Von Karim Dabbouz.
Wenn Künstler politische Akzente setzen, entsteht leider oft ein Abklatsch linker Allgemeinplätze. Man drückt auf die Tränendrüse, verbuddelt die Leichen von Flüchtlingen in Berlin oder kommt mit der Matratze zur Uni, auf der man vorgibt, vergewaltigt worden zu sein. Claudia Roth als trächtige Sau darzustellen, an der sich die Profiteure des überbordenden Nannystaates säugen, auf die Idee kommt niemand. Es geht in der Kunst scheinbar vor allem um Applaus aus der links-alternativen Ecke, die oft aber selbst nur eine Karikatur ihrer vorgefertigten Meinungen ist.
„The Funeral“: Der Tod der multikulturellen Gesellschaft
Dries Verhoeven ist ein niederländischer Künstler, der sich in seiner Arbeit "The Funeral" mit dem Ende von Ideen und Werten unserer Gesellschaft beschäftigt, beispielsweise mit dem Ende der Privatsphäre oder unserem Schuldgefühl als ehemals kolonialistisches Land. Es sind vorgeblich europäische Ideen, deren Untergang der Künstler in einer Trauerzeremonie inszeniert - inklusive Trauergästen, Pfarrer, Leichenwagen und Verbuddeln des Sargs in der Erde.
Für die Wiesbaden Biennale kündigte er die inszenierte Beerdigung eines europäischen Wertes an. Welcher Wert dies sein sollte, gab der Künstler einen Tag vor der Zeremonie in einer Todesanzeige in der Frankfurter Rundschau bekannt: Am 25. August würde die "multikulturelle Gesellschaft" in Wiesbaden zu Grabe getragen. Während der Inszenierung dann das passende Programm: Der Pfarrer lobte in ironischer Weise die deutsche Leitkultur, Flüchtlinge waren als Trauergäste zugegen und statt Verse aus der Bibel las man Passagen aus Thilo Sarrazins Buch "Deutschland schafft sich ab".
Wollt ihr den totalen Multikulturalismus?
Nun muss ein Niederländer wirklich viel geraucht haben, um das Ende der multikulturellen Gesellschaft am Horizont zu erkennen. Man begegnet dieser Gesellschaft schließlich täglich auf der Straße, im Bundestag oder man erkennt sie an den ganzen komischen Namen, die es bei der Arbeit zu merken gilt. Auch die "Biodeutschen" können heute aus einer Vielzahl an Kulturen und Subkulturen schöpfen und sich ihr ganz persönliches Lebensmodell zurechtklempnern. Wir leben in einer sehr freien Gesellschaft, in der jeder seine Kultur haben darf - sei es die asketische Ökokultur oder der Fußballfankult. Selbst Menschen, die lieber ein Tier wären und sich mit Tätowierungen und Implantaten in Reptilien verwandeln, können ihr Ding mit Gleichgesinnten durchziehen. Dies in der Öffentlichkeit zur Schau zu tragen, braucht gewiss Überzeugung und Mut, aber es ist möglich.
Was Dries Verhoeven in Wiesbaden zu Grabe trug, war also nicht die multikulturelle Gesellschaft, sondern ein Zustand, den viele Linke gerne erreicht sähen, der sich aber nur gegen Widerstand erzwingen lässt. Das ist das typische Missverständnis: Der Begriff Multikulti benennt heute nicht mehr das selbstverständliche Zusammenleben von Menschen verschiedener Traditionen und Weltanschauungen, also einen Prozess, dessen Wegbereiter die Freiheit des Einzelnen ist, sondern einen Ideologie gewordenen Zustand, den seine Anhänger zu erreichen versuchen. Sie wollen den totalen Multikulturalismus! Das ist eine dieser typisch linken Utopien, die natürlich nie erreicht wird, weil theoretisch immer mehr möglich wäre: Noch mehr Migranten, noch weniger Deutsche, noch mehr Bio, noch mehr Chancengleichheit. Nur so kommt man auf die Idee, die multikulturelle Gesellschaft in Europa stünde vor dem Ende.
Eine als multikulturell verklärte Monokultur
Zwei Beispiele veranschaulichen, warum Multikulti heute mehr politische Ideologie ist als gelebte Realität:
Erstens: Im Bestreben, die multikulturelle Gesellschaft nach utopischem Vorbild zu erschaffen, greifen die Ideologen selbst zu Maßnahmen, die Vielfalt einschränken: Denk- und Redeverbote, moralisierende Politik, Diffamierung anderslautender Meinungen.
Zweitens: Multikulti-Ideologen messen ihren Erfolg hauptsächlich daran, wie weit islamische Apologeten gesellschaftliche Debatten in Europa für ihre Zwecke kapern können. Sie beziehen ihr Multikulti vor allem auf eine religiöse Kultur, die eine bevorzugte Förderung erhält. Einwanderer aus Osttimor oder China können ein Lied davon singen. Nur beschweren diese sich wohl weitaus seltener, was der Grund dafür sein wird, dass sie sich schlecht als Projektionsfläche für Multikulti-Ideologen eignen.
Das, was viele unter multikulturell verstehen, ist häufig also das Gegenteil von Diversität, nämlich der Kampf gegen Vielfalt im Denken, Fühlen, Reden und Handeln. Viele Freunde des Multikulti sind erstaunliche Spießer und propagieren nichts anderes als eine als multikulturell verklärte Monokultur. Diese, in der Tat, steht auf der Kippe.
Multikulturelle Selbstverständlichkeit statt Ideologie
Man ahnt, was bei der Inszenierung des Künstlers eigentlich zu Grabe getragen wurde: Die Verteidigung eines irrationalen Multikulturalismus, der lange ohne Widerstand blieb. Zur Debatte steht nicht die multikulturelle Gesellschaft, sondern die Art und Weise, wie die Multikulti-Ideologen ihre Vorstellung von Diversität in Debatten und im öffentlichen Leben durchzusetzen versuchen. Das ist aber nicht das Ende des Multikulturalismus an sich, denn dieser ist lebendig und entsteht allein dadurch, dass wir in einem sehr sicheren und wohlhabenden Land leben. Solange das so bleibt, kommen Migranten freiwillig nach Deutschland und viele von ihnen werden ihren Weg gehen – auch ohne Multikulturalismus als politische Ideologie.
Übrigens: In einer weiteren Zeremonie inszenierte Dries Verhoeven den Tod der Privatsphäre als europäischen Wert. Auch hier durfte man sich fragen: Welche Privatsphäre meint er denn? Mit Gespür für gute PR präsentierte er Gina-Lisa Lohfink, deren Fall ja auch ein gutes Beispiel für das verzweifelte Festhalten an linker Ideologie ist – #teamginalisa und so.
Karim Dabbouz (29) lebt im Ruhrgebiet .