Peter Grimm / 26.03.2018 / 13:00 / Foto: Employee/US Embassy Kabul / 13 / Seite ausdrucken

Musterschüler im Haftbefehls-Vollzug?

Der ehemalige Präsident von Katalonien, Carles Puigdemont, ist am Sonntagvormittag in Schleswig-Holstein festgenommen worden. Der Landesinnenminister Hans-Joachim Grote (CDU) ist nach Zeitungsberichten stolz darauf, dass seine Polizisten jenen Europäischen Haftbefehl der spanischen Generalstaatsanwaltschaft vollstreckt haben, der in Belgien von der Justiz schon vor Monaten als nicht hinreichend befunden wurde, den Führer der katalonischen Unabhängigkeitsbewegung in Haft zu behalten und an Spanien auszuliefern.

Puigdemont war auf der Rückreise aus Finnland und wollte über Dänemark und Deutschland in sein belgisches Exil zurückkehren. In den Nachrichten des gestrigen Sonntags hieß es, dass die spanische Staatsanwaltschaft von den Finnen die Vollstreckung des Haftbefehls erbeten habe, doch die dortige Polizei hätte ihn leider nicht ergreifen können. Danach seien die deutschen Behörden informiert worden, um seiner auf dem Rückweg habhaft zu werden.

Warum gab es keinen Zugriff bei der Durchquerung Dänemarks? Spanische Medien haben berichtet, dass die deutschen und dänischen Behörden gemeinsam beschlossen hätten, dass Puigdemont in Deutschland festgenommen werden soll, weil zwischen Deutschland und Spanien bessere polizeiliche Verbindungen bestünden.

Aber war vielleicht auch die Lust der Finnen und Dänen nicht so sonderlich groß, sich einen solchen Problemfall ins Haus zu holen, wenn doch die Belgier schon in einem rechtsstaatlichen Verfahren eine Antwort auf die Frage gefunden hatten, ob man Puigdemont ausliefern solle oder nicht? Gibt Deutschland nun den Musterschüler im europäischen Haftbefehls-Vollzug in einem Fall, in dem die spanische Justiz ein innenpolitisches Problem mit Hilfe der Strafjustiz zu lösen gedenkt?

Wenigstens einmal das Recht an der Grenze durchgesetzt?

Jetzt muss das Oberlandesgericht in Schleswig prüfen, ob der Ex-Regionalpräsident in Auslieferungshaft genommen wird und ob eine Übergabe von Puigdemont an die spanischen Behörden rechtlich zulässig ist. Das hat, wie gesagt, ein belgisches Gericht vor Monaten auch schon tun müssen und entschieden, dass der Katalane in Belgien bleiben darf. Wahrscheinlich deshalb geht Puigdemonts belgischer Anwalt Paul Bekaert auch von einer baldigen Freilassung aus, wie er der belgischen Nachrichtenagentur Belga gesagt hat.

Die Kieler Nachrichten berichten unter Berufung auf Informationen aus Justizkreisen, dass Puigdemont erwägen würde, in Deutschland einen Asylantrag zu stellen. „Sollte er dies tun, wird der Asylantrag wie jeder andere vom Bundesamt für Migration geprüft werden“, zitiert die Zeitung einen Sprecher des Kieler Innenministeriums. Im Gegensatz zu hunderttausenden anderen Asylbewerbern hätte er damit aber kaum eine Chance, vorerst in Deutschland bleiben zu dürfen. Zumindest sagt das der Ministeriumssprecher: „Strafverfolgung beziehungsweise die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls hat Vorrang vor einem Asylverfahren“.

Das klingt folgerichtig, denn theoretisch dürfte es in keinem EU-Land eine politische Verfolgung geben und damit auch keinen Asylgrund für einen EU-Bürger. Doch scheint hier ein Manko des Europäischen Haftbefehls auf. Den können schließlich auch EU-Mitgliedsstaaten ausstellen, die rechtsstaatliche Defizite aufweisen. Zwar hat, wie ja auch Puigdemonts Fall in Belgien gezeigt hat, der Haftbefehl nicht automatisch die Ausweisung zur Folge. Doch selbst wenn die Gerichte in einem EU-Mitgliedsland die Überstellung abgelehnt haben, kann sich der Betroffene nicht mehr frei in der EU bewegen, weil hinter jeder Grenze wiederum die Verhaftung droht. Neben vielen anderen Defiziten der EU zeigt der Fall Puigdemont eben auch, wie unausgegoren das Instrument des Europäischen Haftbefehls ist. Gerade hier sollte man nicht stolz darauf sein, den Musterschüler spielen zu dürfen. Sonst ist Deutschland ja auch nicht gerade darauf erpicht, das Recht an seinen Grenzen überkorrekt durchzusetzen.

