Antje Sievers / 15.01.2020 / 15:53 / 8 / Seite ausdrucken

Mut zum alt, versoffen und verbraucht aussehen

Was haben Frida Kahlo, Franziska Gräfin zu Reventlow und Judy Garland gemeinsam? Abgesehen davon, dass sie, jede auf ihre sehr spezielle Art, alle Künstlerinnen waren, starben sie alle viel zu früh. Und alle mit 47 Jahren. Ein furchtbares Alter ohnehin, aber dennoch kein Grund, um abzutreten. Es sei denn, widrige Umstände zwingen dazu.

Bei Judy Garland waren die Umstände widrig. Wie widrig, das erfährt der Kinobesucher in kleinen Portionen in dem aktuellen biographischen Film „Judy“, der der Hauptdarstellerin Renée Zellweger schon den verdienten Golden Globe als beste Hauptdarstellerin eingebracht hat. 

Renée Zellweger ist eine Hollywood-Schauspielerin, die von Frauen wohl mehr verehrt wird als von Männern. Und zwar seit ihrer herrlichen Verkörperung von „Bridget Jones“, der britischen Everywoman mit den alltäglichen Peinlichkeiten und Missgeschicken, den neurotischen Gewichtszu- und abnahmen und dem Hineinstolpern in gewollte und ungewollte Liebesfallen, in der sich beinahe jede Singlefrau problemlos wiederfand. Diese Filme machten Zellweger und ihr niedliches Girl-next-door-Hamsterbäckchengesicht zum Star. Dem Höhenflug folgten überwiegend mittelmäßige Unterhaltungsfilme – „Unterwegs nach Cold Mountain“, ein brutal realistisches Anti-Kriegsepos zur Zeit des amerikanischen Bürgerkrieges mal ausgenommen.

Was für eine fantastische Performerin Zellweger sein kann, bewies sie 2002 in dem verfilmten Musical „Chicago“ an der Seite von Catherine Zeta-Jones und Richard Gere: Singen, Tanzen, Schauspielern sowieso, alles kein Problem. 2010 zog Zellweger sich für volle sechs Jahre vom Filmgeschäft zurück, angeblich aufgrund von Depressionen. Als sie wiederauftauchte, erkannte man sie nicht mehr. Durch etliche plastische Operationen sah Zellweger nicht mehr wie Zellweger aus. Für die gänzlich überflüssige Fortsetzung „Bridget Jones‘ Baby“ staffierte man sie mit einer Brille aus, damit sich die Kultfigur überhaupt noch halbwegs wiedererkennen ließ.

Some things never change 

Und nun ist Renée Zellweger Judy Garland. Und wie! Mut zum Risiko, Mut zum alt, versoffen und verbraucht aussehen wird seltsamerweise gerade von den Filmschaffenden fürstlich belohnt, die für ein schönes Gesicht und einen schlanken, topfitten Schauspielerinnenkörper über Leichen gehen. Das hat Judy Garland erlebt. Das hat Renée Zellweger erlebt, das erleben jedes Jahr aufs neue hoffnungsvolle Jungstars, die sich an den Nasen und den Zähnen herumfräsen lassen, die laut Vertrag auf keinen Fall mehr als 56 Kilo wiegen dürfen, die zeitlebens rigorose Diäten einhalten müssen und von dubiosen Studioärzten Happypills verschrieben und Glücklichmacher gespritzt kriegen.

Some things never change. Wie sagt die böse Stiefmütter zu ihrer Tochter, bevor sie ihr die Zehen abhackt, damit sie sich in Aschenputtels Schuh zwängen kann, um den Prinzen zu täuschen? Als Königin brauchst du nie wieder zu Fuß zu gehen!

Auch Zellweger hat Garlands Höllentrip hinter sich, und so spielt sie den alternden Ex-Kinderstar im letzten Jahr seines Lebens absolut grandios. Sehr bewegend ist die Szene, in der die Sängerin am Heiligabend niemanden zum Feiern findet als zwei ältere schwule Dauerfans, die sie zu deren grenzenlosem Entzücken in ihre Wohnung begleitet und mit ihnen dort den Abend bei einer sehr frugalen Mahlzeit nebst viel Alkohol verbringt. Das Kinopublikum scheint entsetzter zu sein, als es angebracht wäre. Egal, ob Garland dies wirklich erlebt hat – sowas kann für einen Künstler durchaus ein großer Moment im Leben sein, und wie gut solche Momente sind, das weiß man ohnehin erst viel später und oft genug ist es dann zu spät, um sie wirklich zu schätzen. 

Nicht nur in Mimik und Gestik überzeugend nah am Vorbild, singt Zellweger auch jede Nummer selbst, und zwar sehr gut. Dass sie nicht wie Garland singt, kann man ihr nicht gut vorwerfen, da niemand wie Garland singt. 

Alles in allem ist „Judy“ sehr sehenswert, obgleich stellenweise eine etwas müde Vorlage für ein überragende schauspielerische Leistung.

