Sicherlich ein bedenkenswerter Einwand. Leider fast genauso einseitig, genauso romantisierend dem naiven Fortschrittsdenken nachlaufend wie die Gegenseite.
Ihr Beitrag hätte gerne etwas ausführlicher ausfallen dürfen, denn ein paar Konstanten beim Umgang mit Denkmälern in der Bundesrepublik kommen zu kurz. Ich möchte drei davon heraus greifen: 1. Machbarkeitswahn gab es in der Nachkriegszeit ebenso wie heute. Nach dem Kriege war es die „autogerechte Stadt“, selbst in bereits dicht bebauten Gebieten. In komplett neu geplanten Gebieten funktioniert sie. Heute ist es die vermeintliche Machbarkeit malerischer, sentimentaler Architektur bei völlig veränderten ökonomischen Bedingungen - als da sind: Investor statt Bauherr, Quartier statt Parzelle. 2. Ein Gebäude muss mindestens hundert Jahre alt sein, um schützenswert zu sein. Das führte in der Nachkriegszeit, zusätzlich zur vorhanden Zerstörung, zu weiteren Eingriffen in homogene Stadtbilder. In unserer heutigen Zeit führt solches Denken, wenn nicht zum Abriss gelungener Gebäude, so doch zu meist grauenhaften Sanierungen von Bauwerken aus den Fünfzigern und Sechzigern. 3. Die Vorstellung, dass mit der Planbarkeit der baulichen Umgebung auch die Planbarkeit unserer Gesellschaft einher ginge. In der Theorie hat man sich davon zwar verabschiedet, aber aus den Köpfen breiter Bevölkerungs- (Politiker- und Politikerinnen-) Schichten lässt sich diese Vorstellung offenbar nicht verbannen. Leerstehende Gewerbegebiete zeugen davon. Ebenso zeugen davon mäßig frequentierte, am Bedarf vorbei geplante Einkaufszentren - bei gleichzeitig sterbendem Einzelhandel in den Innenstädten. Haben Städte mal das Privileg, zu prosperieren, kommt der Gentrifizierungs-Aufschrei wie das Amen in der Kirche. Und alle Bemühungen gehen dahin, jegliche städtische Entwicklung im Keime zu ersticken. Auch hier gilt: It’s the economy, stupid!
So ganz verstehe ich den Text vielleicht nicht. Mir kommen jedenfalls die linken Spießer zu gut weg, die seit der Nachkriegszeit kritiklos das “Neue Bauen” propagieren, das im Städtebau verheerend gewirkt hat, Nicht zu vergessen waren es grade die progressiven europäischen Helden wie Le Corbusier, die für die folgenreiche Funktionstrennung (Wohnen, Arbeiten, Ausgehen) und damit für die Leblosigkeit und mangelnde Urbanität verantwortlich sind. Und die meisten heutigen Architekten verehren diese Heldengeneration und das “Projekt der Moderne” in all seiner Menschenfeindlichkeit und Geschichtslosigkeit nach wie vor, auch Architekturhistoriker wie Werner Durth. “Kritisch” sind diese Leute nur gegenüber als konservativ geltenden Architekten, und dabei merken sie gar nicht, wie spießig und konservativ im schlechtesten Sinne sie selbst geworden sind.
Dialektik der (Architektur-)Geschichte: Was die 68er Bürgersöhnchen und -töchterchen mit denkmalschützerischem und bewahrendem Denken erhalten haben, ist heute -zumindest in den Großstädten- meist zu Szenevierteln geworden und wird dort, gefördert durch eine Laissez-Faire-Haltung, durch die geistigen Kinder dieser Generation durch Graffiti, Vermüllung etc. wieder verunstaltet: Städte übersät mit Graffiti und Tags von narzisstischen “Individualisten”.
Die sinnlose Zerstörung der deutschen Städte durch alliierte Bomben wurde nahtlos fortgesetzt durch ebenso sinnlose Wiederaufbau-Architektur. Beispiele für sinnlos wütenden Totalabriss von erhaltenswerten Bauwerken, die durchaus wieder hätten aufgebaut werden können, gibt es reichlich, etwa aus Köln den Vorkriegsbahnhof und die Oper. Ebenso unerwähnt bleibt stets, dass die alliierten Bombardements gegen das Haager Landkriegsrecht verstiessen und sich seitens der Allierten weder jemand entschuldigt hat noch Wiedergutmachung geleistet hat. Nur wir, inzwischen größtemteils nach 1945 geboren, müssen uns immer noch entschuldigen und in Dauerscham leben… Kürzlich sah ich ein passendes Shirt: “Ich bin nach 45 geboren und ich schulde der Welt nichts”
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