Aufarbeitung der Corona-Krise? Bundeskanzler Olaf Scholz hat Gründe genug, das um jeden Preis zu vermeiden und will jetzt versuchen, die Bürger mit einem Placebo ruhig zu stellen.
Noch einmal Corona: Corona ohne Ende? Nicht, weil wir davon nicht lassen könnten. Du lieber Himmel. Es gibt wahrlich anderes genug, über das zu berichten, mehr Spaß machen würde. Doch der Kanzler höchstselbst hat das Thema wieder aufs Tableau gebracht, als er im Sommerinterview mit der ARD sagte, die Pandemie sei „ein großer Einbruch für das Land gewesen“, der weiter nachwirke.
Corona wäre „nicht einfach abzuhaken“, vielmehr müsse man diskutieren, „was wir daraus lernen“. Und an dieser Aufarbeitung sollten nicht bloß Experten und Abgeordnete, sondern auch Bürgerräte beteiligt werden. So weit, so gut, wobei abzuwarten bleibt, ob in diese „Bürgerräte“ auch jene Bürger berufen werden, die schon seinerzeit, in der Hochphase der Pandemie, an der staatlich geschürten Corona-Hysterie Zweifel hegten.
Immerhin haben sie bereits vorausschauend vor alle dem gewarnt, was nachher zu beklagen war: vor dem volkswirtschaftlichen Schaden infolge gedrosselter Produktion und der Stilllegung ganze Firmen während des Lockdowns, vor dem Bildungsverlust nach der Schließung von Schulen und Hochschulen, nicht zuletzt vor den gesundheitlichen Schäden, den psychischen sowie den körperlichen. Gerade eben erleben wir eine exorbitante Steigerung von Fällen der Gürtelrose, des Herpes Zoster, einer Nervenschädigung, die kaum zu behandeln ist und Monate bis Jahre braucht, um wieder auszuheilen. Manche leiden unter den quälenden Schmerzen den Rest ihres Lebens.
Verdrängt, nicht vergessen
Wer es aber schon während der heftig geschürten Impf-Euphorie wagte, auf deren nachhaltig negative Auswirkungen hinzuweisen, hatte keinen leichten Stand. Von oben herab und medial befeuert wurden er und sie verdächtigt, unsolidarisch zu sein, das Leben der Anderen zu gefährden. Den Kritikern drohte Ausgrenzung, die Abschiebung an den äußersten rechten Rand, die Brandmarkung als „Verschwörungstheoretiker“ und Parteigänger der AfD. Gar als Feinde der Demokratie wurden sie vorgeführt und terroristisch verdächtigt. Manche hatten berufliche Konsequenzen zu fürchten. Die sachlich fachliche Auseinandersetzung kippte in eine politische. Inzwischen ist das alles schon wieder verdrängt, vergessen ist es nicht.
Ob damit, dass die Wortführer der Inquisition nun im Zuge der von Olaf Scholz in Aussicht gestellten Diskussion des „Einbruchs“, der ein moralischer war, ihr eigenes Verhalten anzweifeln werden, bleibt abzuwarten, – noch nach der Veröffentlichung der RKI-Protokolle, die belegen, dass die Politik vorgab, was die Wissenschaftler zu bestätigen hatten. Nach allem menschlichen Ermessen wird mit einer derartigen Gründlichkeit der Aufarbeitung kaum zu rechnen sein. Schließlich ist kein Täter gezwungen, sich selbst zu belasten, einerseits.
Andererseits taugt die in solchen Fällen gern vorgeschützte Unwissenheit – frei nach dem vertrauten Motto, das konnte doch keiner ahnen – nicht zur Entschuldigung des angerichteten Schadens. Denn auch hier gilt das rechtsstaatlich verankerte Prinzip, demzufolge Unwissen nicht vor Strafe schützt. Es ist sogar in besonderem Maße zu beachten, da die fortwirkende Einschränkung bürgerlicher Freiheit, von Politikern veranlasst wurde, die gar nicht qualifiziert waren, die Gefahren der Pandemie fachlich zu beurteilen. Ihre Expertise verdankte sich purer Machtanmaßung.
Der alte Lügenbaron
Ausgestattet mit der Befehlsgewalt, wähnten sich die medizinisch Unbedarften im Besitz der absoluten Wahrheit. Das, was sie dafür hielten, wurde par ordre du mufti durchgedrückt, gestützt von eitlen Fachleuten, die sich gern im Fernsehen sahen und nichts dabei fanden, ihre wissenschaftlichen Erkenntnis so zu überarbeiten, wie es der Regierung gefiel.
Rückschauend ist festzustellen, es ging allein darum, die Chance zu ergreifen, mit der Pandemie im Rücken den totalen Staat zu etablieren und das Volk politisch unter Kuratel zu stellen. Unisono, angefangen vom Kanzler bis in die Reihen der Opposition, haben die gewählten Volksvertreter nicht wider besseres Wissen, sondern – fast noch schlimmer – ohne jegliches Wissen in der Sache gehandelt. Gegen alle fachlichen Einwendungen spekulierten sie auf die Angst der Menschen, um sich den Anschein besonderen Verantwortungsbewusstseins zu geben.
Daher geht man wohl auch nicht ganz fehl in der Annahme, dass es dem Kanzler, wenn er eine politisch gelenkte Aufarbeitung der Corona-Krise in Aussicht stellt, abermals darum geht, sich selbst auf die Schulter zu klopfen. „Wir müssen“, sagte er im Sommerinterview der ARD, „diese Krisen, die ja doch sehr viele auf einmal sind, bewältigen.“ Auf gut Deutsch: Noch einmal soll ihm Corona aus der Patsche des Umfragetiefs helfen. Ein Schelm, dem jetzt die Geschichte einfällt, in der sich Münchhausen, der alte Lügenbaron, am eignen Schopf aus dem Morast zieht, in den er samt Pferd Hals über Kopf gestürzt war, weil er nicht so weit springen konnte, wie er die Leute glauben machen wollte.
Dr. Thomas Rietzschel , geboren 1951 bei Dresden, Dr. phil, verließ die DDR mit einer Einladung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt. Er war Kulturkorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung FAZ und lebt heute wieder als freier Autor in der Nähe von Frankfurt.