 

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Leserpost

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Karla Kuhn / 15.01.2020

Volker Kleinophorst, “Liebe Frau Sievers, mir ist auch schon aufgefallen, dass Frauen sich gerne mit “Briget Jones” identifizieren, ....” Sie kennen aber seltsame “Frauen.”  Oder soll das ein Witz sein ??  Dann ist er wirklich gelungen, jedenfalls kann ich herzlich lachen. Ein bisschen Spaß muß sein, singt doch… wer ?

PaulaBruno / 15.01.2020

Diese ganzen “Stars” tun mir einfach nur leid. Ich habe so viele Biografien gelesen, erfahren, wie viel menschliches Leid sich hinter mancher schönen Fassade verbirgt. Da ist auch sehr viel Eitelkeit und Narzissmus im Spiel. Die brauchen eine Bebauchpinselung auf 24-Stundenbasis. Und dann, wenn sie älter werden, yoi Mama…...  Empfehlenswert mal auf You Tube die vorher-nachher Fotos anzusehen. Manche der prominenten Protagonisten (meist weiblichen Geschlechts) sehen aus wie Monster. Ja, ich muß es leider so drastisch ausdrücken. Schlauchbootlippen, alles so komisch nach oben gezogen - und trotzdem wirken sie nicht jünger. Im Gegenteil, sie sehen extrem künstlich und unattraktiv aus. Es gibt da wirklich Beispiele, die ich nicht nennen möchte, wo mir persönlich fast das Herz blutet. Schade, daß diese tollen Schauspielerinnen im wirklichen Leben nicht den Mut hatten, natürlich zu altern.

Peter Volgnandt / 15.01.2020

So häßlich schaut sie jetzt auch wieder nicht aus. Einen guten Schauspieler macht es halt aus, dass er in verschiedene Rollen schlüpfen kann und muss. Er muss ja nicht sich darstellen sondern halt die Person, die er präsentieren muss. Wer hat denn den Glöckner von Notre Dame gespielt, wisst ihr ja alle, Anthony Quinn. Da konnte er auch nicht mit seinem Charme und gutem Aussehen brillieren.

Thomas Taterka / 15.01.2020

Zellweger hatte vor Jahren an der Seite von Viggo Mortensen u. Ed Harris ( ganz grosses Gespann! ) einen Auftritt in ” Appaloosa “, einem Western ( alle guten sind immer Freundschaftsgeschichten, dieser auch ). Sie spielt eine labile Frau , die sich zwischen zwei Männern nicht entscheiden kann. Und sich dann falsch entscheidet für einen dritten, den Mortensen ganz elegant aus Freundschaft wegpustet . Sehr sehenswert. Als Ergänzung. Zum Thema : die Originale sind mir prinzipiell lieber als die Darsteller/ innen derselben. Wollen Sie jemand sehen, der Ihre Lieblinge nachäfft , statt selbst groß zu sein, - außer in Parodien ? Mir ist dieses ganz ” Biographie - Genre “ irgendwie fremd und ich verstehe gar nicht , warum die Originalwerke nicht REICHEN. Meine Filmliebhaberei braucht dieses Zeug nicht sooo dringend. Ich schau mir lieber die alten Dinger an , zum Beispiel Garland mit dem irren Mickey Rooney . Das war Extra - Klasse.  

Heiko Engel / 15.01.2020

Broder und Steinhöfel for Golden Globe und OSKAR 2021. Für: ehrlichste und aufrichtigste Nebendarsteller. Wohlsein !

Albert Pflüger / 15.01.2020

Bei den Golden Globes habe ich sie bei ihrer Dankesrede auf youtube gesehen. Es war einigermaßen erschütternd. Sehr verlangsamt, mühsame Sätze, sich im Ungefähren verlierend… Ganz offensichtlich geht es ihr nicht sonderlich gut.

Jörg Themlitz / 15.01.2020

“...in der sich beinahe jede Singlefrau problemlos wiederfand.” Das fordert ja zum Wortspiel: Singlefrau und problemlos !? ...und die vielen Hund, Katze, Maus die darunter leiden müssen. Oder zählen in der heutigen Zeit Frauen mit tierischen Begleitern nicht mehr als Single? In diesen Fragen bin ich eher auf dem Stand von Windows XP.  GUV = Gesellschaftlicher Update Verweigerer

Volker Kleinophorst / 15.01.2020

Liebe Frau Sievers, mir ist auch schon aufgefallen, dass Frauen sich gerne mit “Briget Jones” identifizieren, dem “britischen Everywoman mit den alltäglichen Peinlichkeiten und Missgeschicken, den neurotischen Gewichtszu- und abnahmen und dem Hineinstolpern in gewollte und ungewollte Liebesfallen, in der sich beinahe jede Singlefrau problemlos wiederfand.” Männer: Schaut den Film und lasst es euch eine Lehre sein.

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