Der Beitrag erschien auch hier auf sichtplatz.de

Foto: Employee/US Embassy Kabul Flickr via Wikimedia Commons

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Joachim Lucas / 26.03.2018

Man kann darüber spekulieren, warum Puigdemont ausgerechnet in Belgien versucht hat Unterschlupf zu finden. Als Katalane hat er sich sicher zurecht ausgerechnet, dass Belgien (ein Staat, den es erst seit Anfang des 19. Jh. gibt), eine frühere Provinz des spanisch-habsburgischen Reiches, ihn am ehesten vor den spanischen Behörden schützen würde. In Belgien gibt es bei den Eliten sicher noch genügend Geschichtsbewusstsein und die bestimmt nicht sehr positive Erinnerung an diese spanische Epoche der belgisch-holländischen Geschichte. So kommt halt alles, wenn auch subtil, wieder mal auf den Tisch.

Fritz Blumer / 26.03.2018

Die Zusammenarbeit der beiden Staaten im Kampf gegen Katalanische Demokraten hat Tradition: Schon im August 1940 verhaftete die deutsche Gestapo den Präsidenten Kataloniens, Lluís Companys, im besetzten Frankreich und lieferte ihn an die spanische Obrigkeit aus.  Companys wurde dann in Madrid gefoltert und nach einem Schnellverfahren in Barcelona am 15. Oktober 1940 erschossen.

Frank Meier / 26.03.2018

Wann hat die belgische Justiz den Haftbefehl nicht für ausreichend befunden? Noch während der Prüfung zog ihn die spanische Justiz zurück - damit hatte sich die Sache für die Belgier erledigt. Jetzt beantragte Spanien den Haftbefehl erneut. In Finnland, wo Puidgemont sich zu dem Zeitpunkt aufhielt, hatte er sich daraufhin der Festnahme enzogen.

Otto Sundt / 26.03.2018

Wie würde sich denn wohl die deutsche Justiz verhalten wenn der Ministerpräsident in München sich zum König eines unabhängigen bayrischen Königreiches erklären würde oder in Berlin Preußen wieder auferstehen würde? Puigdemont ist wohl mehr bei der spanischen Justiz als bei der spanischen Regierung in “Ungnade” gefallen. In Deutschland gibt es den Straftatbestand des Hochverrats.

Fritz Kolb / 26.03.2018

Der gute Mann hätte einfach behaupten müssen, erst 17 Jahre alt zu sein. Oder noch besser, einfach illegal die Grenze überschreiten, so wie tausende Migranten das täglich machen. So aber trifft ihn die deutsche EU-Keule mit voller Wucht. Selber schuld.

Heinrich Vogler / 26.03.2018

Ein “überkorrektes” Durchsetzen von Recht liegt hier nicht vor. Entweder, man setzt Recht durch oder nicht. Es gibt einen internationalen Haftbefehl, Deutschland wie andere Länder auch waren verpflichtet, diesen durchzusetzen. Dass man andernorts “gepennt” hat, ist kein Ruhmesblatt für die dortigen Polizei- und Justizbehörden. Natürlich hat das zur Folge gehabt, dass man sich den Unmut, den sich Deutschland nun zugezogen hat, nicht zuziehen musste. Wie praktisch. Das nenne ich Feigheit. Was die nicht minder unfähigen belgischen Behörden von dem Fall Puidegemont halten mögen, ist für deutsche Behörden völlig belanglos. Im übrigen gibt es innerhalb der EU kein “Exil”, da die EU-Staaten davon ausgehen, dass es innerhalb der EU keine politische Verfolgung gibt. Denn dies wäre ein Verstoß egen die EU-Prinzipien. Daher ist auch das Verhalten der belgischen Behörden mehr als merkwürdig. Nun wird gemäß rechtsstaatlicher Kriterien geprüft, ob er ausgeliefert werden kann. Ich hoffe es, damit diesem feigen Links-Chauvinisten endlich in Spanien der Prozess gemacht werden kann.

H.Roth / 26.03.2018

Das erste, was mir dazu einfiel, war das erst kürzlich hier veröffentlichte Video von Thilo Schneider, “Die Petze ein Meister aus Deutschland”. Der darin pointiert aufs Korn genommene “urdeutsche Charakterzug”, ist vielleicht doch nicht so weit hergeholt, hm? Deutschland macht mal wieder alles ganz, ganz richtig. Und gründlich. Ausnahmsweise!

H. Schmitt-Fellgiebel / 26.03.2018

Wenn man nach Deutschland einreisen und evtl. bleiben will, muss man natürlich vorher seinen Pass vernichten. Das war der erste große Fehler Puigdemonts. Den zweiten hat er gemacht, als er nicht “Asyl” gerufen hat. Etwas südländisch sieht er ja aus, und bei den Experten im BAMF wäre sein Katalanisch sicher als lupenreiner arabischer Dialekt (an)erkannt worden. Und den dritten Fehler macht schließlich sein Anwalt, indem er glaubt, sein Mandant würde in Deutschland genauso behandelt werden, wie in Belgien. Dumm gelaufen…

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