Die Bundeskanzlerin kümmert sich jetzt auch um die Bewertung von Satire oder sollte man besser sagen, das ist jetzt ein Fall für „Mutti“? Der Jan Böhmermann war böse zum türkischen Präsidenten und hat ein satirisches Gedicht über ihn senden wollen. Damit der deutsche Botschafter nicht wieder wegen Majestätsbeleidigung in deutschen Medien ins türkische Außenministerium zitiert werden musste, hatte das ZDF den schon produzierten und abgenommenen Beitrag flugs aus der Sendung entfernt, ihn aus der Mediathek gelöscht und in YouTube-Kanälen sperren lassen. Eigentlich hätte es damit genug sein können. Selbst Fernsehzuschauer, die Böhmermann nicht ausstehen können, fanden dies schon zu viel der Rücksichtnahme auf die Befindlichkeiten des türkischen Potentaten.
Doch nun hat Bundeskanzlerin Angela Merkel über ihren Regierungssprecher das Volk wissen lassen, dass sie am Sonntagabend in einem Telefonat sogar mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu über das Böhmermann-Gedicht verhandelt habe. Ergebnis: Die deutsche und türkische Regierung seien sich einig, dass es sich hierbei um einen „bewusst verletzenden Text handelt”. Merkel konnte ja darauf verweisen, dass der Sender schon gehandelt habe. Allerdings, so betonte Regierungssprecher Steffen Seibert, habe sie den hohen Wert bekräftigt, den die Bundesregierung der Presse- und Meinungsfreiheit beimesse. Diese sei aber nicht schrankenlos. Jetzt wird es interessant, wen die Kanzlerin demnächst als Schrankenwärter vorschlägt.
In vielen Berichten über den Böhmermann-Text war von einem „umstrittenen Gedicht“ die Rede. „Umstritten“ ist ein gern bemühtes Adjektiv, allerdings nicht für alles und alle. Es gibt auch Unumstrittene. Wer von deutschen Nachrichtenredakteuren das Adjektiv „umstritten“ verliehen bekommt und vor allem wer nicht, ist wirklich bemerkenswert. „Altbundeskanzler Kohl will in Kürze mit dem umstrittenen ungarischen Ministerpräsidenten Orbán zusammentreffen“, meldete der Deutschlandfunk heute Morgen. Niemand wird ja ernsthaft bestreiten, dass Viktor Orban umstritten ist, insofern ist der Satz natürlich nicht falsch. Allerdings ist auch Altbundeskanzler Helmut Kohl, beispielsweise was seinen Umgang mit Parteispenden und unbekannten Spendern angeht, höchst umstritten. Hätte man dann nicht korrekterweise vermelden müssen, dass sich „der umstrittene Altbundeskanzler Helmut Kohl mit dem umstrittenen ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban“ zu treffen beabsichtigt?
Außerdem: Was sagt ein so kurz eingestreutes „umstritten“ überhaupt aus? Vieles ist „umstritten“ in den Nachrichten des heutigen Tages: Die Rückführung von Migranten aus Griechenland in die Türkei, die Kastrationspflicht für Katzen im Rhein-Sieg-Kreis oder der Neubau eines Rinderstalls in Klein-Leuthen in der Niederlausitz. „Umstritten“ ist also inflationär im Einsatz. Deshalb ist es viel interessanter wer nicht umstritten ist.
Die oben zitierte Meldung will uns ja mit dem „umstritten“ sagen, dass es irgendwie anrüchig ist, sich mit Viktor Orban zu treffen. Gut. Weit weniger anrüchig ist ein Stelldichein mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Der gilt deutschen Nachrichtenredakteuren nicht als umstritten genug, um ihm dieses Adjektiv in Meldungs-Texten anzuheften. Oder erinnert man sich im Umgang mit dem türkischen Staatsoberhaupt wieder der Grenze zwischen Berichterstattung und Kommentar? Erdogan ist einfach der Unumstrittene in der Welt der Schrankenwärter an den Grenzen der Pressefreiheit.
Zuerst erschienen auf http://sichtplatz.de/?p=5675