Von Konstantin Kisin.
Gerade erregte des politischen Kommentators Konstantin Kisin Aufsehen mit einer fulminanten Rede in London. Der russisch-britische Satiriker appellierte an das Auditorium, die Zukunft mit Mut und Entschlossenheit anzugehen. Hier ist die Rede in deutscher Übersetzung.
Bei der ersten ARC-Konferenz in London (Ulrike Stockmann, die vor Ort war, berichtete hier) hielt der Satiriker Konstantin Kisin eine fulminante 12-minütige Rede, die Sie hier sehen, hören und im englischen Original nachlesen können.
Kisin sieht das Überleben unserer Zivilisation in akuter Gefahr und ruft dazu auf, einen neuen Aufbruch zu wagen, ohne Angst davor, auch mal Fehler zu begehen. Dieser Mut habe den Westen einst aufsteigen lassen und alle großen Errungenschaften ermöglicht.
Trotz oder gerade wegen des ernsten Themas ist die inhaltlich und rhetorisch brillante Rede gewürzt mit Witz und Selbstironie, Eigenschaften, die bei den Gegnern der freien Welt entweder nicht vorhanden (muslimische Fanatiker) oder längst verschütt’ gegangen sind (woke Geister im Dauerempörungsmodus). Wir haben sie für unsere deutschen Leser übersetzt. Enjoy!
Meine Rede bei der ARC
Alexander Solschenizyn sagte einmal:
„Die Stärke oder Schwäche einer Gesellschaft hängt mehr vom Niveau ihres geistigen Lebens ab als von ihrem Industrialisierungsgrad. Wenn die geistigen Energien einer Nation erschöpft sind, wird sie weder durch die absolut perfekte Regierungsstruktur noch durch irgendeine industrielle Entwicklung vor dem Zusammenbruch bewahrt werden können. Ein Baum mit einem faulen Kern kann nicht stehen.“
Als er die UdSSR verlassen durfte, ging er in die USA, wo er wie ein Held empfangen wurde. Doch er erkannte schnell, dass die amerikanische Gesellschaft bei weitem nicht perfekt war. Er begann, den Amerikanern Vorträge über die Probleme zu halten, die er sah. Die Amerikaner mögen das nicht.
Wie Solschenizyn komme ich aus der Sowjetunion, aber ich habe nicht die Absicht, seinen Fehler zu wiederholen. Deshalb bin ich nach Großbritannien gekommen, wo man sich gerne von Ausländern sagen lässt, wie schrecklich man ist.
Aber ich muss ehrlich sein. Als Jordan und Philippa [gemeint sind die Gastgeber Jordan Peterson und Philippa Stroud, Anm. d. Red.] mich vor sechs Monaten baten, hier bei ARC über die Bedeutung von Kühnheit, Abenteuer und einer positiven Vision für die westliche Zivilisation zu sprechen, fühlte ich mich sowohl geehrt als auch erfreut. Aber wenn ich heute hier stehe, wenn ich sehe, wie Menschenmassen auf den Straßen unserer Städte offen Massenmord feiern, wenn ich sehe, wie die Polizei mehr Zeit damit verbringt, auf Twitter über islamische Theologie zu debattieren, als das Gesetz durchzusetzen, dann verliere ich langsam den Glauben. Ich weiß nicht, wie lange unsere Zivilisation überleben wird. Seit Jahren haben viele von uns gewarnt, dass die Barbaren vor den Toren stehen. Wir haben uns geirrt. Sie sind schon drinnen.
Ich werde nicht in Schwarzmalerei verfallen. Es gibt auch Positives – man kann über die Hamas-Anhänger sagen, was man will, aber zumindest wissen sie, was eine Frau ist.
