den Zusammenschluss solcher Aktivisten mit „großbürgerlichen“ Konservativen trat ab den 1970ern eine Zeitenwende mit denkmalschützerischem und bewahrendem Denken ein. So kommt in der Doku neben meist „grün“ wirkenden Neubaugegnern aus verschiedenen Städten auch eine betagte Nonne zu Wort, die bedauert, dass die „alten, einfachen Häuser“ den „hässlichen, modernen Gebäuden“ weichen mussten. Man romantisiert frühere Armut – und früheren Reichtum: heute undenkbar, wie ein rheinischer Adliger noch 1969 sein Barockschlösschen einfach von der Freiwilligen Feuerwehr niederbrennen ließ (Ausschnitt in der Sendung), um Platz für Funktionaleres zu schaffen.

„Der Mensch hat sich eine neue Heimat geschaffen“, hieß es in einem alten TV-Beitrag über die Entwicklung der Städte nach dem Krieg. Weiter zitiert die Doku einen Politiker früherer Tage, der befürchtete, seine Stadt, Trier, könne „ein Opfer seiner historischen Überwucherung“ werden. Der Mensch als Schöpfer, als Gestalter, nicht bloß als Bewahrer des Überkommenen, das war das Denken einer fortschrittlichen Zeit „des grenzenlosen Optimismus“, wie ihn die Sendung nennt – und mit dem sie mehr als fremdelt. Das Bessere als Feind des Schlechten wie des Guten, die „große Umgestaltung“, Tabula rasa machen und Städte für neue Bedürfnisse entwerfen – für heute tonangebende Kreise bloßer „Machbarkeitswahn“.

Aufklärerische Visionen werden beerdigt

Damit beerdigt man klassische aufklärerische – und linke – Visionen auf dem Friedhof musealer Konservierung vergangener Bau-Epochen. Die Neue Linke betreibt Identitätspolitik und so nimmt es nicht wunder, dass in der Sendung beklagt wird, wie manche „Stadtidentität ausgelöscht“ worden sei. Vom „Hass auf die alte Stadt“ ist gar die Rede, als seien die blühenden Landschaften des Wirtschaftswunders von „Hassarchitektur“ geprägt. Stattdessen gibt man sich der „großen Sehnsucht nach der alten Stadt“ hin, dem nostalgischen Blick zurück in die Tage vor der baulichen und gesellschaftlichen Modernisierung.

Gewiss: Jede Planungseuphorie hat ihre Fehler. Plattenbausiedlungen haben sich nicht zum Gelben vom Ei entwickelt, zahlreiche historische Denkmäler haben ihren Schutz verdient und die damalige, US-amerikanisch inspirierte Vorstellung, man solle Wohnnutzung aus den Innenstädten verbannen, geht an den Bedürfnissen vieler Menschen vorbei. Man kann Entwicklungen korrigieren und das Bauen verbessern; wo man aber Eingriffe des Menschen verunglimpft – ähnlich wie bei Natur und Umwelt – und auf dem Bestehenden beharrt, entsteht nichts Fortschrittliches.

Das Auto, den Massenkonsum, auch die Massenarchitektur, generell die verbesserten Lebensbedingungen für die breite Masse – das würdigen die heute kulturell mächtigen Vertreter der Neuen Linken (und ihre bürgerlich-konservativen Vettern) nicht als Errungenschaften, sondern sie setzen auf Einschränkungen des Menschen durch ökologisches Grenzendenken, den Fetisch Nachhaltigkeit, Moralisierung des Verbrauchs und allerlei Reglementierung. Solche Vorstellungen haben zwar die kulturelle Hegemonie in ARD-Redaktionsstuben und anderswo erlangt, aber die großen Würfe der Nachkriegszeit zeigen, dass sie nicht alternativlos sind, dass man auch nach vorne schauen kann und nicht nur zurück.

Christoph Lövenich ist Redakteur bei Novo-Argumente, dort erschien dieser Beitrag auch zuerst. Hier.

Foto: The Chroniclers CC-BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

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Leserpost

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H. Bachmann / 24.02.2017

Sicherlich ein bedenkenswerter Einwand. Leider fast genauso einseitig, genauso romantisierend dem naiven Fortschrittsdenken nachlaufend wie die Gegenseite.