Keine Standing Ovations vor der UNO
Scherz beiseite, ich befand mich in den letzten Wochen in einer dunklen Ecke und habe das getan, was ich immer tue, wenn ich nicht weiß, was ich tun soll – ich habe mit meiner Frau gesprochen. Sie sagte: „Du musst dir ein paar Tage frei nehmen, deinen Kopf frei bekommen, lass uns in den Urlaub fahren.“ Doch ich hasse es, in Urlaub zu fahren. Ich weiß, es ist seltsam, das zu sagen, aber ich liebe es zu arbeiten und ich hasse es, Geld auszugeben. Ich habe eine protestantische Arbeitsmoral im Körper eines jüdischen Mannes. Leider ist es bei meiner Frau genau andersherum.
Aber sie hatte recht. Sie hat immer recht – das ist ihre beste und nervigste Eigenschaft. Wir waren in Barcelona, einer wunderschönen Stadt, und als wir die Haupttouristenstraße entlanggingen, kamen wir schließlich zum Christoph-Kolumbus-Denkmal. Es ist eine riesige Säule mit einer Statue von Kolumbus an der Spitze, die auf die Neue Welt zeigt.
Das erinnerte mich an meinen Sohn – er ist etwa 16 Monate alt und macht genau das Gleiche. Er sitzt auf meiner Hüfte und zeigt mir die Richtung, in die er gehen will. Er behandelt mich wie ein Pferd. Und wenn ich nicht schnell genug reagiere, tut er das, was alle Kleinkinder tun – er bekommt einen Wutanfall und fängt an zu schreien:
„Wie kannst du es wagen! Du hast mir meine Träume gestohlen mit deinen leeren Worten.“ Und wenn er das tut, lesen wir ihm eine Geschichte vor und bringen ihn ins Bett. Wir bringen ihm keine stehenden Ovationen vor der UNO dar.
Wir brauchen einen anderen Weg
Wie auch immer, Achtung, ich werde einige positive Dinge über Christoph Kolumbus sagen. Ich weiß, dass er einige ziemlich große Mikroaggressionen begangen hat, aber er hat auch die Welt verändert.
Wissen Sie, warum er die Welt verändert hat? Ja, er versuchte, Indien zu erreichen und entdeckte zufällig Amerika. Aber warum ging er nach Westen, nach Indien? Die Europäer hatten schon seit Jahrhunderten über die Seidenstraße mit Indien und China Handel getrieben. Warum sollte man sein Leben riskieren, um sich auf ein neues Terrain zu begeben?
Die Entscheidung, Asien auf dem Weg nach Westen zu erreichen, wurde nicht aus freien Stücken getroffen! Europa war verzweifelt. Im Jahr 1453 plünderten die Osmanen Konstantinopel und schnitten Europa von der Seidenstraße ab. Der Westen stand vor einer großen Herausforderung und einer neuen Bedrohung, die nicht kleiner war als die, der wir heute gegenüberstehen. Und genau wie wir brauchten sie einen anderen Weg.
Doch als Kolumbus seine Idee, Indien auf dem Weg nach Westen zu erreichen, den Königen und Königinnen des mittelalterlichen Europas vortrug, lachten sie ihn aus. Sie lachten ihn nicht aus, weil er eine Art missverstandenes Genie war. Sie lachten ihn aus, weil er im Unrecht war.
Die Geschichte des Westens ist eine Geschichte der Kühnheit
Wenn Sie auf die Straße gehen und eine beliebige Person fragen, warum Kolumbus Amerika entdeckt hat, wird man Ihnen sagen, er habe herausgefunden, dass die Erde rund ist. Das ist nicht wahr. Als Kolumbus 1492 zu seiner Reise aufbrach, wussten die Menschen schon seit zwei Jahrtausenden, dass die Erde rund ist. Wahrscheinlich gibt es heute mehr Anhänger der flachen Erde als im 15. Jahrhundert. Gott segne das Internet.
Der Grund, warum Kolumbus Amerika entdeckte, ist nicht, dass er herausgefunden hatte, dass die Erde rund ist – der Grund ist, dass er die Größe des Planeten massiv unterschätzte.
Sie hatten Recht, ihn auszulachen. Er war im Unrecht. Aber er nahm dieses Unrecht hin und überredete 90 andere Männer, in drei Boote zu steigen, die kleiner als diese Bühne waren, und ins Unbekannte zu segeln. Und er überredete Königin Isabella von Kastilien und König Ferdinand von Aragon, seine Expedition zu finanzieren.
Die Moral von der Geschicht' ist: Es spielt keine Rolle, wie falsch man liegt, solange man reiche Freunde hat.
Das ist nicht die Moral der Geschichte. Die Moral der Geschichte ist, dass die Geschichte unserer Zivilisation nicht von Menschen gemacht wurde, die nie einen Fehler gemacht haben. Sie wurde von Menschen gemacht, die es wagten zu glauben, dass sie die Probleme, mit denen sie konfrontiert waren, lösen konnten. Die Geschichte des Westens ist eine Geschichte der Kühnheit.
Wir sind die Mehrheit
Bei den großen Debatten des letzten Jahrzehnts, dem Kulturkampf und der Polarisierung geht es vor allem um eines: um die Zukunft. Es gibt Menschen wie uns, die glauben, dass unsere Zukunft darin besteht, wohlhabend, mächtig und einflussreich zu sein. Wir sind die Mehrheit. Aber es gibt auch Menschen, deren Hirn durch ein Übermaß an Bildung gebrochen wurde, die glauben, dass unsere Geschichte schlecht ist. Dass wir es nicht verdienen, groß zu sein, dass wir es nicht verdienen, mächtig zu sein, dass wir für die Sünden unserer Vorfahren bestraft werden müssen. Für sie ist unsere Vergangenheit abscheulich, unsere Gegenwart muss mit Entschuldigungen verbracht werden und unsere Zukunft ist ein verwalteter Niedergang.
Meine Botschaft an diese Leute ist einfach: Wie könnt ihr es wagen! Ihr werdet die Träume meines Sohnes nicht mit euren leeren Worten stehlen.
Aber Jordan hat recht, wir brauchen auch eine positive Botschaft, also hier ist sie: Seit Anbeginn der Zeit mussten die Menschen arbeiten, um die Welt zu verbessern. Wir haben das Geheimnis des Feuers entschlüsselt, wir haben das Rad erfunden, wir bauen heute Gebäude, die fast jeden Menschen, der je gelebt hat, in Angst und Schrecken versetzen würden. Wir haben das Atom gespalten, wir haben das Genom entschlüsselt und wir haben die Welt mit einem Mikrocomputer verbunden, der in Ihre Tasche passt und uns erstaunliche Dinge ermöglicht:
Heute Morgen habe ich jemanden mit Fakten und Logik auf Twitter von der Toilette aus vernichtet. Ein Wunder!
Nicht jammern und auf Opfer machen
Erinnern Sie sich an Ihre Großeltern? Wenn ich in der Zeit zurückgehen und die Großeltern Ihrer Großeltern in diesen Raum bringen könnte, damit sie sehen, wie wir heute leben, würden sie denken, sie seien von Außerirdischen entführt worden. Das ist der Fortschritt, den wir gemacht haben. Wir haben diesen Fortschritt nicht gemacht, indem wir gejammert und uns wie Opfer verhalten haben. Wir haben diesen Fortschritt gemacht, indem wir die Kreativität und die Talente von Menschen wie uns in diesem Raum entfesselt haben.
Aber ich glaube, wir haben vergessen, was Abenteuer bedeutet. Abenteuerlustig zu sein bedeutet nicht, extra scharfes Hühnchen bei Nando's [eine südafrikanische Schnellrestaurantkette, Anm. d. Red.] zu bestellen. Wobei, das ist die falsche Referenz für dieses Publikum. Abenteuerlustig zu sein bedeutet nicht, extra scharfes Hähnchen bei seinem persönlichen Koch zu bestellen.
Abenteuer ist gefährlich, und es ist furchterregend. Als Kolumbus und seine Männer in die Boote stiegen und eine Reise ins Unbekannte unternahmen, segelten sie in den sicheren Tod. Wissen Sie, warum? Weil sie etwas wussten, was wir vergessen haben:
DER TOD IST IMMER GEWISS.