Daniel Sunnus / 24.02.2017

Ihr Beitrag hätte gerne etwas ausführlicher ausfallen dürfen, denn ein paar Konstanten beim Umgang mit Denkmälern in der Bundesrepublik kommen zu kurz. Ich möchte drei davon heraus greifen: 1. Machbarkeitswahn gab es in der Nachkriegszeit ebenso wie heute. Nach dem Kriege war es die „autogerechte Stadt“, selbst in bereits dicht bebauten Gebieten. In komplett neu geplanten Gebieten funktioniert sie. Heute ist es die vermeintliche Machbarkeit malerischer, sentimentaler Architektur bei völlig veränderten ökonomischen Bedingungen - als da sind: Investor statt Bauherr, Quartier statt Parzelle. 2. Ein Gebäude muss mindestens hundert Jahre alt sein, um schützenswert zu sein. Das führte in der Nachkriegszeit, zusätzlich zur vorhanden Zerstörung, zu weiteren Eingriffen in homogene Stadtbilder. In unserer heutigen Zeit führt solches Denken, wenn nicht zum Abriss gelungener Gebäude, so doch zu meist grauenhaften Sanierungen von Bauwerken aus den Fünfzigern und Sechzigern. 3. Die Vorstellung, dass mit der Planbarkeit der baulichen Umgebung auch die Planbarkeit unserer Gesellschaft einher ginge. In der Theorie hat man sich davon zwar verabschiedet, aber aus den Köpfen breiter Bevölkerungs- (Politiker- und Politikerinnen-) Schichten lässt sich diese Vorstellung offenbar nicht verbannen. Leerstehende Gewerbegebiete zeugen davon. Ebenso zeugen davon mäßig frequentierte, am Bedarf vorbei geplante Einkaufszentren - bei gleichzeitig sterbendem Einzelhandel in den Innenstädten. Haben Städte mal das Privileg, zu prosperieren, kommt der Gentrifizierungs-Aufschrei wie das Amen in der Kirche. Und alle Bemühungen gehen dahin, jegliche städtische Entwicklung im Keime zu ersticken. Auch hier gilt: It’s the economy, stupid!

Matthias Hartmann / 24.02.2017

So ganz verstehe ich den Text vielleicht nicht. Mir kommen jedenfalls die linken Spießer zu gut weg, die seit der Nachkriegszeit kritiklos das “Neue Bauen” propagieren, das im Städtebau verheerend gewirkt hat, Nicht zu vergessen waren es grade die progressiven europäischen Helden wie Le Corbusier, die für die folgenreiche Funktionstrennung (Wohnen, Arbeiten, Ausgehen) und damit für die Leblosigkeit und mangelnde Urbanität verantwortlich sind. Und die meisten heutigen Architekten verehren diese Heldengeneration und das “Projekt der Moderne” in all seiner Menschenfeindlichkeit und Geschichtslosigkeit nach wie vor, auch Architekturhistoriker wie Werner Durth. “Kritisch” sind diese Leute nur gegenüber als konservativ geltenden Architekten, und dabei merken sie gar nicht, wie spießig und konservativ im schlechtesten Sinne sie selbst geworden sind.

Wilfried Mutschler / 24.02.2017

Dialektik der (Architektur-)Geschichte: Was die 68er Bürgersöhnchen und -töchterchen mit denkmalschützerischem und bewahrendem Denken erhalten haben, ist heute -zumindest in den Großstädten- meist zu Szenevierteln geworden und wird dort, gefördert durch eine Laissez-Faire-Haltung, durch die geistigen Kinder dieser Generation durch Graffiti, Vermüllung etc. wieder verunstaltet: Städte übersät mit Graffiti und Tags von narzisstischen “Individualisten”.

JF Lupus / 24.02.2017

Die sinnlose Zerstörung der deutschen Städte durch alliierte Bomben wurde nahtlos fortgesetzt durch ebenso sinnlose Wiederaufbau-Architektur. Beispiele für sinnlos wütenden Totalabriss von erhaltenswerten Bauwerken, die durchaus wieder hätten aufgebaut werden können, gibt es reichlich, etwa aus Köln den Vorkriegsbahnhof und die Oper. Ebenso unerwähnt bleibt stets, dass die alliierten Bombardements gegen das Haager Landkriegsrecht verstiessen und sich seitens der Allierten weder jemand entschuldigt hat noch Wiedergutmachung geleistet hat. Nur wir, inzwischen größtemteils nach 1945 geboren, müssen uns immer noch entschuldigen und in Dauerscham leben… Kürzlich sah ich ein passendes Shirt: “Ich bin nach 45 geboren und ich schulde der Welt nichts”

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