Und so sage ich unseren Freunden in der Geschäftswelt: Ihr habt euer Vermögen durch die Maximierung der Rendite eurer Investitionen gemacht. Wir befinden uns im Kampf unseres Lebens. Es gibt keine größere Rendite für Ihre Investitionen als den Schutz und die Erhaltung unserer Zivilisation. Und so lade ich Sie ein, in die Fußstapfen von Elon Musk, Paul Marshall, Ben Delo und vielen von Ihnen hier zu treten, die ihr Vermögen zum Wohle der Menschheit einsetzen.
Wir befinden uns im Kampf unseres Lebens
Unseren Freunden in den Medien sage ich: Die Wahrheit ist wichtig. Wir befinden uns im Kampf unseres Lebens. Es gibt mehr im Leben als Klicks und Downloads. Lassen wir den Kulturkampf hinter uns, bei dem wir nur die Litanei der verleumderischen Anschuldigungen über unsere Geschichte abwehren. Lassen Sie uns die Tagesordnung festlegen. Erinnern wir unsere Mitbürger daran, warum wir da sind, wo wir sind. Erinnern wir sie daran, dass wir das toleranteste, offenste und gastfreundlichste Volk in der Geschichte der Welt sind. Wir schämen uns nicht für unsere Vergangenheit – wir sind stolz auf sie.
Und meinen Kollegen in den neuen Medien sage ich Folgendes. Die alten Medien liegen nicht ohne Grund im Sterben. Sie können nicht gerettet und nicht reformiert werden. Hören wir auf, uns über sie zu beklagen, und fangen wir selbst an, die Medienimperien der Zukunft aufzubauen. Wir haben alles, was wir brauchen. Wir haben sogar reiche Freunde.
Ich wende mich an unsere Freunde im Bildungswesen und in der akademischen Welt. Ich verstehe, dass sich viele von Ihnen wie die französische Résistance oder die sowjetischen Partisanen fühlen, die hinter den feindlichen Linien festsitzen, unterbesetzt und waffenmäßig unterlegen. Und Sie haben recht: Wir befinden uns im Kampf unseres Lebens. Kämpft also weiter für jeden jungen Menschen, den ihr finden könnt.
Leben, bevor wir sterben
Und schließlich möchte ich unseren Freunden in der Politik sagen, dass viele von Ihnen hier konservativ sind. Ich bin es nicht, ich sehe in Tweed schrecklich aus. Deshalb bezeichne ich mich als politisch nicht-binär. Aber ich kann euch Konservativen etwas sagen: Ihr werdet junge Menschen niemals dazu bringen, eine Gesellschaft und eine Wirtschaft zu erhalten, die nicht für sie funktioniert.
Wir werden den Nihilismus des Erwachens nicht überwinden, solange junge Menschen vom Wohnungsmarkt ausgeschlossen sind, Paare nicht zusammenziehen können, keine Kinder bekommen und keine Zukunftspläne schmieden können. Ich weiß, dass es schwierig ist, und ich weiß, dass derjenige, der die Wohnungskrise löst, den Preis an der Wahlurne zahlen wird. Das gilt auch für viele andere drängende Fragen. Oder zumindest denken Sie das.
Aber Sie sind nicht in die Politik gegangen, um wiedergewählt zu werden. Sie sind in die Politik gegangen, um etwas zu bewegen. Wir befinden uns im Kampf unseres Lebens. Wenn Mut überhaupt etwas bedeutet, dann ist es, das Richtige zu tun und bereit zu sein, die Strafe auf sich zu nehmen.
Lassen Sie es mich noch einmal sagen:
DER TOD IST IMMER GEWISS.
Wir können nicht wählen, ob wir sterben wollen oder nicht. Die einzige Wahl, die wir haben, ist, ob wir vorher LEBEN.
Ich danke Ihnen.
Konstantin Kisin, 1982 in Moskau geboren, ist Satiriker, Autor, politischer Kommentator unter anderem beim Daily Telegraph und The Spectator, sowie Co-host (mit Francis Foster) des Triggernometry Podcast.